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Ausgabe:

1952 Nr. 9

Spalte:

572-574

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Marxsen, Willli

Titel/Untertitel:

Die Einsetzungsberichte zum Abendmahl 1952

Rezensent:

Marxsen, Willi

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Theologische Literaturzeitung 1952 Nr. 9

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sorglich genug umgegangen worden. Aus den vielen kleinen Bausteinen dieser
Zeitschriften-Veröffentlichungen, der Aufsätze und der Protokolle ein zusammenhängendes
, geschichtsgetreues Bild zu entwerfen, vor allem zur Frage der
Auseinandersetzung zwischen Frauenbewegung und evangelischer Kirche, habe
ich als eine besondere Aufgabe dieser Arbeit betrachtet.

Ich habe mich bemüht, von den wichtigen Originaldokumenten Photokopien
zu erhalten und beizulegen. Im Anhang sind daher angefügt: 1. Titelblätter
und einige Textblätter aus dem 1. Jahresbericht des Vereins für Armen-
und Krankenpflege von Amalie Sieveking, 2. Kopie eines Briefes von Helene
Lange an Adolf von Harnack, ein persönliches Dankschreiben für die Glückwünsche
zu ihrem 70. Geburtstag. 3. Kopie eines Briefes von Gertrud Bäumer
an die Verfasserin zur Frage nach Beziehungen von Naumann zu Wichern hinsichtlich
der Beurteilung der Frauenfrage. Die Handschriften von Amalie Sieveking
kann ich nur abschriftlich darbieten.

Lutz, Klaus Martin: Das Phänomen der Abtreibung in christlicher

Sicht. (Versuch einer Darstellung und Untersuchung von Problematik und
Problem.) 1951. 110 S. Mikrokopie DM 6.60.

Die Arbeit gliedert sich in drei Teile, von denen der erste einer kurzen,
aber möglichst exakten Aufzeichnung des Sachverhaltes dient. Der zweite
wendet sich der Problematik der Schwangerschaftsunterbrechung zu, d.h. der
Frage „Ist der von Gott geschaffene und ihm verpflichtete Mensch berechtigt,
die Frucht im Mutterleibe in gewissen Situationen zu töten?" Der dritte Teil
versucht positive Ansätze einer Lösung des Abtreibungsproblems zu geben,
d.h. die Frage zu beantworten, „welche Wege zeigen christliches Denken und
christliches Leben dem Einzelnen und der Gesellschaft, um diesem Notstand
zu entgehen, um diesen Notstand zu beseitigen."

Diesen drei Teilen sind zwei einleitende Kapitel vorausgesandt. Im ersten
wird dem Leser ein kleiner Einblick gegeben in die mannigfaltigen Einzelschicksale
und in die Not der Gesellschaft, welche die Wirklichkeit bilden. Dies geschieht
aber nicht darum, um daraus gewisse Folgerungen abzuleiten, sondern
um zu verdeutlichen, daß Maßstab einer solchen Untersuchung nur der Einzelmensch
in seiner einmaligen Not sein kann. Es schließt sich das Kapitel einer
kurzen theologischen Besinnung an. Nicht die Frage „von wann ab ist der Foetus
Mensch, von wann ab ist er beseelt und lebensfähig" ist entscheidend und weist
der Untersuchung den rechten Gang. Vielmehr ist es die Frage nach dem Ursprung
des Menschen in seiner geist-leiblichen Gesamtheit. Das von Gott Erkannt
- und Gewolltsein eines jeden empfangenen Menschen wird an Hand des
Tenors und der Menschenschau der Bibel bezeugt. „Es folgt aus den Untersuchungen
dieses Kapitels, daß immer, wenn das Problem der Abtreibung sich
stellt, die Existenz eines von Gott gewollten, personhaft in jedem Stadium
seiner Entwicklung lebenden Menschen in Gefahr ist."

