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Ausgabe:

1952 Nr. 7

Spalte:

411-413

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Robertson, Edward

Titel/Untertitel:

The Old Testament problem 1952

Rezensent:

Maass, Fritz

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Theologische Literaturzeitung 1952 Nr. 7

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bakuk-Kommentar und in anderen Büchern der Höhle, entspricht
wahrscheinlich der Art und Weise, in welcher die Priester
die Bibel zu erklären pflegten. Es ist begreiflich, daß von
dem späteren Standpunkt der Rabbinen aus gesehen diese Methode
in mancher Hinsicht als unvollkommen erscheinen
mochte. Aber wir finden hier Beispiele einer Erklärungsmethode
, welche tatsächlich in früherer Zeit existiert hat und
von welcher wir viele Spuren, z.B. im Neuen Testament,
finden.

Ich muß schließlich noch auf einen letzten Punkt hinweisen
, der aber von großer Wichtigkeit ist. Wir haben gesehen
daß die Entdeckung der Höhle um das Jahr 800 n.Chr. von
großer Bedeutung gewesen ist für die Karäer, da sie in diesen
Texten beträchtliches Material fanden für die Ausbildung ihrer
eigenen Lehren. Aber diese Texte gaben auch die Grundlage
ab für eine andere große Tat, die sie vollbracht haben. Die
Handschriften, die in der Höhle deponiert worden waren, waren
verfaßt in einer Sprache, die in engster Beziehung steht zu
dem hebräischen Text von Ben Sira und den späteren Büchern
des Alttestamentlichen Kanons. Diese Texte haben nichts zu
tun mit der Sprache, die durch die Rabbinen ausgebildet worden
ist seit der jüdischen Reorganisation, die wir in der Mischna
und im Midrasch finden, und in allen Büchern, die von Juden
in den nächsten Jahrhunderten verfaßt worden sind. Mit Hilfe
der alten Handschriften, die sie in der Höhle gefunden hatten,
haben die Karäer eine Renaissance der hebräischen
Sprache herbeigeführt. Es ist wiederum Benjamin von Ni-
häwend, der, wie wir gesehen haben, wahrscheinlich mit den
Handschriften in der allerersten Zeit ihrer Entdeckung in Kontakt
gekommen ist, der der erste jüdische Autor gewesen ist,
der Bücher in der alten hebräischen Sprache geschrieben hat.
Wir wissen von seinen Büchern außer von dem Sef er ha-Di-
nim, das schon erwähnt ist, nur noch von einem Sefer ha-
Miswot und einem Kommentar zur Genesis, von denen
beiden sich aber nur wenige Reste erhalten zu haben scheinen.

Man wird diesen Benjamin nach den zahlreichen Ausführungen
studieren müssen, die sich in dem Buche des Kirkisäni finden,
eine Aufgabe, die nun mit allem Ernst in Angriff genommen
werden muß.

Andere karäische Autoren sind seinem Beispiele gefolgt.
Wir können es leicht verstehen, daß in dieser wieder belebten
hebräischen Sprache sich viele hebräische Worte finden, die
Jahrhunderte lang von keinem Juden gebraucht worden sind.
Es ist ein wirkliches Problem gewesen, wie die Karäer zum Gebrauche
dieser Worte gekommen sind. Nun sehen wir, daß die
Grundlage dafür die Handschriften aus der Höhle gewesen sind.

Ein ausgezeichnetes Beispiel für diese wiederbelebte hebräische
Sprache finden wir z. B. in dem Kolophon, das Mosche
b. Ascher, der Masoret, dem Prophetenkodex beigesetzt hat,
den er im Jahre 827 nach der Zerstörung des Tempels, d.h.
895 nach Chr., also noch im 9. Jahrhundert, in Tiberias vollendet
hat, dem ältesten datierten hebräischen Bibelkodex, den
wir kennen1. Ich habe die Vermutung ausgesprochen2, daß die
Handschriften aus der Höhle das Werk der Masoreten in mancher
Hinsicht beeinflußt haben könnten. Wenn wir annehmen,
daß Bibelhandschriften, ähnlich der ersten Rolle des Jesaia,
um das Jahr 800 aus der Höhle herausgeholt worden sind, und
daß diese Handschriften in den Händen der Masoreten gewesen
sind, so können wir es verstehen, daß die Masoreten in
mancher Hinsicht die Aussprache des hebräischen Alten Testaments
, wie sie zur damaligen Zeit üblich war, auf Grund der
alten Handschriften geändert haben. Auch hier ist es interessant
festzustellen, daß diejenigen, welche für den masore-
tischen Text verantwortlich sind, den wir in unserer hebräischen
Bibel fmden, dieselben waren, welche hauptsächlich an
den alten hebräischen Handschriften in der Höhle interessiert
waren, nämlich die Karäer.

') The Cairo Geniza, 1947, p. 111.
J) Vetus Testamentum, 1, p. 48.

ALTES TESTAMENT UND ALTER ORIENT

Robertson, Edward, Prof. D. Litt., D. D.: The Old Testament Problem.

A re-investigation together with two other essays. Manchester: Manchester
University Press 1950. IX, 238 S. gr. 8° = Publications of the University of
Manchester No. CCCVII. Lw. s. 21.—.

