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Ausgabe:

1952 Nr. 6

Spalte:

329-336

Autor/Hrsg.:

Schubert, Kurt

Titel/Untertitel:

Der gegenwärtige Stand der Erforschung der in Palästina neu gefundenen hebräischen Handschriften 1952

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Theologische Literaturzeitung 1952 Nr. 6

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Drängen auf pietistische Erbaulichkeit oder auch durch
Schlagworttheologie, Radikalismus, Bekenntnisrhetorik usw."
Aber das stimmt: Die Zahl der Christen, welche eine Untermauerung
des „Wortes" durch die Bibel Wissenschaft brauchen,
ist größer als die Zahl derjenigen, welche mit dem vorliegenden
Wortlaut und dem Christusinhalt zufrieden sind. Ehre dieser
Zufriedenheit! Aber auch kein Wort gegen die anderen! So
folgere man: Das eine tun und das andere nicht lassen! Aber
so in jeder Veröffentlichung —, denn die Christenheit liest
nicht die ganze „Literatur".

Nun ist freilich der Hauptgrund für das Nebeneinanderstehenlassen
von Verkündigung und Bibelwissenschaft im
heutigen evangelischen Ringen noch nicht genannt. Das ist er:
den höchsten und notwendigsten Inhalt erringt man nicht
durch Forschen und Wissen — das Wissen spielt seine große
Rolle in den vordergründigen Bezirken — auch die Bibelwissenschaft
führt nicht zum Letzten und Hintergründigen!
Aber wenn anderseits das Hören und Bewahren der Offenbarung
zum wesentlichen Inhalt und zum Leben aus dem
Höchsten führt — steht um dieses Eine Notwendige für uns
nicht ein Kreis von rationalen Überlegungen herum, welche
nicht dilettantisch oder parteilich, sondern eben bibelwissenschaftlich
gelöst sein wollen ? So führt die Bibelwissenschaft
nicht gerade zum letzten Ziel, aber — zur Bibel! Und wenn man
sagt, eben deshalb wollen wir aus den biblischen Texten nur
ihren Gehalt an Letztem herausarbeiten —, wieso tut man das
gerade an der Bibel und nicht an den Veden oder am Koran ?
Antwort: Weil die Bibelwissenschaft die Gründe für die Bibel
herausarbeitet! (Es sei denn, man antworte: „Weil es so Tradition
ist"!) Von hier aus gesehen wird die Gefahr des bloßen
Nebeneinander von Bibelwissenschaft und Verkündigung nicht
kleiner, aber man versteht die Zurückhaltung, ja Askese, der
Verkündigung in der Praxis und in der Literatur. Wenn z.B.
Erich Stange1 in der „Bibelhilfe für die Gemeinde" die Kor.
feinsinnig, sachkundig und wirklich auferbauend auslegt, so
dispensiert er doch seinen Kommentar vom eigentlichen
wissenschaftlichen Material, trotzdem er selbst darin zu Hause
ist. Oder wenn Werner Pf endsack2 als „eine Auslegung des
1. Thessalonich er-Briefes" gerade seine Predigten über
1. Thess. veröffentlicht, die zum Tüchtigsten gehören, was die
heutige Homilie aufzuweisen hat, so versteht man das — und
begreift: „Auch so kann man es machen" (und doch bleibt
ein j.Aber"). Oder wenn Paul Schempp3 seine Groß-Kate-
chese über die Anrede und die erste Bitte des Vaterunsers zu
einer dogmatisch, ethisch und pastoral geradezu mächtigen

') Stange, Erich, d.: Die Korintherbriefe übers, u. ausgelegt.

2. Aufl. Stuttgart: Oncken 1948. 184 S. 8° = Bibelhilfe für die Gemeinde,
hrsg. v. D. Erich Stange. Neutestamentl. Reihe Bd. 7/8. Pp. DM 4.80.

') Pfendsack, Werner: Junge Gemeinde. Eine Auslegung des
1. Thessalonicher-Briefes. Basel: Reinhardt o. J. 107 S. 8°. Kart. sfr. 4.50;
Lw. sfr. 7.—.

') Schempp, Paul: Der Anruf Gottes. Eine Erklärung der ersten
Bitte des Vaterunsers. München: Chr. Kaiser 1949.152 S. gr. 8°. Hlw. DM 6.40.

Confessio macht (ein Buch, das anderswo die Wellen hochsteigen
ließe) —, so hat man doch, wenn auch hingerissen, die
Frage: „Und die Bibelwissenschaft über das Vaterunser?" —
Ein besonderes Stück bilden aber in diesem Zusammenhang
die Andachten und Predigten der Professoren. Auch sie begeben
sich auf die Linie der Zurückhaltung, ja Askese, gegenüber
der Bibelwissenschaft. Und doch hört und liest die Gemeinde
die Professoren-Andachten mit dem Gedanken: „Der
weiß wissenschaftlich Bescheid — wenn er also das „Wort"
wie ein Pfarrer handhabt, dann stimmt es damit". Hier ist
also in der Gemeinde doch die Bibelwissenschaft ausschlaggebend
(wenn auch nur in dem Fall, in welchem der Professor
dem „Wort" in der Gemeinde recht gibt!) Viele Professoren
bedenken das nicht, daß ihre Gemeindeverkündigung als Ausfluß
ihrer in der bibelwissenschaftlichen Luft geklärten und
gekräftigten Frömmigkeit angesehen wird. Die 17 Betrachtungen
zum 2. Kor., welche Wolfgang Trillhaas1 in der Con-
solatio Fratrum erscheinen ließ, machen durch Auswahl,
Nüchternheit und Schlagkraft gerade aus dem genannten
Grunde besonderen Eindruck. Und Helmut Thielickes2 berühmte
Predigten über die Bergpredigt könnten (und werden)
wohl auch um ihrer großartigen Deutung unserer ,,Geworfen-
heit" und unseres Heilsweges willen gelesen werden: aber dahinter
steht ein „ganzes Volk", das gerade vom Professor
Thielicke die „richtige Jesus-Bergpredigt" geklärt haben will.
Und diese Note zur Professoren-Predigt ist auch ein Paragraph
in der Abhandlung über den Einfluß der Bibelwissenschaft
auf das Gemeindebibel werk.

