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Ausgabe:

1952 Nr. 7

Spalte:

391-396

Autor/Hrsg.:

Schmauch, Werner

Titel/Untertitel:

Der Ölberg 1952

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391

Theologische Literaturzeitung 1952 Nr. 7

392

Der ölberg

Exegese zu einer Ortsangabe besonders bei Matthäus und Markus

Von Werner Schmauch, Berlin

Die Evangelien bezeichnen übereinstimmend den Olberg
als die Stätte, die Jesus in der Woche seiner Passion immer
wieder aufgesucht hat. Zehnmal wird sein Name in den Evangelien
genanntl, und dieses Material kann um die Ortsangaben
von Bethanien und Gethsemane vermehrt werden2. Vom Olberg
erfolgt der Einzug nach Jerusalem3 (von Bethanien aus
der Aufbruch nach Johannes) 4, er ist der Ort der apokalyptischen
Rede5, dorthin kehrt Jesus am 1. ausdrücklich und
wohl auch am 2. Tage zurück6, während Lukas in einer Zusammenfassung
den Olberg als den regelmäßigen Ubernach-
tungsort Jesu während seiner Jerusalemer Tage angibt7. Zu
ihm bricht er schließlich in der Nacht seiner Gefangennahme
auf8.

Bei der Betrachtung dieses Bildes erhebt sich sofort die
Frage, welche Bedeutung dieser Angabe zukommt. Denn es ist
kaum zu denken, daß dieser Ort so häufig namentlich nur wie
zufällig genannt wäre. Er ist ja nicht nur einer, der am Wege
lag, sondern selbst auch Ziel.

Darum ist die Frage nach den Gründen des immer neuen
Aufenthaltes Jesu am Olberg, wie ihn die Evangelien berichten,
wiederholt und von verschiedenen Ansätzen her gestellt worden
. Wie kommt es z. B., daß Jesus abends die Stadt verlassen
und den Olberg zum Ubernachtungsort gewählt hat ? Wo die
Auslegung nicht lieber, wie Lohmeyer zu Markus 11, 119, zugab
, daß der Tatbestand undurchsichtig sei, ist der Versuch
gemacht worden, diesen Ortswechsel mit der Lage in Jerusalem
zu erklären. Die vorhandenen Spannungen seien so groß gewesen
, daß Jesus aus Gründen der Sicherheit sich nachts aus
der Stadt zurückgezogen habe10. Aber abgesehen davon, daß
es sehr fraglich ist, ob im Sinne der Evangelien die Situation
Jesu in diesen Tagen unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit
oder Unsicherheit betrachtet werden kann, dürfte der nahe
Olberg kaum wirklichen Schutz geboten haben, wie denn auch
die Ereignisse gezeigt haben, daß er dort nur allzu leicht und
allzu schnell gefunden werden konnte.

Ein anderer Gesichtspunkt ist darum der, daß das Leben
Jesu in diesen Tagen zwischen Jerusalem und Bethanien sich
abspiele. Der Tag sei angefüllt mit den Ausemandersetzungen
im Tempel bzw. in der Stadt, in der Nacht aber kehre er in
Bethanien und im vertrauten Kreise ein, um am Morgen aus
der Stille gerüstet neu sich der Stadt zu stellen11. Aber auch
in der Stadt hatte Jesus Freunde12, und andererseits ist darauf
hinzuweisen, daß die Berichte in diesem Zusammenhange von
den Freunden in Bethanien gänzlich schweigen, so daß nicht
einmal ihr Haus als Herberge genannt wird. Zum anderen ist
zu bedenken, daß der Olberg wiederum nicht nur der Ort für
die Nacht ist, so daß die Gegenüberstellungen: tagsüber in
Jerusalem — nachts am Olberg, auch nicht den Sachverhalt
umspannen.

Wieder in anderer Richtung weist jene Deutung: „Seit
Sacharja 14,4 erwartete man die große Gnadenheimsuchung
Gottes und mit ihr den Messias vom Olberg her aus der Wüste
(vgl. Apg. 21, 38 u.s.d.). Kam Jesus im feierlich-messianischen
Zuge (Sach. 9, 5) vom Olberg, so war die Lage eindeutig."
Doch auch diese Erklärung von Rengstorf (NTD zu Luk. 19,
39ff. S. 212) dürfte als allzu ungesichert nicht befriedigen. In

') Matth. 21, 1; 24, 3; 26, 30; Mark. 11, 1; 13, 3; 14, 26; Luk. 19, 29;
19, 37; 21, 37; 22, 39. Zum Namen: TWB V 483 Anm. 100. Strack-Billerbeck I
zu Matth. 21, 1 B S. 840. Außerdem: G. Dalman: Orte und Wege Jesu3
1924, 275ff.

2) Matth. 26,6; Mark. 11, 11 u. 12; 14,3; Joh. 12, 1 — Matth. 26, 36;
Mark. 14, 32.

3) Matth. 21, 1; Mark. 11, 1; Luk. 19, 29.

4) Joh. 12, 1.

6) Matth. 24, 3; Mark. 13, 3.

6) Matth. 21, 17; Mark. 11, 11; 11, 19.

') Luk. 21, 37.

8) Matth. 26, 30; Mark. 14, 26; Luk. 22, 39.

