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Ausgabe:

1952

Spalte:

554-555

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Peterson, Erik

Titel/Untertitel:

Theologische Traktate 1952

Rezensent:

Kinder, Ernst

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Theologische Literaturzeitung 1952 Nr. 9

554

die ganze Breite des Gottesvolkgedankens bei Luther zu entfalten
. Das geschieht gelegentlich doch zu sehr bloß assoziativ
(so schon S.273, Anm.i die Bemerkung, daß die Unterscheidung
von rechter und linker Seite der Kirche im Tegernseer
Ludus de Antichristo die Luthersche Unterscheidung von
Gottes Reich zur Rechten und zur Linken vorbilde, oder die
Bemerkung S.430 über Luthers Verhältnis zum Ethos des
Rittertums). Luthers reformatorische Fassung des Gottesvolkgedankens
hat seine Mitte in der Behauptung der Unsichtbar-
keit — nicht Uuwirklichkeit! — der Kirche. „Luther erreicht
von den notae aus den Gottesvolkgedanken immer wieder nur
durch Glaubensurteile, nicht . . . durch rationale Schlüsse"
(419). Der andere Ausgangspunkt ist der Restgedanke. Im
ganzen Zusammenhang hätte — eben das Problem der notae
theologisch einschließend — eine Prüfung des Verhältnisses
von Wort und Kirche (creatura verbi) tiefer führen können.
Daß z.B. das bekannte Wort „Gottes wort kan nicht 011 Gottes
Volck sein... " (im Anschluß an Jes. 55,11) nur mit den Kennzeichen
in Zusammenhang gebracht wird (419), überrascht,
obwohl es von der Absicht aus verständlich ist, Luthers Verhältnis
zur Sichtbarkeit der Kirche ebenso gegen römischen
Institutionalismus abzugrenzen wie gegen spiritualistisch-
schwärmerische Auflösung der Wirklichkeit der Kirche. Auch
die ethische Seite des Gottesvolkgedankens wird in Luthers
„Neubau der Sittlichkeit" aufgesucht. Jedoch muß man auch
hier fragen, ob das ins Zentrum bei Luther führt, ob nicht die
christologische Begründung der Heiligung in der Welt darüber
zu kurz kommt. Mit anderen Worten: daß Luther „der Reformator
auch des Gottesvolkgedankens" (432) ist, wird so eindrucksvoll
dargelegt, daß Uberbetonungen der hierhergehörigen
Motive fast unvermeidbar erscheinen. Ebenso wird deutlich
, wodurch er das ist, aber es wird nicht recht klar, was ihn
dazu geführt hat; die Protesthaltung gegen spätmittelalter-
liche Verfälschung und Vergesetzlichung, Institutionalisierung
der Gottesvolkidee allem genügt nicht ganz. Hüiter ihr steht
— was die Definition des Papsttums als „religio liberi arbitrii"
vollends bestätigt, die neue Christusanschauung, die theologia
crucis als „Worttheologie". Der Abschnitt über Luthers „Ver-
christlichung des Alten Testaments" (432 ff.) — es ist der
zweite Problemkreis neben dem ekklesiologischen — wirkt den
neueren Arbeiten zu Luthers Hermeneutik (vor allem von
Ebeling) gegenüber zu sehr als allgemeine Skizze. Dagegen ist
der dritte Abschnitt, „Die Frontstellung gegen die Synagoge"
(43gff.) m. E. besonders geglückt (s.o.). Und was Verf. im
vierten, Gottesvolk und Imperium, zur Zweireichelehre vom
Gottesvolkgedanken aus sagt, verdient gerade heute stärkste
Beachtung (446ff.). Die Zweireichelehre ist „eigentlich"
„nichts anderes als kritischer Vorbehalt, Protest gegen die Materialisierung
des Heiligen in einer greifbaren Instanz, sei es
eine geistliche oder eine weltliche, Verwahrung gegen Papal-
cäsarismus sowohl wie gegen Cäsaropapismus; nicht dagegen
starre Theorie" (465). Zu einfach scheint es mir hingegen zu
sein, im Calvinismus Luther gegenüber einen Rest des von
diesem grundsätzlich überwundenen Mittelalters beim Gottesvolkgedanken
„erneut" und sehr wirksam „konserviert" zu
sehen. Der Calvinismus wächst doch in Gebieten heran, in
denen die mittelalterliche Reichsideologie stark zurückgetreten
ist, wie Verf. selbst früher festgestellt hat. Der calvinistisehe
Reichsgottesbegriff, fraglos mit einer sehr starken Tendenz auf
innerweltliche Verwirklichung, kann nur noch ganz äußerlich
zu der mittelalterlichen „Verkirchlichung" der civitas Dei in
Beziehung gesetzt werden. Er ist mithin ein neuer, vom refor-
matorischen Kirchenbegriff ausgehender Versuch zur Weltbe-
mächtigung im Glaubensgehorsam. In ihm stecken bereits jene
Probleme des aktuellen und weiten Fragenkreises Kirche und
Welt, auf die Verf. im dritten und letzten Buch seines Werkes
bei der Frage Politik und Gottesvolk eingeht.

