Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1952 Nr. 5

Spalte:

283-284

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Nebel, Gerhard

Titel/Untertitel:

Weltangst und Götterzorn 1952

Rezensent:

Irmscher, Johannes

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

283

Theologische Literaturzeitung 1952 Nr. 5

284

Statik des Gottesbegriffs Sankaras die Dynamik des Gottesbegriffs
Meister Eckarts, der abstrakten Rationalität Sankaras
das lebendurchglühte Denken Meister Eckharts, dem
kontemplativen Quietismus des Vedänta die christliche Aktivität
des Wirkens gegenüberstellt". Solche „Religionsvergleichung
setzt R. Otto instand", das letzte entscheidende
Problem des Verhältnisses von Christentum und außerchristlichen
Religionen anzugreifen, wobei er „jeden Synkretismus"
ablehnt und die Sondergestaltung der einzelnen Religionen
herauszuheben wünscht. Denn „das, was unsere Dogmatiken
lang und dick macht . . . und fünfzig Prozent unserer theologischen
Finessen über Inspiration, trinitarische Spekulation,
Inkarnation, Kyriologie und Sakrament könnte man überschreiben
in hinduistische und buddhistische Systeme". Ohne
lebensvoll-metaphysisches Einfühlungsvermögen ist eben vergleichende
Religionsforschung unmöglich, bleibt lediglich am
Rande einer zeitgebundenen relativierten Wissenschaft.
München-Grünwald R.F.Merkel

Nebel, Gerhard: Weltangst und Götterzorn. Eine Deutung der griechischen
Tragödie. Stuttgart: Klett [1951]. 303 S. gr.8°. Lw. DM 12.50.

Für den Theologen, dem die theologische Wissenschaft mehr bedeutet
als nur ein leider notwendiges Sakrifizium dem bösen Zeitgeist gegenüber,
dürfte soviel feststehen: Eine jede Exegese nimmt ihren Anfang beim Lietz-
mannschen Handbuch, will sagen, bei der philologisch-historischen Klärung
der Voraussetzungen, unter denen das auszulegende Schriftwort in einer konkreten
geschichtlichen Situation fixiert wurde; verzichtet sie darauf, so sind
der Willkür Tür und Tor geöffnet und der Weg zur Schwarmgeisterei ist nicht
mehr weit (die Geschichte der modernen Sekten gibt dafür Beispiele in beliebiger
Fülle). Und trotz dieser Forderung bleibt für den Exegeten die zu erläuternde
Bibelstelle Kerygma, Gotteswort; um wieviel mehr muß also die Anlegung
jener strengen Maßstäbe der Altertumsforschung verlangt werden, wo
„profane" Texte für den Menschen der Gegenwart erschlossen werden sollen!

Gerhard Nebel hat seit dem Jahre 1939 eine reiche, allzu reiche literarische
Produktion entfaltet, in welcher philosophische Arbeiten, die ihren Ausgang
zumeist von den Denkern und Fragestellungen der Antike nehmen, mit
Tagebüchern aus dem vergangenen Kriege und Veröffentlichungen zur Ehrenrettung
des Freundes Ernst Jünger abwechseln, und Verlegerankündigungen
zufolge wird diese Kette von Büchern, die seinen Namen tragen, zunächst auch
nicht abreißen. Allein schon eine solche Vielzahl von Veröffentlichungen legt
es nahe anzunehmen, daß sich ihr Verfasser stärker der Publizistik als der
Forschungsarbeit verbunden weiß, und in seiner Schrift „Griechischer Ursprung
", 1, 1948, 5, betont er dies auch ausdrücklich: „So erheben meine
Aufsätze keinerlei Anspruch auf Gelehrsamkeit, sondern wollen nur als Erzeugnisse
eines humanistischen, von der Größe des Griechentums bewegten
Dilettantismus genommen werden. Die Sorgen der Wissenschaft sind nicht die
meinen." Mir will scheinen, daß das, was oben über die theologische Exegese
gesagt wurde, deutlich macht, worin die Gefahren einer solchen die Fachwissenschaft
bewußt ignorierenden Schriftstellerei liegen: Wie kann man, wie
es sich der Verfasser vornimmt, „eine Deutung der griechischen Tragödie"
geben wollen, ohne zuvor auf das gründlichste über die historischen, ökonomischen
, soziologischen, literatur- und religionsgeschichtlichen Gegebenheiten
zu orientieren, die das Werden und Vergehen ebendieser Tragödie begleiten?
Nebel dagegen spottet über das „flache Gelände des wissenschaftlich-historischen
Betriebes" (S. 206), wenn er seine Aufgabe folgendermaßen formuliert:
„Nicht an den Krusten des geschichtlichen Körpers, des Gehalts und der Form
herumkratzen, sondern wenigstens eine Ahnung der Göttermacht spüren und
aussprechen. Der Mensch, der die Tragödie schuf und hörte, steht im schmetternden
Sturz der Woge, . . . und begreifen kann diese Dichtungen nur, wem
Ähnliches widerfährt" (S. 91/92). Ist es zu verwundern, wenn unter solchen
Voraussetzungen der antike Gegenstand lediglich zur Folie der Weltansicht
des Verfassers wird, einer Weltansicht, die durch die Tragik des technischen
Zeitalters bestimmt ist, aus der es ihm keine Errettung zu geben scheint? Mit
seiner Auffassung, „daß der technische Mensch hinschlägt, daß aber auch
dieser Fall unvermeidlich ist" (S. 70), steht er leider nicht allein in unserer
Zeit, unbewußt und unbeabsichtigt den Kräften Vorschub leistend, welche die
Technik statt zur Rettung zum Verderben des Menschen einzusetzen gesonnen
sind.

