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Ausgabe:

1952 Nr. 10

Spalte:

611-614

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Hemberg, Bengt

Titel/Untertitel:

Die Kabiren 1952

Rezensent:

Herter, Hans

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Theologische Literaturzeitung 1952 Nr. 10

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vorhebung vor allem Barths historische Mission gewesen ist:
die Einsicht, daß die Theologie entspringt und hinführt zur —
Verkündigung, daß sie darum nicht eine als religiöses Phänomen
vorliegende ,,Glaubensanschauung" zum Objekt für eine
neutrale, wissenschaftliche Beschreibung hat, sondern die verkündete
und ständig neu zu verkündende Botschaft.

Daß hier reformatorische Gedanken bei Barth vom Verf.
unterbewertet wurden, davon scheint mir seine Polemik zu
zeugen. In dieser Polemik geht der Verf. aus von einer etwas
zu handfesten und etwas zu unkritisch übernommenen lunden-
sischen Lutherdeutung. Ich möchte zum Schluß einige Beispiele
hierfür nennen.

In der Polemik gegen Barths Auffassung von der Verkündigung
als einer niirakulösen Einheit von Gotteswort und
Menschenwort wird der Schöpfungsgedanke auf eine Weise
angewandt, die kaum lutherisch ist [S. 194—200]. Bei Barth
soll der Mensch aufgefaßt sein als ein selbständiger Faktor
gegenüber Gott, weil ihm die Verkündigung an den gottfeiud-
lichen Menschen ein Problem ist. Bei Luther soll es dagegen anders
sein, weil nicht Gott und Mensch, sondern Gott und Teufel
einander gegenüber stehen. Alles richtig! Aber hieraus wird
nun der verblüffende Schluß gezogen, daß der Mensch nicht
unter allen Umständen mit verdächtigendem Blick betrachtet
zu werden braucht. Der Mensch braucht nicht in der Macht der
gottfeindlichen Gewalt zu sein. Der Mensch kann in Gottes
Machtsphäre gerückt werden, ja, gehört im Grunde immer dahin
, weil Gott alles in seinen Dienst nimmt. Daß das Menschenwort
Gotteswort sein kann, ist darum kein Problem.

Diese Überlegung scheint mir mehr neulutherisch als lutherisch
zu sein. Daß der Mensch, wenn er von Gott in seiner
Schöpfertat gebraucht wird, aus der Macht des Teufels gerückt
ist und nicht länger mißtrauisch [in seinem Gottesverhältnis
!] betrachtet zu werden braucht, ist absolut kein lutherischer
Gedanke. Wenn der Schöpfuugsgedanke auf diese
Weise angewandt wird, ist er ein Stück theologia gloriae geworden
, eine abstrakte Wahrheit, die dazu benutzt werden
kann, das Problem zu beseitigen, das ein Rätsel in jeder theologia
crucis ist: daß der Sünder gerechtfertigt ist, daß der
Sünder lobsingt und Gott verkündet. Daß Luther hier alles
als Selbstverständlichkeit betrachten würde, daß seine Theologie
hier problemlos sein würde, überzeugt nicht. Aber „das
Problem" ist für Luther nicht abstrakt. Es kleidet sich für ihn
in die Form der Anfechtung: daß er mit seiner Verkündigung
Menschen irregeführt hat. Soweit mir bekannt ist, hat Luther
den Schöpfungsgedanken niemals als Mittel gegen dieses „Problem
" verwandt.