Die des Dankes werte und der Bewunderung würdige Leistung
des ganzen Werkes dürfte in einem Dreifachen liegen:
1. in der kraftvollen Zusammenführung der verschiedenen theologischen
Disziplinen zur Gestaltung dieser geschlossenen Abhandlung
eines (Doppel-)Themas; 2. in der eindrucksvollen
und umsichtigen Durchführung des Themas selbst innerhalb
der „Grenzen": „von Mose bis Luther"; 3. in der kritischen
und von unermüdlichem Spürsinn geleiteten Verarbeitung
einer höchst mannigfaltigen und umfangreichen Literatur
unter erstaunlich weitgehender Heranziehung der Quellen.
Daß dabei wiederholt die konstruktive Assoziation zu einer
mitunter doch fraglichen Verteilung der Gewichte führt und
Entlegenes enger zusammenschließt, als es der historischen Genesis
entspricht, ist der Tribut, der jeder derartigen Konzeption
von einem spröden historischen Material abverlangt wird.
Man darf ihn nicht auf ein „Schuldkonto" buchen, sondern
sollte ihm weitere und förderliche Anregungen entnehmen .Und

daß das Werk als Ganzes überaus anregend zu wirken vermag,
gehört zu seinen besonderen Vorzügen.

Göttingen E.Wolf

Peterson, Erik: Theologische Traktate. München: Kösei-veriag [l951].

429 S. 8° - Hochland-Bücherei. Lw. DM 15.50.

In diesem gediegenen Band der „Hochland-Bücherei"
sind neun verschiedenartige Arbeiten Erik Petersons zusammengefaßt
, die alle schon, meist vor dem Krieg, an anderer
Stelle erschienen sind, zwei davon noch aus seiner protestantischen
Zeit, nämlich der bekannte Aufsatz „Was ist Theologie
?", der 1926 in Bonn erschien (hier S. 9—43) und der
Aufsatz „Die Kirche", der 1929 in München erschien (hier
S. 409—429). Dazu kommen (in der Reihenfolge der Erscheinungsjahre
): „Briefwechsel mit Adolf Harnack", 1932
im „Hochland" (hier S. 293—322), „Die Kirche aus Juden
und Heiden", 1933 Salzburg (hier S. 239—292), Der Monotheismus
als politisches Problem", 1935 Leipzig (hier
S. 45—148), „Von den Engeln", 1935 Leipzig (hier 323—408),
„Christus als Imperator", 1937 Leipzig( hier S. 149—164),
„Zeuge der WTahrheit", 1937 Leipzig (hier S. 165—224)
und „Was ist der Mensch ?", 1948 Wien (hier S. 225—238).
— Wir haben hier einen charakteristischen und eindrucksvollen
Ausschnitt aus der Gedankenwelt und dem weiteren Schaffen
Erik Petersons. Die Bezeichnung,,Theologische Traktate" entspricht
der Verbindung von meditativ-erbaulicher und systematisch
-konstruktiver Art, die irgendwie allen Beiträgen eigen
ist, wobei fast überall auch eine Fülle von Einzelforschungen
in die originellen Konzeptionen eingebettet ist.

