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Ausgabe:

1952 Nr. 6

Spalte:

358

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Auer, Johann

Titel/Untertitel:

Das Wirken der Gnade 1952

Rezensent:

Geyer, Bernhard

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Theologische Literaturzeitung 1952 Nr. 6

358

licherer Hinweis auf das politische Geschehen das Verständnis
der Kirchengeschichte im engeren Sinne erleichtert. — Nach
dem Vorwort soll der Schwerpunkt der gesamten Darstellung
der Kirchengeschichte bei Luther liegen. Für ihn ist ausführlichste
Würdigung beabsichtigt. M. E. hat das Buch gerade
bei der Würdigung Luthers seine wundeste Stelle. Luthers
Glaubensmut preisen und dann doch Melanchthon die Palme
reichen, der die scholastischen Unterbauten Luthers weggeräumt
habe (! ?), ist zu wenig. Ob man Luthers Deus ab-
sconditus mit dem germanischen Schicksalsglauben zusammenbringen
soll, ist mir recht fraglich. Daß Schuster
schließlich eine kritische Stellung zum Luthertum des
19. Jahrhunderts hat und ihr Ausdruck gibt, darf man ihm
nicht übelnehmen. Aber Urteile wie das: „Es war doch auch
wohl kein Zufall, daß die allermeisten Vertreter dieser Theologie
, Vilmar und Löhe an der Spitze, auch Preußenhasser
und politische Eigenbrötler waren" (S. 464), sind zu
billig. Man braucht dagegen nur zu sagen, daß es auch schwerlich
ein Zufall war, daß wichtige Vertreter einer anderen Richtung
die deutschen Landeskirchen preußisch zu vergewaltigen
suchten. Weder die eine noch die andere Rede führt weiter.

Rechte Bedenken habe ich dagegen, daß bei der zweiten Auflage nicht
gründlicher überarbeitet worden ist. Zunächst: Daß die Universität Halle 1694
und nicht 1695 gegründet worden ist (S. 285) oder daß der Gang nach Canossa
im Januar 1077 und nicht bereits 1076 (S. 149) getan wurde, hätte berichtigt
werden müssen. Die romanischen Länder Südosteuropas (S. 375) sind gewiß
auch ein einfacher Fehler! War es wirklich nur Eifersucht des päpstlichen Vertreters
in Palästina, die Ignatius die Orientmission unmöglich machte (S. 310)?
Als Heilige Liga pflegt man herkömmlicherweise nicht das Bündnis von 1526
zu bezeichnen (S. 275). Daß der Gustav-Adolf-Verein sich mit seinem Liebeswerk
auf den Boden der Union stellte (S. 502), stimmt so nicht. Ob die morgenländische
Kirche das Filioque wirklich nur aus liturgischen Gründen abgelehnt
hat (S. 55), bezweifle ich. Haben die Dominikaner so viel mehr prominente
Theologen gestellt als die Franziskaner (S. 175)? Den Konziliarismus
des ausgehenden Mittelalters sollte man nicht als parlamentarische Reform
bezeichnen (S. 191).

