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Ausgabe:

1952 Nr. 7

Spalte:

423-425

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Benz, Ernst

Titel/Untertitel:

Der gekreuzigte Gerechte bei Plato, im Neuen Testament und in der alten Kirche 1952

Rezensent:

Kümmel, Werner Georg

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Theologische Literaturzeitung 1952 Nr. 7

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register erleichtern die Benutzung der Texte, die durch die
Kunst des Bearbeiters doch Leben gewonnen haben.

Die Nummern 1 bis 43 gehören der Profanliteratur an.
Beinahe alle literarischen Genera von den Dichtungen Homers
bis zum späten literarischen Brief sind vertreten. Nr. 44 bietet
auf 6 Bruchstücken eines Papyruskodex des 576. Jahrhunderts
einen christlichen Text. Der Herausgeber zweifelt mit Recht
daran, ob alle 6 Stücke zu einem Blatt gehören. Lesbar sind
Reste von 62 Zeilen, von denen keine ganz erhalten ist. Schubart
meint, es handle sich um den Tod der Seele und um die
Erlösung vom Tode durch den Opfertod Christi und den Trank
seines Blutes. Unverständlich bleibt dabei die Erwähnung der
Zweidrachmensteuer, die Zeile 34 genannt wird. — Ich möchte
eine andere Erklärung versuchen. Die Fragmente gehören in
den Zusammenhang einer homiletischen Erklärung zu Matth.
17, 22/27 bzw. 20, 22. Das mehrfach vorkommende norijgiov
wird in der altchristlichen Literatur fast ausschließlich auf das
Martyrium gedeutet. Der größere Teil unseres Textes kann
sich also an Matth. 20, 22 anschließen. Möglich ist aber auch
eine Verbindung mit Matth. 17, 22/23, wo Christus sein Leiden
und seinen Tod voraussagt. Man wird an Origenes' Matthäuserklärung
erinnert (tom. XIII 8/13, ed. Klostermann Bd. 10
S. 198/212), wo 8/9 der freiwillige Tod Jesu und 10/13 die Zweidrachmensteuer
behandelt werden. Zeile 40 im öe$iä spricht
mehr dafür, daß der Verfasser eine Erklärung zu Matth. 20, 22
geben will. Dann können aber die Fragmente kaum zu demselben
Blatt gehören. Schwierig bleibt das (nicht erhaltene)
Zitat aus Jeremias in diesem Zusammenhang (Zeile 4). Ein
Vergleich mit Origenes, In Jerem. hom. II 7/11 (GCS 8,
296/300) und mit Ambrosius, De Helia et ieiunio 15,57 (CSEL
32, 2, 445/446) läßt an Jerem 28, 7 (51, 7) denken: Calix aureus
Babylon in manu Domini. An den genannten Stellen wird dieser
Calix aureus auf den Tod der Seele gedeutet. Jedenfalls
stammt unser Text aus einer Matthäuserklärung eines unbekannten
Verfassers.

Aus der Reihe der profanen .Texte ist Nr. 4 für den Theologen
wichtig. Sie bringt die Maximus-Akten und einen Abdruck
der Heraios-Akten aus P.Oxy 18, 2177. Eine etwas ausführlichere
Einleitung und die Nebeneinanderstellung dieser
beiden Texte machen diese Nummer wertvoll. Beide Texte
gehören zu den sog. Acta Alexandrina, angeblich Protokollen
der Verhandlungen der alexandrinischen Bürger und ihrer jüdischen
Gegner vor dem Kaiser in Rom. Es ist längst erkannt,
daß es sich nicht um wortgetreue Protokolle, sondern um literarische
Produkte handelt, denen vielleicht wirkliche Protokolle
zugrunde liegen. Diese Acta Alexandrina müssen ziemlich
zahlreich gewesen sein. Beachtet man, daß die Handschriften
der Bruchstücke, die Schubart veröffentlicht, noch in das
2. Jahrhundert gehören, dann wird man z.B. mit der Möglichkeit
rechnen müssen, daß Justinus Martyr mit dem Verweis
auf Akten des Verhörs Jesu durch Pilatus (Apol. I 35; 38; 48)
ein ähnliches literarisches Produkt im Auge hat. Daß diese
Acta bei der Beurteilung mancher Partien der alten Märtyrerakten
nicht übersehen werden dürfen, sollte selbstverständlich
sein. Die Darbietung der Texte von Schubart bietet ein dankenswertes
Hilfsmittel für Seminarübungen.

