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Ausgabe:

1952 Nr. 7

Spalte:

431-432

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Vogel, Heinrich

Titel/Untertitel:

Gott in Christo 1952

Rezensent:

Søe, Niels H.

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 1952 Nr. 7

432

Abhandlung zeigt, daß Konstantinopel vor der Katastrophe
von 1453 eine „Stadt der Ruinen" war, die kaum mehr als
40000 Einwohner zählte. Eine 1948 gefundene Urkunde, nach
der sich für das Jahr 1477 eine Einwohnerzahl von 60 bis 70000
Menschen ermitteln läßt, bestätigt jene Schätzung.

Marburg Ludolf Müller

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Vogel, Heinrich, Prof. D.: Gott in Christo. Ein Erkenntnisgang durch die
Grundprobleme der Dogmatik. Berlin: Lettner-Verlag [1951]. XXXI,
1071 S. gr. 8°. Lw. DM 29.50.

Noch bevor H.Vogel seine „Christologie", deren erster
Band 1949 erschienen ist (Kaiser Verlag), fertiggestellt hat,
hat er es unternommen, eine ganze, verhältnismäßig umfangreiche
Dogmatik herauszugeben.

Es ist eine wirklich dankenswerte Leistung. Das Werk
füllt unbedingt eine Lücke. So weit ich sehe, hat hier zum
erstenmal ein lutherischer Theologe, der in der ganzen dogmatischen
Einstellung sehr stark von Barth beeinflußt ist, und
der doch an den entscheidenden Punkten die Verbindung mit
Luther aufrechtzuerhalten versucht, eine durchgeführte Dogmatik
fertiggebracht. Barth und Luther und dann an dritter
Stelle (aber erst an dritter) Kierkegaard (der vierte Name wäre
wohl Vilmar), das sind die Größen, die hinter diesem Werk
stehen. Es ist aber keineswegs eine mechanische Zusammenstellung
oder ein Eklektizismus. Das Werk ist aus einem Guß,
kein mühsames Zusammenflicken, auch kein Versuch, nun etwa
aus Barth einen echten Lutheraner zu machen, oder um-
gekehat zu erweisen, wie Luther doch eigentlich in Barth den
Erfüller seiner Intentionen gefunden hätte. Eher könnte man
das Buch das persönliche Glaubensbekenntnis eines wirklich
systematischen Denkers nennen. Die herangezogenen Lehrer
sind keine eigentlichen Autoritäten, nur Hilfsmittel für die
selbständige Ausführung. Verf. weist hier und dort auf sie hin
als auf Wegweiser, denen er zu Dank verpflichtet ist, geht aber
dann seinen eigenen Weg weiter.

Hier liegt aber auch meines Erachtens die eigentliche
Schwäche des Buches. Es führt zu wenig klar und direkt in
die dogmatische Auseinandersetzung der heutigen Zeit hinein.
Der Leser wird oft kaum in das eigentliche Ringen mit den
Problemen hineingezwungen. Es fällt auf, wie wenig Vogel
direkt zitiert, und wie selten neuere Verfasser überhaupt erwähnt
werden. Natürlich kommt hier oder dort ein klares Nein
zum Vorschein, etwa zu P. Althaus' Lehre von der Uroffen-
barung oder zu Bultmanns „Entmythologisierung". Das sind
aber Ausnahmen. Natürlich wäre es trotzdem möglich, tief in
die strittigen Fragen einzuführen. Oft bricht Verf. aber ab, wo
wir eben an den Rand der Problematik gelangt waren, so z.B.
in der Erörterung der Lehre von Gesetz und Evangelium oder
der Lehre von der Alleinwirksamkeit Gottes und seiner per-
missio mali. Zwar gräbt das Buch oft tiefer, als ein flüchtiges
Durchlesen vielleicht entdeckt. Warum wird aber nicht deutlicher
geredet, etwa in der Behandlung der heiklen Frage von
der manducatio indignorum, wo der Leser sehr genau zusehen
muß, um festzustellen, ob nun Vogel wirklich mit der lutherischen
Tradition geht oder nicht ? (Er geht, soweit ich sehe,
doch nicht mit ihr. Trotz seines klaren Festhaltens an der
lutherischen Lehre von der Realpräsenz denkt er doch nicht,
daß Christi Leib und Blut auch leibhaft von den Ungläubigen,
und zwar zum Gericht empfangen werden.)

Man fragt sich, ob das Buch wirklich als Lehrbuch für die
Studenten geeignet ist. Es ist ein Glaubensbekenntnis, eine
Verkündigung des evangelischen Glaubens, theologisch geschult
, aber oft recht wortreich und nicht so präzise, wie man
es gern hätte.

Hier liegt nun aber doch wieder etwas Wertvolles. Vogel
hat wirklich Scheu vor den Geheimnissen Gottes. Er treibt
echte Offenbarungs- oder Schrifttheologie und lehnt jede Spekulation
ab. Wo das Wort uns nicht erkennen läßt, etwa in der
Frage nach dem Ursprung der Sünde und des Übels, hat auch
Vogel nichts zu sagen, findet es nicht einmal vonnöten zu erörtern
, wie „man" darüber spekuliert hat. Charakteristisch ist
auch, wie er mahnt, sich „vor den Pseudokonsequenzen unserer
elenden Logik" zu hüten (S.879; 540). Auch hier lassen wir
uns zu leicht in Spekulationen hineinlocken.