Ein Hauptanliegen Nebels — und um dessentwillen muß sein Buch in
dieser Zeitschrift angezeigt werden — liegt in der Frage nach dem Verhältnis
der griechischen Tragödie zum christlichen Glauben. Der Versuch, griechische
Philosophie und Religion an den Anfang einer Entwicklungslinie zu stellen, die
ebenso wie das Alte Testament auf Christus hinführt, ist ja nicht neu; Nebel
nimmt in sie die Tragödie mit auf. „Man muß aussprechen, daß die Tragiker ...
vor Christus die Erfahrung der christlichen Sünde machten" (S. 31). Denn das
Wissen um die Schuld „ist von der Begegnung mit der eigenen Sündigkeit, die
den Kern des christlichen Lebens ausmacht, durchaus nicht so verschieden,
wie die humanistischen Verfälscher des Griechentums uns das immer wieder
glauben machen wollen. Man muß sogar sagen, daß das tragische Wissen ein
unerläßliches Moment des Christlichen ist, und wir bezeichnen die Tragödie
als ein anderes Altes Testament, weil sie ebenso in das Fundament des Evangeliums
gehört wie das Gotteswort des Alten Bundes . . . Die Rechtfertigung,
die Christus der Sünde abzwingt, fehlt. Dennoch aber ist zu bedenken, daß

auch in der Tragödie nicht die Zernichtung letztes Ereignis ist" (S. 216). Denn
„über die Zerschmetterung hinweg nähert sich die Tragödie mit einem zaghaften
Schritt dem Trost Christi — natürlich ohne bei ihm anzukommen, doch
in der Richtung, in der man ihn aufzusuchen hat" (S. 216). So wird die Tragödie
gesehen als „Hilferuf nach Christus" (S. 164), als „die am weitesten
gegen Christus zu vorgetriebene Position von Hellas" (S. 100). Diese Zitate
ließen sich noch weiter fortführen, doch schon die gegebenen Beispiele dürften
Eigenart und Wert von Nebels Aussagen ausreichend beleuchten.

Der jüngere Plinius berichtet in einem Brief (3, 5, 10) über seinen Oheim:
„Dicere solebat nullum esse librum tarn malum, ut non aliqua parte prodesset":
Wenn wir auch die Grundkonzeption des Nebeischen Buches als außerwissenschaftlich
zurückweisen müssen, so wird trotzdem auch die Fachwissenschaft
durch sein Werk, dessen einzelne Kapitel sich mit den „Persern", dem „Gefesselten
Prometheus" — Nebel nimmt ihn für Äschyleisch —, der „Orestie",
der „Antigone", den beiden ödipusdramen sowie summarisch mit Euripides
befassen, in mannigfacher Weise angeregt werden. Der Referent freilich möchte
schließen mit Luthers Urteil über die Apokalypse: „Mein Geist kann sich in
das Buch nicht schicken".

Berlin Johannes Irmscher

Bultmann, Rudolf: Das Christentum als orientalische und als abendländische
Religion. Bremen: Trüjen 1949. 25 S. 8° — Schriften der Witt-
heit zu Bremen. Reihe D: Abhandl. u. Vorträge. Bd. 18, H.4. DM 1.—.

