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Ausgabe:

1952 Nr. 7

Spalte:

413-415

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Hempel, Johannes

Titel/Untertitel:

Worte der Profeten 1952

Rezensent:

Fichtner, Johannes

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Theologische Literaturzeitung 1952 Nr. 7

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stilkritische, historische und religionsgeschichtliche Begründung glaubhaft gemacht
werden. Die wichtigsten angeführten Argumente, die Stelle I. Sam. 10,
25 und die Erwägung, daß das entstehende Königreich eines Gesetzbuches wie
des Deut, bedurfte, können nicht die immense Arbeit, die am Deut, getan
worden ist, hinfällig machen.

Viele Einzelheiten fordern Widerspruch heraus. Wo ist der Schatten einer
Begründung dafür, daß die Nebiim z. Z. Samuels Gesetzessammler und Gesetzgeber
waren? Wie kann man ausschließlich die Intention des Kompilators
und Redaktors zur Geltung bringen wollen und die Meinung des ursprünglichen
Textes links liegen lassen (S. 110)? Mit welchem Recht darf man heute
noch die Existenz eines Verbotes, die mündliche Tora aufzuzeichnen, behaupten
und sogar Strack als Kronzeugen dafür anführen; er beweist gerade, daß ein
solches Verbot nicht bestanden haben kann (S.84; vgl. Einl. in Talm. und
Midr. 5. Aufl. 1921, S. 5—16). Die rabbinische Lehre über die mündliche Tora
und ihre Zurückführung bis auf Mose (Abot I 1) ist eine durchaus erklärliche
Auffassung des späteren Judentums, die nicht die Grundlage für die Beurteilung
der alttestamentlichen Gesetze abgeben sollte (S. 17f. 80—92. 143—45.
207). Für die noch zweifelhaftere samaritanische Überlieferung kann meist nicht
einmal eine Quelle angegeben werden (S. 38. 163. 165. 189). Daß der Kampf
für und gegen die Tora eine der Ursachen des Exils war, ist so nicht richtig
(vgl. die widerspruchsvolle Ausdrucksweise auf S. 208). Die Kultpolemik der
Propheten ausschließlich als Polemik gegen den Kult des Nordreichs zu erklären
(S. 26f.), geht nicht an; Jes. 6 ist nichts von einer „Rückkehr" Jahves
in den Tempel gesagt (S. 30. 198); die Sintflutgeschichte kann nicht als Einheit
gesehen (S. 219), das historische Zeugnis der Chronik darf nicht unkritisch
hingenommen werden (S. 202; Manasses Bekehrung historisch!); in der Geschichte
der Pentateuchkritik sollte nach Lods' Entdeckung (ZAW 1925)
H. Witter zum mindesten neben Astruc genannt werden (S.56); nW ist nach
L. Köhlers Erklärung (Oudtestament. Stud. 1950, S. 153f.) nicht mehr mit
Sicherheit als Verbform anzusehen (S. 155).

Trotz dieser Bedenken ist es lehrreich und wohltuend, das
Buch zu lesen, und für vieles sei dem Verf. aufrichtiger Dank
gesagt. Daß eine Verschiedenheit der kultischen und gesetzlichen
Traditionen der Stammesheiligtümer anzunehmen ist
und die Parallelen in den gesetzlichen Stücken des AT vielfach
mehr aus einem Nebeneinander als einem Nacheinander zu erklären
sind, sollte neu bedacht werden, der Zusammenhang des
AT mit dem späteren Judentum, die Entsprechungen in der
Entstehung des Talmuds und des at-lichen Gesetzes (S. 77),
dürfen in der Tat nicht außer acht bleiben. Der wichtigste
Faktor der israelitischen Geschichte, die Wirklichkeit Gottes,
ist bei der wissenschaftlichen Betrachtung nicht übersehen
(S. 207. 212. 224—27); die einer Zerpflückung widerstrebende
Behandlung der Texte hat hier ihr Positives; der Hinweis auf
den schulischen Zweck vieler at-licher Geschichten (S. 213—24)
muß grundsätzlich akzeptiert werden. Lehrreich, wenn auch
nicht überzeugend, ist die Analyse von I. Sam. 1—15 mit der
Unterscheidung von Nagidtum und Königtum Sauls und der
Deutung der Frage: „Wer ist ihr Vater?" (S. 110—34).

