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Ausgabe:

1952 Nr. 9

Spalte:

549-554

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Oepke, Albrecht

Titel/Untertitel:

Das neue Gottesvolk in Schrifttum, Schauspiel, bildender Kunst und Weltgestaltung 1952

Rezensent:

Wolf, Ernst

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Theologische Literaturzeitung 1952 Nr. 9

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hat, jeder Verdienstcharakter genommen1. — Aber diese Reue
(als Beichte vor Gott) schließt die Confessio (als Beichte vor
Menschen) nicht aus, sondern gerade ein. Gleich nach der eben
genannten Stelle ACXII, 107 f. heißt es: „Quamquam enim
confessionem probamus et quandam examinationem prodesse
iudicamus, ut histitui homines melius possint" (AC XII, 110).
Vor allem wird hierfür das Moment geistlicher Pädagogik geltend
gemacht2. — So gibt Luther auch im Kl. Katechismus
gerade im Anschluß an die 4. Tauffrage von der „täglichen
Reue und Buße" eine Anweisung für die konkrete Ordnung
und Ausübung der Beichte: Cat. Min. IV, 15—29!3.

Dabei aber lehnen die luth. Bek.-Schr. mit Leidenschaft
jegliche Gesetzlichkeit hinsichtlich der Beichte ab, und diese
leidenschaftliche Ablehnung jeder Gesetzlichkeit ist deutlich
das Hauptpathos an all den Stellen, wo sie auf die Beichte zu
sprechen kommen. So ernsthaft die Beichte (und d. h. die
Einzelbeichte!) auch beibehalten und so dringend sie empfohlen
wird, so eifersüchtig wird hier vor jeglicher Gesetzlichkeit
gewarnt. All die eben zitierten Stellen, die auf die Konkretion
und Praktizierung der (Einzel-) Beichte dringen, sind doch deutlich
mit gewissen Einschränkungen („Wiewohl", „Quamquam
"!) gesagt: „Wiewohl wir die Beichte auch behalten, . . .
usw., s. o. . . ., so*ist doch das alles also zu mäßigen,
damit die Gewissen nicht gefangen werden" (AC XII, 110).
Diese Einschränkungen in bezug auf die Beichte (die in den
luth. Bek.-Schr. häufiger und dringlicher sind als ihre positive
Forderung und Empfehlung) bringen zum Ausdruck, daß die
Beichte in ihrem konkreten Vollzug nicht so unmittelbar ein
göttliches Mandat hat, iure divino ist, wie die Absolution,
sondern stets von dieser bestimmt und beherrscht wTird, so daß
also ja nicht der Schwerpunkt auf die Beichte selbst gelegt
wird (cf. z. B. AC XI, 9; AS: C III, 20), und daß ja nicht die
Beichte als solche für das Entscheidende gehalten wird,
sondern die in ihr sich konkretisierende Reue vor Gott. Das
Verhältnis zwischen Reue und Beichte ist nach den Aussagen
der luth. Bek.-Schr. bei wreitem nicht so innig wie das zwischen
Evangelium, Absolution und Glaube.

Vor allem wenden sich die luth. Bek.-Schr. fast jedes Mal,
wo sie auf die Beichte zu sprechen kommen, heftig dagegen,
daß eine „confessio integra necessaria sit ad salutem" (AC
XII, 11), d.h. gegen die Forderung der Vollzähligkeit der
Sündenaufzählung in der Beichte, so daß davon die Absolution
abhängig gemacht werde4. Solche Vollständigkeit „est enim
impossibile" (CA XI, 2), wie immer wieder unter Hinweis auf
Ps. 19, 13 betont wird. Es ist deutlich, wie hier die vertiefte
Sündenauffassung der luth. Reformation5 eine gesetzliche Forderung
solcher Vollzähligkeit verwehrt. Aber das Hauptargument
ist noch ein anderes: Wir haben für solche Forderung
kein göttliches Mandat6! Darum: „nec sint onerandae consci-
entiae cura enumerandi omnia delicta" (CA XXV, 7)7 ,, Quidem

') cf. dazu AC XII, 8. 75—78; auch Loci, a.a.O., S. 262 f.: Vertraue nicht
auf deine Reue, sondern auf die Absolution!