Wir schließen mit dem Hinweis auf eine besondere Köstlichkeit
. Ernst Benz3 hat den Gedanken gehabt, der Gestalt
Jesu sich indirekt zu nahen, nämlich durch (dichterische)
Monologe des Judas Ischarioth vor und nach seinem Verrat.
Das Ganze ruht auf der Hypothese, daß Judas durch Enttäuschung
wegen der Schwäche dieses „Messias" Jesus an ihm
zum Verräter geworden sei. Also: dichterische Fruchtbarmachung
einer bibelwissenschaftlichen Hypothese! Und durch
die ganze Schrift behält die neutestamentliche Linie ihren
leitenden und moderierenden Einfluß. Aber welch ein Werk
entsteht da auf 45 Seiten! Man liest jetzt überall das Buch
von Lagerqvist „Barabbas", das auf dichterischer Phantasie
(und daneben gewiß auch auf neutestamentlichen Studien,
kirchengeschichtlichen Einblicken und Hypothesen) ruht —,
aber Ernst Benz ist vielleicht noch mehr! Weil bei ihm die
Bibelwissenschaft mit der Verkündigung und der Poesie Hand
in Hand geht.

•) Trillhaas, Wolfgang: Siebzehn Betrachtungen zum zweiten

Korintherbrief. München: Evang. Presseverb. f. Bayern o. J. 69 S. 8° =
„Consolatio Fratrum". Gebete und Betrachtungen, hrsg. v. Gerhard Hild-
mann 4. DM 2.25.

') Thielicke, Helmut: Die Bergpredigt. 2. Aufl. Stuttgart: Quell-
Verlag 1950. 259 S. 8°. Hlw. DM 8.80.

3) Benz, Emst: Die Monologe des Judas Ischarioth. München:

Claudius-Verlag 1951. 45 S. 8°. DM 2.70.

Der gegenwärtige Stand der Erforschung der in Palästina neu gefundenen hebräischen Handschriften

21. Bemerkungen zum Verständnis einiger Termini in den Handschriften von En Fesha und im Damaskusdokument

Von Kurt Schubert, Wien

Die neuesten Veröffentlichungen über den Ansatz der En
Fesha-Rollen ergeben, daß deren Frühdatierung entschieden
jeder anderen vorzuziehen ist. Wenn auch noch immer für
eine eindeutige und in jeder Beziehung klare Datierung einiger
Spielraum offen bleibt, so ist es doch am wahrscheinlichsten,
daß die Rollen etwa zwischen 200—50 v. Chr. geschrieben
wurden. Unter der Fülle der diesbezüglichen neueren Literatur
will ich nur auf die scharfsinnigen Ausführungen Prof.
Stauffers in ThLZ 76/1951, S. 667H. verweisen und auf die
Feststellungen von Burows in BASOR 124, S. igff., wo dieser
hervorhob, daß die Orthographie der assyrischen Namen in
DSI a darauf schließen läßt, daß der Schreiber der Rolle noch
eine der von Isaias tatsächlich gesprochenen Sprache ähnlichere
und daher ältere Tradition aufbewahrt hat als sie im
MT vorliegt1.

') Meine Gründe für die Frühdatierung führte ich genau aus in ZKT
74/1952, 1. Heft und im 1. Bd. des Jahrbuches des Javneh Institute for Jewish
Siences, Melbourne (dzt. noch in Druck).

Teicher stellte zwar mit Recht fest, daß nicht nur das
Damaskusdokument, sondern auch der Sektenkanon nicht aus
einem Guß sei und daß beide Schriften daher das Werk eines
Kompilators seien, geht aber mit der Schlußfolgerung, daß es
sich um ebionitisches Schrifttum handeln müsse, schon aus
diesem Grunde in die Irre, da es nicht zu erwarten ist, daß in
juden-christlichen Texten nicht ein einziges Herrenwort
überliefert wurde1. Was den Sektenkanon anlangt, so ist er
durch die Bemerkung 9/11 i{ntJV| ynnN TPXÖWn K»33 am TJ
eindeutig datiert als einer Zeit angehörig, da in Israel sowohl
der Messias als auch der ihm vorangehende wahre und letzte
Prophet (wahrscheinlich in Gestalt des Elias) noch erwartet
wurde. Dieses Zitat steht aber an einer solchen Stelle des
Sektenkanons, die in ganz kurzen Worten zusammenfaßt, was
schon vorher ausführlich mitgeteilt wurde und von der es nicht

') J. L. Teicher, JJS 2 (1951), S. 115 Vgl. Teichers Ausführungen in
JJS 2 (1951), S. 67ff.