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Ausgabe:

1952 Nr. 5

Spalte:

271-274

Autor/Hrsg.:

Schott, Erdmann

Titel/Untertitel:

Zur Heiligenverehrung 1952

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Theologische Literaturzeitung 1952 Nr. 5

272

triumphierende Kirche Christi werden wird. Was die jungen
Kirchen brauchen ist das, wovon wir anfangs sprachen. Sie
brauchen genau so wie die abendländischen Kirchen ein
Kirchenbewußtsein, so daß sie nicht glauben, daß eine Gemeinde
eine von Menschen gebildete Gruppe mit ausgeprägt
sozialen Kennzeichen ist, die durch eine spezielle Mission bedingt
sind. Dies liegt vielen eingeborenen Christen nahe und
ist verwandt mit alten orientalischen Vorstellungen, der wirklichen
christlichen Auffassung jedoch völlig fremd. Es ist daher
von zentraler Bedeutung, daß man in aller Mission von einem
klaren Verständnis des Wesens der Kirche ausgeht. Sie ist

eben kein Wohlfahrtsverein auf religiöser Grundlage, sondern
ein Handeln Gottes durch Jesus Christus. Sie hat eine einzigartige
Beschaffenheit. Sie ist die Gemeinschaft, die Gott geschaffen
hat zum Heile der Menschen und der Welt. Aber
sie ist auch eine eschatologische Größe und eine Interimsinstitution
, die lebt und wirkt zwischen Christi erstem Kommen
und seiner endgültigen Parusie. Mission ist die Zeit, in
der die Kirche in die ganze Welt hinausgetragen wird, ist die
Vorbereitung für den schließlichen Einbruch des triumphierenden
Zeitalters. Mission ist der Weg zur Vollendung der
Kirche.

Zur Heiligenverehrung

Von Erdmann Schott, Dersekow bei Greifswald

In dem Aufsatz: „Neue Wege der Hagiographie" (ThLZ
73, 1948, 321 ff.) spricht Ernst Benz von einer anbrechenden
Epoche der Wiederentdeckung und Wiedergewinnung „der
Wirklichkeit des Heiligen und seiner Bedeutung für das Christentum
" (322). Im Anschluß an Nigg bekennt sich Benz zu
folgenden methodischen Prinzipien: Der Heilige muß als Ausnahmemensch
begriffen werden, „den Gott selbst aus der Reihe
der gewöhnlichen Menschen herausgenommen hat" (323). Das
„abschließende Kennzeichen des Heiligen" ist die „Gottnähe"
(324). Soziologisch haben die Heiligen eine Beispielfunktion;
sie sind „gleichsam die Inkarnation der christlichen Idee und
deren lebendige Denkmäler" (324). Weiterhin sind die Heiligen
„die festen Punkte in der Geschichte" „dank ihrer ständigen
Bemühung, das Chaos zu überwinden" (324), die Gegenspieler
des Nihilismus. Auf Grund dieser Einsichten kann die Hagiographie
nur mit ehrfürchtiger Liebe und religiösem Realismus
an ihren Gegenstand herangehen; „die Heiligen vertragen kein
destruktives Auseinandernehmen". „Die kritische Methode,
die aus der Welt des rationalen Denkens stammt, ist durch eine
unüberbrückbare Kluft von der symbolischen Weltauffassung
der Heiligen getrennt" (324). An der katholischen Heiligenverehrung
kritisiert Benz, sie habe „die Betrachtung und Würdigung
des besonderen geschichtlichen Persönlichkeitscharakters
und charismatischen Typus des einzelnen Heiligen erstickt und
die verschiedenen Bilder mit einem eintönigen Firnis übermalt
"(323).

Im folgenden sollen zunächst neue katholische Arbeiten
zur Hagiographie besprochen und dann einige kritische Gedanken
zu dem ganzen Fragenkomplex geäußert werden.

Wilhelm Schamoni1 hat mit großer Mühe über 110 Bilder
(auch Totenmasken) von Heiligen zusammengestellt immer
unter dem Gesichtspunkt, dem echten Bilde des einzelnen Heiligen
möglichst nahe zu kommen. Auch der begleitende Text
bemüht sich ausgesprochenermaßen, „die persönliche Eigenart
, die besonderen Züge des Frömmigkeitslebens, gewissermaßen
das innere Bild der Heiligen deutlicher zu zeigen" (7).
Hier haben wir also den entschlossenen Versuch vor uns, die
gerügte Ubermalung mit eintönigem Firnis zu beseitigen. Die
Bilder, die dabei zu Tage kommen, sind in der Mehrzahl recht
eindrucksvoll. Eine kurze Abhandlung „Uber Heilige, Heiligkeit
und Heiligsprechung" ist vorangestellt. „Die Heiligen sind
nicht selbstleuchtend wie die Sonne, sie glänzen vom Lichte
Gottes, von dem alle Heiligkeit ausgeht und auf den alle Heiligenverehrung
zurückzielt" (23). Wertvoll ist besonders die
ausführliche Darlegung der kirchenrechtlichen Bestimmungen
über Selig- und Heiligsprechung. Die Heiligsprechung gehört
„zu den bedeutendsten Bekundungen des kirchlichen Lehramts
" (35). Sie hat nicht den Rechtssinn einer Verpflichtung,
sondern einer Garantie. „Die Kirche lehrt nicht, daß die Heiligen
angerufen werden müssen, sondern nur, daß es gut und
nützlich sei, sie anzurufen" (37). Durch die Heiligsprechung erhalten
die Gläubigen die Garantie, daß dieser bestimmte „Diener
Gottes" (feststehender Ausdruck im Selig- und Heiligsprechungsprozeß
) in ausgezeichneter Weise Gottes Freund ist.
Im übrigen ist es „dem einzelnen Christen unbenommen, die
als Heilige zu verehren, von deren Heiligkeit er überzeugt ist"
(23). Dei' Christ handelt dann eben auf eigne Gefahr.

