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Ausgabe:

1952 Nr. 10

Spalte:

607-612

Autor/Hrsg.:

Prenter, Regin

Titel/Untertitel:

Das Problem der natürlichen Theologie bei Karl Barth 1952

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Theologische Literaturzeitung 1952 Nr. 10

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Hamann in seinem Herzpunkt begriffen hat, und zwar so lebendig
, wie vielleicht niemand von den Zeitgenossen1.

Dem Magus sollen, wenn er von der Fürstin sprach, die
Tränen gekommen sein2. Man kann fragen:3 „Waren esTränen

') Ein Gegenstück auf reformierter Seite zu dieser ,,Protestantisierung"
einer großen katholischen Persönlichkeit ist der entscheidende religiöse Einfluß
, den der Zürcher evangelische Pfarrer Johann Caspar Lavater auf den
katholischen Bischof Johann Michael Sailer ausübte. Siehe meinen Beitrag
„Sailer und Lavater" in der Zeitschrift „Zwingliana" Heft 1, 1952.

s) J. G. Hamanns, des Magus in Norden, Leben und Schriften, hrsg. von
C. H. Gildemeister, Bd. III, 1857, S. 389.

») mit Gudelius S. 167.

*) Das Verhältnis des Magus zu Amalie von Gallitzin wird natürlich auch
in den Hamannbiographien behandelt. Die neuesten sind: 1. Evert Jansen
Schoonhoven, Natuur en Genade bij J. G. Hamann (Nijkerk, Niederlande,
1946). Der erste Teil dieses sorgfältigen und tiefeindringenden Werkes, einer
Leidener theologischen Doktorarbeit, enthält eine Lebensgeschichte Hamanns

der Freude darüber, daß er hier eine Jüngerin gefunden, die
ihn ganz verstand, oder waren es Tränen des Schmerzes darüber
, daß ihm diese Jüngerschaft nicht in der eigenen Kirche
begegnet war4 ?"

(hier das Münsterkapitel S. 116—132), der zweite Teil eine Darstellung von
Hamanns Gedankenwelt. — 2. Josef Nadler, Johann Georg Hamann, 1730
bis 1788, der Zeuge des Corpus mysticum. (Salzburg 1949.) Der Abschnitt über
Münster in diesem im übrigen meisterlich geschriebenen, geist- und lebensprühenden
Buche scheint mir nicht voll befriedigend, weil nicht klar wird, worin
im einzelnen die Einwirkung Hamanns auf die Fürstin bestanden hat. —
3. Die dänische Werk- und Lebensbeschreibung Hamanns von Tage Schack
(J. G. Hamann, Kopenhagen 1948, 350 S.) reicht nur bis ungefähr 1772. Eine
Fortsetzung ist leider nicht zu erwarten, da der Verfasser, ein lutherischer
Pfarrer, vor dem Abschluß seines Manuskriptes im April 1945 als Opfer der
deutschen Besetzung Dänemarks umkam. — 4. Walter Lowrie, Johann Georg
Hamann, an Existentialist (Princeton N. J., U. S. A., 1950) gibt einen knappen,
guten Einblick in Hamanns Lebensgang und Lehre (über Münster S. 20f.).

Das Problem der natürlichen Theologie bei Karl Barth

Von R. Prenter, Aarhus

Eine schwedische Doktorarbeit über die Theologie Barths
ist eine Begebenheit1. So gründlich und mit so viel Verständnis
, wie in diesem Buch, ist Barths Theologie früher in der
schwedischen Theologie nicht behandelt worden, die bis dahin
anscheinend Schwierigkeiten gehabt hat, mit Barth ins Gespräch
zu kommen.

Das Thema, das der Verf. wählt, um darum seine Darstellung
von Barths Theologie und seine Auseinandersetzung
mit ihr zu konzentrieren, ist vortrefflich gewählt. Barth selbst
hat ja dem Ausdruck gegeben, daß er in gewisser Weise seine
Theologie als einen Kampf mit der natürlichen Theologie betrachtet
. Es gibt darum kaum ein anderes Thema, durch das
man einen so umfassenden Uberblick über alle entscheidenden
Tendenzen in Barths Theologie bekommt, als grade das Problem
der natürlichen Theologie.

Der Verfasser baut seine Darstellung so auf, daß er in
einer Einleitung seine Themawahl motiviert und sich mit einer
Reihe irreführender Tendenzen in der Barth-Deutung und
Barth-Polemik auseinandersetzt. Danach gibt er in Kapitel I
g-ündlich und mit Geschick Rechenschaft über den Streit
zwischen Barth und Brunner über den Anknüpfungspunkt.
Hier ist Barths Polemik gegen die natürliche Theologie vorläufig
skizziert. Als ein Zusatz zu diesem Kapitel wird ein
Kapitel II eingefügt, die Debatte über die existentialphiloso-
phische Fundamentierung der Theologie bei Bultmann und
anderen betreffend, die bei Brunner als dem eigentlichen Ziel
für Barths Polemik gegen die natürliche Theologie zurücktrat.
In diesem Kapitel gibt der Verf. eine Einführung üi Heideggers
Philosophie, welche früher in Schweden kaum beachtet war.
In Kapitel III, das die Überschrift „Die Religion des natürlichen
Menschen" trägt, kommt dann die eigentliche, auf einem
umfassenden Studium von Bartbs gewaltiger Produktion aufbauende
Darstellung der Motive, die sich hinter Barths Polemik
gegen die natürliche Theologie verstecken. In den beiden
letzten Kapiteln IV [Die Inkarnation und die Kirche] und V
[Die Schöpfung und das Gesetz] wird versucht aufzuzeigen,
wie das Motiv, das Barths Polemik gegen die natürliche Theologie
bestimmt, sein gesamtes theologisches Denken prägt und
ihn an entscheidenden Punkten in Gegensatz zu einer lutherischen
Denkweise setzt.

