Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1952 Nr. 1

Spalte:

21-32

Autor/Hrsg.:

Rosenkranz, Gerhard

Titel/Untertitel:

Mission und Völkerkunde 1952

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3, Seite 4, Seite 5, Seite 6

Download Scan:

PDF

21

Theologische Literaturzeitung 1952 Nr. 1

22

Mission und Völkerkunde

Von Gerhard Rosenkranz, Tübingen

Es bedarf keines Nachweises, daß zwischen Mission und
Völkerkunde engste Beziehungen bestehen, obschon dies von
beiden Seiten nicht immer in seiner Bedeutung erkannt worden
ist. Daß die Mission „völkerkundlich" arbeitet und, längst
ehe es eine Ethnologie als selbständige Wissenschaft gab,
gearbeitet hat, daß sie dies tut, weil äußere und innere Gründe
ihrer Tätigkeit sie dazu zwingen, und daß wertvolle Ergebnisse
dieser ihrer Arbeit vorliegen — das alles smd Tatsachen, die
dadurch nicht an Bedeutung verlieren, daß den Missionaren
im allgemeinen nicht jene Spezialausbildung zu Gebote steht,
die für den Ethnologen selbstverständlich, aber bei dem
ständig wachsenden Umfang seiner Wissenschaft auch kaum
noch von einem einzelnen zu bewältigen ist. Eine einsichtige
Völkerkunde wird die Beiträge der Mission zu ihren Forschungen
, die ja nicht zufällig sind, sondern sich aus dem
verantwortungsbewußten Vollzug einer inneren Verpflichtung
ergeben, nicht unbeachtet lassen, zumal der Missionar die
Möglichkeit hat, nicht nur zeitlich begrenzt in einem Räume
zu weilen, den der Ethnologe meist nur auf kurzfristigen Expeditionen
kennenlernt. Die Beiträge der Mission zur Völkerkunde
können also, auch wenn sie nur laienhaft und oft eigenwillig
dargeboten werden, dem Ethnologen ein Anlaß sein, die
Ergebnisse seiner Forschung zu überprüfen. Das gilt insbesondere
für den religionswissenschaftlichen Zweig seiner Wirksamkeit
.

Andererseits kann die Mission, vor allem soweit sie unter
Völkern einer früh- oder gar vorgeschichtlichen Kultur tätig
ist, nicht auf die Hilfe der Völkerkunde verzichten als auf eine
Möglichkeit, sich in ihren Beobachtungen, Erfahrungen und
Methoden gegen Um- und Abwege zu sichern. Dies gilt besonders
dann, wenn die Völkerkunde es ihr erleichtert, zur
Klärung theologischer und praktischer Fragen zu kommen,
wie sie etwa mit dem Begriff einer „natürlichen Theologie"
gegeben sind. Sie kann in diesem Zusammenhang eine Minderung
von Unsicherheiten und Erschwerungen ihrer Arbeit erwarten
, die üir in ihrer Geschichte, z.B. im Ritenstreit der
Jesuiten oder im Kastenstreit der Leipziger Mission, viel zu
schaffen gemacht haben, die ihr noch heute in der rechten
Beurteilung „urtümlicher Bindungen" oder des heiligen
Schrifttums nichtchristlicher Religionen zu schaffen machen.
Die Mission wird auch dort aufhorchen, wo ihre Arbeit der
Kritik durch die Völkerkunde begegnet, und darin ihrerseits
einen Anlaß sehen, ihre Methoden zu überprüfen. Dabei wird
sie allerdings nicht umhin können, daran festzuhalten, da Ii
ihre Arbeit nicht von dem Ideal objektiver Kenntnis- und
Stellungnahme bestimmt ist, von dem die Völkerkunde als
Wissenschaft sich leiten lassen muß. Sie hat zu dem, was die
Ethnologie als religionswissenschaftliche Ergebnisse ihrer Forschung
darbietet, vom Evangelium her Stellung zu nehmen.
Daß sie sich damit Vorurteilen und Mißverständnissen in ihrer
Beurteilung durch die Völkerkunde aussetzt, ist ihr mit der
Theologie und ihrer Stellung innerhalb der universitas littera-
rum gemeüisam. Sie wird sich gegenüber solcher Kritik, soweit
sie ihre Methodik betrifft, anders verhalten als gegenüber Einsprüchen
, die das Wesen ihrer Wirksamkeit berühren.