Freiburg i. Br. Otto Stegmüller

Benz, Ernst: Der gekreuzigte Gerechte bei Plato, im Neuen Testament

und in der alten Kirche. Mainz: Verl. d. Akademie d. Wissensch, u. d. Lit.;
in Komm, bei Franz Steiner Verl., Wiesbaden [1950]. 46S. gr. 8° — Akademie
d. Wissensch, u. d. Lit.; Abhandl. d. Geistes- u. Sozialwiss. Klasse,
Jahrg. 1950 Nr. 12, S. 1029—1074. DM3.60.

Ernst Benz geht in der vorliegenden Abhandlung von
einem Tatbestand aus, der wenigen Theologen bekannt sein
dürfte. In Piatos Politeia findet sich II, 5,361 E/362A eine
Schilderung des wahren Gerechten, der nicht gerecht scheinen,
sondern sein will und darum von allen angefeindet wird; als
sein Schicksal wird dabei vorausgesagt: „Bei solcher Gemütsverfassung
wird der Gerechte gegeißelt, gefoltert, in Ketten gelegt
und geblendet werden an beiden Augen, und schließlich
wird er nach allen Martern noch ans Kreuz geschlagen und so
zu der Einsicht gebracht werden, daß es nicht das Richtige ist,
gerecht sein zu wollen, sondern es scheinen zu wollen." Zu
dieser offenbar auch in philologischen und geistesgeschichtlichen
Arbeiten fast völlig übersehenen Stelle (nach B. hat
neuestens nur Leop. Ziegler auf ihre Bedeutung hingewiesen,
dem B. seine Arbeit zum 70. Geburtstag widmet) bemerkt B.
mit Recht: ,,Hier, wo die vorchristliche hellenische Menschheit
zum höchsten Bewußtsein ihres Menschseins vordringt, hier,
wo sich in der griechischen Philosophie das höchste Menschenbild
abzeichnet, das vom Menschen die Verwirklichung der