Der Verf. führt diese Untersuchung mit großer Gelehrsamkeit
und viel Verständnis durch. Seine Belesenheit ist verblüffend
. Sein 25 Seiten umfassendes Literaturverzeichnis enthält
nicht weniger als 628 Nummern. Er zeigt sich in der
ganzen gegenwärtigen theologischen Produktion heimisch und
würdigt sie mit Klugheit. Aber — seine Darstellung würde
noch gewonnen haben, wenn er eine gewisse Enthaltsamkeit
hinsichtlich der Zitation und der Polemik geübt hätte. Von
vielen der Verfasser, die zitiert werden und gegen die polemisiert
wird, kann man kaum sagen, daß sie so viel Aufmerksamkeit
wert sind. Der große Eifer, die Diskussion nach allen
Seiten aufzunehmen, der bei einem Doktoranden sehr erklärlich
ist, geht in gewisser Weise über die Konzentration und
die Energie bei der Problembehandlung selbst hinaus.

Das Interesse dieser Abhandlung sammelt sich um die
These, welche in ihr über das Grundmotiv in Barths Theologie

') Benktson, Benkt-Erik: Den naturliga teologiens problem hos

Karl Barth. Lund: Gleerup 1948. XLII, 304 S.

aufgestellt wird. Diese These wird aufgestellt und verteidigt
hauptsächlich in dem wichtigen Kapitel III, und es ist das
Verdienst dieses Buches, daß es eine Diskussion dieser These
erzwingt. In der vorliegenden Anzeige sollen nun einige Andeutungen
einer solchen Diskussion dargelegt werden.

Nach der Auffassung des Verfassers kreuzen sich zwei
Motive in der Polemik Barths gegen die natürliche Theologie
und darum auch in seiner gesamten Theologie. Das eine Motiv
ist die Gegenüberstellung von Gott und Mensch als zweier unabhängiger
Gegenpole nach Art der scholastischen Problemstellung
. In der Hervorhebung dieses Motivs als eines bei Barth
vorherrschenden vertritt der Verf. eine Auffassung, die
in Schweden schon früher von G. Ljunggren angedeutet und
neulich von Gustaf Wingren ausführlich begründet wurde.
Aber damit kreuzt sich ein anderes Motiv. In seiner Polemik
gegen die natürliche Theologie ist Barth nicht nur von den
eigenen Voraussetzungen dieser natürlichen Theologie bestimmt
, wenn ihm die Möglichkeit des Menschen, Gott zu
erkennen, zum Problem wird; aber in der Klarlegung der
natürlichen Theologie als ein Resultat der Religion des natürlichen
Menschen sprengt Barth in Wirklich!.eit diese Problemstellung
und redet nun in der Problemstellung der Rechtferti-
gungslehre, wo Gott und Mensch nicht abstrakt gegeneinander-
gestellt werden, sondern wo der Gott der Gnade und der durch
Werkgerechtigkeit sündige Mensch sich gegenüber stehen.

Welches dieser zwei Motive ist nun bei Barth das beherrschende
? Sie antworten ja in Wirklichkeit sowohl auf das
Erosmotiv des Piatonismus, das die scholastische Gegenüberstellung
von Gott und Mensch bestimmt, als auch auf das
Agapemotiv des Christentums, das die Rechtfertigungslehre
bestimmt. Der Verf. gibt kaum eine völlig entschiedene Antwort
auf diese Frage; aber an der Weise, in der er sowohl in
Kapitel III und in den Schlußkapiteln IV und V gegen Barth
polemisiert, läßt sich erkennen, daß er praktisch mit der Dominanz
der ersten der beiden genannten Motive rechnet. Mit
wachem Spürsinn verfolgt er überall in Barths Denken die
Konsequenzen einer falschen Gegenüberstellung von Gott und
Mensch. Hier werden oft Dinge gesagt, die man gezwungen
ist, in Erwägung zu ziehen. Aber mitunter werden die Resultate
doch etwas zu schnell erreicht.

Es gilt nun, zu allererst aufzuweisen, daß die falsche Problemstellung
der natürlichen Theologie mit deren Gegenüberstellung
von Gott und Mensch Barths eigene Polemik gegen
die natürliche Theologie beherrscht. Wie begründet nun der
Verf. diese seine Behauptung rein textmäßig ?

Der Verf. nimmt seinen Ausgangspunkt darüi, daß Barth
den Gedanken an einen Anknüpfungspunkt überhaupt gar
nicht abweist, also die Problemstellung selber nicht abweist,
in der der Gedanke an einen Anknüpfungspunkt auftaucht,
sondern gleichzeitig mit seiner'Abweisung eines im Menschen
gegebenen Anknüpfungspunktes eingeht auf den Gedanken
eines von Gott geschaffenen Anknüpfungspunktes, den der
Heilige Geist in den Menschen setzt. Hiermit ist gegeben, daß
Barth sich stetig in der Problemstellung der natürlichen Theologie
bewegt. Barth selbst hat den Feind intra muros [S. 123
bis 24]. Die Begründung für diese Behauptung wird mit einem
Hinweis auf „Die christliche Dogmatik" gegeben [§ 17], auf
den der Verf. oft zurückkommt. Barth redet in diesem Paragraphen
von der subjektiven Möglichkeit der Offenbarung.