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Ausgabe:

1952 Nr. 1

Spalte:

39-41

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Daniélou, Jean

Titel/Untertitel:

Sacramentum futuri 1952

Rezensent:

Jeremias, Joachim

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Theologische Literaturzeitung 1952 Nr. 1

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Die These wird philologisch im wesentlichen mit zwei
Argumenten gestützt: 1. Irenaus beruft sich haer. III 3, 3
gegen die Guostiker auf den Klemensbrief. Daß er dessen Inhalt
, der dogmatischen Tendenz seiner Berufung entsprechend,
höchst einseitig wiedergibt, ist oft bemerkt worden und immerhin
verständlich. Jetzt aber wird daraus gefolgert, daß Irenaus
in Wirklichkeit einen ganz anderen als den uns bekannten
Brief im Auge gehabt habe, und dies wäre dann der heute verlorene
allererste Klemensbrief. Das entgegenstehende Zeugnis
des Polykarpbriefes, der unseren heutigen Klemensbrief
schon sehr viel früher benutzt, wird ohne viel Umstände beiseitegeschoben
, indem er „kaum vor 140" geschrieben sein
soll. Der Verf. folgt hier einfach dem in seiner Begründung
längst überholten Ansatz des jüngeren Harnack, ohne die
spätere, ausgedehnte Diskussion der Datierungsfrage, die er
offenbar nicht kennt, auch nur zu erwähnen. 2. Der heutige
Klemensbrief soll mit einer Reihe von erst im 2. Jahrhundert
wirkenden oder veröffentlichten Autoren — so Tacitus, dem
jüngeren Plinius und vor allem Dio von Prusa — in einer Weise
übereinstimmen, die nur durch literarische Abhängigkeit erklärt
werden könne. Tatsächlich werden einige sachliche und
sprachliche Berührungen nachgewiesen, die sich aber so gut
wie ausschließlich auf allgemeine Bilder und Vorstellungen
der popularphilosophischen Tradition beziehen und m. E. niemandem
eine Abhängigkeit beweisen können, der sie nicht
schon im voraus als erwiesen nimmt. Der Verf. hilft sich selbst
mit der Annahme, unser vermeintlicher Fälscher habe seine
Bekanntschaft mit den zeitgenössischen Quellen nur „verhüllend
" zum Ausdruck gebracht, um den späten Ursprung
seines fingierten Briefes nicht zu verraten. In Wirklichkeit
stützen sich diese Konstruktionen in erster Linie aber doch
wohl nicht auf solche philologischen Scheingründe, sondern
auf die Uberzeugung von der durchgehenden politischen Tendenz
des ersten Klemensbriefes, die mit einem unkritischen,
skurrilen Scharfsinn auf Schritt und Tritt entdeckt wird: das
traditionelle Fürbittgebet für die Herrscher soll die eigentliche
Krönung des ganzen Briefes darstellen; die rjyovpEVoi
sollen nicht kirchliche Führer sein, sondern die weltlichen
Oberen und die Kaiser, denen gegenüber ein bedingungsloser
Gehorsam gepredigt wird; die bekannte Polemik gegen den
t,rlo<; kehre sich gegen die politische Aufsässigkeit (denn „wer
sich dem Zfjkiq ergibt, ist offenbar ein Zelot"); selbst die
adoptianische Christologie des Klemensbriefes soll noch eine
„diskrete Parallelsetzung" mit den Kaisern als adoptierten
Gottessöhnen enthalten usw. Besonders breit wird der Nachweis
geführt, daß auch die Benutzung des Alten Testaments im
gleichen Sinne tendenziös sei. Die ungenauen Zitate sind zu
drei Viertel aus politischer Absicht heraus bewußt geändert.

