Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1952 Nr. 5

Spalte:

279-282

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Nilsson, Martin Persson

Titel/Untertitel:

Cults, myths, oracles, and politics in ancient Greece 1952

Rezensent:

Herter, Hans

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

279

Theologische Literaturzeitung 1952 Nr. 5

280

in der römischen Zeit, während des jüdischen Krieges von 66
bis 70 gemacht worden" (Le Monde).

Uber Hirbet Qumrän gibt der Bericht im Manchester
Guardian folgende Ergänzungen: „In dem Hauptgebäude von
Hirbet Qumrän wurde ein Krug (s. oben!) völlig ähnlich den
in der Höhle gefundenen ausgegraben, der in den Boden eingelassen
war und sichtlich Haushaltszwecken diente. Das Gebäude
selbst ist nicht lange in Benutzung gewesen, da keinerlei
Schichtungen festzustellen waren. Elf darin gefundene Münzen
überspannen den Zeitraum von den römischen Prokuratoren
der Zeit des Augustus bis zum ersten jüdischen Krieg. Das Gebäude
wurde gewaltsam zerstört, und es gibt Beweise dafür,
daß es schließlich in großer Eile verlassen worden ist.

Hirbet Qumrän steht auf einer natürlichen Terrasse, die
durch Schluchten begrenzt ist. Das Hauptgebäude mißt ungefähr
95 Fuß zu 120 Fuß (ca. 29 m zu 36 V2 m). Es besitzt eine
Zisterne und einen kleinen Aquädukt zur Wasserversorgung.
P. de Vaux und G. Harding hatten bereits 1949 die Ortslage
ohne wesentlichen Erfolg untersucht. Die Ausgrabung im
letzten Winter war bedeutend gründlicher und hätte länger
gedauert, wenn nicht die Aufmerksamkeit der Ausgräber auf
einen Platz in einiger Entfernung (die neuentdeckten Höhlen,
siehe unter Mitteilungen R.) abgelenkt worden wäre, an denen
Funde von ebenfalls ätißerstem Interesse zutage kamen. Das
Haus in Hirbet Qumrän ist aus roh behauenen Blöcken errichtet
, und die Wände sind mit einer Art Geflecht überzogen.
Teile des Gebäudes scheinen ein oberes Stockwerk besessen zu
haben. Es gibt Schränke und in einem der Haupträume umlaufende
Bänke. Die Bautechnik ist ohne Zweifel unbeholfen
und sicher nicht römisch. Viel Keramik wurde entdeckt. Der
Befund war völlig einheitlich, abgesehen von Spuren einer
Wiederbenützung der Mauern durch Beduinen, wahrscheinlich
um das 9. und 10. Jahrhundert n. Chr. Auf dem Begräbnisplatz
waren die Leichen gleichförmig von Norden nach Süden beigesetzt
, mit dem Kopf nach Süden bei einer Ausnahme, ohne
Grabbeigaben oder Särge.

P. de Vaux zieht den Schluß, daß das, was in Qumrän gefunden
worden, stark die Identität dieser Ortslage mit dem
Platz in der Judäischen Wüste „oberhalb Engedi" nahelegt,
den Plinius der Ältere als das Zentrum einer Sekte frommer

Juden beschreibt, die in eheloser Einsamkeit lebten. Die Nähe
von H. Qumrän zur Höhle, der Charakter des eben ausgegrabenen
Gebäudes und die Pliniusstelle unterstützen alle die
Hypothese, daß die in der Höhle gefundenen Handschriften
Teile der Bücherei von H. Qumrän sind, das selbst ein esse-
nisches Kloster gewesen ist — wenn dieses Wort so anachronistisch
gebraucht werden darf. Die Größe der Begräbnisstätte
legt, verglichen mit den gewohnten Gebäuden, nahe, daß es
ein heiliger Platz war, an dem eine verhältnismäßig geringe
Zahl von Menschen lebte, der aber von Gliedern der Sekte bei
Lebzeiten besucht wurde und für sie auch ein bevorzugter Begräbnisplatz
gewesen war.

