Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1952 Nr. 9

Spalte:

535-544

Autor/Hrsg.:

Maurer, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Reuchlin und das Judentum 1952

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3, Seite 4, Seite 5

Download Scan:

PDF

535

Theologische Literaturzeitung 1952 Nr. 9

536

Bezeugung des Faktums1 nunmehr in den Mittelpunkt. Der
Rahmen, in den die alte adoptianische, subordinatianische
Christologie hier eingehängt ist, tendiert zur Anbringung jener
Sicherungen, die den Frühkatholizismus einleiten; er ist also,
nachpaulinisch, weit neueren Datums als jene alte vorpauli-
nische Christologie selber2.

Die Feststellung der Inkongruenz zwischen alter Auf-
e'rstehungs-Terminologie und einem jüngeren, sie umgebenden
Rahmen bestätigt sich durch die Beobachtung weiterer ähnlicher
Spannungen innerhalb der Acta auf dem Felde der Auf-
erstehungs- und uaQTvs-Aussagen:

Jesus ist der äywg3, der öixmog*, der naigb, er wird
durch die Auferstehung zudem von der Schrift geweissagten6
Messias7: das ist die frühcliristlich-spätjüdische Komponente8
. Die Auferstehung macht ihn zum xvjmoj9, zum dg/rj-
■yög10 und amr^g11: so hat die spätjüdische Christologie der
ürgemeinde sicher nicht formuliert; der hellenistische Charakter
der Titel, selbst wenn man auf das in dieser Hinsicht
umstrittene xvgiog als Argument verzichtet, ist bei äg-fflyög

') Vgl. die Auferstehung Jesu als einen für Jesu Weltenrichter-Stellung
beigebrachten Beweis (Pilaris) in Act 17, 31. Auch die tixpirßia des Einschubs
Act I, 3 weisen in diese Richtung.

2) In dieser Linie würde ich Ph.Vielhauers Ausführungen über die Christologie
der Acta (a.a.O. S. 10—12) ergänzen.

3) Act 3, 14; 4, 27. 30.

4) Act 3, 14; 7, 52; 22, 14.

5) Act 3, 13. 26; 4, 27. 30.

6) Act 2, 25—28 und passim.

') Act 2, 36; 3, 20; 5, 42; 9, 22; 17, 3; 26, 23.

8) Zu anderen Titeln Jesu in den Acta vgl. K■Lake / H. J. Cadbury,
The beginnings of Christianity V 1933, 354—375.
•) Act 2, 36: xiqiov vor %f>iaxöv

10) Act 3, 15; 5, 31; vgl. O. Delling in Kittel I s. v.; W. Grundmann in
ZNW 38 (1939) S. 66—71.

") Act 5, 31 vom Erhöhten, Act 13, 23 vom Irdischen.

und omxtjQ eindeutig. Ja selbst innerhalb einer spätjüdischen
Argumentation, der christologischen Interpretation von LXX
Ps. 15, markiert die vom Verfasser hineingebrachte ödpf
Christi1 das bekannte frühkatholische Interesse2 am ödpf-
sein des Auferstandenen.

Auch die vom Verfasser mit der Auferstehung Jesu eng
verbundene |ud(>Tuj-Vorstellung, also ein späteres Theologu-
menon, wie wir oben sahen, ist nicht konsequent durchgeführt;
sie wird z.T. durchkreuzt von älteren Konzeptionen. Die 3mal
gebrachte, also dem Verfasser höchst wichtige Christus-Epi-
phanie des Paulus vor Damaskus gilt dem Verfasser, der
Ostern, Himmelfahrt und Pfingsten als nachemanderliegende
Daten historisiert und für die Darstellung des Damaskus-Geschehens
hellenistische Motive3 mitbenutzt, ja in keinem Falle
mehr alsJOstergeschehen. Gleichwohl verwendet er für Paulus
bei der Damaskus-Epiphanie den ^dpTvj-Begriff 4 und das
w<p{h]5; inkonsequenterweise, weil beide Termini sonst nur dem
geschlossenen Kreise der Zwölf eignen; auch Paulus verbürgt
nun eine Tatsache6, wie er samt Barnabas gelegentlich7 auch
anoaxol.oi heißen können. In dieser Inkonsequenz scheint die
Selbsteinschätzung des historischen Paulus8 nachzuwirken,
der seine Damaskusvision als Ostergeschehen gewertet hat.
Auch hier stehen also ältere Tradition und neuere Betrachtungsweise
in einer spannungsreichen Verbindung.

') Act 2, 31.

2) Gegen IK 15,50 vgl. Luk 24,39 und die Betonung der <rdo| des Auferstandenen
in den Ignatianen.

3) Vgl. H. Windisch, Die Christusepiphanie vor Damaskus und ihre religionsgeschichtlichen
Parallelen ZNW 31 (1932) S. 1—23.

4) S. Sp.534, Anm. 17.

5) äg}&rj in Act 9, 17; 26, 16. dpäv in Act 22, 14; 26, 16. ö<ptfn für die
Zwölf. S. Sp.534, Anm. 4.

6) Gegen Strathmann a.a.O. S.497f.
') Act 14,4. 14

8) S. Sp. 534, Anm. 1 und 2.

