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Ausgabe:

1952

Spalte:

570-571

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Ludwig, Renate

Titel/Untertitel:

Das christliche Erbe in der deutschen Frauenbewegung 1952

Rezensent:

Ludwig, Renate

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5G9

Theologische Literaturzeitung 1952 Nr. g

570

Menschenverständnis gegenüber, welches den Menschen nur vom Worte Gottes
aus versteht und an seiner Personhaftigkeit festhält, indem es ihn beschuldigt.
Nach Karl Heim ist die neuzeitliche Philosophie größtenteils Ontologie geworden
. Auf diese Weise richtet die Phänomenologie ihren Blick auf das Essen-
ziale und versucht es mit dem Existenzialen zu verbinden. Auch die Vertreter
der Existenzphilosophie treten für die Verbindung von Ontologischem und
Ontischem, von Existenziellem und Existenzialem ein. Das ontologische Selbstverständnis
nach Werner Wiesner ist das zum Wesen des Menschen gehörende
Selbstverstehen, worunter auch das Transzendente gehört, worüber der Mensch
keine Verfügungsmöglichkeit hat. Das ontische Selbstverständnis ist nach
ihm das Sein in der Egoität, welches immer im Widerspruch zum Wesen des
Menschen steht. Dieser Widerspruch ist erst im theologischen Selbstverständnis
im Glauben an die in Christus vollzogene Versöhnungstat Gottes aufhebbar.
Diese Sicht umfaßt auch den Staat. Sie ist eschatologisch ausgerichtet.

Im Kapitel über Staat und Kirche als das Vordergründige von Gottesreich
und Reich der Welt wird versucht, eine weitere Blickrichtung in bezug
auf das Wesen des Staates von der Perspektive des Gottesreiches her zu eröffnen
. Ausgehend von Augustins und Luthers Lehren von den beiden Reichen
wird hier das Wesen der Kirche in der Buße und der Ordnung, das des Staates
in seinen ontischen Merkmalen gefunden. Im Kapitel über Liebe, Gerechtigkeit
und Nützlichkeit werden diese Momente als die ontischen Merkmale des
Staates behandelt, obwohl sie die moderne Staatslehre als solche ablehnt. Im
Kapitel über Recht, Macht und Sittlichkeit werden Recht und Macht als diejenigen
Gesichtspunkte bezeichnet, bei welchen die positivistische und die
christliche Schau sich begegnen. Nur die Anschauungen über die Beziehung
von Recht und Macht gehen auseinander. Der Positivismus tendiert zu ihrer
Identifizierung, das Christentum unterscheidet beide, verlegt aber das Schwergewicht
auf das Recht. In bezug auf die Sittlichkeit gehen die positivistische
und die christliche Anschauung grundsätzlich auseinander, indem die erste den
Egöismus, die zweite die Sittlichkeit zum Prinzip des Staates erhebt. Im Kapitel
über die staatliche Souveränität und die göttliche Gnade geht die Untersuchung
von dem positivistischen Hinweis auf die besondere Bedeutung der
Momente der Entstehung, des Fortbestandes und des Unterganges des Staates
aus. Aber an Hand von Beispielen aus der Zeit des zweiten Weltkrieges wird
gezeigt, daß diese positivistisch so wichtigen Vorgänge nicht eindeutig feststellbar
und ihre Bedeutung für die Existenz des Staates nicht rein mechanisch
ermittelbar ist.

Schließlich wird im abschließenden Teil der Ertrag der philosophischen
und der theologischen Existenzerhellung für die Wesenserkenntnis des Staates
behandelt. Danach ist die Wesenserkenntnis des Staates von dem Selbstverständnis
des Menschen abhängig, welche Erkenntnisarbeit nie endgültig abgeschlossen
werden kann. Die philosophische Existenzerhellung ist durch die
Struktur der menschlichen Selbstbesinnnug begrenzt. Sie vermag das Wesen
des Staates nicht vollständig zu klären. Die theologische Existenzerhellung beantwortet
die Frage nach dem Wesen des Staates durch den deiktischen Hinweis
auf die göttliche Offenbarung über den Menschen. Dadurch werden die
Momente der Gottesebenbildlichkeit, des Gefallenseins und der Erlösung zu
festen Gegebenheiten für die Wesenserkenntnis des Staates. Jedoch verbietet
der christlich-biblische Standort, mit der Empirie abzubrechen und eine abgeschlossene
Staatstheorie zu schaffen.

Korth, Hennann: Wesen und Ordnung der Kirche im theologischen
Denken Alexandre Vinets. 1951. 139 s. Mikrokopie dm 8,40.