In diesem Band sind neun Vorlesungen — fast alle in der
John Rylands Library gehalten — und ein Artikel des Verf.
aus den Jahren 1935 bis I94^ zusammengestellt; den Anfang
macht eine zur Eröffnung einer Buchausstellung gehaltene
Rede: „The Bible and Mankind." Als höchste Errungenschaften
des AT werden darin noch einmal Achtung vor der Menschenwürde
, Individualismus, Humanismus des israelitischen
Gesetzes und ethischer Monotheismus aufgeführt. Darauf folgen
Vorlesungen über: The Disruption of Israel's Monarchy,
Temple and Tor ah, The Priestly Code, The Riddle of the To-
rah, Samuel and Saul, The Pentateuch Problem, The Period
of the Judges; schließlich ,,two other Essays": eine Zusammenfassung
und eine wertvolle literaturgeschichtliche Studie über
,, alttestamentliche Geschichten''.

Trotz der Vielfalt der Themen kehrt der Verf. immer wieder
zu dem Problem des Deuteronomiums zurück. Er vertritt
in betonter Ablehnung der,, Graf-Wellhausenschen Hypothese"
die Ansicht, daß das Deut, in der Zeit Samuels entstanden sei,
wie es vor 80 Jahren bereits Paul Kleinert getan hatte. R.
nimmt an, daß der Kern des Gesetzes, auch des Priesterkodex,
mosaisch sei. Den Dekalog und wahrscheinlich auch das Bundesbuch
, das als fortlaufender Midrasch zum Dekalog verstanden
wird (S. 95—98), hätten die Israeliten bereits mit nach
Palästina gebracht. Hier sei es zu einer Dezentralisation und
zur Entwicklung verschiedener Kulte und Traditionen der einzelnen
Stämme gekommen; auch das größtenteils nur mündlich
tradierte mosaische Gesetz habe dabei eine unterschiedliche
Ausprägung und Weiterführung erfahren. Die politische
Wiedervereinigung der Stämme in der frühen Königszeit, so
betont R., habe eine religiöse und kultische Einheit und Zentralisation
erfordern müssen (S.66). Aus diesem Grunde sei
das Deut, als Grundlage und Norm der neuen Einheit geschaffen
worden. Als Verf. des Deut, gilt Samuel; er habe die
besten Uberlieferungen der einzelnen Stammesheiligtümer zusammengefaßt
und zu dem uns vorliegenden 5. Buch Mose vereinigt
(S. 38—42. 65. 138. 142t. 148t. 207 u.ö.) Dabei bediente
er sich der Hilfe der Nebiim, die die verschiedenen gesetzlichen

Traditionen gesammelt und ein regelrechtes gesetzgebendes
Gremium unter Samuels Vorsitz gebildet hätten (S. 145). Die
Hauptbelegstelle ist I. Sam. 10, 25 (S. 45. 63. 67). Der ganze
Pentateuch sei auf die Weise entstanden, daß dem Deut, weitere
Traditionen beigefügt wurden (S. 158. 193t.). Mit der
Reichstrennung habe es seine Bedeutung verloren und sei weithin
vergessen worden. Bestrebungen um seine Wiedereinführung
, etwa bei den großen Propheten (S. 200), blieben ohne Erfolg
. Erst zur Zeit Josias sei es zu einer wirklichen Wiederentdeckung
und Neueinführung des Deut, gekommen.

R.s Stellung ist ausgesprochen konservativ. Die Patriarchen
sind ihm historische Einzelpersönlichkeiten (S. uf
die Urkundenhypothese wird abgelehnt; doch seien zu verschiedenen
Zeiten verschiedene Gottesnamen gebraucht worden
, zunächst El und Elohim, später Jahve (S. 153—58). Somi
gehört P. in die älteste Zeit, und die Propheten sind jünger a
das Gesetz (S. 51. 184). Dem Einwand, warum das Höh
priestertum für die Ri-Zeit nicht erwähnt wird, begegnet
mit einer eigenartigen Hypothese, bei der das Samaritaner
Problem als Schlüssel zum Verständnis des Ri-Buches her
halten muß (S. 165). Eli, das bedeutende Haupt der Nach
kommen Ithamars, des zweiten Sohnes Ahrons, habe sich mi
seinen Anhängern von der Priesterschaft Sichems- Samari
getrennt und als neue Residenz das Heiligtum von Silo g
wählt, dessen besondere kultische Tradition übrigens das Hei
ligkeitsgesetz gewesen sein soll. Dieses Schisma, das in sama
Titanischen Überlieferungen bezeugt ist, sei durch Samue
Einfluß und das zentralistische Deut, zu größter Bedeutun
gekommen, und die Pflege seiner Tradition sei erstes Anlieg
Jerusalems und Judas geworden. Der immer stärker werdend
Gegensatz zu den Samaritanern, die ihre Hohepriesteriis
ohne Unterbrechung bis auf Ahron aufweisen können, habe
den judäischen Quellen zur völligen Ignorierung des Hohen
priestertums von Garizim für die Ri-Zeit geführt (S. 38. 4
176—82. 189t. 206).

Man muß R. zugestehen, daß er wissenschaftlich argumentiert und d
eine fruchtbare Aussprache über seine Ergebnisse möglich und wünschensw
ist. Von seinem wissenschaftlichen Hauptanliegen, der Verbindung Samue
mit der Entstehung des Deut., kann man sich durch diese Vorlesungen alle
dings beim besten Willen nicht überzeugen lassen. Daran ist auch die Form
Veröffentlichung schuld. Es sind im Grunde nur oft wiederkehrende einzel
Gedanken, die hierzu dem Problem vorgetragen werden. Eine so revolution
These könnte aber nur durch eine umfassende und gründliche philologische u