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Ausgabe:

1952

Spalte:

574

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Niebergall, Alfred

Titel/Untertitel:

Augustins Anschauung von der Gnade 1952

Rezensent:

Niebergall, Alfred

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57:1

Theologische Literaturzeitung 1952 Kr. 9

574

Wenn auch weitgehend heute der Mark.-Tradition der Vorzug gegeben
wird (Mehrzahl der Semitismen, Paulus von dort ableitbar), so glaubt der Verf.
dennoch, bei Paulus die ältere Form wiederzufinden. Die Beweiskraft der Ara-
maismen sollte man nicht überschätzen, denn eine frühe, wenn auch gräzisierte
Fassung kann doch die ursprüngliche Form besser bewahrt haben als eine späte
aramäische. Überzeugen können hier wohl überhaupt nur innere Argumente.

Nun glaubt der Verf. zeigen zu können, daß gerade Mark, gegenüber Paulus
vereinfacht und harmonisiert. Gerade wenn man liturgischen Gebrauch
annimmt, ist eine umgekehrte Entwicklung kaum denkbar, weil die geradezu
ideale Parallelität zerstört worden wäre. (Analog zum Brotwort wird z.B. bei
Mark, aus dem Kelch wort ein Wein wort, an das sich dann ein ixxvvvöftcvov
anschloß. Dieses zog schließlich als Kommentierung das viiip - Wort — inig
iftäv bzw. noXX&v — zu sich herüber.) — So läßt sich Schritt für Schritt die
Entwicklung zeigen, die weiter erwiesen wird durch die Fortbildung der Terminologie
:

l.Kor. 11: Brot — Becher: oäfia — 8ia9r[xr) (alfia). Durch Parallelisie-
rung beider Glieder entsteht die Fassung nach Mark.: Brot — Wein: am/ia —
alfia (öia&Tjxrj). Das u n betonte zweite Glied wirkt nun parallelisierend auf das
erste zurück, denn alfia fordert als Ergänzung ein aöp|. So entsteht die Terminologie
nach Joh.: aap! — alfia. Schließlich bringt die nachkanonische Entwicklung
dann eine Zusammenfassung beider Glieder.

Auch die aramäischen Äquivalente werden zur Stützung dieser Behauptung
der Entwicklung herangezogen, und der Hinweis auf inhaltliche Schwerpunktverlagerungen
ergänzt das Bild.

Alle diese Untersuchungen stützen das Vertrauen zur paulinischen Tradition
, auch zu der des Wiederholungsbefehls, den der Verf. allerdings nicht aus
den Parallelen in hellenistischen Mysterienkulten herleitet, sondern aus dem Passahcharakter
des Einsetzungsabendmahls, den er, ohne völlige Sicherheit zu erlangen
, zumindest wahrscheinlich machen zu können glaubt.

Hier setzt dann auch der zweite Teil der Arbeit ein. Den Ausgangspunkt
bildet der Begriff avdfivr^ais. An ihn schließt sich eine Untersuchung der hebräischen
,,Gedächtnis-"Vorstellung an, die sich ausdrückt im Verbum 12T
und dessen Ableitungen.

Bemerkenswert ist die eigentümliche Realität der hebräischen Vorstellungswelt
, die vor allem im Zeitverständnis ihren Niederschlag findet, das
wiederum am besten im Kultus greifbar wird. Der Hebräer hält keine Erinnerungsfeier
im modernen Sinn, er feiert vielmehr mit. Die Vergangenheit wird
Gegenwart. Beim Passahfest zieht man jetzt aus Ägypten aus, wohnt beim
Laubhüttenfest jetzt in Laubhütten, ist dabei gleichzeitig mit den Vätern in
der Wüste.

Das „Denken" (richtiger: das Erleben) ist geschichtlich orientiert, ausgerichtet
auf ein Handeln Gottes mit dem Volke. Das ist der Gegenstand des
kultischen „Gedächtnisses". Der Sinn für die historische Realität, für das einmalige
, in dieser konkreten Form historisch unwiederholbare, aber im Kultus
immer wieder Gegenwart werdende Ereignis ist kennzeichnend für diese
Denkform.

In umgekehrter Richtung zeigt sich dasselbe bei der Vorwegnahme der
Zukunft. Jetzt schon ist man beim endzeitlichen messianischen Mahl.

Schließlich findet sich dieselbe eigentümliche Realität auch beim Urbild-
Abbild-Verhältnis. Das Abbild ist ein Repräsentant des Urbildes. Ihm eignet
eine Wirklichkeit, die unserem Denken fremd ist, die weder als „gleichnishaft"
noch als „seinshaft" bezeichnet werden kann, die wir überhaupt nur umschreibend
definieren können.

