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Ausgabe:

1952 Nr. 5

Spalte:

312-314

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Lilje, Hanns

Titel/Untertitel:

Goethes Glaube 1952

Rezensent:

Preisker, Herbert

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Theologische Literaturzeitung 1952 Nr. 5

312

RELIGIONSPÄDAGOGIK

Bohne, Gerhard, Prof. D.: Grundlagen der Erziehung. Die Pädagogik
in der Verantwortung vor Gott. l.Halbbd.: Die Wahrheit über den Menschen
und die Erziehung. Hamburg: Furche-Verlag [1951]. 245 S. gr. 8°.
Lw. DM 11.80.

Nach Hammelsbeck (Evangelische Lehre von der Er"
ziehung, Kaiser-Verlag) und Kittel (Der Erzieher als Christ'
Vandenhoeck & Ruprecht) hat auch der durch sein Buch über
„Das Wort Gottes und der Unterricht" (Furche-Verlag 1929)
bekannte Verf. ein Werk über die Grundlagen der Erziehung
vorgelegt, das die Grundprinzipien evangelisch-christlicher
Erziehungslehre entwickeln will. Es gliedert sich in fünf Abschnitte
. Der erste schildert die Entwicklung der „aufklärerischen
" Pädagogik als einen fortschreitenden Prozeß der
Selbstauflösung, der mit der Idee vom autonomen Menschen
beginnt und mit der totalen Erziehung endet. Der zweite entwickelt
die „zwei Arten der Wahrheit", worunter der griechisch
-philosophische und der biblisch-christliche Wahrheitsbegriff
verstanden sind. Ihr Gegensatz wird im dritten Abschnitt
erläutert an dem Gegensatz zwischen Piaton und
Christus, dem einige Beispiele von Überschneidungen des
Griechischen und des Christlichen (Mönchtum, der staufische
Ritter, Renaissance und Neuhumanismus) hinzugefügt sind.
Der vierte Abschnitt verfolgt die geistesgeschichtliche Linie
weiter bis zum Positivismus des 19. Jahrhunderts. Es werden
behandelt die biologische Entwicklungslehre des Menschen,
die Erkenntnis des Menschen in der exakten und in der geisteswissenschaftlichen
Psychologie, die Strukturpsychologie Max
Schelers und der Existentialismus Heideggers. Der fünfte Abschnitt
: „Wirklichkeit und Erziehung" schließt sich an Heims
Lehre von den drei „Dimensionen" an, in denen der Mensch lebt.
(Ich-Es; Ich-Du; Ich-Gott). Das Buch schließt mit einem
kurzen Abschnitt über die Gegenwärtigkeit der Offenbarung.

Zur Kritik: Alle Probleme sind stark vereinfacht. So übersieht
Verf. z. B. bei der Schilderung der klassischen Pädagogik
des 18. und 19. Jahrhunderts, daß ihre gegenwärtige Krise
nicht nur ideologisch, sondern auch soziologisch bedingt ist.
Eine neue ideologische Grundlegung der Erziehung ändert
heute an den Problemen der politischen Erziehung (Demokratie
), der berufsmäßigen Einordnung des jungen Menschen
(Arbeitslosigkeit als pädagogisches Problem), der Ehegründung
und der Eheführung, der häuslichen und der schulischen
Erziehung nichts. Aber vielleicht hat sich Verf. das für die
späteren Bände vorbehalten. Bei der Gegenüberstellung des
„Griechischen" und des „Christlichen" zeigt Verf. eine verräterische
Unsicherheit hinsichtlich der Frage, ob Jesus ein
„Erzieher der Menschheit" gewesen sei, was natürlich für
seine Definition des Begriffs der Erziehung (im Unterschied
von Bildung), für den Begriff der „Lehre" in der Bibel und im
wissenschaftlichen Denken, schließlich auch für die Frage nach
dem locus dogmaticus der Pädagogik von Bedeutung ist. Wenn
Verf. sagt: „Die Lehre Piatos von der Erziehung ist schön
und fruchtbar, aber nicht fraglos wahr. Die Lehre Christi erhebt
den Anspruch auf unbedingte göttliche Wahrheit, ist
aber erzieherisch schwer fruchtbar zu machen" (S. 139), so
wird nicht deutlich, daß das Wort „Lehre" in beiden Fällen
einen vollkommen verschiedenen Sinn und auch einen verschiedenen
Ort seiner Auswirkung hat.

Zu korrigieren wäre auf S. 89 und 113 vorkommende falsche griechische
Sprachbildung (eidia bzw. eidion statt eide bzw. eidos) und auf Seite 144 die
zwar sprachlich mögliche, aber sachlich falsche Begriffsbildung „Universitas
magistrorum et studentium" statt ,,U. magistrorum et scholarium".

Mainz Friedrich Delekat

Tiling, Magdalene von, D.: Der Mensch vor Gott. Berlin, Bielefeld: Verl.

Haus u. Schule 1950. 151 S. 8° = Handbücherei f. d. Christenlehre.

Reihe B: Erziehung u. Glaube. Bd. I. Hlw. DM3.80.