Am Beispiel der heiligen Elisabeth entwickelt Stephan

') Schamoni, Wilhelm: Das wahre Gesicht der Heiligen. (3., verb.
Aufl.) München: Kösel-Verlag [1950]. 351 S. m. zahlr. Abb. Lw. DM 19.80.

Wildemann1 Gedanken über das Wesen der Heiligkeit. Er
will zeigen, „was das Wesentliche am Heiligwerden ist" (7).
Die Heiligen werden als „außerordentliche Erscheinungen
innerhalb der Menschenwelt" (24) von den Gläubigen unterschieden
. „Die Gläubigen werden geehrt. Die Heiligen werden
in den Himmel erhoben" (24). Das Formalprinzip der Heiligkeit
ist die Liebe zu Christus. „In den Heiligen wird die Liebe
Gottes, die Liebe Christi aufs neue Fleisch auf Erden" (48).
„Sie sind wirklich der andere Christus (Eph.4,13)" (48). Aus
Liebe wollen sie Christus ähnlich werden im Leiden, in der Armut
, in der Demut. Sie wollen sich Gottes würdig erweisen
durch Gegenliebe. „Darum legt sich der Heilige allerlei Proben
auf, wählt Heldenstücke auf Heldenstücke, um schließlich die
Anerkennung zu erhalten, wie ein Liebender von der Geliebten
" (54). Trotz dieser gemeinsamen Grundzüge in aller Heiligkeit
ist aber kein Heiliger „wie der andere". „Jeder verwirklicht
eine andere Seite der göttlichen Vollkommenheit" (60).
Bemerkenswert ist, wie sich in dieser Schau das Wesen der
Sünde darstellt, und wie die allgemeine Liebe, zu der jeder
Gläubige befähigt und verpflichtet ist, und die außerordentliche
überpflichtmäßige Liebesleistung des Heiligen miteinander
in Beziehung gesetzt werden: Die Sünde wird gedeutet
als irregehende Liebe: „Die Sünde ist ja nichts anderes als
Liebe zum Geschöpf im Gegensatz zum Schöpfer" (70). Und
der Getaufte hat mit dem Heiligen die in der Taufe „eingegossene
" Liebe gemein. „.. .kein Getaufter ist darum ohne
die Anlage, ohne die Begabung zum Heiligwerden. Daß er es
nicht wird in außerordentlicher Weise, das liegt wohl im Nicht-
mitwirken mit der Gnade, ist schließlich ein Geheimnis der
göttlichen Gnadenwahl; daß er die notwendige Heiligkeit nicht
hat, die zur Seligkeit hinführt, ist seine persönliche Schuld"
(64). Vom Glauben ist bei dieser Beschreibung des Heiligen gar
nicht die Rede. Kein Wunder, daß der Reformator Martin Luther
eine schlechte Note bekommt: „Jener Mann, der nicht den
Geist der Demut und Liebe gepflegt und gepredigt hat, sondern
die Fackel des Aufruhrs gegen die Kirche erhoben. . . " (9).

Nikolaus Lauer2 und Maria Liobgid Ziegler3 legen uns
zwei Lebensbilder „heiligmäßiger" Frauen vor; Lauer über
Barbara Pfister und Ziegler über Theresia von Jesu Gerhardinger
, beide offenbar mit dem Ziel, einer Seligsprechung vorzuarbeiten
, ohne natürlich dem Urteil der Kirche vorgreifen zu
wollen. Lauer schickt ausdrücklich die Bemerkung voraus:
„Gemäß dem Dekrete UrbansVIII.4 unterwirft der Verfasser
alles hier Geschriebene der Entscheidung der Heiligen Kirche
" (4). Ziegler berichtet kurz über den bisherigen Verlauf des

') Wildemann, Stephan: Die heilige Elisabeth. Deutungen und
Erwägungen zum Wesen der Heiligkeit. Karlsruhe: Badenia Verlag [1949].
92 S. 8°. Kart. DM 2.40.

2) Lauer, Nikolaus: Barbara Pfister. Eine pfälzische Stigmatisierte.
3. Aufl. Speyer: Pilger-Verlag [1949]. 136 S., 9 Taf. Pp. DM3.60.

3) Ziegler, Maria Liobgid, Arme Schulschwester v. U. L. Fr.: Mutter
Theresia von Jesu Gerhardinger. Gründerin der Armen Schulschwestern
von Unserer Lieben Frau 1797—1879. Ihr Leben und ihr Werk. München:
Schnell 4 Steiner [1950]. VIII, 311 S., 1 Titelb. Lw. DM9.80.

4) Durch das Breve Urbans Caelestis Hierusalem vom Jahre 1634
wurde u.a. verboten die Veröffentlichung von Schriften über die Tugenden
nicht kanonisierter Personen, über ihren Tod, ihre Offenbarungen und Wunder
ohne die Genehmigung des zuständigen Bischofs und ohne die Erklärung,
daß über alles Mitgeteilte die Entscheidung dem Heiligen Stuhl zustehe und
daß seinem Urteil nicht vorgegriffen werden solle. (Schamoni 27 f).