Viel wichtiger ist ein anderes. Wenn die erste Auflage des Buches ohne
Jahresangabe erschienen wäre, würde es doch nicht schwer sein, ihre Erscheinungszeit
zu bestimmen. Sie bot nicht nur einfache Darstellung der kirchengeschichtlichen
Vorgänge, sondern auch Auseinandersetzung mit einer Geisteswelt
, die damals Menschen fesselte, gegen das Christentum und gegen seine
Geschichte einnahm und mit einem Zerrbild der Geschichte der christlichen
Kirche arbeitete. Es war verdienstlich, daß dies das Schustersche Buch damals
richtig stellte. An einer Fülle von Stellen wird deutlich, wie sehr in die Zeit
hinein gesprochen wurde. Daß die Predigt des Paulus von Sünde und Gnade
unjüdisch ist (S. 24), daß die Sonnenwende nicht als germanischen, sondern
als syrischen Ursprungs anzusehen ist (S. 85), daß die Toleranz nicht oder nur
ganz bedingt germanisch ist (S. 85), daß die nationale Eingliederung der Kirche
unter Otto dem Großen unter dem Zeichen des Alten Testamentes stattgefunden
hat (S. 128), daß ein erheblicher Unterschied besteht zwischen Taulerscher
Mystik und Luthers Glaubensmut (S. 202), daß Eckart vom Neupiatonismus
lebt und nicht einfach Eindeutscher des Christentums ist (S. 202) usw. usw.,
war seinerzeit doch nicht in den luftleeren Raum gesagt. Es ist noch vieles
andere, das sich von der Entstehungszeit des Buches her erklärt, auch die
breite Behandlung bestimmter Stoffe aus der Neuzeit. Auf den Marxismus
konnte natürlich wenig eingegangen werden; und daß bei der Darstellung der
christlich-sozialen Bewegung manches unklar blieb, mußte getragen werden.
Ich möchte nicht auf weitere Einzelheiten eingehen. Ob es angängig ist, in
einer völlig veränderten Situation ohne ernsthafte Überarbeitung einfach wieder
abzudrucken, ist mir sehr fraglich. Es liegt mir fern genug, eine Neuschreibung
der Kirchengeschichte je nach den Zeitumständen zu vertreten. Aber
gewisse Überarbeitungen sind schon unvermeidbar, wenn man einmal apologetischem
Anliegen Raum gegeben hat.

Dem Literaturverzeichnis gegenüber Desiderien anzumelden, ist mißlich
. Natürlich mußte ausgewählt werden. Die 5.Auflage von Loofs „Leitfaden
zum Studium der Dogmengeschichte" (vorläufig erstes Drittel), die Studi Gre-
goriani, Schnabels Quellenkunde zur Reformationsgeschichte, Briems Buch
über Kommunismus und Religion in der Sowjetunion und Wilhelm Niemöllers
„Kampf und Zeugnis der Bekennenden Kirche" hätten schon mit erwähnt
werden mögen.

Schließlich ein Letztes: Daß sich eine Kirchengeschichte der neuesten
Zeit gültig noch nicht schreiben läßt (S. VIII), ist selbstverständlich. Für eine
Übersicht über die Vorgänge würde mancher Leser zweifellos außerordentlich
dankbar sein. Warum es nicht möglich sein soll, eine solche zu geben, leuchtet
nicht recht ein. Die Sätze, die geschrieben sind, geben offensichtlich viel zu
wenig und sind nicht in aller» unanfechtbar (war — vgl. S. 539 — die evangelische
Pfarrerschaft wirklich im Pfarrernotbund zusammengeschlossen?).

Daß ich die zweite Auflage der Schusterschen Kirchengeschichte
wieder mit großer Freude und Gewinn gelesen
habe, bezeuge ich gern. Meinen'"Wunsch,"eine dritte Auflage
möchte doch noch etwas anders aussehen als die erste und die
zweite, habe ich angemeldet, erläutert und begründet.

Leipzig Franz Lau

KIRCHENGESCHICHTE: MITTELALTER

Auer, Johann, Dr.: Die Entwicklung der Gnadenlehre in der Hochscholastik
. 2. Teil: Das Wirken der Gnade. Freiburg: Herder 1951. XI,
266 S. gr. 8° = Freiburger Theologische Studien, hrsg. v. A. Allgeier u.
J. Vincke. 64. H. Kart. DM 10.50.

