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Ausgabe:

1952 Nr. 8

Spalte:

457-470

Autor/Hrsg.:

Wendland, Heinz-Dietrich

Titel/Untertitel:

Das Wirken des Heiligen Geistes in den Gläubigen nach Paulus 1952

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Theologische Literaturzeitung 1952 Nr. 8

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zu unterstreichen, das Wort Mystik nicht entbehren zu können,
so muß man jedenfalls den Begriff Mystik mannigfach ver-
klausieren. Es handelt sich um unmagische, geschichts-
gebundene, kosmisch - eschatologische Glaubensmystik
. Sollte man dann nicht doch lieber auf das Schlagwort
„Mystik" verzichten ? Man sollte es jedenfalls immer in Anführungszeichen
setzen.

Damit mag es der Anführung von Beispielen romantischer
Irrwege in der neueren Paulusforschung genug sein. Ihre Zahl
wäre wohl noch zu vermehren. Aber der Raum ist beschränkt.
Wenn ich zum Schluß noch einen speziellen Punkt zur Sprache
bringe, so geschieht es anhangsweise und ausdrücklich nicht
unter dem Generalnenner Romantik. Es scheint mir aber notwendig
. Einmal um der Wichtigkeit der Sache willen. Sodann
aber auch, weil ich Paul Althaus eine Antwort auf seine Ausführungen
in ThLZ 76 (1951) 15—18 und „Paulus und Luther
über den Menschen" (2i95i) 114—118 schuldig bin. Ich hoffe,
einige Mißverständnisse zerstreuen zu können.

Es handelt sich um die Auslegung von Oal. 5,17: „Denn das Fleisch begehrt
wider den Geist, der Geist aber wider das Fleisch. Die beiden liegen miteinander
im Kampf, iva fir;& iäv {HX^Te Xavxa noifjre." Die finale Kraft des
Iva betrachte ich mit Althaus als stark abgeblaßt. Aber was heißt nun: daß
ihr nicht tut, was ihr wollt? Will Paulus sagen, daß der Christ, zwischen zwei
fremde Mächte eingespannt und keiner der beiden ausschließlich folgend,
in sich gespalten bleibt? Ich bin mit Althaus in der Ablehnung dieser landläufigen
Fassung völlig eins. Ich meine mit ihm, daß Paulus im Geist keine
„fremde" Macht gesehen und in der ungeteilten Hingabe an das Fleisch keine
Möglichkeit der Freiheit und inneren Einheit gesehen hat. Allerdings ist der
Gedanke doppelter Knechtschaft nach Rom. 6,15—23 für den Apostel nicht
einfach „absurd". Aber dort ist allerdings das Entweder-Oder deutlich genug
herausgearbeitet. Also im wesentlichen besteht Einigkeit. Wie komme ich
dann aber dazu, sozusagen als Paradebeispiel der abgewiesenen Fassung zu
dienen? Althaus hat mich allzu voreilig in die gegnerische Front eingereiht.
Wo habe ich geschrieben, auch nur angedeutet, daß der Mensch auch durch
eindeutige Hingabe an das Fleisch seine Freiheit und Einheit gewinnen könnte?
Dadurch würde er im Sinn des Paulus erst völlig verknechtet werden! Ich habe
das auch, wie Althaus richtig andeutet, ausdrücklich hervorgehoben.