Die weiteren Abschnitte des zweiten Teils behandeln die Passahfeier,
suchen die Abendmahlshandlung Jesu in den Rahmen der Passahfeier einzuordnen
und wenden sich dann jüdischen Vorstellungen in der Abendmahlsüberlieferung
zu (u.a. Mahlvorstellungen, die Begriffe dta&rjxij, ITHS, alfiarrje
Sia&ijxtjs usw.).

Der letzte Teil beginnt mit einem kritischen Überblick über die neueren
Abendmahlsexegesen der protestantischen Theologie. Kennzeichnend ist da
fast ausnahmslos die Leugnung der Realpräsenz überhaupt oder ihre Verlagerung
von den Elementen weg ausschließlich in die Handlung. Demgegenüber
glaubt der Verf., gerade auch von der Untersuchung der hebräischen Vorstellungswelt
her, daß die lutherische Lehre der Absicht der Einsetzung am nächsten
kommt.

Die Elemente sind Repräsentanten für Christus im Sinne jenes eigentümlichen
Ineinander des alttestamentlichen Urbild-Abbild-Verhältnisses.
Konsubstantiation oder Synekdoche bezeichnen, wenn man in diesen Ausdrücken
nicht mehr sieht als Umschreibungen der Art der Realpräsenz, den
Sinn immer noch am treffendsten.

An sich bildet das Brotwort schon eine geschlossene Handlung. Das Brot
„ist" Christus, und damit (hebräisches Zeitverständnis!) die wirklich werdende
repraesentatio und antizipatio seines Weges. Das Kelchwort (Blut als Sitz und
Träger des Lebens ist nach dem Verlassen des Körpers Repräsentant für die
Person) anticipiert das Kreuzesereignis, damit die Wirkung des Opfertodes,
das heißt aber: Einbruch derßaoikeia xov &eov. Damit ist der eschatologische
Ausblick noch einmal gegeben, der auch schon im eschatologischen Wort vor
der Mahlzeit da ist. Mit dem Abendmahl zugleich wird das endzeitliche Mahl
Gegenwart.

Die Wiederholungen der Feier bedeuten nun ein „Gedächtnis" im hebräischen
Sinn. Die Kirche feiert das Herrenmahl nicht noch einmal, sie feiert es
mit. Durch die ävdfivrjoig der Feier wird die ganze Fülle des Einsetzungsmahles
heute Wirklichkeit.

Wenn man die Parallele zwischen dem Passah-,.gedächtnis" und dem
Abendmahls-,,gedächtnis" sieht, lassen sich, so glaubt der Verf. im Anschluß
an seine Exegese, manche heute so problematische Fragen relativ leicht lösen,
die vor allem für die praktische Theologie von Bedeutung sind. So tragen z.B.
die verba testamenti keinen konsekratorischen Charakter. Sie sind, entsprechend
der Passahhaggada, ein Stück Verkündigung. Der sogenannte „Konsekrationsmoment
" liegt vielmehr in der Distribution, wie es auch beim Einsetzungsabendmahl
der Fall war. (Bei Luther läßt sich bereits diese Auffassung
im Ansatz nachweisen.) Nun erübrigt sich eine evtl. Nachkonsekration, weil
das Problem gar nicht mehr besteht; ferner gibt es keine „nichtverbrauchten
Elemente" mehr.

Da die Arbeit sich im wesentlichen auf die vier Einsetzungsberichte beschränkt
, fragt der Verf. abschließend nach den in l.Kor. 10 und Joh. 6 vertretenen
Abendmahlsauffassungen. In beiden Fällen läßt sich zwar eine Verschiebung
des Tones zeigen; aber bei aller Mannigfaltigkeit, die im Reichtum
der Sache selbst begründet ist, erscheint das Abendmahl im Neuen Testament
dennoch als einheitliche Größe.

Niebergall, Alfred: Augustins Anschauung von der Gnade, ihre Entstehung
und Entwicklung vor dem pelagianischen Streit (bis zum Abschluß
der Confessiones). 1951. XI, 242 S. Mikrokopie DM 15,20.