2) „Wiewohl es nun gut ist, die Groben, Unerfahrenen dazu zu unterweisen
, daß sie etliche Sünden in der Beichte namhaftig machen, was sie drückt,
damit man sei leichtlicher unterrichten kann" (AC XI, 6). „Wo verständige und
gottesfürchtige Pfarrer und Prediger seien, die werden wohl wissen, inwiefern
not und nütze sein mag, die Jugend und sonst unerfahrene Leute in der Beichte
zu fragen" (AC XI, 9). ,,So soll man die Beichte oder Absolution beileibe
nicht lassen abkommen in der Kirchen, sonderlich um der blöden Gewissen
willen, auch um des jungen rohen Volkes willen, damit es verhört und unterrichtet
werde in der christlichen Lehre" (AS: C VIII, 1). ■— Hier kommt also
auch das lehrhafte Moment in die Beichte hinein!

') Diese Beichtanweisung, die ursprünglich selbständig stand, war für
Luther insbesondere für diejenigen gemeint, die das Abendmahl empfangen
wollen: cf. WA XXXIII, S. 566 f.— Ihren konkreten „Sitz im Leben" hatte
die Beichte, wie die Absolution, schon bei den luth. Bek.-Schr. faktisch vor dem
Abendmahl; cf. z. B. CA XXV, 1 und AC XI, 3.

4) So gleich in dem ersten Artikel über die Beichte, CA XI, 1: „quamquam
in confessione non sit necessaria omnium delictorum enuntiatio", und dann
immer wieder.

5) in der nach AS: C III, 2. 20. 11. 30—36 der Gegensatz zur römischen
Beicht- und Bußpraxis eigentlich begründet ist!

6) „Nos igitur sentimus, enumerationem peccatorum non esse necessariam
iure divino" (AC XI, 8) — so auch § 6 f. 10; auch AC XII, 102.

') „0 Herr Gott, wie jämmerlich haben sie manch fromm Gewissen geplagt
und gequält damit, daß sie gelehrt, die Beichte müsse ganz rein sein und keine
Sünde ungebeichtet bIeiben!"(AC XII, 111) — „Welche Sünden soll man denn
beichten? Antwort: Vor Gott soll man aller Sünden sich schuld geben, auch die
wir nicht erkennen, wie wir ein Vaterunser tun. Aber vor dem Beichtiger sollen
wir allein die Sünden bekennen, die wir wissen und fühlen im Herzen . . . Wenn
aber jemand sich nicht befindet beschwert mit solchen oder größeren Sünden,
der soll nicht sorgen oder weitere Sünden suchen noch erdichten und damit eine

absolvunt et ab Iiis, quae non meminimus, quare absolutio . . .
non requirit cognitionem" (AC XII, 105). So wenden sich die
luth. Bek.-Schr. auch gegen die Forderung der Erzählung der
einzelnen Umstände bei der betr. Sünde (AC XI, 8), „quia
ministerium absolutionis beneficium est seu gratia, non est
iudicium seu lex. Itaque ministri in ecclesia habent mandatum
remittendi peccata, non habent mandatum cognoscendi occulta
peccata" (AC XII, 103). So ist auch nicht die Beichte zu eüier
bestimmten Zeit zu fordern (AC XI, 5), und auch nicht, daß
man „proprio sacerdoti" beichten müsse (AC XI, 8). Ja, bei
genauerem Studium der luth. Bek.-Schr. wird deutlich, daß
mit der „enumeratio", die nicht gesetzlich gefordert werden
dürfe, nicht nur die Vollzähligkeit, sondern auch das Beichten
einzelner Sünden überhaupt gemeint ist. Die Einzelbeichte, so
dringend sie auch von den luth. Bek.-Schr. empfohlen wird1,
kann doch nach ihrer Meinung nicht direkt gefordert werden2.
„Darum halten wir, daß Gott nicht geboten hat, die Sünde
namhaftig zu machen" (AC XI, 8).

