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Ausgabe:

1952 Nr. 10

Spalte:

583-590

Autor/Hrsg.:

Tomkins, Oliver Stratford

Titel/Untertitel:

Einige Konsequenzen der Ökumene 1952

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583

Theologische Literaturzeitung 1952 Nr. 10

534

dann geht es um ewiges Leben und ewigen Tod. Wohl aber ist
zu bestreiten, daß es sich bei allen heute bestehenden Spaltungen
der Christenheit um diese letzte, unausweichliche
Scheidung handelt.

VII.

Lassen Sie mich hier abbrechen und zum Ausgangspunkt
des Referates zurückkehren.

Die Kirche ist das wandernde Gottesvolk. Sie befindet
sich in dieser Welt auf dem Wege ihrem wiederkommenden
Herrn entgegen. Was alles ihr auf diesem Wege widerfahren
wird, weiß sie nicht. Sicher aber ist, daß der Herr ihr entgegengeht
, um die in der Welt zerstreuten Seinen zu sammeln, auf
daß sie in ewiger Herrlichkeit mit Ihm vereint leben.

Laßt uns auf diesem Wege vorwärts eilen und nicht
stehen bleiben. Laßt uns nach vorne blicken und nicht mit
dem Blick an der Gegenwart hängen bleiben. Laßt uns den
Blick losreißen von den sichtbaren Trennungen, die wir noch
nicht überwunden haben, und fest hinblicken auf den einen
Herrn, dem wir entgegen gehen. Im Blick nach vorne, in der
Erwartung des kommenden Weltenrichters und Erlösers werden
wir die Vorläufigkeit, den Mangel an Endgültigkeit von
manchem, was uns trennt, erkennen.

Laßt uns auf dem Wege vorwärts eilen, nicht stehen
bleiben und auch nicht rückwärts blicken. Laßt uns aus

der Erwartung leben, anstatt uns in der Vergangenheit festzubeißen
. Laßt uns den Blick losreißen von der oft so hart gewordenen
Einseitigkeit der Betrachtung jener historischen Ereignisse
, in denen sich einst die Kirchenspaltung vollzog. Laßt
uns den Blick richten auf die viel tiefer greifende Scheidung,
die der wiederkommende Herr an allen Kirchen vollziehen
wird, und auf die Einheit in der ewigen Herrlichkeit, die er
dann herbeiführen wird. Im Blick nach vorn t itt die Vergangenheit
in ein neues Licht und lösen sich manche Probleme,
die uns einstweilen unlösbar erscheinen.

Laßt uns vorwärts eilen. Nur in der Erwartung des zweiten
Advents verstehen wir recht die biblischen Zeugnisse vom
ersten Advent unseres Herrn. Denn die ganze neutestament-
liche Botschaft weist uns nach vorne, und nur im Vorwärtseilen
beugen wir uns in rechter Weise unter sie. Nur im Vorwärtseilen
können wir sie recht verstehen. Nur in der Erwartung des
wiederkommenden Herrn haben wir die Gemeinschaft mit dem
ins Fleisch gekommenen Herrn. Denn der Gekreuzigte klopft
als der Wiederkommende an das von uns selbst gebaute Haus,
in dem wir uns vor Gott und vor den Brüdern versteckt und
gegen sie verbarrikadiert haben, indem er spricht: „Siehe, ich
stehe vor der Tür und klopfe an; so jemand meine Stimme
hören wird und die Türe auftun, zu dem wTerde ich eingehen
und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir." (Offenb.
3, 20).

Einige Konsequenzen der Ökumene

Von O. S. Tomkins, London

Sobald ich wußte, daß ich zu Ihnen sprechen würde, beschloß
ich, eine Gelegenheit zu finden, von der administrativen
Kleinwirtschaft, mit der diese Konferenz verbunden ist,
wegzukommen und sie soweit als möglich in ihrer Ganzheit
und in ihrer Beziehung zur ökumenischen Bewegung, wie ich
sie verstehe, zu sehen. Das Resultat, das ich Ihnen hier unterbreite
, ist gewissermaßen ein Dankopfer für das, was Gott mir
durch Sie alle hat zuteil werden lassen. Denn mit der praktischen
Seite einer Versammlung wie dieser verbunden zu sein,
bedeutet ein oft unbewußtes Verwickeltwerden in Dinge, die
unsre ältesten Voraussetzungen in Frage stellen und gleichzeitig
das Vorhandensein von neuen offenbaren, deren man
sich nur allmählich bewußt wird. Dr. Schlink und ich konnten
unsere Papiere erst vergleichen, nachdem jeder von uns seines
fertig gestellt hatte. Aber wir haben beschlossen, die Punkte
in unseren Papieren nicht zu entfernen, in denen wir beide
getrennt geführt worden sind und die wir einschließen wollten
in das, was wir zu sagen wünschten. Zur Zeit der Edinburger
Konferenz arbeitete ich in der Christlichen Studentenbewegung
und nahm als Mitglied der Jugendgruppe an der Konferenz
teil; dann folgten einige Jahre als Pfarrer, bevor ich „berufsmäßig
" ins Gebiet der Ökumene zurückkehrte, gerade
rechtzeitig, um bei den Vorbereitungen für Amsterdam mitzuhelfen
und an allem sich daraus ergebenden teilzunehmen.
In kurzer Zeit hoffe ich, ebenfalls im Sinne der Ökumene,
innerhalb meiner eigenen Kirche als Erzieher und Lehrer von
jungen Männern zu arbeiten, die sich für den Dienst in der
Kirche von England vorbereiten. Ich erwähne meine persönliche
Geschichte, weil sie etwas ausdrückt, was, in wechselndem
Ausmaß, uns allen gemeinsam ist: den rhythmischen
Wechsel zwischen den Forderungen und Verpflichtungen eines
Lebens, das in einer bestimmten kirchlichen Tradition und
deren örtlicher Verkörperung verhaftet ist, und der vielleicht
nicht allzu häufigen Teilnahme an einer christlichen Gemeinschaft
, die weiter ist als unsre eigene Kirche und unser örtlich
begrenzter Pflichtenkreis.