Von den unten genannten Werken1 sind es die Bücher
von A. Jensen, H. Nevermann und R. Benedict, in denen,

') Jensen, Ad. E.: Hainuwele. Volkserzählungen von der Molukken-
Insel Ceram. Oes. u. bearb. Mit Zeichnungen v. A.Hahn. Frankfurt/M.:
Klostermann 1939. XI, 455 S., 1 Kte. 4° = Ergebnisse der Frobenius-Exped.
1937/38 in d. Molukken u. nach Holl. Neu-Ouinea, hrsg. v. Ad. E. Jensen u.
H. Niggemeyer. Bd. I - Veröffentl. d. Forschungsinst. f. Kulturmorphologic
an d. J.W.Goethe-Univ. in Frankfurt/M. DM27.—.; geb. DM30.—.

— Die drei Ströme. Züge aus dem geistigen und religiösen Leben der
Wemale, einem Primitiv-Volk in den Molukken. Leipzig: Harrassowitz 1948.
XII, 320 S. m. 33Textabb., 28Taf., 1 Kte. 4° = Ergebnisse der Frobenius-
Exped. 1937/38 in d. Molukken und nach Holl.-Neu-Ouinea, hrsg. v. Ad. E.
Jensen u. H. Niggemeyer. Bd. II = Veröffentl. d. Frobenius-Inst. an d. J.W.
Goethe-Univ. in Frankfurt/M. Kart. DM 30.—.

— Das religiöse Weltbild einer frühen Kultur. 2. Aufl. Stuttgart:
A. Schröder 1949. XII, 198 S. m. 4 Abb. 8° = Studien zur Kulturkunde. Begründer
Leo Frobenius. Hrsg. Ad. E. Jensen. 9. Bd. Hlw. DM 12.50.

— Mythos und Kult bei Naturvölkern. Religionswiss. Betrachtungen.
Wiesbaden: Steiner [1951]. VII, 423 S. 8° - Studien zur Kulturkunde. Begr.
v. Leo Frobenius, Hrsg.: Ad. E. Jensen. 10. Bd. - Veröffentl. des Frobenius-
Instituts an der J. W. Ooethe-Univ. Frankfurt/M. Hlw. DM 24.80.

wenn auch nur kurz, von der Mission und ihren Wirkungen die
Rede ist. Jensen, der Leiter des Frobenius-Institutes an der
Universität Frankfurt, ist bei seiner Erforschung der Wemale
im Westteil der Molukken-Insel Ceram (1937/38) der Tätigkeit
emgeborener Missionsgehilfen, sogenannter Guru (Lehrer), begegnet
, die nicht selber Ceramesen waren, sondern von der
Insel Ambon stammten oder doch dem ambonesischen Kulturkreis
nahestanden. Er schreibt:

„Es ist keine Frage, daß die in Niederländisch-Indien sehr mächtigen
kirchlichen Organisationen selbst auf die staatliche Eingeborenen-Politik einen
entscheidenden Einfluß ausgeübt haben. Ebenso ist es bei dieser Sachlage auch
ganz natürlich, daß die Missionierung der Eingeborenen, d. h. ihre Bekehrung
zum Christentum, einen wesentlichen Teil der von der staatlichen Verwaltung
unterstützten Erziehungsarbeit darstellt. Über den Wert dieser Erziehungsarbeit
läßt sich mit den Anhängern einer solchen Idee natürlich nicht streiten.
Zum mindesten kann sie für sich ins Feld führen, daß das Missionierungsideal
einige Jahrhunderte die christliche Welt beseelt hat. Wir wollen dagegen auch
nicht anführen, daß manche grausamen Methoden der Völkervernichtung unter
dem Deckmantel dieses Ideals — wahrscheinlich sogar in ehrlichster Überzeugung
von der Richtigkeit der Handlung — geschahen, denn in den entscheidenden
Jahrhunderten des europäischen Raubbaus an der Kraft der eingeborenen
Völker doch mindestens immer wieder versucht, das Menschenrecht
gegen rein wirtschaftliche Interessen geltend zu machen" (Drei Ströme, S. 37).