Dies und vieles andere gibt der Arbeit am AT und besonders
am Deut, wertvolle neue Anregungen; deshalb verdienen
R.s Vorlesungen sorgsamste Beachtung, auch wenn seiner
Hauptthese nicht zugestimmt werden kann.

Berlin F. Maass

Hempel, Johannes; Worte der Profeten in neuer Übertragung und mit
Erläuterungen. Berlin: Töpelmann 1949. VIII, 324 S. 8°. HIw. DM 9.80.

Das Buch bietet wesentlich mehr, als sein anspruchsloser
Titel „Worte der Profeten" mit dem Zusatz „in neuer Uber-
tragung und mit Erläuterungen" erwarten läßt. Der Verf.
bringt im ersten Teil („Der Rahmen", S. 5—82) eine Darstellung
der geschichtlichen Gegebenheiten — außenpolitische und
innerpolitische Geschehnisse, Werden der Prophetie — und
des literarischen Bestandes — das Prophetenwort in seiner Gestalt
, Autorität und seiner Uberlieferung und die prophetischen
Erzählungen nach ihrem Material und geschichtlichen
Wert. — Im zweiten Teil („Der Ruf", S. 83—189) erörtert er
den Weg des Rufes und seine Wirkung und führt dem Leser
„Die Gerufenen" vor, indem er die Prophetengestalten in der
Folge ihres Auftretens nach ihrem Wesen und ihrer besonderen
Berufung darstellt. So behandelt er etwa Jesaja nach seinen
äußeren Voraussetzungen als den ,, Judäer", den „Jerusalemer"
und den „Konservativen" und seinen Charakter unter den
Stichworten „Die Geschlossenheit", „Die Ironie" und „Der
Gläubige", während er Jeremia als „Priester ohne Gottesdienst
", „Judäer ohne Volk" und „Einsamen ohne Freunde"
darstellt. — Im dritten Teil des Buches („Der lebendige Gott",
S. 192—300) wird gewissermaßen ein Querschnitt durch die
Prophetie gegeben unter den Uberschriften: „Der sittliche
Monotheismus", „Das Weltverhältnis" und „Der kommende
Gott". Dieser Teil enthält — neben manchem Abschnitt, zu
dem man kritische Fragen hätte — gute Einblicke in das Wesen

der Prophetie, die aus den zum Teil mißverständlichen und
unzureichenden Uberschriften (vgl. z.B. Teil III, Abschn. I)
nicht von vorneherein zu entnehmen sind.

Dem Titel entsprechend bringt der Verf. in seinem Buche
weithin Worte der Propheten. Er gibt davon eine reichliche
Auswahl, wie das Stellenregister ausweist (z.B. aus fast allen
Kapiteln des Buches Jesaja!), und fügt ihnen noch mancherlei
Stücke aus dem Pentateuch, den geschichtlichen Büchern,
Hiob und den Psalmen hinzu, nicht selten auch literarische
oder sachliche Parallelen aus dem Neuen Testament. Seine
Ubersetzung ist rhythmisch gestaltet, sehr eigenständig und
dem Urtext möglichst nahe. Oft ist sie recht eindrucksvoll,
freilich nicht immer geglückt (die Weglassung des Artikels bei
vielen Substantiven ist unschön, vgl. etwa Jes. 40, 6—8, S. 95
u. ö.). Die Wortwahl ist hier und da gewollt leger, offenbar
um die Lebendigkeit der prophetischen Predigt vorzuführen:
„der Kirchen Gestank" Arnos 5, 21, „Lausejungen herrschen
dort" Jes. 3, 4.