Die Arbeit führt durch eine eingehende Untersuchung der frühen philosophischen
und theologischen Schriften Augustins den Nachweis, daß Augustin
bereits vor der Kontroverse mit Pelagius sich eine feste Überzeugung von dem
Wesen und Wirken der Gnade erworben hat. Dies Urteil wird durch eine
theologische Untersuchung der Confessiones, die bisher meist in psychologischer
oder philosophischer Hinsicht beurteilt wurden, vollauf bestätigt.
Die Arbeit liefert einen Beitrag zu dem Problem der Theologie des jungen
Augustin. — Inhalt: Einleitung. I.Kap. Die Vorbereitung des Gnadenbegriffs
in den Schriften bis zur Taufe. l.Die Beziehungen Gottes zu Welt und
Menschen. 2.Die Motive des göttlichen Handelns. 3.Das Verhältnis des Menschen
zu Gott. — II.Kap. Die Ansätze zum Gnadenbegriff in den Schriften
der Jahre 387—390. l.Der Heilsweg und die Willensfreiheit. 2.Das Wesen
der Sünde. 3. Die Gottesanschauung. 4. Die Erlösung. — II I.Kap. Die Entstehung
des Gnadenbegriffs in den Schriften der Presbyterzeit. 1. Natur und
Gnade. 2. Gesetz und Gnade. 3. Die Rechtfertigung. — IV. Kap. Die Fixierung
der Gnadenlehre in der Schrift De diversis quaestionibus ad Simplicianum. —
V. Kap. Die Gnadenanschauung der Confessiones. — VI. Kap. Die Entstehung
der Gnadenlehre in Augustins eigener Beurteilung.

Sauber, Karl Richard: Die Abstraktion im israelitischen Recht. 1951.

V, 72 S. Mikrokopie DM 6,20.

Die abstrakte Formulierung von Rechtssätzen ist eine junge Erscheinung
in der Rechtsgeschichte. Man nimmt an, daß sie im allgemeinen erst zu Zeiten
des Aristoteles aufkommt. Noch das römische Recht ist weithin kasuistisch.
Um so erstaunlicher ist es, daß das sonst weniger entwickelte Recht des AT abstrakte
Formulierungen aufweist. Diese Erscheinung zu erklären ist das Ziel
der vorliegenden Arbeit.

Einer Untersuchung der Geschichte der abstrakten Rechtssätze muß
aber eine Betrachtung der alttestamentlichen Rechtsquellen vorausgehen, denn
die Zeiten, da auch die Wissenschaft das alttestamentliche Gesetz als eine „absolute
Größe von voraussetzungsloser, zeit- und geschichtsloser Gültigkeit"
(M.Noth, Die Gesetze im Pentateuch, S.71) ansah, sind vorbei. An die knappe
Erörterung des Wesens von Kasuistik und Abstraktion im 1.Abschnitt der
vorliegenden Arbeit schließt sich daher in Abschnitt 2 die Quellengeschichte
des israelitischen Rechts an. In § 2 wird das Bundesbuch behandelt. Der Verfasser
folgt hier im wesentlichen der Quellentheorie A. Jepsens (Untersuchungen
zum Bundesbuch, 1927). Die konditional gefaßten Sätze des Bundesbuchs
stammen aus dem Rechte der Kanaanäer, die es ihrerseits von den Babyloniern
rezipiert und den palästinensischen Verhältnissen angepaßt haben. Diese Sätze
stimmen mit dem Codex Chammurapi nicht nur sachlich und formal, sondern
auch in ihrer Anordnung zu sehr überein, als daß man mit M.David (The Codex
Hammurabi and its relation to the provisions of law in Exodus, S.178u.ö.)
daraus, daß die Übereinstimmungen sich auf die Regelung solcher Verhältnisse
beziehen, die in Babylonien und Palästina gleichartig waren, eine selbständige
Entwicklung folgern dürfte. Die These, Bb. und Codex Chammurapi gehen auf
ein „gemeinsemitisches Urgesetz" zurück, die D.H.Müller (Die Gesetze Ham-
murabis) und A. Jirku (Das weltliche Recht im AT) vertreten, wird abgelehnt,
weil die kanaanäischen Mischpatim nicht für die Verhältnisse eines Nomadenvolkes
passen. Die These von einem semitischen Urgesetz mag für die Taiions-
formel richtig sein; denn die Vermutung Alts (Die Ursprünge des israelitischen
Rechts), die Talionsformel sei genuin israelitisch, überzeugt nicht, weil sie
eben gerade auch im Codex Chammurapi vorkommt. Neben diesen kanaanäischen
Mischpatim stehen die israelitischen Mischpatim, die ihren Ursprung
in der altisraelitischen Amphiktyonengerichtsbarkeit (zu letzterer: M.Noth,
Das System der zwölf Stämme Israels) haben. Ebenfalls genuin israelitisch sind
die sittlich-religiösen Gebote, die Debarim des Bundesbuchs. Diese stehen
sprachlich und inhaltlich den Gottesreden der Propheten nahe. Man darf sie
daher diesen zurechnen. Die Kultvorschriften des Bundesbuchs geben schließlich
noch einen Hinweis auf sein Alter: Weist die Rezeption kanaanäischen
Rechts und die Erwähnung des t?"'"JJ3 (dazu Noth a.a.O. Exkurs II) in die späte
Richterzeit, so weist Ex. 20, 26 mit seiner Polemik gegen den Tempelbau Salo-
mos in die frühe Königszeit.