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Ausgabe:

1952 Nr. 6

Spalte:

356-357

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Schuster, Hermann

Titel/Untertitel:

Das Werden der Kirche 1952

Rezensent:

Lau, Franz

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Theologische Literaturzeitung 1952 Nr. 6

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ausgehen sieht, während der Humanismus des Aristoteles eine
geistige Welt errichtet habe, die heute noch ein Bollwerk gegenüber
dem andrängenden Chaos ist. Der Aristotelismus ist in
seinem Realismus „Garant der objektiven Wissenschaft" wie
,,auch Grundlage der Humanitas und der humanen Kultur".
In dem christlichen Humanismus sieht der Verf. die jeweils
geforderte Synthese des Piatonismus und Aristotelismus. Eine
Zukunft für den Humanismus gibt es für den Verf. nur in der
untrennbaren Verbundenheit mit dem Christentum. Eine Auseinandersetzung
mit dem „totalen Humanismus", wie ihn der
Kommunismus erstrebt, hat der Verf. nicht versucht.

Sellmair klärt dann die Begriffe Humanismus und Humanität
als legitime Erben der humanitas: der Idee vom Menschen
, die letztlich in seiner Gottebenbildlichkeit gründet.

Nach der Deutung der Begriffe behandelt der Verf. ausführlich
die Entwicklung der Humanitas in der griechischrömischen
Antike, um dann zum eigentlichen Thema des
Buches der Humanitas Christiana zu kommen. Nur in einem
kurzen Kapitel setzt er sich mit der Begegnung des östlichen
Christentums mit der Antike auseinander. Die übrige Darstellung
verläuft in der Form von Einzeldarstellungen, die alle die
Humanitas Christiana als Zentrum haben. Es ist von der Historie
her gesehen nicht eigentlich eine Geschichte des christlichen
Humanismus, da eine in sich geschlossene Darstellung
nicht vorliegt und auch nicht beabsichtigt war. Unter den
Vätern des Abendlandes hat mit Recht Augustin eine eingehende
Würdigung gefunden. Neben ihm sind Boetius, Gregor
der Gr., Isidor von Sevilla, das Mönchtum Cassiodors und
Benedikts im Rahmen des Themas des Buches zur Darstellung
gekommen. Der Humanismus hat in der karolingischen Renaissance
, den Scholastikern, unter ihnen besonders Abälard
und Thomas von Aquino, und Dante seinen Niederschlag gehabt
. Der Verf. weist aber auch mit Recht auf den christlichen
Antihumanismus der asketischen Bewegungen hin, wie er vor
allem sich in der cluniazensischen Reformbewegung und der
Reformpartei und ihren Nachwirkungen bis ins 13. Jahrhundert
auswirkte. Besonders umfangreich sind die Ausführungen
über die verschiedenen Vertreter und Erscheinungen des Humanismus
und der Renaissance. Neben dem italienischen ist
der deutsche, französische, englische und spanische Humanismus
behandelt worden. Es fällt auf, das der Erfurter Humanismus
mit Mutian und Eobanus Hessus sowie der des Kardinal
Albrecht in der Darstellung keine Würdigung findet. Als evangelische
Theologen interessiert uns die Einordnung des Erasmus
und Luthers insbesondere ihr gegenseitiges Verhältnis.
Der Verf. spricht vom Antihumanismus Luthers, der den Bund
Antike und Christentum zerbrochen habe. Er überspitzt dann
den Gedanken vom Antihumanismus Luthers, wenn er die
Frage stellt, ob Luther nicht das Gottmenschentum verkennt.
Christus habe doch die ganze Würde der humanitas offenbart.
Hier sieht er die Hintergründe des Gegensatzes Erasmus—Luther
. Bei diesen Ausführungen spielt das Urteil Luthers über
Erasmus eine wesentliche Rolle: „Die menschlichen Dinge
gelten ihm mehr als die göttlichen." Wie stark die Darstellung
von katholischer Sicht ausgeht, zeigt die Tatsache, daß der
Humanismus Melanchthons, Zwingiis, Calvins u. a. keine Würdigung
findet, dagegen der Verfasser vom Humanismus der
Gegenreformation handelt. Vor allem ist aber dem Verfasser
nicht deutlich geworden, daß es bei dem Kampf Luthers mit
Erasmus Luther um die Wirklichkeit von Gott und Mensch
ging. Was Luther in notvollem Ringen erlebt hatte, sah er bei
Erasmus durch eine einleuchtende, im Grunde genommen
simple Theorie verdeckt. Darum stellt Luther der Theorie des
Erasmus den deus absconditus und das servum arbitrium
gegenüber. Die Geschichte hat im übrigen gezeigt, daß der
Humanismus der Diatribe das humanuni verliert. Nur wo das
reformatorische christianum ist, kann neue Humanität werden.

Auch unter den Vertretern des Neuhumanismus des 19.
Jahrhunderts vermißt man manche Persönlichkeit. Es ist bezeichnend
für die Darstellung dieses Teiles, daß sie mit John
H. Newman schließt. Das Buch endet mit zwei Abschnitten,
in denen die Krisis des Humanismus behandelt wird und der
Neue Humanismus, wie er sich bei Thomas Mann, Andre Gide,
FrankfBuchmanu bis zu Victor Gollancz findet, einer kritischen
Sichtung unterzogen.

Ein umfangreiches Literaturverzeichnis und Personenregister
bilden den Abschluß. Es handelt sich bei aller Kritik
um ein wertvolles Buch.

