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Ausgabe:

1952 Nr. 6

Spalte:

360-361

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Friemel, Salesius

Titel/Untertitel:

Die theologische Prinzipienlehre des Augustinus Favaroni von Rom O.E.S.A. (+ 1443) 1952

Rezensent:

Lang, Albert

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Theologische Literaturzeitung 1952 Nr. 6

360

Frage kommenden Werke begnügt, sondern auch eine Beurteilung
jedes einzelnen gibt. Sodann wird Gilbert Porreta
in den Rahmen der Zeitgeschichte gestellt, zu der auch das
für ihn verhängnisvolle Konzil von Reims gehört. Nach einem
kurzen Hinweis auf andere Boethiuskommentare wird das
Wichtigste über die Trinitätslehre des Boethius selber gesagt.

An seine eigentliche Aufgabe tritt sodann der Verf. in
einer eindringlichen Untersuchung der philosophischen Terminologie
Gilberts heran, die denn auch die klare sich daran
reihende Darstellung seiner Trinitätslehre ermöglicht. Den Abschluß
bildet eine Beurteilung der Berechtigung der von Gottfried
von Auxerre, Johannes von Salisbury und Otto von Freising
gegen die Orthodoxie Gilberts erhobenen Vorwürfe.

Als Hauptergebnis der Untersuchung ist zu buchen:
Nach Gilbert ist die divinitas das, was Gott als Gott konstituiert
, und so von Gott verschieden. Die Kommentare zu
Boethius geben aber keinen Beweis für die Annahme, daß er
sie real von Gott unterschieden hätte. Für ihn war eine solche
Unterscheidungsart in diesem Zusammenhang noch kein Problem
. Ferner, die Relationen in Gott müssen bei Gilbert nicht
als perfectiones genommen werden; sie sind eben nicht aliquid,
sondern ad aliquid. Unklarheiten, die sich hier bei ihm finden,
gehen darauf zurück, daß er die Lehre von den subsistierenden Relationen
nicht hinreichend entwickelt hat. Wohl ist es richtig, daß
sich Gilbert sehr um klare Unterscheidungen bemüht hat, aber der
Vorwurf seiner Zeitgenossen läßt sich nicht beweisen, daß er
hier zu weit gegangen wäre und an reale Unterscheidungen gedacht
hätte.

Das Werk ist eine sehr beachtliche Leistung und stellt
einen wichtigen Beitrag zur Erkenntnis der Trinitätslehre des
Gilbert Porreta dar. Allerdings dürfte auf die mangelhaften
Deutschkenntnisse des Verf.s die Meinung zurückzuführen
sein, es sei erst wenig über Gilberts Lehre selber geschrieben
worden.