Wird z. B. 1. Clem. 16, 9 im Zitat Jes. 53, 8 rjyßrj durch tjxec ersetzt, so
ist dies eine sehr „beachtenswerte Änderung": Christus „kam" zu Tode und
wurde nicht zum Tode „geschleppt": „Die Änderung . . . gibt den Römern ein
Alibi für die Passion Christi". 34, 8 wird Jes. 64, 4; 65, 16=1. Kor. 2, 9 tois
dyaJttöaiv in rolg vnofi&vovaiv geändert und damit ist eine Beziehung zu dem
von Trajan und Hadrian geforderten Kult des Dulders Herkules geschaffen.
35, 11 fügt dem Zitat Ps. 50, 22 noch „wie ein Löwe" hinzu: „Die Immanenz
des Gottesgerichtes geht für unseren Verf. so weit, daß auch die Bestien der
Arena das göttliche Gericht gegenüber unbotmäßigen Zeloten . . . vollziehen
können". Und 59,3 liegt gar in einer gänzlich harmlosen Änderung von Jes. 57,15
(iv iiplatois statt tv iiprjXoTs) „offenbar" schon der Versuch vor, „einen gangbaren
Kompromiß in dem Konflikt zwischen biblischem Monotheismus und
Kaiserkult zu finden".

Die Proben solcher „unwiderleglicher Beweise" (S. 65),
die sich beliebig vermehren ließen, werden hoffentlich genügen
. Möchte die Schrift, wenn sie in der glückliche n Schweiz
nun schon gedruckt werden konnte, möglichst wenig Verwirrung
stiften und bald der Vergessenheit verfallen! Einige
neue Parallelen zum Text wird man sich für Neuauflagen, etwa
des Knopf sehen Kommentars, notieren.

Heidelberg H. v. Campenhausen

D a n i i 10 U, Jean: Saciamcntum fUturi. Etudes sur les origines de la typo-
logie biblique. Paris: Beauchesne et ses fils 1950. XVI, 265 S. gr. 8° =
Etudes de Theologie Historique publiees sous la direction de professeurs de
Theologie k ['Institut Catholique de Paris.

Der Titel dieser gelehrten Untersuchung (Sacramentum
futuri) wird nicht jedermann sagen, welches ihr Gegenstand
ist, zumal der erläuternde Untertitel (Etudes sur les origines
de la typologie biblique) ungenau, ja geradezu irreführend ist.
Es handelt sich um Studien zur typologischen Auslegung des
Hexateuch durch die Väter des 2.-4. Jahrhunderts.

Wir Heutigen, so sagt der Verf., Professor am Institut
Catholique in Paris, im Vorwort zur Begründung seines Unternehmens
, empfinden gegenüber der patristischen Schriftauslegung
eine große Fremdheit. Sie wäre nur zu überwinden
durch eine Geschichte der Anfänge der patristischen Exegese.
Noch sind wir nicht so weit, daß sie geschrieben werden könnte,
weil es an Vorarbeiten fehlt. Wir besitzen zwar aus den letzten
Jahren eine ganze Reihe von wertvollen ,, Querschnitts"-Un-
tersuchungen, d.h. Darstellungen der Exegese einer Reihe von
Kirchenvätern (angefangen mit Clemens von Alexandrien,
meist von französischen Gelehrten); aber diese Querschnitte
helfen nicht, zwischen traditionellem Gut und der persönlichen
Auslegung des betreffenden Kirchenvaters zu unterscheiden.
Was uns fehlt, sind „Längsschnitte".

Hier setzt D. ein. Er legt in seinem Buch fünf Monographien
vor, die jeweils im Längsschnitt die Geschichte eines
exegetischen Themas von seiner biblischen Vorgeschichte bis
400 n.Chr. behandeln. Wenn er dabei fünf typologische Themen
wählte, so war das ein glücklicher Griff. Die (von D. öfter
herangezogene) Arbeit von L. Goppelt, Typos. Die typologische
Deutung des AT im Neuen, 1939, sowie die (gleichzeitig mit
D.s Buch erschienene) Untersuchung von R. Bultmann, Ursprung
und Sinn der Typologie als hermeneutischer Methode
(in der van der Leeuw-Festschrift Pro regno, pro sanetuario,
1950, S. 89—100) haben gezeigt, wie aktuell das Problem der
typologischen Exegese ist. Was D. unter Typologie versteht,
sagt er S. 4: „Elle consiste ä montrer dans les evenements
passes la figure d'evenements ä venir". Für die alte Kirche ist
das AT voller geheimnisvoller Vorabbildungen, voller „sacra-
menta" (daher der Titel des Buches!), die Blitzen gleichen,
deren Aufleuchten für einen Augenblick die Nacht der Zukunft
erhellt und Gottes Heilsplan in Christus erkennen läßt.

