Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1952 Nr. 6

Spalte:

354-355

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Sellmair, Josef

Titel/Untertitel:

Humanitas christiana 1952

Rezensent:

Delius, Walter

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

353

Theologische Literaturzeitung 1952 Nr. 6

354

Almqvist faßt seine Aufgabe so weit, daß er auch auf die
neutestamentlichen LXX-Zitate und Anspielungen seine Plu-
tarch-Parallelen ausdehnt. So wird (etwa in Nr. 56, 72, 73,
106, 210, 328) das hellenistische Gewand bereits der LXX deutlich
. Der ausgesprochene Seniitismus des iocörävTä ngog Elgrjvrjv
ist in Nr. 101 allerdings verkannt. Ebenso wäre eine Unterscheidung
zwischen dem in Nr. 50 belegten „sagenhaften Stil"
und der in den Synoptikern weithin begegnenden semitischen
umständlichen Erzählungsweise (Wellhausen, Einleitung in
die drei ersten Evangelien2 S. 14) vonnöten. Die Bezeichnung
der in Nr. 78 belegten Opisthothese als ,,abschließend" widerspricht
dem weiteren Plutarch-Kontext, der mit et de ein vorhergehendes
n£v weiterführt, und erweckt, was ausdrücklich
zu formulieren Almqvist allerdings vermeidet, den irreführenden
Eindruck, als sei hier ein weiteres Argument für den Abschlußcharakter
von Mark. 16, 8 beigebracht. Das ev&vq in
Mark. 5, 29 hat seine Parallele nicht an dem in Nr. 61 belegten
belebten Erzählungsstil, wie Almqvist behauptet, sondern an
dem bekannten Topos antiker Wunderberichte. Damit ist der
Punkt erreicht, an dem grundsätzlich gegen die von Almqvist
gebrauchte Nomenklatur Einspruch erhoben werden muß.
Seine unter „stilistisch", „Erzählungsstil", „Bild" und „lexikalisch
" beigebrachten Parallelen enthalten sehr ofta) Material
, dessen Rubrizierung unter so formalen Titeln irreführend
ist, weil dies Material die Formung des neutestamentlichen
Schreibens und Denkens durch den zeitgenössischen Hellenismus
bis in zentrale Inhalte hinein (Geburt, Taten, Wunder und
Ende eines detog ävrjo, Inhalt der Paränese, Mysterienfrömmigkeit
) dartut. An der Bezeichnung der Ariston-Legende (Piatons
Geburt) als einer Parallele für den „Erzählungsstil" (Nr. 3)
mag das Irreführende dieser Rubrizierung beispielhaft klarwerden
.

a)für „stilistisch" vgl. Nr. 196, 212, 214, 235, 249, 250, 253, 255 , 271, 279>
283, 288, 290, 302, 303, 312.
für „Erzählungsstil" vgl. Nr. 3, 23, 46, 60, 62, 69, 71, 76, 82, 83, 85, 107,
110, 112, 113, 127, 136.

für „Bild" vgl. Nr. 14, 15, 16, 24, 205.
für ,,lexikalisch" vgl. Nr. 67, 201.

Auch die von Almqvist selber als solche bezeichneten sachlichen
Parallelen aus Plutarch (Almqvist unterteilt: „kulturgeschichtlich
", „religiös", „ethisch") bringen weithin interessantes
, ja wesentliches Material. Aus seiner Fülle seien nur
genannt für „kulturgeschichtlich" : die verschiedenen hindernden
Momente (Nr. 99), die hohe Wertung des Alters (Nr. 122),
die Schweigepflicht der Frauen (Nr. 208), die Charakterisierung
der Galater (Nr. 229), der Begrüßungskuß (Nr. 313); für
„religiös": die Opposition gegen die Tagewählerei (Nr. 176),
die Heils-Fähigkeit der Tiere (Nr. 192), die Zeitlosigkeit der
Gottheit (Nr. 316); für „eth.": die schönen Parallelen zu
Luk. 11,8 und 12, 19 (Nr. 95, 97), das Nicht-Raumgeben gegenüber
dem eigenen und das Raumgeben gegenüber dem göttlichen
Zorn (Nr. 173), die Verknüpfung von ).vnr und fierdvoia
(Nr. 220), die anmutige und gewürzte Rede (Nr. 270), der
Gegensatz von Genuß und ewiger Ehre (Nr. 297).