4. Das Amt der Schlüssel

Auch dieses wird ganz auf die Absolution bezogen: Es ist,
als von Christus eingesetzt, die der Absolution zugrunde liegende
Legitimation3, und es erstreckt sich in seiner Praktizierung
lediglich auf das Evangelium, auf Predigt, Sakramentsverwaltung
und Absolution (CA XXVIII, 5—8). So werden
die Bezeichnungen „Schlüsselamt" und „Absolution" oft
promiscue gebraucht (z. B. AS: C VIII, 1). „Constat nos beneficium
absolutionis et potestatem clavium ita ülustravisse et
ornavisse, ut multae afflictae conscientiae ex doctrina nostro-
rum consolationem conceperint" (AC XI, 2). „Ornatur potestas
clavium et commemoratur, quantam consolationem affert per-
terrefactis conscientiis, et quod requirat Deus fidem, ut illi
absolutioni tamquam voci suae de coelo sonanti credamus"
(AC XXV, 4). Durch das Schlüsselamt, als von Christus eingesetzt4
, ist die Absolution als vox Dei legitimiert, und sein
einziger Inhalt ist das Evangelium, die Vergebung der Sünden.

Wegen dieser ausschließlichen Konzentration des Schlüsselamtes
auf die Sündenvergebung wird üim jede richterliche
oder auch nur pädagogsche Regulierung der aus der Vergebung
hervorgehenden Besserung, der „Früchte der Buße", abgesprochen
. Wohl wird ernsthaft betont, daß zur Buße irgendwie
auch die Besserung als „Früchte der Buße" gehört
(z. B. AC XII, 28. 131 f. 174—177), sowie auch, daß es hierin
einer „Pädagogik" bedarf (z. B. AC XII, 113 f. 156). Das
ist das Wahrheitsmoment in dem nach römischer Lehre
dritten Teil der Buße, der satisfactio. Aber, so wird nun
öfter mit Entschiedenheit betont, damit hat das Schlüsselamt
nichts zu tun, darauf hat es keinerlei Einwirkung, sondern
das tut Gott selbst auf andere Weise, etwa durch Auflegen
des Kreuzes als Erziehungsstrafe (AC XII, 156 ff.) „Et
haec poenae nihil pertinent ad claves, quia claves neque impo-
nere neque remittere eas possunt, sed Deus sine ministerio
claviumimponit etremittit" (ACXII, 156). „Potestas clavium
est ministerium absolutionis . . . non est iudicium" (AC XII,
103). So wird dem Schlüsselamt jede judizielle Funktion abgesprochen5
, und es wird streng nur auf den Akt der Sünden-

Marter aus der Beichte machen, sondern erzähle eine oder zwei, die du weißt . . .
Weißt du aber gar keine (was doch nicht wohl sollte möglich sein), so sage auch
keine insonderheit, sondern nimm die Vergebung auf die gemeine Beichte, so du
vor Gott tust gegenüber dem Beichtiger" (Cat. Min. IV, 17 ff.). — cf. hierzu
auch Aura. 2, Sp. 547.

') S. dazu Sp.547, Anm. 2 u. a. Am dringlichsten wird die Beichte wohl
empfohlen in Luthers „Kurze Vermahnung" am Ende des Cat. Maj. Gerade hier,
wo am Anfang so stark die Freiheit in Dingen der Beichte und die Ablehnung aller
Gesetzlichkeit betont wird, wird dann von innen her die Notwendigkeit der
Beichte sehr dringend gemacht (§ 22 ff.), so daß es zuletzt heißt, daß wir die,
die nicht beichten wollen, „nicht für Christen halten" (27. auch 29). „Darum,
wenn ich zur Beichte vermahne, so tue ich nichts anderes, denn daß ich vermahne
, ein Christ zu sein" (32).

2) „Derhalben ist nicht not, die Leute zu dringen, die Sünde namhaftigzu
erzählen". (CA XXV, 10); „daß die Beichte nicht durch die Schrift geboten,
sondern durch die Kirchen eingesetzt sei" (ibid. § 13).

') „Potestas clavium administrat etexhibetevangeliumperabsolutionem"
(AC XII, 39). „Claves vere coram Deo remittunt peccata, iuxta illud: Qui vos
audit, me audit — Luk. 10, 16" (ibid. §40).

4) Auf seine Einsetzung durch Christus wird größter Wert gelegt, und auf
diese wird immer wieder hingewiesen (z. B. AS: C VII = die Definition!).

5) „Denn Gott ist der Richter, der hat den Aposteln nicht das Richteramt,
sondern die Gnadenexekution befohlen" (AC XII, 104)." Quia ministerium absolutionis
beneficium est seu gratia, non est iudicium seu lex" ibid. § 103). — So
die wiederholte leidenschaftliche Ablehnung der scholastisch-päpstlichen Auffassung
des Schlüsselamtes: ACXII, 7. 13. 21 f. 26. 118. 139. 154. 156. 162.