Gerechtigkeit um ihrer selbst willen und um jeden Preis verlangt
, hier erscheint das Bild des Gekreuzigten, und der wahre
Gerechte erscheint in einer Szenenfolge von Passionen" (1036).
B. stellt sich angesichts dieses auffälligen Tatbestandes die-
Frage, wie die platonische Äußerung geschichtlich zu erklären
sei, wie sie sich zu der Kreuzigung Jesu verhalte und welchen
Nachhall sie in der alten Kirche gehabt habe. Er zeigt einleuchtend
, daß die nach dem Tod des Sokrates geschriebene
Äußerung Piatos nicht auf die Erinnerung an diesen Tod zurückgehen
kann, der ja die Form einer freien Tat angenommen
hatte; vielmehr sei zu vermuten, daß „Sokrates für sich eine
Hinrichtung auf tumultuarischem Wege erwartete, die mit der
schimpflichen Form der Tötung, mit dem Sklaventod am
Kreuz, enden würde" (1040). Bleibt das natürlich eine Vermutung
, so legt es sich auf alle Fälle nahe, das geschichtliche
Kreuz des leidenden Gerechten nun ins Auge zu fassen und zu
fragen, warum Jesus gerade gekreuzigt worden ist, und ob er
mit der Kreuzigung gerechnet hat. Auf die 2. Frage gibt B. mit
Recht die Antwort, daß Jesus seinen Tod nirgendwo als Kreuzestod
vorausgesagt habe; B. möchte aber im Anschluß an
R.Otto vermuten, daß Jesus den Steinigungstod erwartet
habe, der die Strafe für Gotteslästerer war. Die beiden Worte
überdieTaufe, die Jesus ertragen muß (Luk. 12,50, Mark. 10,38)
können nach B. auch nur als „bildhafte Andeutungen der bevorstehenden
schweren Bewährungsprobe" gedeutet werden;
und Matth. 23, 37 par. Luk. 14, 34 („Jerusalem, die du tötest die
Propheten und steinigst die zu dir Gesandten") ebenso wie das
Brotbrechen beim Abendmahl wiesen darauf hin, daß Jesus
den Steinigungstod erwartet. Diese Vermutung (mit anderer
Begründung auch von W. S.van Leeuwen, Een in van den
kruisdood in de synoptische evangelien, Nieuwe Theol. Studien
24, 1941, 68ff. ausgesprochen) ist aber schwerlich ausreichend
begründet; denn Matth. 23, 37 redet ja überhaupt nicht
von dem Jesus bevorstehenden Schicksal und bringt das Steinigen
nur im Parallelismus zu Töten; das Brotbrechen beim
Abendmahl ist nur die der Austeilung vorausgehende Handlung
des Hausvaters und wTird nicht symbolisch verwertet; die
Rede vom Getauftwerden Jesu ist aber als bloßer Hinweis auf
eine Bewährungsprobe sehr unanschaulich. Bleibt diese Ver-
rmitung darum unbewiesen, so wird mit Recht betont, daß die
Kreuzigung unter den zahlreichen von den Römern angewandten
Todesstrafen eine Sklavenstrafe ist, die man auch gegen
Freiheitskämpfer der unterworfenen Völker verhängt. Die Art
der an Jesus vollzogenen Todesstrafe bestätigt also, daß Jesus
von Pilatus als „Putschist" hingerichtet worden ist. Wenn die
Juden, was nach B. nicht ungeschichtlich sein kann, die Kreuzigung
Jesu fordern, so zeige sich darin die ganze Wut ihrer
Enttäuschung über den unpolitischen Messias. Diese historische
Einordnung der Kreuzigung Jesu ist im ganzen zweifellos
richtig, wenn auch die Frage unsicher bleibt, ob die jüdischen
Behörden wirklich die Kreuzigung Jesu gefordert
haben.

In einem 3. Teil stellt dann B. die interessante Frage, inwieweit
die Gebildeten in der alten Kirche die Platostelle beachtet
und als Weissagung auf Jesu Leiden und Tod verstanden
haben. Er weist einleitend darauf hin, daß die Platostelle
auch starke sprachliche Parallelen im Neuen Testament hat
(Gegensatz von Schein und Wirklichkeit, Aufzählung der Leidensstationen
, Schilderung Jesu als den wahren Gerechten im
Zusammenhang mit der Kreuzigung). Wenn auch nicht alle
genannten Züge gleich überzeugend sind (es wTäre auch darauf
zu verweisen, daß für „kreuzigen" bei Plato und im Neuen
Testament völlig andere Verben gebraucht werden), so mußten
doch diese sprachlichen Berührungen einen weiteren Anreiz bedeuten
, die Platostelle als Voraussage der Kreuzigung Jesu zu
verwerten. So begegnet denn zuerst Ende des 2. Jahrhunderts
ein ausdrückliches Zitat in den Akten des in Rom hingerichteten
Apollonius, wobei der Tod des Sokrates und Jesu als Beispiele
des Leidens des Gerechten parallelisiert werden. Und
dann hat Clemens von Alexandrien die Platostelle neben einem
alttestamentlichen Zitat als Hinweis auf Christi Leiden gewertet
, freilich an einer anderen Stelle dasselbe Zitat verkürzt
auf das Leiden der Christen bezogen. B. fügt hinzu: „Das charismatische
Denken der Märtyrer und Apologeten der Alten
Kirche hat in dieser messianischen Auslegung der Platostelle
eine tiefere Einsicht in den inneren Zusammenhang zwischen
antikem und christlichem Menschenbild gehabt, als dies in den
späteren Epochen der abendländischen Geschichte der Fall
war, die diesen Zusammenhang vergaßen" (1072). Und weil im
philosophischen Menschenbild der hellenischen Antike das Bild
des leidenden Menschensohnes präformiert sei, müsse auch die
heutige Bemühung um einen christlichen Humanismus von
dieser Tatsache ausgehen. Anhangsweise wird dann noch auf
die wohl auch kaum bekannte Tatsache hingewiesen, daß Jung-