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Ausgabe:

1952 Nr. 8

Spalte:

487-494

Autor/Hrsg.:

Graß, Hans

Titel/Untertitel:

Grundsätze katholischer Bibelauslegung 1952

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Theologische Literaturzeitung 1952 Nr. 8

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rischen Deutungen aufgenommen, die die Evangelisten selbst
geben. Aber eine grundsätzlich allegorische Auffassung der
Gleichnisse hat Luther nicht vertreten.

Das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen wäre uns
zwar ohne die Deutung Jesu unverständlich. (38, 566, 2) Aber
die Deutung ist doch hier nicht um besonderer allegorischer
Geheimnisse willen erforderlich, sondern einfach deshalb, weil
die ratio ohne Gottes Wort über die res aeternae und über
Christus nichts zu sagen weiß. Man hat den Eindruck, Luther
steht zwar unter dem Einfluß der traditionellen allegorischen
Auffassung, die eine Ausdeutung der einzelnen Gleichniselemente
für notwendig hält; in Wirklichkeit aber liegt für ihn
das mysterium nicht in der allegorischen Verhüllung, sondern
im Wesen der Offenbarung selbst. Eine Äußerung zu Lc 8, 10
in der Fastenpostille bestätigt das: „Was ist das geheymnis ?
Soll mans nicht wissen, warumb predigt man es denn ? Geheymnis
heyßt eyn verborgen heymlich ding, das man nicht
weys. Und geheymnis des reichs Gotts sind die ding im reich
Gotts verborgen, als da ist Christus mit aller seyner gnaden
, die er uns erzeygt hat. . . Und heyßt darumb geheymnis,
das es geystlich und heymlich ist, und wol bleybt, wo es nicht
der geyst offenbart" (17, II, 160, 5). Entscheidend für das Verständnis
ist also nicht die allegorische Ausdeutung, sondern
die Wirksamkeit des hl. Geistes, „das yhrs nicht alleyne höret
und seht, sondern auch mit dem hertzen erkennet und glaubet,
darumb ists euch nu nicht mehr eyn geheymnis" (17, II, 160,
18). Luther kommt auch in dieser Predigt auf den Widerspruch
zwischen Mc 4, 33 und Matth. 13, 13t. zu sprechen. Mc denkt
an das Gleichnis als stilistische Form. Das Gleichnis ist eine
Form der Verkündigung, die dem leichteren Verstehen dient
(17, II, 160, 33—37). Luther ist hier ganz deutlich von der allegorischen
Auffassung abgerückt. Das Gleichnis ist durch seine
Form eine Hilfe des Verstehens, eine Anpassung an das Verständnis
der „groben leute". Matth, aber will sagen, daß die
Gleichnisse niemand verstehen kann, „wo sie der geyst nicht
kund macht und offenbart. Nicht das sie drumb gepredigt
werden, das man sie nicht verstehen solle, sondern das natürlich
folget, wo der geyst nicht offenbart, das sie niemand verstehet
" (17, II, 161, 2). Auf das Jesaia-Zitat aber, „darynnen
der hohe verstand von Göttlicher versehung gerürt wird, das

er verbirgt und offenbart, wilchem er will und von ewigkeyt
bedacht hat" (161, 5), will Luther offenbar hier nicht näher
eingehen1. Die Verstockungstheorie ist ihm irgendwie unheimlich
. Sie läßt sich auch tatsächlich mit dem Heilswillen Gottes
in Jesus Christus nicht vereinigen, wenn man die Verstockung
als ewige und endgültige versteht, d.h. wenn man sie mit der
praedestinatio ad malum gleichsetzt. Eine solche hat Luther
auch in De servo arbitrio nicht vertreten2.

Am Schluß des großen Gleichniskapitels (Matth. 13,51)
fragt Jesus seine Jünger: Intellixistis haec omnia ? Nach Luthers
Auffassung ist Jesus davon überzeugt, daß sie nicht alles
verstanden haben, und wundert er sich darüber, daß sie ihn nur
für die beiden ersten Gleichnisse um Auslegung gebeten haben
(38. 57°. 4)- Aber er nimmt ihr allzu zuversichtliches „Ja" gütig
hin „propter futuram in eis intelligentiam" (38, 570, 10). So
denkt auch ein Vater von seinem Sohn: „Mit der zeit wirstu
es wol verstehen" (570, 13). Darum läßt Jesus das Ja der
Jünger gelten, „quia cogitat, quid futuri sint per spiritum
sanctum" (570, 15). Worin besteht aber die derzeitige simpli-
citas der Jünger ? Warum können sie die Gleichnisse über das
Himmelreich noch nicht verstehen ? Weil diese Gleichnisse geheimnisvolle
Allegorien sind ? Nein! Sondern weil sie noch eine
falsche Vorstellung vom Himmelreich haben, „quod ipsi temporale
futurum cogitabant" (38, 570, 19). Sie verstehen das
Gleichnis nicht, nicht weil es ein Gleichnis ist, sondern weil sie
die im Gleichnis gemeinte Wirklichkeit nicht verstehen. An
dieser Stelle wird also noch einmal deutlich, daß Luther die
allegorische Auffassung der Gleichnisse grundsätzlich überwunden
hat3.

') In den Annotationes bemerkt Luther am Schluß seiner Ausführungen
über das Jesaia-Zitat: „Sublimior questio: Quare alii indurantur, aliimoliun-
tur? Non est huis loci neque necessarium, neque utile" (38, 557, 37). Matth..
13,13f. aber wird als eine prolixa responsio auf die Frage der Jünger (Matth.
13, 10) bezeichnet, die aber zugleich sublimis et difficilis sei (38, 555, 12).