Man wird Hempels „Worte der Profeten" nicht ohne Gewinn
lesen wie vieles, was der Verf. geschrieben hat, und das
Buch hat gewiß, als es 1949 erschien, eine besondere Aufgabe
gehabt, zumal keine zusammenfassende Darstellung der alt-
testamentlichen Prophetie damals in Deutschland zu haben
war. Das schließt nicht aus, daß wir — zu den bisher gegebenen
kurzen kritischen Bemerkungen — noch einige grundsätzliche
Bedenken hinzufügen. Dabei muß freilich die Entstehungsgeschichte
des Buches mit in Rechnung gestellt werden. Ubersetzung
und Zwischentext ist, wie der Verf. angibt, 1946/47
„ohne wissenschaftliche Hilfsmittel" entstanden; die Anmerkungen
sind nach seiner Heimkehr zum Teil aus der neuesten
Literatur hinzugefügt worden. Man merkt ihnen die Freude
des Autors darüber an, wieder an der wissenschaftlichen Arbeit
teilnehmen zu können, fragt sich aber bei dem Vergleich des
Buches mit den Anmerkungen: Für welchen Leserkreis ist das
Buch eigentlich bestimmt? Da es nach dem Vorwort „keine
rein fachwissenschaftliche Arbeit" sein soll, denkt der Verf.
doch wohl an kirchlich interessierte, gebildete Laien; damit
stimmt aber der Gesamttenor der gelehrten Anmerkungen
nicht überein. Für diesen Zweck wäre ein Hinweis auf bedeutsame
ältere und neuere Literatur zum Prophetismus wichtiger
gewesen. (Zwei sinnstörende Druckfehler in den Anmerkungen
seien noch genannt: S. 303, Anm. zu S. 31 muß es „Wachholder
" statt „Mandelzweig" und S. 309, Anm. zu S. 154 Ne-
hemia 3, 37 statt Nahum 3, 27 heißen! Auch einige Verweise
sind falsch: S. 131 zu Jes. 7, 9 S. 54 statt 81; S. 307 „zuS.98"
statt 99!).

Schwerer als das eben genannte Bedenken wiegt ein Einwand
gegenüber der Gesamtanlage des Buches. Man vergleiche
etwa nach dem Stellenregister das über Hosea oder über die
Gottesknechtslieder im I., II. und III. Teil Ausgeführte, um
zu erkennen, wie sachlich Zusammengehörendes hier auseinandergerissen
ist und oft an Stellen gebracht wird, wo es seinem
Gewicht nach nicht zur Geltung kommt. So begegnet
etwa der Text der Berufungsvision des Jesaja unter dem Stichwort
„Fürbitte" (S. 45L) und das theologisch hoch bedeutsame
Wort Hos. 11, 8f. unter der Uberschrift „Die Verpersön-
lichung des Profetenwortes", während es für die Charakterisierung
der Botschaft Hoseas und seines Prophet-Seins (vgl.
S. 115 ff.) wichtig gewesen wäre. Gewiß geben reichliche Verweise
nach vor- und rückwärts die Möglichkeit, sich das Zusammengehörende
zusammenzusuchen. Aber geht nicht Entscheidendes
von der konkreten Botschaft des einzelnen Propheten
verloren, wenn man weite Stücke seiner „Botschaft"
von dem „Boten" loslöst und unter den verschiedensten —
mehr oder weniger zentralen! — Gesichtspunkten anderwärts
zusammenstellt ? So wichtig es an und für sich ist, herauszustellen
, was die Propheten verbindet und sie zum Werkzeug
des lebendigen Gottes macht, ist doch zu fragen, ob bei dem
Aufriß des Buches nicht die Gefahr besteht, daß die Botschaft
des Einzelnen hier und da zu kurz kommt! Ich möchte nur
fragen!

Und ein letztes! Ist dem Bezug der alttestamentlichen
prophetischen Botschaft zum Neuen Bund und seinem Herrn
damit Genüge getan, daß immer wieder — literarische und
sachliche — Parallelen aus den Schriften des Neuen Testaments
gegeben werden und Jesus Christus damit weithin als der letzte
und größte Prophet erscheint! ? Es wird dabei viel Interessantes
sichtbar, und der Verf. betont auch immer wieder einmal,
daß die Vollmacht Jesu eine größere als die der Propheten gewesen
sei (besonders S.52 und 65, vgl. auch S. 154L); und doch
scheint mir damit noch nicht genug gesagt zu sein. Die letzten
Sätze des Buches (S. 300) weisen etwa in die Richtung, die ich
meine: Gottes Heiligkeit „stiftet in eine verlorene Welt einen