Besteht also keinerlei Differenz zwischen Althaus und mir? Doch, und

hier meine ich nun allerdings ihm gegenüber im Recht zu sein. Althaus behandelt
Rom. 7,15.19 und Gal. 5,17 schlechthin als Sachparallelen und beruft
sich dafür auf die Reformatoren. Darin liegt eine Inkonsequenz. Denn die Reformatoren
beziehen Röm.7,14ff. auf den Christen, also auf die gleiche Situation
wie Gal.5,17. Althaus erklärt, wie ich glaube mit Recht, anders. Damit
begibt er sich aber des Rechtes, zu schreiben: „Man muß also Gal.5,17 tatsächlich
im Lichte von Rom.7 lesen, auch wenn es sich Rom.7 um den vorchristlichen
Stand und Gal.5,17 um die Lage des Christenmenschen handelt."
Nein, man muß vielmehr neben der Verwandtschaft, die niemand bestreitet,
auch die Verschiedenheit beachten. In Rom.7 steht das Ich, trotz aller Freude
des „inwendigen Menschen" am Willen Gottes, dem „pneumatischen" Gesetz
als „fleischern unter die Sünde verkauft" gegenüber. In Gal.5 handelt es sich
dagegen um Menschen, die „geistlich" sind öderes doch sein sollten (Gal. 6,2.)
Und doch tobt immer noch der Kampf zwischen Fleisch und Geist! Das Lied
ist in eine andere Tonart transponiert, sagen wir einmal von F-dur nach Fis-
dur, oder besser: von a-moll nach as-moll. Und doch trifft auch das den Sachverhalt
nicht. Denn Gal.5 ist kein Trauermarsch, sondern eine Fanfare. Unser
Vers steht in paränetischem Zusammenhang. Rom.7 tut das nicht, ist vielmehr
rein lehrhaft. Das scheint mir Althaus wieder nicht genügend zu beachten.
Rom.7 will als Beweis e contrario zu 6,14 zeigen, daß das Gesetz die sittliche
Bindung gerade nicht schafft und die Erfüllung des Willens Gottes eher hindert
als fördert. Gal.5 dagegen ruft auf zur völligen Hingabe an den Geist und
zur Erfüllung des Gesetzes in seiner Kraft. Ais starkes Motiv dazu wird auch dies
angeführt, daß der Mensch, solange diese Hingabe nicht restlos durchgeführt
wird, solange man zwischen den beiden feindlichen Mächten hin- und herschwankt
, in sich zerrissen bleibt, „nicht tut, was er (eigentlich, seiner schöpfungsmäßig
gesetzten und vom Geist erneuerten Natur nach) will". Ich kann
also den Wunsch meines verehrten Kritikers, daß meine zuletzt doch dämmernde
bessere Einsicht die im übrigen von mir vertretene Auslegung von Gal.
5,17 unmöglich machen sollte, leider auch nachträglich nicht erfüllen, sondern
muß meine Auffassung in allem aufrechterhalten.

Damit mag es der Metakritik für diesmal genug sein. Wenn
diese Zeilen einige um den echten Paulus sich rankende Romantik
zerstört und dadurch das Bild des großen Apostels in etwas
erkennbarer gemacht haben sollten, so ist ihr Zweck erreicht.
Möge sich niemand durch sie verletzt fühlen, und möge auch
der Jubilar, dem sie gewidmet sind, an ihnen einige Freude
haben!

Das Wirken des Heiligen Geistes in den Gläubigen nach Paulus1

Von Heinz-Dietrich Wendland, Kiel

Hermann Strathmann zum 70. Geburtstag

oder Eschatologie ist; alle Aussagen des Paulus müssen auch
in dieser Dimension: „Pneuma" gesehen werden.

I. Vier Voraussetzungen.
Es gibt nun vier entscheidende Voraussetzungen, mit denen
wir den „Raum" umschreiben müssen, in dem wrir uns zu
bewegen haben, wenn wir nach dem Wirken des Hl. Geistes im
Menschen, im Christen fragen wollen:

1. Der durch und durch eschatologische Charakter des Pneumas
. Paulus redet bekannlich von der „Erstlingsgabe" oderdem „Angeld",das
der Geist darstellt (Rom. 8,23; 2. Kor. 1,22; 5,5). Wenn er gegeben wird, bricht
die Endzeit an, kommt der messianische Aion, welcher die Joel-Weissagung
erfüllt (Act.2,16ff.). Darum dürfte es der allgemeinen, urchristlichen Anschauung
vom Geiste entsprechen, wenn er Eph. 1,13 der „Geist der Verheißung"
genannt wird. Der Hl. Geist ist die „Versiegelung" auf den endzeitlichen Tag
der Erlösung (Eph.4,30), die die Gläubigen schon jetzt und hier mit dieser Zukunft
verbindet. So ist er in der Tat die „Macht der Zukünftigkeit"1. Fragen
wir aber nach, was diese Macht im Hier und Jetzt wirke, so werden wir mit Alb.
Schweitzer antworten dürfen, daß der Geist die „Erscheinungsform von Auferstehungskräften
" sei2. Denn Rom. 8,11 zeigt, daß der Geist Auferstehung
wirkt, da er der Geist dessen ist, der Jesus von den Toten auferweckt hat.
Pneuma ist Leben, ewiges Leben und die Spendung dieses Lebens in der Gegenwart
der Glaubenden; wo nvivfia ist, da ist auch ^corf (Rom. 8,2.10). Und so gibt
es die „neue Schöpfung" (2. Kor.5,17), den „neuen Menschen", und die Möglichkeit
der Wendung und Wandlung vom „alten" zum „neuen" Menschen
auch nur, weil das nvtv/xa da ist, anders ausgedrückt, weil Christus als nvev/ta
gegenwärtig ist (Kol.2,9ff.; Eph.4,22ff.; 2. Kor.3,17f.). Damit ist nicht etwa
bloß ein Gekommener, sondern ein Kommender, ein Zukünftiger gegenwärtig
.