Das folgende Kapitel gibt durch eine knappe kulturgeschichtliche Orientierung
den Nachweis, daß das Abtreibungsproblem keineswegs erst ein Kind
der modernen Gesellschaft ist, sondern die Menschheit in allen Stadien ihrer
kulturgeschichtlichen Entwicklung begleitet hat, so im indischen, persischen
und ägyptischen Kulturraum, im Zeitalter des griechisch-römischen Kulturkreises
nicht weniger als im Mittelalter. Eine Ausnahme scheint lediglich das
israelitisch-jüdische Volkstum in den ersten Epochen seiner Geschichte zu sein.
Diese kulturgeschichtliche Betrachtung ist darum wesentlich, daß nicht die
zur Diskussion stehende Not allein vom heutigen Aspekt aus isoliert betrachtet
wird. — Im vierten Kapitel geht die Untersuchung auf den medizinischen
Aspekt ein; zunächst wird dargelegt, daß in keinem Fall die Interruptio ein
medizinisch harmloser Eingriff ist, wie vielfach in Laienkreisen angenommen
wird, sondern in jedem Fall eine psychisch-physische Bedrohung darstellt. Die
rein medizinische Seite des Problems wie Art der Operation, Dringlichkeit des
Eingriffes und seine Gefahren stellen der heutigen Wissenschaft, abgesehen von
Detailfragen, keine ungeklärten Probleme mehr. Ein nun anschließendes ausführliches
Referat der medizinischen Interpretation aber zeigt, daß dennoch
aus diesem eindeutigen Tatbestand keine einheitliche Stellungnahme der medizinischen
Wissenschaft erzielt wird. Ursache hierfür liegt darin, daß die Konfliktsituation
von Arzt und Patient, im Gegensatz zu anderen Erkrankungen,
eben nicht allein organisch bedingt ist, sondern gekreuzt wird von sozialen,
moralischen und ethischen Faktoren. So weist gerade dieses Kapitel auf eine
rein theologisch-ethische Durchdenkung des Problemkomplexes hin. In die
gleiche Richtung wird die Untersuchung geführt durch das fünfte Kapitel, das
einige der wesentlichsten psychologischen und soziologischen Tatbestände unseres
Problems zeigt. Sie bedingen die völlig differenzierende Struktur eines
jeden einzelnen Abtreibungsfalles, der bei den selben Symptomen doch nie
einem anderen völlig identisch ist. Diese Feststellung muß verhindern, daß der
Mensch als Gattungswesen oder als formales Ebenbild Gottes Norm der Untersuchung
wird, da sonst auch hier der Einzelmensch mit seinem einmaligen
Schicksal Opfer einer Abstraktion wird.

Das sechste Kapitel gibt einen Überblick über die Handhabung der Gesetze
in unserer Frage in einigen wichtigen Kulturländern. Es ist bemerkenswert
, daß nur die Staaten mit einer ausgeglichenen sozialen Struktur die Gesetze
so detaillieren können, daß sie weitgehend versuchen, dem Einzelschicksal
gerecht zu werden.

Die drei nun folgenden Kapitel geben die Stellungnahme der drei einflußreichen
Geistesmächte der Gegenwart wieder: des Marxismus, der römisch-katholischen
Kirche und der protestantischen Christenheit.

Nach der Aufzeigung dieses Sachverhaltes geht die Arbeit über in den
Versuch, eine positive Lösungsmöglichkeit anzudeuten. Der Weg einer Zusammenstellung
der Einzelschicksale zum Zwecke einer Ableitung gewisser Normen
wird wegen der Unübersehbarkeit der Fälle abgelehnt. Dagegen wird versucht,
Kategorien herauszuarbeiten, die allen Fällen gemeinsam sind und alle Fälle
bestimmen. Die erste dieser Kategorien ist der Mensch in seiner Verantwortlichkeit
. Doch dieser Verantwortlichkeit kann der heutige Mensch nicht mehr
gerecht werden. So ist jedes Pochen auf die Einhaltung der göttlichen Gebote
fruchtlos. Ehe der Mensch wieder verantwortlich angesprochen werden kann,
muß er erkannt, verstanden, getröstet und neugeschaffen werden in und von
seinem einmaligen Schicksal aus. Dies kann aber nur geschehen durch die prae-
sentia Christi, d.h. durch die Begegnung mit dem vollkommen menschgewordenen
Gott Jesus Christus, der der reale Bruder eines jeden Menschen ist und
einer jeden menschlichen Person völlig identisch; so kann „Christus im Erbarmen
und in der Liebe von sich auf andere schließen". Stellen wie Joh. 4,5ff.;
Luk. 19,1 ff. usw. verdeutlichen, was solches Verstehen des Menschen in seiner
Einmaligkeit heißen will. Die zweite der Kategorien ist die Anfechtung des
Menschen, die hier nun Leib und Seele konkret bedroht. Wohl kann vom
Glaubenden die tentatio durch die confessio überwunden werden. Was aber
ist das Schicksal derer, die sich nicht zu der confessio hindurchringen können?
Hier fehlt ein Bindeglied zwischen tentatio und confessio, eben die consolatio.
Und diese fehlt in ihrer realen Bezogenheit weithin der heutigen evangelischen
Verkündigung und Ethik. Nur „ein Mensch, der sich in die Tröstung hinübergeführt
sieht, wird als ein bejahter in die Verantwortlichkeit zurückkehren
können". Die letzte Kategorie ist die der Sexualität. Die Macht, die das Leben
bringen soll, bringt hier den Tod. Verdeutlicht wird dies durch eine Konfrontierung
mit dem fünften Gebot. Wie man es auch wenden mag, am Ende wird
eine Vernichtung stehen, sei es durch Bejahung der Interruptio, sei es durch
ihre Negation.