Berlin Walter Delius

Schuster, Hermann: Das Werden der Kirche. Eine Geschichte der Kirche
auf deutschem Boden. Mit Beiträgen von Hans Freiherr von Campenhausen
und Hermann Dörries.2., verb.Aufl. Berlin: Töpelmann 1950. XIX, 569 S.
gr. 8°. Lw. DM 18.—.

1941 ist die 'Schustersche Kirchengeschichte zum ersten
Male herausgekommen. Die zweite Auflage, die jetzt erschienen
ist, unterscheidet sich nur unerheblich von der ersten.
Die Einteilung in Abschnitte, Unterabschnitte und Paragraphen
ist exakt die gleiche geblieben. Lediglich der letzte,
in. Paragraph ist um einen kleinen Absatz verlängert. Hier
und da sind inzwischen gesammelte Lesefrüchte mit eingefügt
(vgl. etwa S. 160), ohne daß nun dafür eine zwingende Notwendigkeit
deutlich würde. Ernsthafte Änderungen am Text
habe ich nicht finden können, nicht einmal an Stellen, an
denen regelrechte Irrtümer zu berichtigen gewesen wären
(s. u.). An der Grundhaltung des Buches ist gar nichts geändert
. Ergänzt ist das Literaturverzeichnis. Sogar kurz vor
der Drucklegung ist ihm noch ein wichtiger Nachtrag angefügt.
Die Drucktype der zweiten Auflage ist gefälliger als die der
ersten. Der Einband ist geschmackvoll und wirbt für das
Buch.

Beim Durchlesen des Buches erfreuen einen zunächst
wieder die großen Vorzüge, die schon bei der ersten Auflage
deutlich wurden. Unter pädagogischen Gesichtspunkten betrachtet
möchte man die Schustersche Kirchengeschichte als
mustergültig bezeichnen. Alles ist klar und durchsichtig. Die
Aufgliederung des Stoffes ist ausgesprochen geschickt. Fremdwörter
sind nach aller Möglichkeit vermieden; mindestens
sind sie übersetzt (ist aber Eudämonismus auf S. 419 mit Nützlichkeitsstreben
richtig wiedergegeben?). Dem Grundsatz,
wenn irgend möglich nur dann Personen namentlich aufzuführen
, wenn sie auch anschaulich gemacht werden können,
stimme ich ohne weiteres zu; man muß es in Kauf nehmen,
wenn man dann Persönlichkeiten vermißt, die doch von gewisser
Bedeutung sind. Ob Valentin Ernst Löscher fehlen
darf, ist freilich die Frage. Besonders überrascht, daß die
großen Gestalten der Neologie wie die Sack, Spalding, Jerusalem
nicht vorgestellt werden; und von einem Manne wie Semler
wird nur nachholend einmal gesprochen. Dazu ist nur noch
zu bemerken, daß das Bild der Aufklärungstheologie überhaupt
merkwürdig blaß bleibt. Es wird beispielsweise nicht
deutlich, wie stark die Apologetik des Christentums Motiv der
Aufklärungstheologie ist; und die Idee der Simplizität des
Christentums hätte einer Würdigung bedurft. Erfreulich ist,
daß mit Liebe immer auch der Dichtkunst, der bildenden
Kunst, der Baukunst, der Musik, der Philosophie nachgegangen
wird, und daß Schuster für diese Sondergebiete
sachkundige Mitarbeiter gefunden hat. Schließlich: Daß
wichtige Quellenstücke mit geboten und daß mit wichtigen
Werken durch ausführliche Inhaltsangaben bekannt gemacht
wird (Schleiermachers Reden z. B.), ist sehr schön.

Von pädagogischen Motiven her (im weitesten Sinne des
Wortes) ist wohl auch die Verteilung der Schwerpunkte innerhalb
des Buches zu verstehen. Mit Alter Kirche und Mittelalter
ist Schuster auf S. 219 fertig (im ganzen sind es 569 S.).
Auf S. 338 beginnt er bereits das Zeitalter der Aufklärung.
Am meisten hat das Buch über den Deutschen Idealismus zu
sagen und über die Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts.
Das gehört zu dem allgemeinen Bildungsstoff, den das Buch
über die im engeren Sinne kirchengeschichtliche Materien
hinaus vermitteln will. Daß dem Deutschen Idealismus des
Verf.s Herz gehört, wird deutlich. Umso mehr bedeutet es,
daß der Verf., so sehr er den Deutschen Idealismus in der
Reformation verwurzelt sieht, den Abstand der Idealisten von
den Reformatoren (Schleiermachers von Luther; vgl. S. 418)
nicht verleugnet.

Nicht recht befriedigt die beabsichtigte und doch eben
nicht durchgeführte Beschränkung auf die Geschichte der
Kirche auf deutschem Boden. Nachdem mit der Kirchengeschichte
der Alten Kirche begonnen ist (der Abschnitt
stammt von Campenhausen, wie auch die Paragraphen über
die kirchliche Kunst des Mittelalters; die Kirchengeschichte
des Frühmittelalters hat Hermann Dörries geschrieben), leuchtet
nicht ein, warum die Iroschotten nur so gestreift sind.
An anderen Stellen würde ein Blick über die Grenze oder eine
etwas intensivere Beschäftigung mit außerdeutschen Vorgängen
sehr hilfreich sein (Pietismus; Aufklärungstheologie).
— Man scheut sich, gegen das Buch kritisch einzuwenden, daß
es auf die politische Geschichte kaum eingeht. Eine Darstellung
der Kirchengeschichte auf nicht 600 Seiten kann nicht
alles schaffen. Immerhin: An manchen Stellen, etwa im
Mittelalter oder auch bei der Reformationszeit, hätte ein deut-