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Ausgabe:

1952 Nr. 9

Spalte:

527-532

Autor/Hrsg.:

Stauffer, Ethelbert

Titel/Untertitel:

Das ʺGesetz der Freiheitʺ in der Ordensregel von Jericho 1952

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Theologische Literaturzeitung 1952 Nr. 9

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sündlos, sondern sie sind die Sünder in ganz besonderer Weise.
Gibt es im jüdischen Leben eine Situation, von der man sagen
kann dfiixQda ovx HXo-ytivai ju») ovzog vdfiov ? Vielleicht ist an
den jungen Juden zu denken, der bis zum 12. Lebensjahr wohl
langsam an das Gesetz gewöhnt wurde, der aber bis zu diesem
Zeitpunkt nicht zur vollen Gesetzesbeobachtung verpflichtet
war. Pirque Aboth 5,21 heißt es: „5 Jahre alt: reif zur Mikra,
(d.h. zum Lesen der Bibel), 10 Jahre alt: reif zurMischna, 13
Jahre alt: reif für die Gebote, 15 Jahre alt: reif für den Talmud
." Es gibt eine Periode im Leben des jungen Juden, in der
er in gewisser Weise noch ohne Gesetz ist. Erst „ein Knabe,
bei welchem sich die beiden Haare zeigen, ist verpflichtet zu
allen Geboten, die gesagt sind im Gesetz"1. Vor der Geschlechtsreife
braucht er sie nicht zu beobachten. Von dieser
Rechtslage her hat man die Aussage des Apostels Paulus Rom.
7,9: „Ich lebte einst ohne Gesetz" autobiographisch verstanden
, als ob Paulus hier etwas aus seinem Leben berichte2.
Wenn diese Auslegung auch nicht zutreffend ist, so ist die Beobachtung
doch wohl richtig, daß der Jude in seiner Kindheit
in gewisser Weise ohne Gesetz lebt. Es könnte gut sein — belegen
läßt sich die Behauptung nicht—, daß man von dieser
Zeit sagte: Die Verfehlungen werden nicht in das himmlische
Schuldbuch eingetragen. Paulus hätte dann den Satz vom
jungen Juden auf die Menschen in der Zeit zwischen Adam
und Moses angewandt.

*) Nidda 52ab vgl. Str.-B. II, 146.

2) A. Deißmann: Paulus, 2. Aufl. (1925) 73.

Rom.5,14 geben die meistenübersetzera/Ua mit „aber"1 im
Sinne von „aber dennoch"2 wieder. Um des Zusammenhanges
willen wird es sich nicht empfehlen, mit Nestle nach vöpov ein
Semikolon zu setzen, sondern es wird richtiger sein, mit West-
cott-Hort ein Komma anzunehmen. Dann stellt dXld nicht am
Anfang eines Satzes, der den alten Gedankengang unterbricht
und etwas völlig Neues sagt, sondern die beiden Sätze werden
enger miteinander verbunden. Nach einer vorhergehenden negativen
Aussage heißt dlld gewöhnlich „sondern", nicht „aber
dennoch". Hätte Paulus dieses zum Ausdruck bringen wollen,
so hätte er statt dXkd, das Wort öfxcog, das Paulus ja kennt, oder
iU' o/itog, o/dCOg nivToi oder xatioi setzen müssen. Da er es
nicht tut, wird man gut tun, dtäd mit „sondern" zu übersetzen3
.

Demnach sagt Paulus Rom. 5,13 folgendes: Bis zurGesetz-
gebung am Berge Sinai gab es Sünde in der Welt. Sie wird
aber, da kein Gesetz da ist, auf Grund dessen die einzelnen
Übertretungen genau festgestellt werden können, nicht in den
himmlischen Schuldbüchern zum Zwecke der Urteilsverkündigung
beim Endgericht notiert, sondern der Tod herrschte als
sofortige Strafe in der Zeit von Adam bis Mose auch über die,
die nicht ein konkretes Gottesgebot übertreten hatten, wie es
bei Adam der Fall war.

') Godet, Häring, Schlatter, Lietzmann, Nygren.

2) Jülicher, Althaus, vgl. Sickenberger, Barth, Brunner, Gaugier, Pr.-
Bauer.

3) Vgl. Lipsius und Zahn.

Das „Gesetz der Freiheit" in

Von Ethelbert St

In Jak. 1, 25 hören wir von dem Mann, der „hineinschaut
in das vollkommene Gesetz der Freiheit und darin beständig
bleibt". Und Jak. 2, 12 sagt von den Christen, daß „sie sollen
gerichtet werden durch (das) Gesetz der Freiheit".

Die Wortverbindung vöfiog iltv&CQbxg ist seit jeher eine
Crux interpretum. Der Jakobusbrief gebraucht sie zweimal, in
recht verschiedenen Zusammenhängen, ohne jedoch den implizierten
Gedanken wirklich zu entfalten. Es handelt sich demnach
wohl um eine formelhafte Wortverbindung, die aus älterer
Tradition fertig übernommen ist. Aus hellenistischer oder aus
jüdischer Tradition ? Die Frage ist wichtig für die chronologische
und historische Fixierung des Jakobusbriefes und hat darum
die neuere Forschung viel beschäftigt.

Man denkt zunächst an hellenistische Herkunft. Denn
der große Gedanke: „Das Gesetz nur kann uns Freiheit geben",
ist primär in Griechenland zu Hause. Er begegnet im neutesta-
mentlichen Zeitalter vor allem in stoischen Kreisen. So verweist
Dibelius z. St. auf Senekas Ausspruch: deo parere libertas
est, und auf das Wort Epiktets: o vöuog poi n&vza eail xai allo
ovddv. tavva rjv rd iltv&tQov ixclvov eaöavra1. Aber das sind nur
verwandte Denkarten. Die wörtlich gleiche Formel vöfiog ilev-
■fregiag ist bisher in der hellenistischen Welt m. W. noch nicht
nachgewiesen2.