Dieser breiten Materialsammlung ist eine Einleitung vorangestellt
, die über den Plan und die Aufgabe, über die kulturgeschichtliche
und religiöse Lage im Hellenismus, über das
Leben und Schrifttum Plutarchs wie über die Stellung des
NT zum Hellenismus knapp und geschickt (in Anlehnung an
Ergebnisse der Religions- und Formgeschichte und an die
Schmid-Stählin sehe Griechische Literaturgeschichte) unterrichtet
. Man möchte fragen, warum (S. 3) der vierte Evangelist
nicht unter die ausgeprägten schriftstellerischen Persönlichkeiten
gerechnet ist; man trägt auch Bedenken, Plutarch so
betont (wie S. 2) gegen die spätere Stoa abzuheben. Das Nachwort
zieht, vor einer breiten und besonders für Plutarch wertvollen
Literaturübersicht (auch bei Besprechung der einzelnen
Parallelen ist die einschlägige Literatur vermerkt, dem
deutschen Leser besonders wertvoll durch die Zusammenstellung
der betreffenden nordischen theologischen Literatur), das
Fazit aus der Parallelensammlung. Die Statistik, die die verschiedenen
Arten der Parallelen und ihre Zuweisung an jede
einzelne neutestamentliche Schrift aufrechnet, macht allerdings
schlagend klar, daß die religionsgeschichtlichen Inhalte
zu kurz gekommen sind (De Iside et Osiride ist religionsge-
schichtlich nicht voll ausgeschöpft!), wenn ausgerechnet die
Acta einen besonders niedrigen Prozentsatz von Parallelen abbekommen
, ja daß solch eine Statistik überhaupt nur dann
einen Sinn hat, wenn ein Schrifttum nahezu völlig erfaßt wurde.
Aber das hat der Verf. wohl selber gemerkt. Unverständlich
bleibt das in Bausch und Bogen ergehende, ohne Differenzierung
zwischen Jüdischem und Hellenistischem innerhalb des
NT Geltung beanspruchende abscldießende Urteil des Verf .s,
daß „das NT im Grunde dem griechischen Geiste ganz fremd
gegenübersteht" (S. 145, vgl. auch S. 9); unverständlich jedenfalls
dann, wenn man die orientalische Versetzung des Hellenismus
, wie der Verf. das ja auch wenigstens andeutend tut
(S.5), mit einkalkuliert. Auch ohne die Vollzahl der vom Verf.
etwas stiefmütterlich behandelten religionsgeschichtlichen Parallelen
geht aus dem schon vorhandenen Material des Buches
deutlich hervor, daß mit der Form weitgehend hellenistische
Inhalte durch das NT in Dienst genommen worden sind. Dieser
Aufweis, der einfach durch das Gewicht des Materials geführt
wird, bildet den großen Wert des Buches. Nicht nur der Anfänger
, der an das NT herangeht, kann aus den Parallelen viel
lernen, gerade wenn er das Fazit Almqvists nicht vorschnell
übernimmt; auch der Exeget wird die Benutzung der Sammlung
(ich fand sie bisher lediglich bei Kümmel I/II Kor.4 1949
zitiert) nur zum Schaden der Sache unterlassen.

Berlin-Zehlendorf Herbert Braun

KIRCHENGESCHICHTE: ALLGEMEINES

Sellmair, Josef: Humanitas Christiana. Geschichte des christlichen Humanismus
. München: Ehrenwirt 0. J. 519 S. 8°. Hlw. DM 14.50.