In einer Diskussion über Barths dynamische Kirchenauffassung
[S. 219—232] wird hervorgehoben, daß Barth verhindern
will, daß die Kirche in menschlichen, Gottes Wirksamkeit
ausschließenden Formen erstarrt. Diese Notwendigkeit, die
Offenbarung dem Einfluß des Menschen zu entziehen, soll nun
auf der falschen Kontrastierung von Gott und Mensch be-
ruehn. Barth hätte nicht so viel Energie daranzugeben brauchen
, zu beweisen, daß der Mensch nicht ein ,,Nebenzentrum"

neben Gott ist, wenn nicht vorausgesetzt würde, daß der Mensch
die Möglichkeit hat, sich einer solchen Position zu nahen.
Und nach der Mehiung des Verf.s ist es augenscheinlich unlutherisch
, dies vorauszusetzen, weil der Mensch dabei als em
selbständiger Faktor gegenüber Gott aufgefaßt werden will
und nicht als ein absolut von Gott abhängiges Geschöpf.

Wieder möchte man fragen, ob hier nicht theologia gloriae
getrieben wTird. Denn in dieser Welt ist doch sowohl Sünde
als auch Fleisch und der Teufel so viej Wirklichkeit, daß es
wirklich vorausgesetzt werden muß, daß sündige Menschen die
Möglichkeit haben, sich als ein Nebenzentrum an die Seite
Gottes zu erheben ? Was anders ist die Sünde, wenn nicht diese
Möglichkeit ? Und was wäre das für eine 'securitas', im Ernst
nicht vorauszusetzen, daß der Mensch die Möglichkeit hätte,
diese Position zu erreichen ?

Bei Luther ist es wiederum recht deutlich, daß dort nicht
so problemlos überlegt wird, wie es der Verf. in seiner Polemik
gegen Barths „Probleme" zu tun getrieben wird. Aber für
Luther war das Problem wiederum nicht abstrakt, sondern persönlich
. Er hatte es vor sich im Papst und in den Schwärmern.
Und darum ging für Luther — wie für Barth — der Kampf, zu
verhindern, daß die Kirche in menschlichen, die Wirksamkeit
Gottes ausschließenden Formen erstarrt, mit anderen Worten
der Kampf gegen den Papst und die Schwärmer, kein Kampf
gegen Windmühlen. Gibt es nicht heute einen entsprechenden
Kampf ?

Es scheint mir, daß beim Verf. eine Geneigtheit vorliegt,
die lundensische Lutherforschung in einer Weise anzuwenden,
die in neulutherische Richtung führt. „Das Wort" und „Die
Kirche" werden bemerkenswert eindeutige Größen, und die
Probleme werden in eine. Art lutherischer Gnosis aufgelöst, wo
die lutherischen Grundgedanken zu rational angewandt werden
, um die Rätsel zu lösen, die durch die christ iche Existenz
als „simul justus et peccator" der Vernunft ständig
gestel't werden, ohne daß diese sie zu lösen imstande i^t.
Es scheint mir, daß der Verf. in seinem Eifer, Barths falsche
Probleme zu lösen, so weit geht, daß seine eigenen theologischen
Voraussetzungen, von denen aus er Barth kritisiert, auch
problemlos, durchrationalisiert zu werden drohen.

Diese kritischen Bemerkungen sollen indessen nicht eine
Verkleinerung des Einsatzes des Verf.s bedeuten. Sie mögen als
ein Versuch aufgefaßt werden, die Diskussion einzuleiten, die
gerade seine Arbeit das Verdienst hat hervorzurufen. Ich will
daher diese Anzeige damit schließen, indem ich die Worte
zitiere, mit denen ich nach zweieinhalb Stunden Opposition
bei der mündlichen Verteidigung der Abhandlung den Verf.
beglückwünschen konnte: Kritik ist eine Ehre, die man dem
Verf. erweist, weil sie seine Arbeit einer eingehenden Diskussion
für wert bezeichnet und nicht als gleichgültige Richtigkeiten
. Dieses Buch hat eine Pionierarbeit für das Barthstudium
im Norden geleistet, wozu man deren fleißigen Verf. mit
Recht beglückwünschen kann in der Hoffnung, daß seine Studien
fortgesetzt werden und Frucht bringen mögen in neuen
Arbeiten, die weiterführen können, was er begann.