Wenn wir nun einige Wünsche äußern, so berührt dies nicht den inneren
Wert der Abhandlung: Nachdem Gilbert Porreta mit des Hilarius von Poitiers
De Trinitate so vertraut war, daß er daraus aus dem Gedächtnis zitieren
konnte (man vgl. Philipp von Harvengt, Epistola 5 —■ SSL 203, 45), gälte es
einmal festzustellen, inwieweit seine Trinitätslehre von Hilarius beeinflußt
ist. — Der Paulinenkommentar Gilberts bringt allerdings nicht sehr viel zur Trinitätslehre
. Verf. hat in dankenswerterweise bereits auf einige Stellen hingewiesen
. Andere Stellen von Bedeutung sind: Zu Eph.3 (Leipzig, Universitätsbibliothek
, Cod. lat. 427 fol. 82v): [Am Rande Nota] „ex quo", id est ex cuius
dono ,,omnis paternitas", non dico, nata est vel creata, ,,sed nominatur".
[Am Rande Jeronymus] Quomodo enim Deus, qui solus vere est et solus vere
bonus est, essentie atque bonitatis sue nomen ceteris impertit, ut ipsa quoque
et esse et bona dicantur, non quod secundum naturam vel sint vel bona sint,
sed ut esse et bona dicantur, Dei bonitate donatum est. Ita et ipse, qui solus
est pater omnium creatione et universorum causa substantie, sue paternitatis
nomen ceteris prestat, ut ab ea patres dicantur. — Zu l.Kor. 8 (ebd., fol. 42):
Alios vero ipse, qui Deus est natura, facit deos non predicta conformatione,
sed quadam divinitatis sue, que ex ratione muneris intelligitur, partieipatione.
Qualiter illi, ad quos sermo Domini factus est, dii dicuntur. — Zu Eph.4
(ebd., 84): Sic igitur Christus, quoniam eius substantia est divinitas, qua
ipse Deus est, est otnnia illa, ex quibus homo substantia est... — Zu Hebr. 11
(ebd., fol. 129 v): Quemlibet „enim accedentem ad Deum oportet credere",
id est cum assensione pereipere de universorum auetore, „quia est" vere,
simpliciter et universaliter id, quod est, nec est ei aliud esse, aliud aliquid
esse. Quod ipse intelligi voluit, cum ait: Ego sum, et qui est, misit me ad
vos. — Zur Lehre Gilberts von der Gotteserkenntnis vgl. man zu Rom 1
(ebd. fol. 4) und insbesondere zu Hebr. 11, 1, wo im Gegensatz zur Behauptung
des Verfassers (Seite 109f., Anm.) verschiedentlich, wie übrigens schon
in dem eben gebrachten Text, von cum assensione pereeptio die Rede ist.
Man vgl. Leipzig, Universitätsbibliothek, Cod. Iat. 427 fol. 129: „Est autem
fides" etc. Hic dicendum, quod fides est veritatis cuiuslibet rei cum assensione
pereeptio. Plurima tarnen sunt, que si quis aliter, quam sint, etiam cum assensione
pereipiat, non dicitur infidelis. Non enim Iacob dicendus est infidelis,
eo quod viventem filium a bestia credebat occisum, neque Petrus, qui, cum
vere educebatur de carcere, existimabat se Visum videre. In eodem quoque
rerum genere, si quis, prout est, etiam cum assensione rei veritatem pereipiat,
non ideo fidelis vocatur. Ut si de vi et numero elementorum, de motu et
ordine et de effectibus siderum, de genere et naturis creaturarum, de spatiis
Iocorum et temporum, de signis eventurorum et postremo, si quis rerum
potuit cognoscere causas, unde tremor terris, qua vi maria alta tumescunt
obieibus ruptis rursumque in se ipsa resident et multa huiusmodi, sicut se
habent, pereipiat. Non ideo a nobis fidelis esse dicitur. Ex quibus manifestum
est rerum invisibilium et ad religionem pertinentium per quandam
excellentiam fidem vocari.

Es sei auch darauf hingewiesen, daß sich noch im Jobkommentar
des Petrus Cantor die Mitteilung findet: Magister
Gilbertus Deum dicebat non esse bonitatem vel iustitiam vel

divinitatem et huiusmodi omnia, et enfatice(!) dicebat dictum,
quando inveniebatur: Deus est bonitas et huiusmodi omnia. -

Der Verf. konnte keine Kenntnis davon haben, daß zu-,
gleich mit ihm N. M. Haring an dem gleichen Problem arbeitete
. Harings Ergebnisse finden sich zusammengefaßt in
dem Artikel der Mediaeval Studies. 13. Toronto (1951): The
case of Gilbert de la Porree bishop of Poitiers (1142—1154).
Hinsichtlich der Orthodoxie Gilberts kommt Haring zu einem
ähnlichen Ergebnis wie Williams. Nach ihm ist Gilberts Verwendung
des id quo und quod in seinen verschiedenen Variationen
vor allem der Gebrauch einer grammatikalischen oder
logischen Sprachregel und als solche nicht auf eine einzelne
Wissenschaft eingeschränkt. Als philosophisches Prinzip gilt sie
nur für die geschaffenen Dinge. Die Unterscheidung zwischen
Gott und Gottheit ist nicht eine reale, sondern eine logische.
Gilberts Deutung des Geheimnisses der Heiligsten Dreifaltigkeit
erweckt den Eindruck, als ob seine Lehre von der Relation
als äußerlicher Kategorie, der Klarheit Abbruch getan
hätte. Seine Rechtgläubigkeit sei aber dabei über jeden Zweifel
erhaben. Hinsichtlich der Deutung der Unio hypostatica
läßt sich bei Gilbert ein ihm mit seinen Zeitgenossen gemeinsamer
unkorrekter Personenbegriff feststellen. Dennoch kann
man weder ihn noch Petrus Lombardus eines Seminestoria-
nismus zeihen.

