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Ausgabe:

1952 Nr. 5

Spalte:

290

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Ivánka, Endre von

Titel/Untertitel:

Hellenisches und Christliches im frühbyzantinischen Geistesleben 1952

Rezensent:

Dölger, Franz

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2S9

Theologische Literaturzeitung 1952 Nr. 5

290

zurückgeführt werden; Johannes scheidet wohl schon deshalb aus, weil Cas-
siodor zur gleichen Zeit bereits den interpolierten Kommentar kannte; auf
alle Fälle ist für den Text der Apparat in Souters Ausgabe maßgebend und
nicht Migne. Bei Nr. 964 ist die Echtheit trotz Huhn sehr zweifelhaft. Im
Sermo Nr. 967 hatte zwar Morin ganz richtig,,nonnulla v.gr.n. 1 quae Pseudo-
Eusebium Gallicanum sapiunt" festgestellt, deshalb gehört aber nicht das
ganze Stück einfach Eusebius; vielmehr ist n. 1 bei Mai (= Pseudo-Augustin
Sermo 218, 2—4) wörtlich aus Eusebius 4 zusammengestellt, der Rest des
Sermo Mai 139 stammt aus anderer Quelle. Bei Nr. 1251 ist die Echtheit
fraglich. 1658, 15 ist nicht von Proklus, sondern ursprünglich lateinisch, wie
allein schon die zahlreichen Assonanzen und Reime beweisen. 1658, 19 ed.
Morin Rev. bin. XII, 1896, 343; sicher gehört diese Predigt ins S.Jahrhundert
und nach Rom. Bei Benedikt (1852) wäre die Zeitangabe 540—545
eher zutreffend als 529. 1901 (Prager Sakramentar) ist nach 1905 (Jung-
gelasiana) einzuordnen; 1903, I ist nachhadrianisch, also zu streichen. Auch
die beneventanischen Missalien (1911—1916) wären besser weggeblieben;
denn schließlich enthalten alle Schriften des Mittelalters Out aus der patri-
stischen Zeit. 1957 sind außer den Randnoten zwei ganze Lesungen, allerdings
im zweiten Teil der Hs, welche die Signatur 1964 trägt; der Hinweis
auf Robert muß die Edition des zweiten Teiles meinen (Lyon 1900) und nicht
die erste Veröffentlichung (Paris 1881). Bei 2254 (Liber genealogus) kann die
Ausgabe von Frick wegbleiben, dagegen hat die von Lagarde neben Mommsen
selbständigen Wert; es fehlt der Hinweis auf T. Ayuso, Estudios Bfblicos
II, 1943, 152—160, der die stammbaumartige Darstellung des Liber genealogus
in 8 spanischen Bibel-Hss behandelt (vgl. Estudios Bfblicos I, 1941,
Tafel 5 und 6 nach S. 256).

Auch über die Aufnahme einzelner Stücke aus dem 9. und 10. Jahrhundert
kann man geteilter Meinung sein, obwohl sie ältere Dinge enthalten.
Wenn aber schon, dann dürfte Beatus von Liebana nicht fehlen, dessen Apokalypse
-Kommentar nicht nur für Tyconius wichtig ist, sondern ebenso für
Bachiarius, Gregor von Elvira und Apringius. Aus der Zeit bis Beda habe ich
nur folgende Lücken bemerkt: der Brief von Dionysius Exiguus bei Schwartz,
Acta Conc. 1, 5 S. 294f.; Pseudo-Ambrosius De 42 mansionibus, das trotz
dem Urteil der Mauriner wohl dem 5. Jahrhundert zuzuweisen ist (dafür
spricht der altlateinische Bibeltext; außerdem vgl. Wutz in Texte und Untersuchungen
41, 143 Note); schließlich fehlt bei Ceolfrid das Widmungsgedicht,
mit dem er den jetzigen Codex Amiatinus dem hl. Petrus darbringen wollte
(bei Quentin, Genesis S. XXIIf.). Da Fragmente wie Nr. 378 verzeichnet
sind, dürfte auch das Fulgentius-Fragment bei Papst Hadrian I. (MG Epi-
stolae III 642 bzw. 646) nicht fehlen.