Die fünf typologischen Themen, die D. behandelt, sind:
1. Adam und das Paradies (S. 3—52); 2. Noah und die Sintflut
(S. 55-94); 3. Das Opfer Isaaks (S. 97—128); 4. Moses und der
Auszug (S. 131—200); 5. Der Josua-Zyklus (S. 203—256). Um
einen Eindruck von der Art der Durchführung zu geben, seien
noch die Untertitel des fünften Teils genannt: r. Das Mysterium
des Namens Jesus; 2. Rahab, Typus der Kirche; 3. Die
Uberquerung des Jordans, Typus der Taufe; 4. Der Fall Jerichos
und das Ende der Welt. (Man sieht au dem Beispiel der
Tosua-Typologie sofort, wie die alte Kirche die Typologie
erstens christologisch, zweitens ekklesiologisch, drittens sakramental
, viertens eschatologisch entfaltet; das wiederholt sich
jeweils.) Eine einleitende Rechenschaftslegung über die benützten
Quellen läßt die große Spannweite der Quellenstudien
des Verf.s erkennen.

Das Bild, das sich bei diesen fünf Längsabschnitteu (mit
Abweichungen im einzelnen) wiederholt, ist das folgende: 1. In
den meisten Fällen hat die betreffende Typologie ihre Wurzeln
im AT und im Spätjudentum. (Eine Ausnahme macht nur die
Josua-Typologie; Josua spielt im Denken des Spätjudentums
keine Rolle, weil er ein Gegenspieler des Moses ist, ja diesen
ersetzt und geradezu überbietet — eben dieser Umstand machte
der christlichen Propaganda die Gestalt dieses alttestament-
lichen 'Ir/aovg wichtig!) So reicht z.B. die Exodus-Typologie
bis weit in vorexilische Zeit zurück (Hos. 2, i4f.; Jes. 11, 15);
Dt.-Jes. greift sie vollmächtig auf und kündet den neuen triumphalen
Exodus an; das Spätjudeutum schildert den Messias
als zweiten Moses. 2. An der Anwendung der Typologie im NT
ist jeweils das Neue nicht die Typologie selbst, sondern die
Botschaft von ihrer Erfüllung in Christus. In diesem Sinn
durchzieht die Moses-Exodus-Typologie fast das ganze NT.
Im 1. Petrus-Brief beherrscht sie, um wieder ein Beispiel zu
nennen, den Abschnitt 1, 13—2, 10. Die Getauften sind das
neue Gottesvolk, das sich mit gegürteten Hüften (r. 13) auf
die Wanderung begibt (i, 17), erlöst durch das Blut des fleckenlosen
Lammes (1, i8f.); es darf von dem Lebenswasser spendenden
Felsen trinken (2, 5) und ist „das auserwählte Geschlecht
, die königliche Priesterschaft, die heilige Nation, das
Eigentumsvolk" (2, 9: Ex. 19, 5L). (Die Exodus-Typologie
führt D. auf die Vermutung, daß die dem i.Petr. zugrunde
liegende Tauf-Homilie in der Passawoche gehalten sei.) 3. In
der an die apostolische Katechese und Liturgie anknüpfenden
patristischen Exegese wird die Typologie in den oben erwähnten
verschiedenen Richtungen ausgebaut — mit Vorliebe wird
sie auf die Sakramente angewendet —, zugleich aber bemächtigt
sich ihrer in steigendem Maße die Phantasie, die sich nicht
genug darin tun kann, im AT immer neue typologische Züge
zu finden. 4. Seit Origenes gesellt sich zur Typologie als neues,
von ihr scharf zu unterscheidendes exegetisches Prinzip die
allegorische Exegese des AT, die mit dem eigentlichen Textsinn
nichts mehr zu tun hat (z.B.: die vier Paradiesesflüsse —
die vier Kardinaltugenden usw.). Sie stammt aus Philo, und
ihre Übernahme bringt ein sachfremdes Element in die Exegese.