') E. Lohmeyer: Das Evangelium des Markus, Göttingen 1937 S. 232.
10) KH. Rengstorf: Das NT Deutsch zu Lukas 21, 37 S. 230.
") Vgl. z.B. neuerdings: The Interpreters Bible, Volume VII, New York
1951: George A. Buttrick, Exposition zu Matth. 21, 17 u. 18 S.506f.
12) Matth. 26, 18; Mark. 14, 13ff.; Luk. 22 lOff.

Professor D. Heinrich Vogel zum 50. Geburtstage

Sach. 14, 4 fehlt der unmittelbare Bezug auf den Messias, hl
Apg. 21, 38 der Olberg, und schließlich handelt es sich bei
Jesus um'den Einzug in die Stadt, nicht aber wie in Apg. 21
um einen Auszug in die Wüste. Das „mit ihnen der Messias"
und „aus der Wüste" ist ebenso ungesichert wie die Behauptung
„so war die Lage eindeutig". Schon eine Erinnerung daran
, daß der Weg über den Olberg Pilgerweg war, schließt diese
Eindeutigkeit aus, und macht die weitere psychologische Erwägung
, daß die Römer, „lediglich dank des Einflusses Jesu
auf die Seinen, die ihrerseits auch für einen Kampf gerüstet
waren (22, 38), 4gff." nicht eingriffen, entbehrlich. Immerhin
führt diese Erklärung tiefer in die Problematik hinein. Denn
sie erinnert, um es mit berühmtem Worte zu sagen, daran,
daß alle Tatsache schon Theorie ist. Handlung und Ort sind
nun nicht mehr nur historisch miteinander verbunden, sondern
stehen in dem gleichen sachlichen Zusammenhange: derescha-
tologischen Betrachtung. Diese Bestimmung des Olberges als
eines Ortes eschatologischen Geschehens umspannt auch die
anderen Situationen, ist aber wiederum so allgemein, daß gerade
von ihm aus weitergefragt werden muß, welche Bedeutung
dem Olberg innerhalb dieses Geschehens zukommt.

Suchen wir nun dieser Frage nachzugehen und lassen die
nur beispielhaft zur Herausstellung einiger Gesichtspunkte
herangezogenen Erklärungen beiseite, so müssen wir uns ein
wenig näher mit der providentiellen Bedeutung des Olberges
im Endgeschehen beschäftigen. Das Bild von Sach. 14 ist dadurch
gekennzeichnet, daß es Jerusalem als den Ort endzeitlicher
Vollendung bezeichnet. Es ist die Stadt auf dem Berge1,
die einst alles überragen wird, in die die Völker kommen und wo
Gott herrschen wird2. Diese Vorstellung ist verbunden mit der
anderen, daß am Ende der Tage die Berge eingeebnet werden3,
und zwar gerade zu dem Zweck, daß die überragende Herrlichkeit
Jerusalems allen erscheine4. Und es ist der Olberg, der vor
allem von dieser Einebnung schon am Beginn des Geschehens
zur Erreichung dieses Zieles betroffen wird5. Das heißt aber:
Heilige Stadt und Olberg stehen sich hier in einem einander
ausschließenden Gegensatz gegenüber. Und es begreift sich
schon von hier aus, daß trotz der Wiederkehr einzelner Vorstellungen
in den Evangelien, z.B. derjenigen von der Einebnung
der Berge und der Flucht der Menschen6, dieses Kapitel
von seiner Hauptkonzeption her nicht geeignet erscheint,
das Geschehen vom Olberg her als Erfüllung zu bestätigen.
Jesu Worte über Jerusalem und den Tempel wie die apokalyptische
Rede sagen nichts von der Erhaltung der Stadt als
bleibenden sicheren Ort bzw. bezeugen das Gegenteil7, und
auch von der Einebnung des Olberges als desjenigen, der vor
allen dem Zion weicht, ist nicht die Rede. So aber kommt zu
dem sachlichen Gegensatz zwischen der Stadt auf dem Berge
und dem Olberg in der Prophetie der andere zwischen „Weissagung
und Erfüllung", um es so kurz zu sagen, und zwar
sowohl in bezug auf die Heilige Stadt als auch auf den Olberg.

Damit ist nun aber die Frage nahegelegt, die geeignet ist,
die Bestimmung wesentlich weiterzuführen. Bestünde nämlich
dieses Gegenüber von Stadt und Olberg wie in der Prophetie
weiter, so könnte das ja bedeuten, daß nunmehr in direkter
Umkehr der Verhältnisse dem Olberg im Gegensatz zur dem
Untergang preisgegebenen Stadt eine besondere positive Bedeutung
zukäme, und der Umstand, daß Matth, und Mark,
die Offenbarung über das Endgeschehen, in das der Untergang
von Stadt und Tempel einbeschlossen sind, ausdrücklich auf
den Olberg verlegen, erscheint wie ein deutlicher Hinweis.

Wie aber ist nun zur Zeit Jesu das Verhältnis von Heiliger
Stadt und Olberg gesehen, läßt sich darüber etwas sagen, und

') Vgl. G. von Rad: Die Stadt auf dem Berge, in: Evangelische Theologie
7 (1947/48) S. 447.

2) Sach. 14, 9ff, 16, 9.

3) Sach. 14, 10a.
*) Sach. 14, 10b.
6) Sach. 14, 4.

6) Luk. 23, 30 —Matth. 24, 16; Mark. 13, 14; Luk. 21, 21.

7) Matth. 23, 37ff.; Mark. 13, 24ff.; — Matth. 24, 2; Mark. 13, 2;
Luk. 21, 6.