Dieses Urteil geht auch dort, wo es die Mission bedüigt anerkennt
, an üirem Wesen vorüber. Die Verquickung von
Mission und Kolonisation, auf die es hinweist, ist zwar heute
in Indonesien, das seine politische Selbständigkeit gewonnen
hat, nicht mehr aktuell, bleibt aber grundsätzlich und schärfer,
als es in Jensens Worten zum Ausdruck kommt, als eine Anklage
gegen die Mission bestehen. Das trifft auch auf die
Tätigkeit der Guru zu, wie J. sie wahrgenommen hat. Er gibt
zu, „daß die geistige Welt der Eingeborenen meist unerfreulich
und düster ist" und des Ersatzes „durch eine freundliche
(Welt) des Lichtes und des Heiles" bedarf. Antrieb dazu muß

t :,,K,. rlori Fin0phnrpnen"

„ein menschliches Gefühl der Liebe zu den Eingeborenen
sem, und es „kann dieser Erziehungsprozeß nur durch Menschen
ausgeführt werden, die in höherem Maße an jener geistigen
Welt des Heils Anteil haben als ein gewöhnlicher europäischer
Sterblicher." Diese Voraussetzungen vermißt J. bei
den Guru. Bei ihnen ist „das Christentum ehi Stand und nicht
eine Religion." Sie „üben eine negative Tätigkeit im Auftrag
des staatlichen Kolonisators" aus, ja,

„der ängstliche Eifer dieser meist recht kleinlichen Leute geht noch viel
weiter und richtet einen nie wieder gutzumachenden Schaden an. Man könnte
eine fast endlose Liste ihrer übereifrigen Handlungen anführen, mit denen sie
absolut keinen Nutzen, wohl aber sehr viel Zerstörung anrichten. Der düstersten
Seite des ceramesischen Weltbildes jedoch, dem ungeheuren Einfluß der
Geister auf diese Menschen, sind sie . . . fast ebenso stark unterworfen wie die
ihnen anvertrauten Schützlinge selbst" (Ebd. S. 39).

Hier macht J. auf Mängel der Missionsarbeit aufmerksam,
die einer ernsthaften Prüfung und Korrektur bedürfen. Ob
auch die von ihm getadelte Zerstörung kultischer Versammlungsstätten
durch die Guru zu den „übereifrigen Handlungen
" gehört, haben wir später zu erwägen.

Nevermann gibt im letzten Kapitel sehies Buches eine
Schilderung des „Sturzes der Götter" der Polynesier, der durch
die Mission herbeigeführt worden ist. Darum, so entschuldigt
er sich im Vorwort (S. 10), „konnte die Mission nur einseitig
als Zerstörerin des Alten und nicht mit ihren neubauenden
Kräften gezeichnet werden."

Röder, J.: Alahatala. Die Religion der Inlandstämme Mittelcerams.
Bamberg: Bamberger Verlagshaus Meisenbach <& Co. [1948]. 142 S. 4° - Ergebnisse
der Frobenius-Expedition 1937/38 in d. Molukken und nach Holl.-
Neu-Ouinea, hrsg. v. Ad. E. Jensen u. H. Niggemeyer. Bd. III - Veröffentl.
d. Frobenius-Inst. an der J.W. Goethe-Univ. Frankfurt/M. DM6.—.

Benedict, Ruth: Kulturen primitiver Völker. Stuttgart: August

Schröder 1949. XIII, 262 S. 8°. Hlw. DM8.50.

Nevermann, Hans: Götter der Südsee. Die Religion der Polynesier.
Stuttgart: Spemann [1947]. 218 S. m. Abb., 8 Taf. kl. 8°. Hlw. DM 5.60.

Eckert, Georg: Totenkult und Lebensglaube im Caucatal. Mit
einem Vorwort von Prof. Dr. Hermann Trimborn. Braunschweig: Alb. Limbach
[1948], 61 S. m. 17 Abb., 3 Ktn. 8° = Kulturgeschichtl. Forichungen,
hrsg. v. O. Eckert u. H. Trimborn, 1. Bd. Pp. DM5.20.