Die bekannte Theologin und Pädagogin Frau D. v. Tiling
hat in dem vorliegenden ersten Band der von ihr herausgegebenen
Reihe „Erziehung und Glaube" in der „Handbücherei
für die Christenlehre" das anthropologische Problem
im Lichte der Christologie auf die ihr eigene Weise gestellt
und gedeutet. In kristallener Klarheit und mit männlicher
Denkpräzision erhellt die Verfasserin die Notwendigkeit des
Erkennens menschlicher Wirklichkeit und das heißt die Notwendigkeit
vom „Selbstverständnis" des Menschen. Dabei
zeigt sie auf, daß es ein falsches „Selbstverständnis" und ein
richtiges „Selbstverständnis" des Menschen gibt, wobei die
menschliche Vernunft in Absehung vom Glauben an den
Schöpfergott zum Zerrbild des Menschen, der menschliche

Glaube indes als Antwort des Menschen auf den Anspruch des
Schöpfergottes an den von ihm geschaffenen Menschen die
rechte Antwort auf die Frage nach dem Menschen von Jesus
Christus und seinem Erlösungswerk empfängt. Diese Antwort
wird immer neu gegeben im Verhalten Jesu Christi zum
Bruder, darin sich des Sohnes Verhalten zum Vater als unbedingter
Gehorsam widerspiegelt. So wird der Gehorsam des
Sohnes zum Vater zur Hingabe Jesu an den Bruder. Gehorsam
und Hingabe im Leben des Glaubenden jedoch vollzieht sich
innerhalb der Ordnungen, in denen sich der erhaltende Wille
des Schöpfergottes bezeugt. Hier, also im dritten Teil des
Buches, wird der unverkennbare Einfluß Gogartens, vor allem
seiner Ethik, deutlich.

Ob nicht das gesamte Problem des menschlichen Selbstverständnisses
noch unmittelbarer und umfassender und damit
zentraler ausschließlich vom erlösenden Handeln des
Schöpfergottes hätte beleuchtet werden sollen, so daß, nicht
zur Christologie hinführend, sondern von ihr ausgehend, die
empirische Wirklichkeit des Menschen als Dekadenz des
wahren Menschen Jesus Christus einleuchtender enthüllt worden
wäre, bleibt eine offene Frage an das Buch. Eine gründliche
Beschäftigung mit Vogels ungleich schwierigerer Christologie
wird nicht nur die sehr wesentlichen Unterschiede im
Seinsverständnis des Menschen, sondern auch die charaktervolle
Besonderheit des v. Tilingschen Beitrages zu einem
christlichen Menschenverständnis in der Auseinandersetzung
mit dem neuhumanistischen und realhumanistischen Menschenverständnis
der Gegenwart aufzeigen.

Härtensdorf Otto Riedel

Ess, J. J.: Pestalozzi-Worte. Aus den Schriften und Briefen Johann Heinrich
Pestalozzis zusammengestellt u. hrsg. 2. Aufl. Zürich: Rascher 1946.
92 S. kl. 8°. Kart. DM 2.—.

DICHTUNG

Lilje, Hanns: Goethes Glaube. Nürnberg: Lätare-Verlag[1949]. 41 S.8°.
Kart. DM 2.50.

Kahle, Wilhelm: Goethe und das Christentum. Dülmen i.Westf.: Laumann
[1949]. 55 S. 8°. Kart. DM 1.80.

Bergenthal, Ferdinand: Heimruf und Hoffnung. Goethes „Hermann
u. Dorothea" in der Stunde d. deutsch. Entscheidung. 2., erw. Aufl. Augsburg
: Naumann [1949]. 183 S. 8° = Stimmen der Meister, 2. Buch. Kart.
DM 5.—.

Raabe, August: Goethe und Luther. Bonn: Röhrscheid 1949. 152 S. 8°.

DM 6.80; Hlw. DM 8.80.
Althaus, Paul: Goethe und das Evangelium. München: Claudius Verl.

1951. 24 S. gr. 8°.

Das Problem „Goethe und das Christentum" ist immer
wieder lebendig, nicht nur in Goethe-Erinnerungsjahren. Oft
genug wird dabei der Fehler gemacht, daß man vorschnell
Goethe jeden Zusammenhang mit dem Christentum abspricht
oder voreilig ihn zum Zeugen für das Christentum nimmt.
Beide Einseitigkeiten vermeidet glücklichst die Studie von
Hanns Lilje, Goethes Glaube. L. erkennt mit Recht den
Homo religiosus in Goethe durch all dessen verschiedene Wandlungen
hindurch; erst recht in seinen reifsten Jahren ist sein Ja
zum göttlichen Geheimnis bewußt erfolgt in tiefster Ehrfurcht
und Anbetung. Zwar ist dies nicht ohne weiteres Gebet im
Sinne christlichen Gottesdienstes, vielmehr bleibt das Problem,
wieweit sein Beten sich in den Monolog des modernen Menschen
verwandelt. Das ist richtig geurteilt, wenn man auch nicht
übersehen darf, daß Goethe auch um Dinge weiß, die er nur vor
seinen Gott allein bringen kann. Daß Goethe die Absolutheit
Christi nicht im Sinn der Kirche bejaht hat, stellt Lilje S. 33
fest. Damit ist gegeben, daß er weder die Einmaligkeit der geschichtlichen
Offenbarung Gottes in Christus im kirchlichen
Verständnis deutet, noch sich äußert über den Ernst der in
Jesus gesetzten Entscheidungssituation. Aber L. warnt vor
dem Schluß: also war Goethe kein Christ. Wer so urteilt, geht
vorbei am Geheimnis von Goethes Persönlichkeit; die letzte
Tiefe seines Wesens und seines Glaubens gerade hüllt der
Sprachgewaltige in Schweigen, so daß vielleicht eben das wahrhaft
Letzte ihm das Unsagbare ist. Jedenfalls war Goethe keinesfalls
etwa ein Christusleugner, „er hat im Lichtkreis der
Offenbarung Christi bleiben wollen" (S. 40). Das große Thema
von Schuld und Schicksal und Gnade hat er im Faust so angefaßt
, daß er „an mehr als einer Stelle an jene Grenze rührt,
hinter der die Antworten der neutestamentlichen Apostel auf-