Ist aber das Pneuma Vergegenwärtigung des Eschaton, so schenkt es auch
die Gewißheit der Auferstehung und des ewigen Lebens (Rom.8,10f.; 8,2;
2.Kor.3,4ff.). Wer auf den Geist sät, wird das ewige Leben ernten (Gal. 6,8).
Wenn es 2.Kor. 3,6 heißt, daß der Geist „lebendig macht", so ist das eschatologische
Leben gemeint. Die Hoffnung trägt pneumatischen Charakter wie um-

Wir befinden uns heute als Theologen in einer eigentümlichen
Schwierigkeit, wenn wir vom Heiligen Geiste reden und
schreiben wollen. Uns fehlen weithin die theologischen Begriffe,
um die pneumatischen Realitäten, von denen sich ein Paulus
sowohl umfaßt wie erfüllt weiß, einigermaßen sachgemäß auszudrücken
. Dieser Mangel aber weist auf viel tiefer liegende
Gründe und Abgründe. Wir sind „vom Geiste abgefallen"2;
wir leiden allesamt in der heutigen Christenheit am — praktisch
existentiellen — Nichtwissen, was der Hl. Geist sei und
wirke. Dieses Nichtwissen kommt in der heutigen Situation
der Paulusforschung darin zum Ausdruck, daß wir wohl wieder
den Theologen Paulus zu sehen und darzustellen gelernt haben
, daß der Rechtfertigungslehre gegenüber den Theorien
von der hellenistischen Mystik des Apostels wieder ihr
Platz erkämpft wird3, — aber wissen wir, wie sehr die ganze
paulinische Weise zu glauben und von Christus her zu denken,
pneumatisch ist durch und durch ? Es dürfte an der Zeitsein,
ältere Erkenntnisse der religionsgeschichtlichen Schule theologisch
wieder zur Geltung zu bringen4. Die Pneuma-Erfülltheit
und Pneuma-Gewißheit des Paulus bedeutet nicht nur eine
Grenze seiner Theologie, an der diese ins Geheimnis der
„neuen Schöpfung" überginge, vielmehr ist sein ganzes theologisches
Denken ebensosehr Pneumatologie wie es Christologie

') Dem Aufsatz liegt ein Vortrag zugrunde, der am 13. März 1951 auf
der Tagung des Katholischen und Evangelischen Ökumenischen Gesprächskreises
in Kloster Hardehausen gehalten wurde.

') Paul Schütz, Das Evangelium dem Menschen unserer Zeit dargestellt,
Berlin 1940, S. 475.

3) So vor allem durch R.Bultmann, Glauben und Verstehen, Tübingen
1933, Theologie des Neuen Testaments, Tübingen 1948/51; vgl. H.-D. Wendland
, Die Mitte der paulinischen Botschaft, Göttingen 1935; Jul. Schniewind,
Nachgelassene Reden und Aufsätze, Berlin 1952, S. 16ff., 93 u. Anm. 3 ebenda.

4) Siehe zur Beurteilung der Leistung der religionsgeschichtlichen Schule
Anton Fridrichsen, Die neutestamentliche Gemeinde, in: Ein Buch von der
Kirche, herausg. von Gust. Aul6n u.a., Göttingen 1951, S. 57 (Deutsche Übersetzung
).

>) R. Bultmann, Theologie des NT. S. 331.

2) Alb. Schweitzer, Die Mystik des Apostels Paulus, Tübingen 1930,
165.