Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1952 Nr. 5

Spalte:

314-315

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Steinbüchel, Theodor

Titel/Untertitel:

F. M. Dostojewski 1952

Rezensent:

Doerne, Martin

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

313

Theologische Literaturzeitung 1952 Nr. 5

314

leuchten" (S. 34L), was mehr bedeutet als die gelegentlichen
verklärenden Aussagen über das Kreuz (S. 35). Er wußte um
das Scheitern der menschlichen Wege, und darum ist seine
große Dichtung em Lobpreis der Gnade. — Ist G. deswegen
rundweg als Christ zu bezeichnen ? Er ist gewiß „kein Kirchen-
Christ im landläufigen Sinne" (S. 39), und daher nicht in oberflächlich
apologetischem Sinn für das Christentum zu beanspruchen
. Aber in seinem Ja und Nein zum Christentum, in
diesem Ringen um den Glauben als Mitte des Lebens, wie
Goethe es darstellt, liegt ein Stück der stellvertretenden und
symbolhaften Bedeutung, die Goethes Leben für unsere Generation
hat, der die Gottesfrage radikal gestellt ist. Sachlich
klar, fem abwägend und verstehend und die richtige Bedeutung
Goethes für die Problematik der Gegenwart sehend, dabei
offen für die bestehenbleibenden Probleme der Forschung
wie für das Rätselhafte in Goethe selbst, ist dies Büchlein ehi
dankbar aufzunehmendes Geschenk auch für den Goethekenner
. Gerade wer Goethe kennt, wird merken, wie hinter
jedem Satz ein reifes Goetheverständnis steht, und wie aus
allem das Bemühen spricht, gerecht abzuwägen und klar die
Grenzlinien zu ziehen und wiederum das geistige Band, das
Goethe mit dem Christentum verbindet, zu zeigen. Von
solch geistig hoher Warte muß dies Problem angefaßt werden.
Darum ist der Verf. auch hier ausgiebig zu Worte gekommen.

Nicht auf solcher Höhe steht Kahle, Wilhelm, Goethe
und das Christentum. K. behandelt zunächst Goethes Stellung
zur Bibel, freilich recht oberflächlich und darum auch
einseitig. Erst recht einseitig sieht er auch von seiner eigenen
Frömmigkeit her des Dichters Verhältnis zum Kreuz
Christi; hier ist weder Goethes Ernst erfaßt, noch das Problematische
in der Fragestellung gesehen. Sieht K. als Katholik
begreiflicherweise in Goethes Stellung zur katholischen Kirche
nur Mißverständnisse und Verzerrungen, so befremdet doch
K.s Urteil über Goethes Hochschätzung der Tat Luthers. So
sehr Verf. in der Frage nach dem Verhältnis G.s zur christlichen
Sittenlehre gelegentlich Sinn für den sittlichen Ernst
Goethescher Frauengestalten aufbringt, so legt er aufs Ganze
gesehen mit den Maßstäben katholischer Ethik unsachliche
Wertvergleiche an Goethe an. In einem Schlußabschnitt will
Verf. ein abschließendes Urteil geben. Hier zeigt er am meisten
Verständnis für Goethes Art und Größe, die sich in Formeln
nicht pressen läßt. Nur wirkt es meiner Meinung nach peinlich,
wenn ein Autor glaubt, Goethe entschuldigen oder in Schutz
nehmen zu müssen, wie es bei K. den Eindruck macht. Das
entspricht weder historisch-verstehender Einfühlung noch dem
Respekt vor einer solchen ringenden, menschlich-hohen Persönlichkeit
.