Es ist mir eine Freude, hier den zweiten Band des Werkes,
dessen ersten Band ich in dieser Zeitschrift 1944, Nr. 7—8,
Sp. 165—66 besprochen und dem ich unter den damaligen unsicheren
Verhältnissen etwas zaghaft eine Fortsetzung gewünscht
hatte, hier anzeigen zu können. Während im I. Bd.
das Wesen der Gnade behandelt worden war, wird nunmehr
das Wirken der Gnade dargestellt, wodurch auch das Wesen
wieder eine neue Beleuchtung erfährt. Näherhin werden in
vier Abschnitten behandelt 1. Die Leistungen der menschlichen
Natur oder des menschlichen Willens ohne die Gnade. 2. Die
Leistungen der menschlichen Natur oder des menschlichen
Willens mit der Gnade. 3. Die Leistungen der göttlichen Gnade
im verdienstlichen Akt — Gnade und Freiheit. 4. Die Wirkungen
der Gnade — Natur und Gnade (Übernatur). Diese
Kategorien sind nicht rein a priori vom Verf. aufgestellt, sondern
lehnen sich an die Fragestellung und die Behandlungs-
weise der scholastischen Autoren an, so daß man in vielen
Fällen eine geschichtliche Darstellung einer scholastischen
Quaestio durch diesen Zeitraum, den der Verf. gelegentlich
genauer als von 1230 bis 1308 reichend bestimmt, erhält. Dabei
ist der Verf. bemüht, von der Einzeldarstellung zu der
ethisch-religiösen Gesamthaltung der verschiedenen Schulen,
insbesondere der thomistischen und franziskanischen, vorzustoßen
und eine Bewertung auch vom heutigen, d. h. vom persönlichen
Standpunkt des Verf.s aus zu geben. Dabei scheint
sich gegenüber dem I. Bd. der Akzent etwas zu Gunsten der
thomistischen Auffassung zu verschieben — wohl unter dem
steigenden Eindruck, daß die franziskanisch-skotistische Lehre
zu sehr in die Nähe des Nominalismus gerät. Die Betrachtung
der nominalistischen Gnadenlehre selbst liegt freilich außerhalb
des Rahmens der Arbeit, muß aber doch immer wieder
gestreift werden, weil sich eine abschließende Darstellung und
Bewertung der scholastischen Gnadenlehre nicht ohne Ausblick
auf ihren Abschluß im Nominalismus geben läßt. Es wäre
sehr zu wünschen, daß der Verf. in einem neuen Werke die
Weiterentwicklung der scholastischen Gnadenlehre bis zum
Ausgang des Mittelalters verfolgen würde. Dabei wäre dann
zu klären, inwieweit die nominalistische Lehre eine konsequente
Weiterbildung von' Ideen ist, die bereits in der Hoch-
scholastik vorhanden oder angelegt sind, oder wieweit sie einen
Bruch mit der gesamten scholastischen Tradition darstellt. Da
wir soeben den I. Bd. einer Darstellung der frühscholastischen
Gnadenlehre erhalten haben (A. M. Landgraf, Dogmengeschichte
der Frühscholastik. I. Teil. Die Gnadenlehre. I. Bd.
Regensburg 1952), so würde dann eine vollständige Geschichte
der scholastischen Gnadenlehre vorliegen.

Mein günstiges Urteil über den I. Bd. kann ich für den
II. wiederholen. Allerdings wären manche Unvollkommen-
heiten vermieden worden; wenn der Verf. meine Ausstellungen
betreffs des I. Bds. berücksichtigt hätte.

So ist die dort vermißte Literatur auch jetzt nicht herangezogen
worden. Wenn in einem Buche über die Willenslehre
des Albertus Magnus gehandelt wird, so durfte nicht unerwähnt
und unbenutzt bleiben D. Siedler, Intellektualismus und Voluntarismus
bei Albertus Magnus. Münster 1941. Baeumkers
Beiträge 36, 2 (Der Titel ist irreführend und nur gewählt, weil
die Bonner kath.-theol. Dissertation vom 8. Oktober 1940:
Menschlicher und göttlicher Wille bei Alb. M. von der Gestapo
beschlagnahmt worden war!).

Auch die aus den Hss. mitgeteilten Zitate lassen öfters
das erforderliche Maß an Exaktheit vermissen. Man vgl.
etwa: S. 1223, 1427. 27, 2 87, 33", 40« 45 w, 5416. " usw.

Bonn Bernhard Geyer

Williams, Michael E.: The teaching of Gilbert Porreta on the Trinity

as found in his commentaries on Boethius. Rom: Pont. Universitä Gre-
goriana 1951. XV, 130 S. gr. 8° = Analecta Gregoriana Vol. LVI, Series
Facultatis Theol., Sectio B (n. 23).

Das Werk, das mit großer Sachkenntnis gearbeitet ist
und bei jeder Gelegenheit angenehm erkennen läßt, daß der
Verf. auch mit den in Betracht kommenden theologischen
Problemen selber vertraut ist, gibt vor allem eine Bibliographie
, die sich nicht mit einer bloßen Aufzählung der in