BIBEL WISSENSCHAFT

Schildenberger, Johannes, o.s.B.: Vom Geheimnis des Gotteswortes.

Einführung in das Verständnis der Heiligen Schrift. Heidelberg :F. H. Kerle
1950. XVI, 531 S. gr. 8". Lw. DM 15.80.

Die in manchen nichtkatholischen Kreisen anscheinend
unausrottbare Meinung, den katholischen Laien sei die Bibel
verschlossen, wird durch eine respektable Bibelbewegung innerhalb
der römischen Kirche und auch durch das vorliegende
umfangreiche Buch des Alttestamentiers der theologischen
Hochschule Beuron widerlegt. Das letztere will zwar auch
einen Beitrag zur bibelwissenschaftlichen Hermeneutik geben,
wobei auffällt, daß die eine biblische Hermeneutik, die die
evangelische Theologie im letzten Menschenalter hervorgebracht
hat, die des Dänen F. Torm, nicht erwähnt wird. Es will
aber in letzter Linie der praktischen Einführung in die Bibel
dienen, etwa als Handbuch für die theologischen Leiter von
Rüstzeiten, wenn nicht gar — die Ubersetzung der fremdsprachlichen
Zitate läßt darauf schließen — als Leitfaden für
deren Teilnehmer. Dabei wird dem Leser ein erhebliches Maß
von theologischer Erkenntnis zugemutet.

Das Buch zerfällt in zwei Teile, einen kürzeren grundlegenden
und einen längeren ausführenden. Der erste behandelt
den göttlich-menschlichen Ursprung, den Zweck und Wesensinhalt
und die Wahrheit der Heiligen Schrift.

Den hier entwickelten Grundsätzen kann man zunächst weithin zustimmen
. Daß göttlicher und menschlicher Ursprung der biblischen Bücher
gleicherweise beachtet sein wollen, daß diese alle außer an ihrem Sonderzweck
an einem großen religiösen Ziel orientiert sind und auf Christus als den persönlichen
Mittelpunkt der ganzen Bibel hinführen, klingt verheißungsvoll. Aber
alles kommt nun freilich auf die Durchführung dieser Grundsätze an. Nachdrücklich
wird die Inspiration und die aus ihr resultierende absolute Irrtums-
Iosigkeit der Bibel behauptet. Andererseits ist der Verf. genug historisch geschult
, um hier gewisse Schwierigkeiten zu gewahren. Er weiß um die Verschiedenheit
von Masora, Septuaginta, Vulgata, kurz um das Problem der
Textkritik. Es ehrt ihn, daß er dem Urtext den Vorzug geben will, aber diese
Lösung ist natürlich zu einfach. Gelegentlich erscheint übrigens auch der LXX-
Übersetzer als für die Diasporajuden inspiriert. Viel größer sind die sachlichen
Schwierigkeiten. Vorläufig werden sie abgeschlagen mit Hilfe einer eigenartigen
Erweichung des Begriffs der Irrtumslosigkeit. „Alle von einem inspirierten
Schriftsteller als solchem verbürgten Aussagen sind wahr in dem Sinn,
in dem er sie verbürgen will." Damit ist jedem Kompromiß und jeder Umbie-
gung des Textbestandes Tor und Tür geöffnet. Denn was der inspirierte
Schriftsteller als wahr verbürgen will, ist immer das, was der Verf. zur Aufrechterhaltung
der Tradition braucht. Zwischen 1. Kön. 22, 22f. und dem Zeugnis
eines Jeremia und Ezechiel von der Nichtinspiration der falschen Propheten
besteht keinerlei Widerspruch, denn Gott inspiriert die Lügen nicht, sondern
er benutzt sie nur, den Ahab zu verderben. Reichlich zahme Harmonistik! Die
Angaben über die Anfänge der menschlichen Kultur und die Zahlen der
Lebensjahre der Urväter in der Genesis, die die von der heutigen Wissenschaft
errechneten Zeiträume bei weitem nicht ausfüllen, ist Verf. geneigt preiszugeben
, obwohl das Wunder genauer Erhaltung der Allmacht Gottes durchaus
zuzutrauen wäre. Aber die Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift verlangte sie
nicht. Indem die Aussagen als „rein praktisch gemeint" verstanden werden,
wird die Tradition immer wieder gerettet. Man darf nur nicht am Buchstaben
kleben! Die Zurückhaltung des Buches Koheleth und des Siraciden hinsieht-