Vorbildlich ist, gerade unter diesem Gesichtspunkt, der
auch sonst ausgezeichnete Vortrag von Althaus, Paul,
Goethe und das Evangelium. Goethes Stellung zur Bibel,
zur Reformation, zur evangelischen Kirche, zum Kreuz Christi,
zum Leben Jesu, zur Lebensmitte christlicher Frömmigkeit,
also zu Sünde, Schuld, Erlösung — das sind die Fragenkreise,
die in gedrängter, aber klar erfaßter Kürze behandelt werden.
Feinsinnig und aufgeschlossen für Goethes Wesen hat A. mit
reichlichen, nicht einseitig gewählten, charakteristischen Belegstellen
stets seine Antworten gegeben, denen durchweg zuzustimmen
sein wird. Man ist von Seite zu Seite überrascht,
was Verf., trotz der Kürze, an Quellenmaterial und -auswahl
und grundsätzlicher Bewertung aufweist. Er sieht G.s Verbindung
zum Christentum in seinem Leben mit der Bibel, in seiner
Bejahung der Reformation bis hin zum Entwurf einer Reformationskantate
1817, in seiner Ehrfurcht vor dem Leben Jesu
einschließlich der Art, wie er das Kreuz Christi über zeitbedingte
andere Urteile hinweg zu „ehren und zu schmücken verstand
" und zu würdigen wußte in seiner Bedeutung für die
Existenz der Menschen. Aber bei allen kennt Goethe nicht
die Ausschließlichkeit des Christentums. Er ist Anhänger der
Sekte der „Hypsistarier", der aus allen Religionskreisen das
Gute sich holt, und der darum Abstand hält zum Entscheidenden
am Christentum: er weiß um das Strebend-sich-Bemühen,
aber nicht um Buße und Sühnung, er weiß um Erlösung, aber
nicht um Versöhnung. Trotz allem wird Goethe gerade als
Schutz gegen Verkümmerung wahren Menschseins durch religiöse
Verkrampfung, dies ist A.s richtiger Schluß, auch dem
Christen viel zu sagen haben, mit seiner Not und seiner Hoffnung
, in seiner gläubigen Ehrfurcht und reinen Menschlichkeit.
Liebe zu Goethe und Wahrhaftigkeit in christlichem Glauben
haben eine kleine, aber feinsinnige Gabe uns beschert.

In seiner Schrift „Goethe und Luther" behandelt
A. Raabe die Trinität (Gott, Jesus Christus, Hl. Geist), die
christlichen Tugenden (Glaube, Liebe, Hoffnung), die Heilsordnung
(Sünde, Offenbarung, Rechtfertigung) und schließlich
Wiedergeburt und Ecclesiola. R. vermeidet erfreulicherweise
fast meistens ungeschichtliche Harmonisierung; zumeist
klar stellt er Gemeinsames und Unterschiede heraus. Nur ganz
wenige Beispiele für die Art, in der er richtig differenziert: Bei
Luther ist Glaube Wirkung des Hl. Geistes, bei Goethe ist
Glaube die Kraft des Genies. Bei Luther ist Rechtfertigung
Wohlgefallen, das Gott am Menschen nimmt, bei Goethe demütiges
Wohlgefallen vor sich selbst. Eine solche Studie zeigt
deutlich, wie sehr zweifelsohne Goethe in christlicher Tradition
wurzelt, aber ebenso, wieweit christliches Glaubensgut
bei ihm säkularisiert ist. Trotz aller Berührungen zwischen
Luther und Goethe sind doch die Unterschiede in der Anthropologie
, im Erlösungsglauben und der Weltbeurteilung grundsätzlicher
Art. Eine ganz eigene Betrachtung des Verf.s ist
die über Goethes Frauengestalten, die im Anschluß an Frauen
des NT.s als Magdalena-, Martha- und Mariatypen bestimmt
werden. Von hier aus wird Goethes Liebesbegriff untersucht
und dessen Verhältnis zu Luthers Verständnis der Agape bestimmt
. Der Ertrag der Schrift liegt in der klaren Gegenüberstellung
zweier so einzigartigen Deutschen, die jeder in seiner
Art unserer Zeit Unverlierbares zu geben haben. — Zum Schluß
sei noch hingewiesen auf Bergenthal „Heimat und Hoffnung
", dessen Erscheinen in 2. Aufl. nur angezeigt zu werden
braucht. Gegenüber der 1. Aufl. sind verdeutlichende Erweiterungen
vorgenommen. Aus der Erschütterung über die mangelnde
deutsche Umkehr und Einkehr, aus großer Liebe zur
deutschen Heimat, aus der Geborgenheit in der katholischen
Kirche, in Anlehnung an Plato, Augustin und Rilke, sucht er
Goethes Dichtung zu deuten. Zwei Gestalten treten ihm darin
besonders wegweisend hervor: Dorothea als reines Bild der
deutschen Frau und der Pfarrer, dessen Quellbezirk für Denken
und Handeln die „heiligen Schriften" sind, der Erde und
Menschen liebt und ernst nimmt, beteiligt zuinnerst an ihren
kleinen und großen Lebensaufgaben. Dabei stehen bei B. neben
oft feinen und feinsinnigen Deutungen auch sehr subjektivwillkürliche
.