Alexandre Vinet (1797—1847), der „Schleiermacher des französischen
Protestantismus", ist in Deutschland trotz des ihm beigelegten schmeichelhaften
Titels nur wenig bekannt geworden. Die Theologiegeschichte verzeichnet
ihn allgemein als extremen Vertreter des religiösen Individualismusgedankens.
Von einer tiefen Skepsis gegen alle sozietären Formen durchdrungen, hat er,
der geistvolle romantische Literarhistoriker und Theolog, die absolute Trennung
von Kirche und Staat gefordert und im Canton de Vaud — soweit dies
rechtlich möglich war — in der Gestalt der 1845/47 entstandenen Freikirche
mitverwirklicht.

Die Untersuchung bemüht sich, die mit der Überwindung der Aufklärung
durch die Erweckungsbewegung gegebene theologische Problemstellung zunächst
historisch skizzenhaft zu erörtern. Hierbei wird das Verhältnis von
Kirche und Staat sichtbar, das der Zerlegung aus der ideologischen Verflochtenheit
der Vinetschen Publizistik bedarf, um eine gesicherte Ausgangsbasis
für einen dogmatischen Entwurf der Ekklesiologie zu gewinnen. Aus methodischen
und historischen Erwägungen ist hierzu als vergleichender reformatorischer
Maßstab Calvins Ekklesiologie — vor allem aus der Institutio von 1559
— herangezogen worden. Die eigentümliche, an Rousseau und Locke orientierte
Soziologie Vinets, mit ihrer einseitigen Hervorkehrung des religiös-ethischen
Individuums, läßt eine größere dogmatische Nähe der Ekklesiologie zur Anthropologie
als zur Christologie und Pneumatologie deutlich erkennen. Die
kritische Abwendung vom institutionellen römischen Kirchenbegriff und die
sich ergebende begriffliche Zweigleisigkeit von sichtbarer und unsichtbarer
Kirche im erkenntnistheoretischen Sinne wird von Vinet entschlossen aufgenommen
. Beide Linien werden darum auch aus Gründen der Klarheit getrennt
dargestellt und der Nachweis zu erbringen versucht, daß sowohl die sichtbare
als auch die unsichtbare Kirche Ausflüsse der Religiosität des Einzelnen sind.
Die sichtbare Kirche ist die Gestaltwerdung freier religiöser Gesinnung; sie ist
rechtlich ein Verein, ihr Bekenntnis ist Vereinsstatut. Mit dem Verfall des Ma-
ternitätsgedankens, dem Schwund der Sakramentsbedeutung und der Humanisierung
der Verkündigung treten die klassischen reformatorischen notae eccle-
siae zurück. Die spiritualistisch-romantische Gedankenwelt Vinets läßt dabei
zuweilen formaltypische Zwingli-Konzeptionen neu aufleben.

Die Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, daß die von Vinet durchgeführte
rigorose Geltendmachung seines Individualitätsprinzips den organischen
Bestand jedes Kirchenkörpers sprengt und christlichen Privatisierungsneigungen
aller Art ein weites Spielfeld einräumt. Die Gemeinde als konstitutive
Wesenheit christlichen Lebens ist der theologischen Optik Vinets fremd.
Sie bleibt ein religiöser Bund, der aus sich selbst lebt, über dessen Wohl und
Wehe die religiös autonomen Mitglieder bestimmen und verfügen, aber nicht
ein aller menschlichen Selbstmächtigkeit entnommenes Werk Gottes. So wird
die dogmatische Problematik der Ekklesiologie auf dem Mosaikhintergrunde
soziologischer Denkerbteile aus der Aufklärung nicht mehr erkannt und läßt
schließlich an den entscheidenden Punkten ihren reformatorischen Ursprung
nicht einmal mehr ahnen. Die Wirklichkeit der Kirche in der Welt ist eine
kompromißhafte Verlegenheitslösung christlichen Denkens und Lebens, die
R.Rothe später auf seine Weise nur allzu folgerichtig bewältigt hat.

Im Schlußabschnitt wird versucht, die Spuren der Vinetschen Ekklesiologie
in der Verfassung der waadtländischen Freikirche kurz nachzuweisen.

Der über den Raum des Üblichen und Angemessenen hinausführende Anmerkungsteil
will die in Deutschland nur sehr schwer zugängliche Literatur in
möglichst brauchbarer Weise vermitteln und — falls Otto Weber (Versammelte
Gemeinde, Neukirchen 1949 Vorwort) Recht hat, „daß für eine ,Lehre von der
Kirche' die Diskussion noch nicht weit genug vorgetragen ist" —■ der weiteren
Arbeit an diesem Gegenstande das notwendige Material darbieten.

Ludwig, Renate: Das christliche Erbe in der deutschen Frauenbewegung
. 1951. XI, 203 S. Mikrokopie DM 13,50.