Abschließend wird auf die Thesen Dupont-Sommers hingewiesen
. Soweit der Bericht über H. Qumrän, wie ihn der
Korrespondent des Manchester Guardian auf Grund der von
P. de Vaux der Akademie gemachten Mitteilungen gestaltet
hat. Danach sind die Beziehungen zwischen H. Qumrän und
der Höhle, die nur 1 km nördlich davon liegt, geklärt und
O. Eißfeldts Vorschlag, die Höhle nach H. Qumrän zu benennen
[ThLZ. 74 (1949) Sp. 597] ist begründet. Ebenso begründet
sind P. Kahle's Einwände gegen eine vorchristliche
Entstellung des Depots und seine Bezeichnung als Geniza. Es
bleibt die Tatsache bestehen, daß es sich angesichts der sorgfältigen
Aufbewahrung nur um eine Bergung der Rollenschätze
vor Gefahren in einem Augenblick handeln kann, wo
mit einer Gefährdung durch Feinde zu rechnen ist. Kein Ausgleich
ist noch vorhanden zwischen der Tatsache, daß die gefundenen
Münzen bis in die Zeit des ersten jüdischen Krieges
reichten und der von P. Kahle getroffenen Feststellung, daß
Jes. 35, 1. 2 von späterer Hand nachgetragen den erst im
2. Jahrhundert p. ehr. endgültig fixierten massoretischenText
bieten, und daß ein Papyrusfetzen mit zwei syrischen Buchstaben
gefunden worden sei. Es wäre also zu fragen, ob die
Siedlung bis in den jüdischen Aufstand nach Hadrian bestanden
hat. Die Spuren einer Benutzung im 9. Jahrhundert ließen
sich mit der von Otto Eißfeldt [ThLZ. 74 (1949), Sp. 597ff.]
erwähnten Auffindung einer Höhle mit Handschriften im Anfang
des 9. Jahrhunderts in Verbindung setzen, die von
P. Kahle [ThLZ. 76 (i95i)_ Sp. i63ff.] mit den Mitteilungen
Qirqisanis über die Maghäriya in Zusammenhang gebracht
werden.

RELIGIONS WISSENSCHAFT

Nilsson, Martin P., Prof.: Cults, Myths, Oracles, and Politics in

Ancient Greece. With two appendices: the Ionian Phylae, the Phratries.
Lund: Gleerup 1951. 179 S. gr. 8° = Skrifter utg. av Svenska Institutet
i Athen. 8°. [.