Reudilin und das Judentum

Von Wilhelm Maurer, Erlangen

Hermann Strathmann zum 70.Geburtstag

Im Streit Reuchlins mit den Kölner Theologen ist das
Hauptinteresse meist auf die Dunkelmännerbriefe gerichtet,
jene erste große Satire in der deutschen Literaturgeschichte.
Und in ihren Verfassern, den jungen kecken Humanisten, begrüßt
man die Sturmvögel einer neuen Zeit; sie repräsentieren
eine kulturelle Bewegung, die dann in der reformatorischen
fortgesetzt wird.

Bei dieser Betrachtungsweise pflegt Reuchlin, um den der
Streit sich dreht, in den Hintergrund gerückt zu werden; das
Werk, um dessen Bestand er gekämpft und gelitten hat, wird
darüber vergessen. Es geht dem Altmeister des deutschen Humanismus
um die Rettung und wissenschaftliche Auswertung
der rabbinischen Literatur. Und er streitet dabei nicht nur als
Gelehrter; er führt den Kampf in der Öffentlichkeit mit den
Waffen des Rechts. Und so mag der Bericht über diese Zusammenhänge
in dem Forscher und Lehrer verwandte Saiten
berühren, der wie keiner aus seiner Theologengeneration in der
Öffentlichkeit für das Recht gestritten hat.

Für die Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts ist
die Tat Reuchlins nach dem Urteil seines Biographen Ludwig
Geiger — der sich dabei auf Ranke berufen kann — „lediglich
ein Kampf redlicher wissenschaftlicher Forschung gegen Fanatismus
". Es handelte sich um ein erstes Aufleuchten edler
Toleranz am Ende des finsteren Mittelalters. Freilich konnte
der Grundsatz religiöser Gleichheit den Zeitumständen entsprechend
noch nicht völlig durchgesetzt werden, ebensowenig
,,die Idee der Gleichberechtigung für jede Mehrung". Aber alle
diese Prinzipien wurden damals von Reuchlin schon proklamiert
, die Aufklärung im Grunde schon vorweggenommen1.

Bei dieser Betrachtungsweise kommt das Eigentümliche
und Einmalige der Reuchlinschen Leistung zu kurz. Es wird
verkannt, was seine Stellung zum Judentum für das 16. Jahrhundert
bedeutet hat und was sie nicht bedeuten konnte. Es
wird die Vorgeschichte der Judenemanzipation verdunkelt.

Reuchlin hat die Behandlung der Juden auf die Rechts-
grundsätze des unverfälschten römischen und kanonischen
Rechtes zurückgeführt; er verwirft die mittelalterliche Fort-

') Ludwig Geiger: Johann Reuchlin, Leipzig 1871, S. 164, 233 f., 251.

bildung des Judenrechtes. Und er begründet jenen Rückgang
auf das ursprüngliche Recht mit einer universalgeschichtlichen
Betrachtungsweise, in der er der spätjüdischen Literatur für
Philosophie und Religion der Menschheit die entscheidende
Rolle zuweist. Von beiden Prinzipien, die die Lösung des Judenproblems
bei Reuchlin bestimmen, soll im folgenden, und
zwar in umgekehrter Reihenfolge, die Rede sein.

I.

Reuchlin will, wie jeder christliche Humanist seiner Zeit,
Philosoph sein, der von einem neuen Verständnis der Antike
aus die Übereinstimmung zwischen Weltweisheit und christlichem
Glauben nachweist. Dabei übt er, gestützt auf die Kirchenväter
, Kritik nicht so sehr an dem Stagiriten selbst als an
der aristotelischen Scholastik des Mittelalters1. Er erkennt die
Verdienste, die sich Faber Stapulensis in Frankreich für ein
Neuverständnis des Aristoteles erworben hat, ebenso an, wie
die Erneuerung des Piatonismus in Italien durch Marsilius
Ficinus. Im Bunde mit beiden möchte er noch weiter auf die
Ursprünge nicht nur der griechischen, sondern aller Philosophie
zurückgehen. Er fmdet jene bei Pythagoras, diese bei
den jüdischen Kabbalisten. So begründet er in der Widmung
an Leo X. den Zweck seiner Hauptschrift De arte cabalistica2.

Diese geheimnisvoll verborgenen LTrgründe aller menschlichen
Wissenschaft hat Pythagoras bei den Chaldäern erforscht
; und diese wiederum haben von den Hebräern gelernt3.

Wer heute zu diesen Geheimnissen gelangen will, muß

') De arte cabalistica, libri tres, Leoni X. dedicati; gedruckt mit kaiserlichem
Privileg vom 21. April 151C bei Thomas Anshelm in Hagenau März 1517.
Hier abgekürzt zitiert: cab. V C.

-) Ludwig Geiger: Johann Reuchlins Briefwechsel, Bibliothek d. Literar.
Vereins in Stuttgart Nr. 126, Tübingen 1875, S. 270; hier abgekürzt zit. Br.

') Widmung von De verbo mirifico 1494 an Johannes von Dalberg, Br.
S. 39 ff. Nur als Geheimwissenschaft kann diese Philosophie darum weitergegeben
werden; vgl. die Beteuerung eines begeisterten Schülers und Lesers
vom 15. Juli 1501 (Br. 72 f.): ipse arcana velamenta et secretissima symbola
non sparget in auram, sed silebit, celabit, tacebit et Verbum mirificum perquam
diviniter colet.