Bamberg A.M.Landgraf

Friemel, Saiesius, p. Dr., o.e.s.a.: Die theologische Prinzipienlehre
des Augustinus Favaroni von Rom O.E.S.A. (t 1443). Würzburg:
Augustinus-Verl. 1950. 207 S., 1 Taf. 8° — Cassiciacum. Eine Sammig. wiss.
Forsch, über d. hl. Augustinus u. d. Augustinerorden, hrsg. v. A. Kunzelmann
u. F.Lang. Bd. XII, 2. Reihe: Schriften über d. Augustinerorden,
4. Bd. Kart. DM 8.—.

Der Augustiner-Eremit Augustinus Favaroni las 1388/89
die Sentenzen an der Universität Bologna; 1392 wurde er zum
Magister der Theologie ernannt und wirkte dann lange Zeit
als Lehrer der Theologie in Bologna, Perugia und Florenz. Ab
1419 bekleidete er 12 Jahre lang das Amt des Ordensgenerals.
1431 wurde er Erzbischof von Nazareth in Apulien und 1432
auch Apostolischer Administrator der Diözese Cesena. Er starb
1443. 1435 hat das Konzil von Basel 7 Sätze von ihm (fünf
über Christologie und zwei über den mystischen Leib der
Kirche) verurteilt. Diese Verurteilung war wohl der Grund,
warum er und seine Schriften in Vergessenheit gerieten; sie
ist aber auch der Grund, warum er neuerdings (so von A. V.
Müller und F. Cayre) unter die Vorläufer der Reformation eingereiht
wurde. Sein Orden hat es sich nunmehr zur Aufgabe
gemacht, das Lebensbild und den theologischen Standpunkt
des einst hochgeschätzten Mannes aufzuhellen. Der vorliegenden
Untersuchung Friemels ist eine Arbeit über die Christologie
Favaronis von G. Ciolini (Firenze 1944) vorausgegangen
und soll, wie Friemel ankündigt (S. 19), „eine umfassende
Arbeit über Favaroni" von einem anderen Mitbruder folgen.

Friemel beschäftigt sich mit der theologischen Prinzipien -
lehre Favaronis, und zwar ausschließlich auf Grund seines ausgedehnten
Prologs zum Sentenzenkommentar, der in Ms. lat.
fol. 852 der Staatsbibliothek Berlin vorliegt. Dieser Prolog ist
zu seinem Großteil eine kritische Auseinandersetzung mit den
Ansichten des Hugolin von Orvieto, über die A. Zumkellers
ausführliche und gründliche Arbeit (Würzburg 1941) vorliegt;
von dieser Polemik hat der Prolog sein Gepräge und seinen
engen Horizont. Dabei hat Favaroni gerade die vorwärtsführenden
Untersuchungen Hugolins über das Wesen und die
Grundlagen des Glaubens, durch die dieser nachhaltigen Einfluß
auf die theologische Einleitungslehre ausgeübt hat, beiseite
gelassen; er hatte kein Gespür für ihre bedeutsame Aktualität
. Ihn interessieren nur die um das Wissenschaftsproblem
kreisenden Fragen: Ist die Theologie eine Wissenschaft; ist sie
eine theoretische oder praktische Wissenschaft; wie ist ihr Verhältnis
zu den anderen Wissenschaften, besonders der Philosophie
zu bestimmen ?

Um die Stellungnahme Favaronis richtig zu verstehen,
muß man darauf achten, einmal daß er das Gewißheitsproblem
der Theologie nur vom noetischen Gesichtspunkt der inneren
Einsicht, der certitudo evidentiae, her sieht, so dann daß er
eine doppelte Form von Theologie unterscheidet: die zur inneren
Einsicht vordringende wissenschaftliche Theologie und die
schlichte Glaubenstheologie. Die,,Glaubenstheologie" hat nicht
nur die Offenbarungswahrheiten gläubig hinzunehmen, zu
ihren Aufgaben gehört es auch, ihren rechten und eigentlichen
Sinn zu erforschen und aus ihnen andere formell nicht geoffenbarte
und als solche in der Schrift nicht enthaltene Wahr-