Auf der anderen Seite hat Hans Windisch in Lietzmanns
Handbuch schon 1911 auf die rabbinische Exegese von Ex
32, 16 aufmerksam gemacht. Im kanonischen Exodustext ist
die Rede von den Zehn Geboten, die auf die Gesetzestafeln
eingegraben (nvin) sind. Dazu sagt Aboth 6,2: „Lies nicht

.eingegraben', sondern .Freiheit' (rvnn «btf imn 8-ßn-bs)-

tv t t! : .

Denn es gibt für dich keinen Freien (yHin-'|3) außer dem, der

sich mit dem Studium derThorabeschäftigt3". DieseAusdeutung
von Ex 3 2,16 spielt im Rabbinat des zweiten bis vierten Jahrhunderts
eine große Rolle und hat zu den verschiedensten Abwandlungen
des Grundgedankens geführt, daß die Thora die
Magna Charta der Freiheit Israels sei. Manche denken an die
politische Freiheit, andere an die Freiheit vom Leiden, vom
Todesengel oder die Freiheit der künftigen Welt4. So darf man
wohl mit G. Kittel sagen: „Die These, daß ein Terminus ,Ge-

*) Seneca, De vita beata 15, 7; Epiktet IV, 1, 158 (über Diogenes).

2) Schon Wettstein (Up. 664) konnte nur entfernte und späte Motivparallelen
nachweisen.

3) s. G.Beer, Pirke Aboth (1927) p. 164.

*) S. Aboth3,5; Tanch. 7b; 115a; Er 54a; Baba kamma8,6; Baba mesia
85b u. a. m. bei Billerbeck III 753; A.Meyer, Das Rätsel des Jakobusbriefs
(1930) S. 154; A. Schlatter,Jakobusbrief(1932) S. 153; G. Kittel,ZNW( 1942) S.78

der Ordensregel von Jericho

auffer, Erlangen

Hermann Strathmann zum 70.Geburtstag

setz der Freüieit' im Munde eines palästinensischen Juden-
christen nicht möglich sei, ist somit nicht haltbar1." Aber auch
Kittel konnte die Formel im rabbmischen Schrifttum nirgends
wörtlich nachweisen.

Infolgedessen neigt die jüngste Forschung doch mehr zu
einer hellenistischen Herleitung. A. Meyer spricht von einem
„ursprünglich griechischen Gedanken" (a.a.O. S. 155). M. Dibelius
denkt an das Diasporajudentum (a.a.O. S. 21), und
F. Hauck findet in der rabbinischen Exegese von Ex 32,16 ein
„Herumtasten nach einer passenden Auffassung", aus dem sich
unschwer erkennen lasse, „wie wenig der Gedanke selbst im
Jüdischen heimisch war2". In der Tat, die rabbinische Ausdeutung
der Exodusstelle scheint mehr auf exegetischer Wortspielerei
zu beruhen als auf einer theologischen Grundüberzeugung
. Und die termini von Jak. 1, 25 klingen recht myste-
rienhaft: 7t<xQa.xvrtTm, riXttog. Vielleicht stammt auch die problematische
Wortverbindung vo/tog iXcvS-egCag aus der hellenistischen
Mysteriensprache, vielleicht ist es eine gnostische
Formel, die der Jakobusbrief im antignostischen Kampf usurpiert
und christiansiert hat ? Es ist klar, daß diese Frage auch
für das Datierungsproblem nicht gleichgültig ist3. Aber soweit
ich sehe, ist die präzise Formulierung vö/xog iXev&cgiag bisher
weder in diasporajüdischen noch in gnostischen Texten aufgetaucht4
.

Um so mehr hat es mich überrascht, die langgesuchte Wortverbindung
„Gesetz der Freiheit" nunmehr in der Ordensregel
von Jericho (DSM) zu finden, und dort gleich dreimal5.
Alle drei Belege finden sich in dem großen Gebetshymnus Kolumne
10. In 10. 6 heißt es: „Wir segnen entsprechend dem
Gesetz der Freüieit auf ewig" (79b min pin3 tffOrt- In
10,8 „Und solange ich bin, ist das Gesetz der Freiheit auf meinen
Lippen" (lyiioba min pin TlTn bism) In io.ii : „Undmeine

') ZNW (1942) S. 78.

2) Hauck in Zahns Kommentarwerk S. 85. Vgl. NT Deutsch S. 13.

3) Zu Schlatters.H. Strathmann, Theologie der Gegenwart (1933) S.222ff.;
zu Kittel s. K. Aland, Der Herrenbruder Jakobus und der Jakobusbrief, ThLZ
(1944) Sp. 97ff. (vgl. Kittels Antwort in ZNW 1950/51, S. 54 ff.). Ich gestehe,
daß ich selber den Jakobusbrief bisher trotz Schlatter und Kittel für deutero-
jakobinisch gehalten habe. "

4) Am nächsten kommt unserer Formel ein alexandrinischer Satz, den
Windisch zu Jak. 1, 25 zitiert, Philon, Quod omnis probus liber, 7p. 452: öaoi
Se ftcrä vöfiov l^waiv, IXtvdtQoi. Die dritte Auflage des Handbuches
(H. Preisker, 1951) bringt hierzu kein neues Belegmaterial. Dasselbe gilt von
H. Schammberger, Die Einheitlichkeit des Jakobusbriefs im antignostischen
Kampf (1936) S. 63ff.

5) M. Burrows, Dead Sea Scrolis II, 2 (1951).