Die Ereignisse des letzten Jahrzehntes haben die Frage
nach der humanitas und christianitas neugestellt. Dabei ist
zunächst die Feststellung des Sinnes des Wortes Humanismus
heute von ausschlaggebender Bedeutung. Gegenüber Sartre,
der den Humanismus für seinen Existentialismus (L'existen-
tialisme est un humanisme) in Anspruch nimmt, hat sich bereits
Heidegger (über den Humanismus. Frankfurt 1949) klar
abgegrenzt. Andererseits hat die Genfer Tagung europäischer
Intellektueller (Rencontres internationales) im Jahre 1949 die
heillose Verwirrung der geistigen Situation gezeigt, so daß eine
Verständigung über Begriff und Möglichkeit des Humanismus
sich nicht ergeben hat. Damals hat Karl Barth in zwei Vorträgen
, von denen einer im Druck erschienen ist (Humanismus.
Theologische Studien Heft 28. Zollikon-Zürich 1950), die
christliche Antwort gegeben. In ihr betont er die Ausschließlichkeit
der christlichen Botschaft und spricht vom Humanismus
Gottes, der Wendung Gottes zum Menschen in Jesus
Christus. Es ist bekannt, daß Jaspers diese Konzeption Barths
ablehnt.

Von katholischer Sicht aus hat nun J. Sellmair zu dem
Problem humanitas christiana Stellung genommen. Nachdem
das Manuskript im Jahre 1943 durch Kriegseinwirkung fast
vollständig vernichtet worden war, hat der Verf. die nun gedruckt
vorliegende Fassung im Jahre 1948 vollendet. Dabei
haben sich zeitbedingte Unebenheiten und Mängel ergeben,
auf die der Verf. selbst hinweist. Sein Anliegen ist, das „allmähliche
Werden und die Veränderungen des Menschenbildes,
sowie die dabei bewegenden Ideen und formenden Kräfte sichtbar
werden zu lassen". Er hat in seiner Darstellung eine Bildungsgeschichte
des christlichen Abendlandes geschaffen, die,
soweit ich sehe, bisher in der deutschen Literatur in diesem
Umfang und in dieser Vertiefung nicht vorhanden ist.

Die Darstellung beginnt mit einer Klärung des Begriffes
humanitas christiana. „Ihre Geschichte stellt nicht nur das
Werden der menschlichen Bildung, sondern das Zusichselber-
kommen des Menschen dar." Griechischer und christlicher Geist
haben diesen Prozeß schöpferisch gestaltet. Beide sind wesentliche
Grundlagen des Humanismus des Abendlandes, wie er
Bildung, Kultur und Zivilisation geformt hat. In diesem Humanismus
werden zwei Ideen deutlich: die Idee eines bestimmten
Menschenbildes und die Ausformung desselben in der Antike
. Es geht dabei nicht um Nachahmung, sondern um Nachfolge
auf dem Wege, den Griechen und Römer für die Menschheit
eröffnet und bereitet haben. Auch der christliche Humanismus
bekennt sich zur Vorbildlichkcit der antiken humanitas
. So sieht der Verf. den Humanismus auf platonisch-aristotelischer
Grundlage offen für alle Möglichkeiten auch für die
des Christentums. Für den Verf. ist der Humanismus mehr als
die Beschäftigung mit der antiken Literatur und eine damit
verbundene Lebensform. Er sieht ihn letztlich in dem Verlangen
des Menschen aus seinem eigentlichen Wesen heraus
nach einer Vollendung, in der er allein seine Würde behaupten
kann. Darum stellt er zunächst einmal die antike Vorstellung
von der Schöpfung des Menschen dem biblischen Schöpfur.gs-
bericht gegenüber. Für die Darstellung ist nun wichtig, daß
der Verf, von Piaton den Strom des religiösen Humanismus