Goethe und das Evangelium ist längst noch kein im einzelnen
geklärtes Thema; dazu ist dieser Geist viel zu reich und
zu unerschöpflich. Bei aller Verschiedenheit der Standpunkte
kommen die hier angeführten Schriften zum Thema darin sich
nahe: ohne Zweifel steht Goethe irgendwie in der Machtsphäre
der Christusoffenbarung, und zwar auch bewußt; denn
er war sich klar über die dämonischen Gewalten, die den Menschen
bedrohen, und er erkannte die Grenze menschlichen
Strebens auch bei dem reinsten Wollen. Aber ebensowenig ist
Goethe Apologet kirchlichen Christentums; vielmehr geht er
auch in seiner Ehrfurcht vor dem Göttlichen seinen eigenen
Weg wie auch sonst, und auf diesem greift er ihm fruchtbar
werdende religiöse Werte auf, wo er sie zu finden glaubt; diese
verbindet er zu einer eigengeprägten Frömmigkeit, in der das
Christentum einen wesentlichen Anteil hat. Spezialuntersuchungen
werden auch in diesen Fragenkreis noch immer erweiterte
und vertiefte Klarheit bringen müssen.

Jena Herbert Preisker

Steinbüchel, Theodor: F.M.Dostojewski. Sein Bild vom Menschen und
vom Christen. Fünf Vorträge. Düsseldorf: Schwann [1947]. 284 S. 8°.
Geb. DM 6.80.

Vier Jahre nach dem Tode des bekannten Tübinger Theologen
und Religionsphilosophen mag der Hinweis auf sein
treffliches Dostojewski-Buch, aus Vorträgen in der Karwoche
1945 entstanden, noch immer zurecht kommen als ein Zeugnis
bleibender Dankbarkeit für den wahrhaft ökumenischen Geist,
der — hier wie in St.s ganzem Lebenswerk — über „Berührung
und Gegensatz östlicher und westlicher Christenheit"
(4. Vortrag), nicht minder über den Widerstreit katholischen
und evangelischen Christentums hinweg die Brücke der Liebe
Christi schlägt, ohne Preisgabe der eigenen römisch-katholischen
Fundamente. Die hier dargebotene Schau des großen
russischen Dichters und Christuszeugen, ebenso wie die meisten
anderen Bücher St.s an der Frage des „Menschenbildes" orientiert
, behauptet neben R. Guardinis mit Recht berühmtem Dostojewski
-Buch (Der Mensch und der Glaube) ebenbürtigen
Rang. In der Einzelinterpretation der religiösen Romane ist
G. unserem Autor wohl überlegen, dafür wird bei St. die Gestalt
des Dichters höchst umsichtig einmal in den Gesamtkreis
der russischen Religionsphilosophie von Kirejewski bis So-
lowjoff und Berdjajew eingezeichnet, andererseits auch mit
der Geisteswelt Kierkegaards wie Nietzsches, darüber hinaus
mit dem säkularisierten Menschenbilde des modernen Europa
in kontrapunktische Beziehung gesetzt. Es geht bei St. wie
bei Guardini nicht anders als evangelischerseits bei Thur-
neysen (1921): über dem Bemühen um die christlich-anthropologische
Gesamtkonzeption tritt die eigentümlich dichterische
Substanz, auch die Vielheit der experimentierenden