RELIGIONS WISSENSCHAFT

Hemberg, Bengt: Die Kabireil. Uppsala: Almquist & Wikseils 1950. 420 S'
u. 1 Bl. „Ergänzungen und Berichtigungen", gr. 8°.

Es ist sehr zu begrüßen, daß das schwierige und vieldiskutierte
Thema der Kabiren eine zusammenfassende und, um es
gleich zu sagen, gründliche und vertrauenswürdige Behandlung
erfahren hat. Vor allem galt es, die in der Uberlieferung so unklar
ineinander verschwimmenden Vorstellungen identischer,
verwandter, ähnlicher Gestalten so scharf wie nur irgend möglich
zu fassen. Hierfür hat H. als die verhältnismäßig zuverlässigsten
Zeugen die Inschriften benutzt, die die Gegebenheiten
des wirklichen Kults durchschnittlich getreuer festhalten als
die allen möglichen Kombinationen und Modifikationen leichter
sich öffnenden literarischen Nachrichten. In dem durch
Karten illustrierten Katalog der Verehrungsstätten werden
also zunächst diejenigen Kulte aufgeführt, deren Inhaber inschriftlich
nur als Megaloi (oder Megistoi) Theoi belegt sind;
dabei kommt auch das merkwürdige Nebeneinander von Megaloi
Theoi und Megalai Theai in Andania u.a. zur Sprache
(vgl. A. J. Festugiere, Rev. 6t. gr. LXIV 1951, 316,1). Prinzipgemäß
erscheint in diesem Kapitel außer Imbros auch Samo-
thrake, da dort der Kabirenname nur literarisch bezeugt ist.
Wir erhalten ein Bild von dem Kult und den besonders durch
ekstatische Tänze ausgezeichneten Mysterien sowie von dem
Götterverein selber, der weiblichen manchmal in Mutter und

Tochter aufgespaltenen Gottheit, ihrem Geliebten oder Gatten
und dem jungen dienenden Kasmilos (o. ä.); die Rufnamen der
drei waren Axiokersa, Axiokersos und Axieros, die Identifikationen
mit geläufigeren Gottheiten fluktuieren dagegen so verwirrend
, daß neben dem älteren auch der jüngere Gott als Hermes
erscheinen kann (S.95f.). Die Ausgrabungen im heiligen
Bezirk reichen jetzt allem Anschein nach in vorgriechische Zeit
zurück, so daß der samothrakische Kult nunmehr früher belegt
ist als der thebanische; nach der Begünstigung durch Phi-
ladelphos und Arsinoe hatte er seine Glanzzeit im 2. Jh. v.Chr.
und dauerte mindestens bis ins 4. Jh. n. Chr., vielleicht auch
noch länger, selbst wenn Nonnos nicht gerade mehr Augenzeuge
gewesen sein sollte (S. 117). Zu Thasos vgl. vielleicht
noch Ch. Picard, Mon. Piot XL 1944, i26ff. Im 2. Kapitel folgen
die Orte, die durch inschriftliches Zeugnis den Kabiren-
namen direkt beanspruchen, vor allem das kleinasiatische Ka-
beira, wo die Götter wie auch anderwärts als Repräsentanten
der Bergleute aufgetreten sein werden (vgl. H. Quiring, Forsch,
u. Fortschr. XXI/XXIII 1947, 98L), ferner Lemnos, wo zuweilen
ein dritter männlicher Paredros und auch drei kabirische
Nymphen hinzukommen, Theben, wo der Kult urwüchsig
bäuerliche Züge trägt, und Thessalonike, wo er eine blutige
Note angenommen hat. Ein 3. Kapitel lehrt die samothrakische
„Diaspora" kennen: die Großen Götter der Insel hatten in der
Zeit ihrer Hochblüte vor allem als Seehelfer eine so werbende
Kraft, daß sie als ZauäftgaxEg OeoC auch auswärts verehrt
wurden, aber es ist da natürlich nicht an Übertragung der My-