Im anschließenden Kapitel wird nun die Kategorie der Tentatio der
Schlüssel zur Explikation einer Andeutung des Lösungsversuches, indem nachgewiesen
wird! daß die Erfüllung und die Achtung der göttlichen Gebote durch
Jesus Christus die Anfechtung des Menschen in seiner geist-leiblichen Gesamtheit
löst. Das heißt, die göttlichen Gebote haben nicht Geltung als Abstrakta,
sondern nur in ihrer Unterordnung unter diesen Liebesdienst, neutestament-
liche Parallelen wie Jesu Interpretation des Dekalogs, Jesu Verhalten gegenüber
dem Sabbatgebot machen sichtbar, was damit gemeint ist. Der Tatbestand
ist offensichtlich. Die Gebote können formal durchbrochen werden, um
sie material zu erfüllen. „Wir müssen so die Frage nach der Berechtigung einer
Schwangerschaftsunterbrechung in der Situation der Anfechtung mit einem
Ja insofern beantworten, als es auf Grund des Zeugnisses der heiligen Schrift
und des Erlebens menschlichen Schicksales sichtbar ist, daß eine solche Unterbrechung
eben die Erfüllung des göttlichen Gebotes im Blick auf die Lösung
der Anfechtung durch die Tröstung und eine Zurückführung in die Verantwortlichkeit
darstellen kann."

Es werden freilich nur wenige Fälle sein, wo dieser radikale Durchbruch
allein helfen kann. Aber um dieser wenigen Fälle willen kann und darf kein
generelles Nein gesagt werden, auch kein verklausuliertes Ja im Blick auf getane
Sünde und Vergebung. Denn wo Handeln in der Nachfolge Christi, um
eine solche geht es ja schließlich, da kann nur letztlich Freude und Friede und
Zuversicht herrschen.

Die Entscheidung, welche Fälle so gedeutet werden müssen, kann nur
von der Seelsorge gelöst werden. Dafür ist es notwendig, daß die Beziehung
von Ethik und Seelsorge wissenschaftlich in theologischem Sinne neu untersucht
und gedeutet wird. Eine Untersuchung, die über den Rahmen dieser
Studie hinausgehen muß. Festzuhalten ist, daß der Inhalt des Kerygmas doch
letztlich ein Erbarmen über Leid, Not und Schuld des elenden Menschen ist,
über diese Verquickung von Krankheit und Sünde. Von dort heraus soll die
Seelsorge den Menschen wieder in seine Verantwortlichkeit führen, damit er
als ein getrösteter ethisch, d.h. Gott gehorsam und verantwortlich leben und
handeln kann.

Wenn der dritte Teil der Untersuchung sich nun dem Problem der Abtreibung
als solchem zuwendet, so ist die Lösung des Problems dann gegeben, wenn
die seelischen und leiblichen Lebensbedingungen des Menschen aufhören, für
ihn zur Anfechtung zu werden. Da die Gefahr in allen Lebensgebieten ruht,
kann sie nur zusammen auf allen Lebensgebieten gebannt werden. Man sage
nicht, dies sei unmöglich. Möglich ist auf jeden Fall, die Gefahrenzonen zurückzudrängen
. Dies zu tun bedarf eines Programmes, dessen Entfaltung nicht
allein die Aufgabe der Theologie sein kann. So können die folgenden Kapitel
nur kurze Hinweise eines Theologen für die Arbeit von Fachleuten auf dem Gebiete
der Soziologie, der Pädagogik, der Jurisprudenz sein, da ein Theologe bei
allem guten Willen nicht deren Facharbeit leisten kann. Wohl aber kann er
Hinweise geben, wie das Menschenbild von der praesentia Christi her material
gefaßt werden kann und damit diese Wissenschaften anthropologisch gerichtet
werden können.

Marxsen, Willi: Die Einsetzungsberichte zum Abendmahl. 1951.

XVII, 239 S. Mikrokopie DM 15,40.

Läßt sich aus den vier überlieferten Einsetzungsberichten einer herausarbeiten
, der den Anspruch erheben kann, der ursprünglichen Form am nächsten
zu kommen? Matth, scheidet, da die Abhängigkeit von Mark, zu evident
ist, aus. Luk. bleibt wegen der Verse 22,19b. 20 problematisch. (Der Verf.
glaubt, daß das Luk.-Textproblem mit dem vorhandenen Material nicht lösbar
ist und sucht, das in einem ausführlichen Exkurs zu erweisen.) So läuft die
ganze Frage schließlich auf die Alternative: Mark. 14 oder l.Kor. 11 ? hinaus.