Sicherlich würde niemand von uns den Zusammenhang
zwischen diesen beiden Erfahrungen leugnen. In einer mehr
oder weniger verschwommenen Weise wissen wir, daß sie Teile
eines Lebens in Christus sind. Er ist es, der sie zusammenhält,
und Er ist beider Ursprung und Ziel. Aber es wäre müßig, sich
vorzutäuschen, daß diese beiden Formen des christlichen Lebens
nicht in mancher Beziehung weit auseinanderliegen. Ich weiß
nicht, ob die meisten von uns es schwerer finden werden,
Leuten aus einem anderen Milieu, die wir hier treffen werden,
das Wesen unsrer eigenen besonderen Uberzeugungen und
Handlungen zu erklären, oder denen, die uns zu Hause erwarten
, verständlich zu machen, was wir während unsres
Aufenthaltes hier voneinander gelernt haben werden.

In all dem ist natürlich sehr viel, was für jede Reise- und
Austauscherfahrung zutrifft —, die rein menschliche Schwierigkeit
, denen, die auf smörgasbord oder bouillabaisse aufgewachsen
sind, begreiflich zu machen, was ein barbecue oder
ein chicken-fry ist. Aber es geht viel tiefer als das, es rührt
an den Kern eines jener Paradoxe, auf denen die ökumenische
Bewegung begründet ist. Wir alle glauben, daß die Kirche,
die der Leib und die Braut Christi ist, mehr ist, als unsre
eigene besondere Kirche, und doch wissen wir, daß wir nur
dann tagaus, tagein als Glieder des Leibes leben können,
wenn wir unsern eigenen Kirchen getreu leben. Der Status
des Ökumenischen Rates der Kirchen bedeutet die Annahme
dieses Paradoxes; seine Dynamik besteht darin, daß er dessen
Endgültigkeit ablehnt. Der Glaube, der der ökumenischen Bewegung
Beweglichkeit gibt, liegt in dem unerforschten Gebiet
dessen, was es bedeutet, daß der Leib Christi mehr ist als
unsre eigene Kirche, und was es heißt, seiner eigenen Kirche
getreu zu leben. Sicherlich, dies ist nicht vollkommen unerforschtes
Gebiet. Die Geschichte der modernen ökumenischen
Bewegung ist die Geschichte eines geduldigen und
fruchtbaren wechselseitigen Austausches zwischen unserm
eigenen kirchlichen Erbgut und dem, was andre in ihrer Kirche
ererbt haben, und der Beziehung beider zu dem, was Gott
uns allen in Christus g'geben hat. Aber was ich sagen möchte,
ist, daß uns diese Forschungsreise, diese Geschichte eines
gegenseitigen Austausches, seit Edinburg 1937 und Amsterdam
1948, im Lund von 1952 zu einem Punkt gebracht hat,
an dem neue Entscheidungen gefaßt und getroffen werden
müssen. Seit 1948 ist der Ausschuß für Glauben und Kirchenverfassung
in den Ökumenischen Rat integriert worden. Um
das ökumenische Paradox noch klarer und krasser auszudrücken
; der Ökumenische Rat ist ein Rat von Konfessionen,
während die Tatsache seiner Schöpfung die Rechtfertigung
des Konfessionalismus zerstört hat. Was sind die Einheiten,
aus denen sich der Ökumenische Rat zusammensetzt ? In der
letzten Mitgliederliste sind 158 aufgezählt; aus Großbritannien
sind 15 solcher Einheiten bei dieser Konferenz vertreten; aus
den Vereinigten Staaten 23; aus Schweden 3; aus Indien 7;
und so weiter.

Wir alle wissen, daß sehr verschiedene geschichtliche Entwicklungen
hinter diesen statistischen Daten liegen. Einerseits
gibt es, was wir „kulturell dominierende Kirchen" nennen
können, wo eine bestimmte kirchliche Tradition jahrhundertelang
praktisch genommen ein Monopol auf die religiöse Zugehörigkeit
der Bevölkerung hatte, wie hier in Schweden oder
in Griechenland. In theologischer Hinsicht sind solche Kreise
sehr verschieden, aber ihr Monopol ist heute nirgends unangefochten
. Im Gegensatz dazu gibt es Kirchen, die in bezug
auf kulturelle und gesetzliche Stellung in einer Situation
leben, die als „plurale Gleichberechtigung" bezeichnet werden
kann, wo keine einzelne Kirche groß genug ist, um als Kirche
der ganzen Gemeinschaft behandelt zu werden, wie in den
Vereinigten Staaten oder in jenen Gebieten in Ubersee, wo
die Mission in den letzten 100 Jahren oder länger tätig war.
Es gehört zu den offiziellen Absichten der Konferenz, die