Die ganze Grundstruktur der Darstellung ist entschieden
von Barth bestimmt. In der Lehre vom Wort Gottes und von
der Trinität, in dem klaren Nein zu jeder „natürlichen" Theologie
geht Vogel, soweit ich sehe, ganz mit Barth. Auch das
berühmte Barthsche Nein zur Lehre von der analogia entis

will er mitmachen. Er stimmt auch insofern mit Karl Barth
in dessen Lehre von der Schöpfung überein, daß er behauptet,
daß die Anthropologie in der Christologie gründe (S. 441 ff.)-.
In der näheren Ausführung jedoch weicht er von Barth ab.
Er stellt das selber fest, wo er (S.627f.) — meines Erachtens
mit Recht — lehrt, daß die Sünde es unmöglich macht, die
Möglichkeit der Fleischwerdung Christi „unmittelbar aus dem
christologisch erschlossenen Verständnis von Gott und Mensch
herzuleiten". Auch sonst scheint mir Vogel eher zu lehren, daß
die Anthropologie von der Christusoffenbarung zu verstehen
sei als von der Christologie. Und das sind nun doch schließlich
zweierlei Dinge. Was ich bei Vogel finde, scheint mir richtig,
während ich Barths Ausführungen mindestens sehr zurückhaltend
gegenüberstehe.

Stärker als Barth unterstreicht Vogel den „positiven"
Charakter des Bösen. Und doch weiß auch er mehr, als man,
soweit ich verstehe, wissen kann von der Allgewalt und der
uns erkennbaren Überlegenheit des göttlichen Willens und Waltens
auch über dem Widerstand des Teufels. Das „dualistische
" Element in dem christlichen Glauben wird schließlich
auch hier kaum hinreichend ernst genommen, obwohl Vogel
viel stärker als Barth sich von der Apokatastasis-Lehre distanziert
. Direkt gegen Barth behauptet er, daß der Tod des Menschen
nicht mit der Schöpfung gesetzt sein kann. Der Tod ist
ein Feind, als göttliche Strafe in die Welt gekommen und in
Christus überwunden.

Daß Vogel auch in der Sakramentslehre sich klar gegen
Barth wendet und wesentlich lutherisch denkt, ist schon oben
angedeutet worden. In der Lehre von „Gesetz und Evangelium
" geht er sowohl auf die lutherische Reihenfolge (Gesetz
und Evangelium) als auf die von Barth behauptete (Evangelium
und Gesetz) ein. Hier wären aber viel tiefer dringende Erörterungen
wünschenswert. Richtig lehrt er, daß die Sündenerkenntnis
dem zweiten Glaubensartikel zuzuordnen ist (S.470,
479), und doch sagt er (S.499), daß es durch die heiligen zehn
Gebote zur Erkenntnis der Sünde kommt. Vor allem, wenn
man von der heutigen schwedischen Lutherforschung herkommt
, vermißt man hier ein Eingehen auf die eigentliche
Problematik der lutherischen Lehre vom Gesetz.

Im großen und ganzen gehe ich gern und dankbar mit
Vogel, sowohl wo er zu Barth Ja sagt, als auch wo er sich mehr
oder weniger direkt gegen ihn wendet. Ich kenne wirklich keine
zweite Dogmatik, der ich in solchem Ausmaße zustimme. An
vielen Stellen ist es dem Verf. gelungen, in neuer Weise der
evangelischen Lehre einen klaren Ausdruck zu geben, so z. B.
wenn er den Unterschied zwischen christlicher Lehre von Gott
und einem „Monotheismus" verdeutlicht (S.231). Sehr zögernd
oder gar ablehnend stehe ich vor seiner Lehre von der
Prädestination. Er versucht hier „de servo arbitrio", das reichlich
zitiert wird, zu retten, auch Luthers Lehre von dem verborgenen
Gott, indem er (schließlich doch anders als Luther)
" behauptet, daß die Offenbarung eben doch eine Offenbarung
„dieses verborgenen Gottes" ist. Eindeutig wird die Lehre von
der Alleinwirksamkeit der Gnade Gottes aufrechterhalten, was
doch meines Erachtens ein verhängnisvolles Beispiel für den
Einfluß „unserer elenden Pseudologik" ist. Es geht auch nicht
ab, ohne daß er, wenn auch in möglichst zurückhaltender
Weise, von einem der Erkenntnis des Sünders verschlossenen
Geheimnis eines göttlichen „Oberhalb" von Gut und Böse
reden muß (S. 942).

Ein kleiner Abschnitt muß unbedingt in einer hoffentlich
bald erscheinenden neuen Auflage revidiert werden, und zwar
der Abschnitt „Kirche und Sekte" (S.908—910). Ebenso ire-
nisch wie Vogel den reformierten Brüdern gegenübersteht, so
ablehnend verhält er sich zur sogenannten Sekte. Hier handelt
es sich, sagt er, „um das Gegenüber von Kirche und Pseudo-
kirche". In dem betreffenden Abschnitt werden die Adventi-
sten, die Baptisten und die „ernsten Bibelforscher" erwähnt.
„Es waltet hier ein strenges Entweder — Oder: entweder Christus
oder Belial." Das geht nun aber wahrhaftig nicht, auch
nicht wenn man bemerkt, daß Vogel selbstverständlich nicht
jedes einzelne Mitglied einer solchen Sekte als einen NichtChristen
beurteilen will. Hier denkt Verf. doch wohl im
schlechten Sinne traditionsbestimmt und auch europäischkontinental
. Das Wort „Sekte" sollte überhaupt als geringschätzig
vermieden werden. Und nun gar die große, weltumspannende
Baptistenkirche als „Sekte", als „Pseudokirche",
als den „Belial" vertretend bezeichnen, das darf man wirklich
nicht, auch nicht wenn man mit Vogel, auch gegen Barth, echt
evangelisch für die Gnade gerade der Kindertaufe eintritt.

Alle meine Randanmerkungen sind aber schließlich doch
Kleinigkeiten im Verhältnis zu der Zustimmung und Dankbarkeit
, mit der ich dieses Werk begrüße.

Gentofte N. H. See