Die deutsche Frauenbewegung des 19. und 20. Jahrhunderts ist eine
geistesgeschichtliche Größe, die auch heute eindringender Beschäftigung wert
ist. Es erhellt sich über dem Studium ihrer Entstehung und Entfaltung nicht
nur ein Stück Profangeschichte, sondern, wie wir zu zeigen haben werden, auch
ein Stück Kirchengeschichte, im besonderen noch ein Stück aus der Geschichte
der Inneren Mission.

Es hat von Anfang an ein „christliches Erbe" des Evangeliums für die
Frauen gegeben, das ihnen Würde, Hoheit und Wert verlieh, weil Gott sie in
Christus zur Kindschaft befreit und erlöst hat. Dieses Erbe an die Frau ist im
Laufe der Geschichte in allen christlichen Ländern immer wieder einmal hervorgebrochen
: es hat verdeckt gewirkt oder hat sich seine ihm gemäßen Gestaltungen
geschaffen. Wie es in einer Erscheinung wie der deutschen Frauenbewegung
gewirkt hat, davon wird zu handeln sein.

Mit dem Thema ist eine Abgrenzung bereits gegeben: die von der rein
politischen Frauenbewegung, wie sie im Anschluß an das Wachsen der Sozialdemokratie
, später im Zusammenhang mit der Kommunistischen Partei
entstand. Wir werden nur insoweit auf sie Beziehung zu nehmen haben, als die
eigentliche Frauenbewegung sich mit ihnen auseinandersetzen mußte. Auch
wenn hier Beziehungen zum NT inhaltlich nicht ausgeschlossen sind, die geschichtliche
Bezugnahme auf die Kirche und den christlichen Glauben ist von
dieser Seite in den Äußerungen immer bewußt abgelehnt worden.

Die Verbundenheit mit den geschichtlichen Kräften des christlichen
Glaubens ist von der bürgerlichen deutschen Frauenbewegung nicht geleugnet
worden. Ihre Verwurzelung im christlichen Erbe, ihre Verflochtenheit mit
seinen geistigen Kräften aufzuzeigen, soll das Ziel dieser Arbeit sein. Was sich
im Lichte dieser Fragestellung innerhalb einer geschichtlichen Erscheinung im
Laufe von etwa 80 Jahren abgespielt hat, wird sich uns in dem steten Ringen
um die rechte Mitte zwischen Freiheit und Bindung, Forderung und Pflicht,
Anspruch und Verantwortung zeigen. Im Anziehen des Gemäßen und Abstoßen
des Fremden hat sich ein langer Reinigungsprozeß der geschichtsbildenden
Kräfte vollzogen, aus dem schließlich das hervorgegangen ist, was trotz aller
Mannigfaltigkeit im einzelnen unter dem Gesamtbild der deutschen Frauenbewegung
in die Geistesgeschichte eingegangen ist.

Der Weg zu den Quellen für diese Arbeit hat von vornherein im Zeichen
mancher Schwierigkeiten gestanden, und zwar nicht nur im äußerlichen Sinne
hinsichtlich der Beschaffung des Materials, das in allen betr. Bibliotheken durch
Feindeinwirkung gefährdet und zum Teil zerstört ist. Der ganze Stoff erwies
sich überhaupt als schwer zugänglich. Für den wissenschaftlichen Nachweis
des Themas können vorwiegend nur Quellen erster Hand in Frage kommen.
Wo aber waren sie zu suchen? Einmai in der Memoirenliteratur der Frauenbewegung
, die aufs Ganze gesehen nicht sehr groß ist, dafür aber vorwiegend
aus der Feder der Führerinnen selbst stammt. Es kamen ferner die Gesamtdarstellungen
der deutschen Frauenbewegung in Frage. Ihrer gibt es nicht sehr
viele; vor allem hat ihre inhaltliche Ausrichtung kaum eine Beziehung zu unserer
Themastellung. Ihr Wert darf im einzelnen nicht überschätzt werden, sie
wiederholen sich inhaltlich stark. Aber einen Vorteil bieten sie: sie stammen
fast alle noch aus der Entstehungszeit und den ersten Kämpfen und sind meist
von den führenden Frauen selbst geschrieben; wir dürfen also aus ihnen ihre
authentischen Meinungsäußerungen entnehmen. Das Material für unsere besondere
Fragestellung liegt in ihnen weit zerstreut, und es galt, es zu ordnen.
Darüber hinaus mußte noch weiter nach „aktuellem" Material gesucht werden.
Hier kamen vor allem nun die Zeitschriften in Frage, ebenso die Tagungs-,
Arbeits- und Verhandlungsberichte der verschiedenen Vereine und Kongresse.
In dieser Hinsicht hat sich die mühselige Sucharbeit weithin gelohnt. Leider
ist in den Archiven mit den alten Nummern dieser Zeitschriften nicht immer