2) Vgl. dazu meine Schrift „Humanitas-Christianitas" 1948, S. 65ff., besonders
S. 94—100.

3) Entgegen Jülicher, Die Gleichnisreden Jesu, 2. Aufl. 1910, I, S. 257:
„Weiter konnte Luther nicht gelangen, weil er diese Reden im Grunde doch
noch als Allegorien betrachtete." Im einzelnen wohl, aber nicht „im Grunde" I

Grundsätze katholischer Bibelauslegung

Von Hans Graß, Erlangen

Hermann Strathmann zum 70. Geburtstag

Professor D. Hermann Strathmann, dem diese Zeilen zum
70. Geburtstag gewidmet sind, hat 1943 in der „Protestantischen
Rundschau" einen Aufsatz veröffentlicht unter dem
Titel: „Der Geist der modernen katholischen Bibelbewegung".
Str. erkennt hier an, daß sich in der Stellung der katholischen
Kirche zur Bibel in den letzten Jahrzehnten eine bedeutsame
Wandlung vollzogen hat. An Hand der 1938 erschienenen
Laienbibel des Herder-Verlags weist Str. dann aber nach, daß
die alten Grundsätze katholischer Bibelauslegung unverändert
festgehalten werden, so daß die Hoffnungen der Una
sancta-Freunde auch hier der realen Grundlagen entbehrten.
Die Nebenordnung der Tradition neben die Schrift, die Uberordnung
des kirchlichen Lehramts über diese beiden Offenbarungsquellen
, das Privilegium des Lehramts, über die rechte
Auslegung verbindliche Entscheidungen zu treffen, gelten unentwegt
; und gerade an der genannten Laienbibel vermag Str.
die kirchliche Domestizierung des katholischen Bibelverständnisses
aufzuzeigen, in der Art der Auswahl, in den beigefügten
Erläuterungen, in der Abdichtung gegen die Gefahren
der Bibelkritik, in dem Wuchern typologischer Auslegung vor
allem des ATs, in der Eintragung des späteren kirchlichen Bewußtseins
und späterer Dogmen in die exegetischen Tatbestände
. Nicht Uberwindung des Gegensatzes zwischen Bibel
und Tradition, sondern Indienstnahme der Bibel für die Tradition
kennzeichnet nach Strathmann auch den Geist der modernen
katholischen Bibelbewegung. Dieses nüchterne und
manchem vielleicht unbequeme Urteil soll hier einer erneuten
Nachprüfung unterzogen werden, vor allem unter Berücksichtigung
der lehramtlichen Äußerungen des letzten Jahrzehnts
.

Als Leo XIII. im Jahre 1893 in seiner Enzyclica über das
Studium der Hlg. Schrift1 zum ersten Mal offiziell zur modernen
Bibelwissenschaft Stellung nahm und die Heranziehung

') Providentissimus Deus. Text in der Herderschen Sammlung päpstl.
Rundschreiben, 4. Sammlung, 2. Abdr. 1903.

ihrer Methoden billigte, wurde das von vielen katholischen
Theologen als Morgenrot größerer Freiheit begrüßt1. Dennoch
war der Charakter des Rundschreibens stark apologetisch.
Das kritische Urteil soll vor allem deshalb ausgebildet und gepflegt
werden, um die göttlichen Schriften zu verteidigen2.
Man soll sich mit den neuen Waffen und Kampfesarten der
Feinde vertraut machen, um sie zu widerlegen. Als Mittel der
Verteidigung gelten gründliches Studium der alten orientalischen
Sprachen und die niedere Kritik, während die höhere
Kritik als für die Religion schädlich abgelehnt wird3. Auch
bei der Benutzung nichtkatholischer Ausleger wird Zurückhaltung
geboten, denn der unverdorbene Sinn der heiligen
Schrift ist keineswegs außerhalb der katholischen Kirche zu
finden4. Gegen Ende seines Pontifikats wurde Leo immer stärker
durch den Modernismus und die um sich greifende kritische
Bibelforschung beunruhigt5, so daß er 1902 die päpstliche Bibelkommission
ins Leben rief, die dann vor allem unter seinem
Nachfolger, dem Antimodernistenpapst Pius X., ihre die
freie Schriftforschung lähmenden Entscheidungen fällte, welche
noch heute die Crux der katholischen Einleitungswissen-
schaft bilden. Noch 1920 warnte Benedikt XV. in seiner Hiero-
nymus-Enzyclica „Spiritus paraclitus"6 davor, aus den Vorschriften
Leos eine ungesunde Freiheit der Meinungen zu
folgern und, voll Vertrauen auf alle Hilfsmittel des Studiums
und der Kritik, die sicheren Grenzen und von den Vätern aufgestellten
Schranken zu überschreiten7.

Hier hat nun insofern eine Wendung sich vollzogen, als

') Vgl. Norbert Peters: Papst Pius X. und das Bibelstudium, 1906, S.83;
J. Schmidlin: Papstgeschichte der neuesten Zeit, Bd. II S. 397f.

2) Rdschr. Prov. Deus S. 31.

3) S. 49. 51.
*) S. 43.

5) Vgl. J. Schmidlin a. a.O. Bd. II. S.576.

') Acta Apostol. Sedis, im folgenden abgekürzt AAS 12, pag. 385—422.
') AAS 12 pag. 393 sq. 396. 398.