Wenn man auch immer wieder auf Auseinandersetzung
mit der protestantischen Theologie stößt (d.h.
es ist weniger Auseinandersetzung als vielmehr Tadel, und
zwar Tadel der protestantischen liberalen Theologie; Peterson
scheint, wie auch die sonst reiche Zitation von Literatur zeigt,
das Interesse an und die Verbindung mit der protestantischen
Theologie seit den dreißiger Jahren fast ganz verloren zu
haben), so steht doch diese Auseinandersetzung nicht im Vordergrund
, sondern da steht tief und eigenwüchsig, manchmal
eigenwillig Positives. Nur zwei Aufsätze sind direkt dieser
Auseinandersetzung gewidmet, doch es macht den Anschein
eines länger zurückliegenden Abschieds, mit dem man inzwischen
fertig ist: der hochinteressante und tief bezeichnende
Briefwechsel mit Adolf Harnack aus dem Jahre 1928, dem
Peterson einen Epilog anfügt, der inhaltlich eben sein Epilog
auf die protestantische Theologie und Kirche überhaupt ist
(„Eine protestantische Kirche, mit der sich die katholische
Kirche auseinandersetzen könnte, gibt es, wie uns scheint, in
Deutschland nach der Auflösung des konfessionellen Territoriums
und dem Verzicht auf den christlichen Staat nicht
mehr", 317), und die Auseinandersetzung mit der damals aufkommenden
dialektischen Theologie in dem bekannten Aufsatz
„Was ist Theologie ?" — Es kann in der heute wieder eingetretenen
Ernüchterung unserer theologischen Situation
nicht geleugnet werden, wie aktuell diese beiden Aufsätze
Petersons doch noch oder wieder sind, indem der eine den toten
Punkt zeigt, auf den die betreffende Linie des 19. Jahrhunderts
in der Tat gekommen war, und der andere die LTnmöglichkeit,
ihn einfach mit dialektischer Rhetorik zu überspringen. Allerdings
, so treffend auch vieles an jener Kritik protestantischer
Theologie in ihrer Krisensituation ist, und so sehr wir heute,
wo diese Krisensituation nach ihren beiden Seiten erst voll
offenbar geworden ist, vieles, was hier gesagt ist, sehr bedenken
und beherzigen müssen, so wenig vermag doch da, wo die
Aporien in solcher Tiefe aufgedeckt sind, das als besser und
sachgemäßer zu überzeugen, was Peterson im zweiten Teil von
„Was ist Theologie ?" als Antwort auf diese Frage positiv statuiert
! Hier bleibt ein Eindruck von etwas gewollter Postulation
aus dem Mangel heraus.

Nun aber zum Positiven: Neben dem aus dem Jahre 1929
(aus „Zwischen den Zeiten") bekannten Aufsatz „Die Kirche"
legt Peterson hier noch zwei bemerkenswerte ekklcsiologi-
sche Studien vor. Die eigenartige, von ihm ständig wiederholte
These aus jenem Aufsatz, daß es „Kirche" erst mit dem
Weggang der Apostel von Jerusalem zu den Heiden (also infolge
des Unglaubens Israels und infolge des Ausbleibens der
Parusieerwartung und also notwendig als enteschatologisierte
„hellenisierte" Heidenkirche) gebe, zieht sich thematisch auch
durch die bsiden anderen ekklesiologischen Aufsätze hindurch,
nämlich die tiefsinnige Interpretation von Rom. 9—11, die der
Aufsatz „Die Kirche aus Juden und Heiden" enthält, und den
Aufsatz „Von den Engeln". Dieser ist nicht eigentlich auge-
lologisch, sondern auch ekktesiologisch. Er zeigt nach Jes. 6,
dem Hebräerbrief und der Johannes-Apokalypse die Zusammenhänge
zwischen dem Kult der Kirche und der himmlischen