Daß Urkunden und Inschriften nicht in das Verzeichnis aufgenommen
wurden, wird jedermann begreifen und billigen; aber alle Obersetzungen aus
dem Griechischen ganz auszuschließen, geht doch wohl zu weit. Die Grenze
zwischen freier Übersetzung und eigentlicher Bearbeitung ist fließend, und
manche Stücke (z.B. die Chronik des Hieronymus) sind nur teilweise Übersetzung
. Bei verschiedenen Autoren entsteht dadurch ein ganz falsches Bild,
z. B. bei Rufin, Hieronymus, Dionysius Exiguus. Aber gar die ganze lateinische
Bibel mit allem Zubehör an Prologen usw. wegzulassen und an die in
Aussicht genommene Series Graeca zu verweisen! Kein Wunder, wenn D.
hier auch nicht konsequent bleiben kann. So fehlt die Chronik des Hieronymus
, auch seine selbständige Fortsetzung des Eusebius; aber die Fortsetzer
des Hieronymus sind aufgenommen. Die lateinische Bearbeitung von Hippolyts
Chronik ist dagegen wieder verzeichnet (Liber genealogus). Cassiodors
Historia tripartita fehlt. Von Ambrosius ist alles aufgenommen, obwohl
einige Werke nur lateinische Bearbeitungen von griechischen Vorlagen sind.
Ebenso ist Junilius aufgenommen, obwohl er nicht einmal eine lateinische
Bibel zitiert, sondern die Zitate mitübersetzt. Rufins Historia monachorum
fehlt wieder; aber unter Nr. 1621 steht Epiphanius, weil er in der Collectio
Avellana überliefert ist; auch die andern Übersetzungen dieser Sammlung
sind verzeichnet. Aus der lateinischen Chrysostomus-Sammlung sind dagegen
nur die ursprünglich lateinischen Schriften herausgenommen. Die Bibel-
Prologe des Hieronymus (soweit sie nicht auch unter den Briefen stehen),
Isidor, Cassiodor, Victor von Capua usw. fehlen, aber wir finden den lateinischen
Prolqg zur gotischen Bibelübersetzung (690), einen vereinzelten Prolog
von Cassiodor (904) und drei vereinzelte von Isidor (1195 und 1197 unter
Exegetica, 1208 unter Varia). Was tun dann aber die Prologe des Anianus
zu seinen Übersetzungen (771 f.) in der Series Latina?

An Äußerlichkeiten ist mir aufgefallen, daß D. die eingebürgerte Unterscheidung
zwischen sq. und sqq. nicht hat. An Druckfehlern habe ich mir
notiert: In Nr. 222 muß es heißen Maximini; in 368, 209 (Seite 69) n. 1369;
in 370, 4 uide n. 414; 370, 8 uide n. 415; 370, 9 uide n. 412; 386 codex Boni-
fatianus; 396 n. 1765; 433 und 748a Sedlmayer; 736 Haslehurst; 844, 4 Mai
149 (der Druckfehler 140 ist aus Morin übernommen); 910 uide; 1105 Anmerkung
n. 1104; 1644, 12 1, nicht i (50, nicht 1); vor 1764 Probleme; 2022
mozarabischen.

All diese kritischen Bemerkungen sollen das anfangs ausgesprochene
Lob durchaus nicht abschwächen, sondern auf
kleine Schönheitsfehler aufmerksam machen. Man erkennt
daran die Schwierigkeiten eines solchen Unternehmens und
die Unmöglichkeit, Vollkommenes zu schaffen. Das hindert
nicht, daß der Forscher täglich dieses zuverlässige und nützliche
Arbeitsinstrument dankbar gebrauchen wird.

Beuron (Hohenzollern) Bonifatius Fischer

Ivanka, Endre, Prof. Dr.: Hellenisches und Christliches im früh-
byzantinischen Geistesleben. Wien: Herder 1948. 119 S. gr. 8°.

Pp. DM 6.60.