Dem von anthropologischer Seite erhobenen Vorwurf, daß
die Erforschung des griechischen Kultes und Mythos dessen
soziale Bedeutung nicht genügend berücksichtige, stellt N.
sein neues Buch entgegen. Zur Illustration des kollektiven
Charakters der hellenischen Religion zeigt er an politischen
Zusammenschlüssen verschiedener Art, wie der Vorort mit den
Menschen auch die Götter an sich zu ziehen und umgekehrt
die Auswärtigen auch durch Beteiligung an den eigenen Kulten
sich zu verbinden sucht. Dann gehtN. zu den Mythen über und
legt dar, wie man durch sie Gebietsansprüche bekräftigt, die
man schon durchgesetzt hat oder erst geltend macht; weiterhin
läßt er sich auf die für eine starke Geschlechtertradition charakteristische
Erscheinung ein, daß durch die Gemeinsamkeit
von bestimmten Ahnherren die politische Zusammengehörigkeit
der hellenischen Nation und einzelner hellenischer Stämme
und Staaten gestützt wird. In einem dritten, vom vorhergehenden
nicht scharf abgesetzten Kapitel belegt N. die Berufung
auf Mythen in politischer Propaganda, mag sie von
offizieller Seite, mag sie von Tragikern oder Publizisten wie Iso-
krates ausgehen: im Innern sucht man auf diese Weise den
Patriotismus anzufachen, nach außen verschiedenste Ziele zu
erreichen und besonders auf genealogischem Wege Beziehungen
zu fremden Völkern und Herrscherhäusern herzustellen.
Ein weiteres Kapitel betrifft den Austrag griechischer Streitigkeiten
vor römischem Schiedsgericht (besonders der Jahrhunderte
alten Auseinandersetzungen der Lakedaimonier und
Messenier um den Bezirk der Artemis Limnatis Tac. ann. IV
43) und weiterhin die Asylieanträge und Festankündigungen
besonders aus der 2. Hälfte des 3. und der 1. Hälfte des 2. Jhdts.
v.Chr., hinter denen hauptsächlich das Bedürfnis nach Ruhe
und Sicherheit stand. Im letzten Kapitel beleuchtet N. die politische
Rolle der delphischen Orakel und dankenswerterweise
auch die von ihm noch höher eingeschätzte Wirkung der „anonymen
", oft auf Namen berühmter Propheten wie des Bakis
oder der Sibylle gestellten Sehersprüche. Den Abschluß machen
zwei Anhänge. Im ersten erweist N. die Phylenordnungen
der Ionier in Kleinasien als Modifikationen des in Attika erhaltenen
Viererschemas (vgl. S.72) und findet in diesem mit
Hilfe der Etymologie vier sozial und wirtschaftlich geschiedene
Klassen der mykenischen Gesellschaft, die in historischer Zeit
zu bloßen Unterteilungen der Bevölkerung geworden waren
(rEXeovtEq die vornehmen und "OnXryzec, die gewöhnlichen
Krieger, 'Agyadfjs die Ackerer und AlyixoQfjq die Viehhirten).
Im zweiten Anhang behandelt er die aus den Geschlechtern
sich zusammensetzenden Phratrieen Attikas und gewisse als
d-iaaoi bezeichnete untergeordnete Vereinigungen teils mehr
offizieller teils mehr privater Natur und legt dar, daß die ursprünglich
blutmäßig gebundenen Phratrieen durch eine solo-
nische (nicht kleisthenische) Regelung verpflichtet wurden,
die jetzt zu Theten gewordenen „Ahnenlosen" in ihren Verband
aufzunehmen, die die Geschlechter bisher nur aus freien
Stücken als ögye&ves (Kultgenossen) zu den unter ihrer Obhut
stehenden Zeremonien und Festen zugelassen hatten. Wie eine
Übersicht zeigt, sind die Kulte der Phratrieen zum Unterschied
von denen der Geschlechter nicht altererbt; auch ihr
Hauptfest, die Apaturien, trägt ja nicht eigentlich religiösen
Charakter.

N. hat damit ein für das Verständnis des Griechentums bedeutsames
Gebiet betreten und als erster in weiter Überschau erfaßt. Das Feld wird sich
auch noch fernerhin als fruchtbar erweisen, und so denke ich, daß auch eine
in engeren Grenzen gehaltene Arbeit meines Schülers Franz Fischer über die
politische Bedeutung der vorhellenistischen Heldensage nicht überflüssig erscheinen
wird. Für die ZuKrinft wird sich aber besonders eine systematische
Heranziehung der Monumente, nicht zuletzt der numismatischen, notwendig
machen. N. kommt es vornehmlich auf die Entstehung und Entwicklung von
Mythen unter politischen Einflüssen an: wie in seinem früheren Werk „The
Mycenaean Origin of Greek Mythology" (Berkeley 1932) betrachtet er auch
in diesem neuen Buche das Werden von Sage aus Geschichte, nur wiegt jetzt
der Eindruck bewußter, ja tendenziöser Erfindung oder wenigstens Modifikation
vor. In der Tat: wenn man sieht, wie der Gemahlin des Pyrrhos zuliebe
frischweg eine Lanassa in den Stammbaum des epeirotischen Königshauses
eingeschoben worden ist (S. 107f.), darf man dazu neigen, eine solche Freizügigkeit
genealogischer Konstruktion bis hinauf zu dem Kykliker Eugammon