Der Verf. setzt sich zum Ziel, in der Beurteilung der geistigen
Strömungen, welche im jungen Christentum des 4. und
5. Jahrhunderts in der Form mannigfacher Häresien, aber
auch in der nun notwendig gewordenen philosophischen Begründung
und Vertiefung der Glaubenssätze der Orthodoxie
selbst zutage treten, zu den antik-heidnischen Zuflüssen vorzustoßen
, welche diesen Fluß der Entwicklung gespeist haben.
Die Problemstellung beruht auf der zwar naheliegenden, aber
bisher zu wenig berücksichtigten Erwägung, daß auch die
christliche Lehre, wenn sie sich als Reichsreligion legitimieren
und zu diesem Zwecke auch die geistig und sozial hochstehenden
Schichten der Bevölkerung gewinnen sollte, sich nicht sogleich
aus dem Nichts eine eigenständige ontologische und kos-
mologische Rüstung verschaffen konnte, sondern sich dazu,
zunächst zur Verteidigung, dann aber auch zur positiven Gestaltung
und Darstellung des eigenen Glaubensgutes, der hochentwickelten
Denkformen und Ausdrucksmittel der zeitgenössischen
Philosophie bedienen mußte. Im einzelnen hat einerseits
die Anlehnung an den mit stoischen Elementen durchsetzten
Neuplatonismus, der alles Geistige wie Materielle über
zahlreiche Zwischenstufen bis herab zum „Bösen" ontologisch
von einem streng „Einzigen", jede menschliche Fassungskraft
übersteigenden Unbegrenzten und Göttlichen, „historisch" von
einer unaufhörlichen, im Kreislauf in das Alleine zurückfließenden
Emanation ableitete, Pate gestanden bei der Entstehung der
subordinatianisch-arianischen Auffassung der Trinität und der
Menschwerdung, in letzter Konsequenz sodann auch bei der
Ausbildung des Monophysitismus; andrerseits bildet derAristo-
telismus mit seiner Lehre von dem Kompositcharakter der
menschlichen Natur, der erkenntnismäßig mittels der Theoria,
sittlich mittels der Beherrschung des Materiellen durch das
Geistige (Tugend) einer Vergöttlichung durch „Verdienst"
fähig ist, eine nicht minder starke Wurzel des Nestorianismus.
In der Auseinandersetzung zwischen den beiden polaren Grundrichtungen
, die sich in zahlreichen Zwischenlösungen (Apollinarismus
, Semiarianismus u. dgl.) manifestiert, taucht immer
wieder der gewaltige Schatten des Origenes als des genialen
Gestalters eines christlichen Neuplatonismus, „Arianers vor
Arius", auf. Der Verfasser macht jedoch mit Recht auch nachdrücklich
auf die Einwirkungen des iranisch-persischen Dualismus
und seiner Kultformen aufmerksam, die sich namentlich
in jenem Grenzgebiete hellenischen und iranischen Kultureinflusses
geltend machen, wo schließlich im Kampfe mit den
Häresien die gültige philosophische Grundlegung der Orthodoxie
erfolgte: in Kappadokien. Hier haben die drei großen
Kirchenväter, unter welchen v. I. Gregorios von Nyssa als den
zweifellos „philosophischsten" unter ihnen ausgiebig als Hauptzeugen
heranzieht, in Fortführung irenaeischer Gedankengänge
vom Verhältnis zwischen Schöpfer und Geschöpf, im
übrigen in Anlehnung an platonisches Gedankengut mit
„einem gewissen monophysitischen Uberhang" dem religiösen
Grundgedanken des Christentums: dem Erlösungsgedanken
sein von da an bestimmend gebliebenes Schwergewicht verschafft
. In zwei skizzenhaften Schlußkapiteln behandelt v. I.
die Glaubenskämpfe des 6. und 7. Jahrhunderts (den ,.zweiten
Origenismus") sowie den Ikonoklasmus des 8. und 9. Jahrhunderts
als letzte Ausläufer des Kampfes der Orthodoxie gegen
die fortwirkende „monophysitisch-dualistische Bedrohung";
sie endeten mit dem Siege der Orthodoxie.

v. I. wendet sich ausdrücklich gegen die geläufige Auffassung
, daß der Gegensatz der nestorianischen und der monophysitischen
Konzeption auf der verschiedenen Mentalität des
syrischen bzw. des koptischen Volkstums beruhe, und vertritt
mit guten Gründen den Ursprung beider Geistesrichtungen aus
der verschiedenartigen Entwicklung der griechischen Philosophie
in den beiden Kulturzentren Antiocheia und Alexandreia.
So ist seine Darstellung in der Tat ein eindrucksvolles Zeugnis
für die machtvolle Kontinuität griechischer Denkleistung im
Ringen der christlich gewordenen Welt um eine philosophische
Unterbauung ihrer Dogmen; sie bedeutet eine wesentliche
Förderung unserer Einsicht in die Geistesgeschichte einer Zeit
entscheidender kultureller Wende und konnte nur von einem
Gelehrten geboten werden, welcher über eine ebenso gründliche
Kenntnis der antiken Philosophie- und Religionsgeschichte
wie der frühchristlichen Theologie und Patristik
verfügt.

München F. Dölger