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Ausgabe:

1952 Nr. 5

Spalte:

267-272

Autor/Hrsg.:

Schlyter, Herman

Titel/Untertitel:

Kirche und Mission 1952

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Theologische Literaturzeitung 1952 Nr. 5

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Kirche und Mission1

Von Herman Schlyter, Lund

Diese Frage ist während der letzten Jahrzehnte sowohl
vom Gesichtspunkt der Kirche als auch von dem der Mission
aus, sowohl zu Hause als auch draußen auf dem Missionsfeld
aktuell geworden. Ein neuer Kirchenbegriff wurde allmählich
von der Theologie herausgearbeitet, nicht zuletzt in der lutherischen
Theologie und da vor allem in der Exegese und der
Systematik. Aus meiner Heimat ist besonders ein Sammelband
verschiedener schwedischer Theologen mit dem Titel
,,Ein Buch von der Kirche"2 hervorzuheben. In diesem sagt
der Systematiker Bischof G. Aulen u. a.: „Die Frage nach
der Kirche ist nicht nur eine Sonderfrage, sondern der Kirchenbegriff
, der vertreten wird, hat seine Konsequenzen auch für
die Gesamtauffassung." Diese Konsequenzen zeigen sich besonders
auffallend auf dem Missionsfeld. Dort spitzt sich die
Frage der Kirche zu, und dort hat auch die Entwicklung zu
einer Selbstprüfung gerade betreffs der Kirche und der Mission
geführt.

Von seiten der Mission wurde die Fragestellung „Kirche —
Mission" auf der dritten Weltmissionskonferenz in Tambaram
in Indien 1938 manifestiert, und sie ist seither nur noch
aktueller geworden. Die neuere theologische Forschung hat
gezeigt, wie stark der Kirchengedanke dem Urchristentum sein
Gepräge verlieh. A. Fridrichsen hat die Entdeckung der
Rolle, die die Kirche im Urchristentum spielte, als „das größte
Ereignis in der exegetischen Forschung unserer Generation"
bezeichnet. Durch diese Entdeckung ist ein radikaler Umschwung
eingetreten. Die vorherrschende Auffassung am Ende
des vorigen Jahrhunderts ging darauf hinaus, daß der einzelne
Christ der eigentliche Ursprung der Kirche sei. Gemeinde und
Kirche entstanden, als sich einzelne Christen zusammenschlössen
. Diese Art der Vorstellung von der Gemeinschaft,
diese individualistisch-kongregationalistische Erklärung des ur-
christlichen Kirchenbegriffes ist nun aufgegeben worden. Die
Kirche ist kein Verein, keine Vereinigung. Das neue Verständnis
ist die Frucht eingehender Einzeluntersuchungen. Ich
weise nur auf die bekannte Untersuchung von O. L in ton
über die Urkirche hin3. Er legt das ganze Gewicht auf die
Kirche als eine objektiv-reale Tatsache: sie ist der Leib Christi,
sie gehört zur himmlischen Welt. Sie ist eine kosmisch-
eschatologische Größe. Sie ist vor dem einzelnen Christen
und der einzelnen Gemeinde. Sie bildet ein organisches Ganzes
und handelt als Totalität. Sie anerkennt die religiöse Gleichstellung
aller Gläubigen, macht aber gleichzeitig geltend, daß
ein Unterschied an Gaben und Aufgaben vorliegt. Sie ist keine
demokratische Vereinskirche, sondern eine Gemeinde- und
Amtskirche, in der Freiheit und Autorität in einer höheren
Einheit aufgehen. Wenn wir das Neue Testament betrachten,
so bedeutet der neutestamentliche Ausdruck „ekklesia" sowohl
die Gesamtkirche, als auch die einzelnen Ortsgemeinden.
Jede einzelne, örtlich und zeitlich begrenzte „ekklesia" repräsentiert
die Gesamtkirche. Schon die Evangelien reden zu uns
vom Verhältnis zwischen Kirche und Mission. Dies ist vor
allem bei der Wahl der zwölf Apostel durch Jesus und dem
universalen Missionsbefehl, den diese Männer erhielten, der
Fall. Die zwölf Apostel sind mehr als nur zwölf christliche
Individuen. Sie konstituieren die erste Gemeinde, sie sind die
Ur-Zelle der Kirche. Die Wahl der Zwölf ist darum eine
kirchengründende Tat Jesu. Aber gleichzeitig ist sie missions-
gründend. Kirche und Mission sind eins. Selbst ausgesandt,
sandte Jesus aus. Jesus nennt die Zwölf auch Apostel, d. h.
Missionare4. Die Bezeichnung „Apostel" geht auf ein aramäisches
Wort zurück, das „ausgesandt" bedeutet, ebenso wie
unser Wort „Missionar" auf das lateinische Wort „missio" =
Sendung — die Ubersetzung des griechischen „apostole" —
zurückgeht. Es ist typisch, daß die apostolische Kirche keinen
Ausdruck für „Mission" und „Missionar" im modernen Sinne

') Ursprünglich gehalten als Gastvorlesung an der Universität Kiel im
Juni 1949. Hier nur mit Anmerkungen komplettiert. Über die skandinavische
Literatur zu dieser Frage siehe meine Artikel „Das heutige Missionsdenken in
Skandinavien" in „Studia Theologica" 1952.

2) „En bok om kyrkan", Stockholm 1942. Vgl. „Den nya kyrkosynen",
Lund, 1945.

3) O. Linton, „Das Problem der Urkirche in der neueren Forschung".
Uppsala, 1932.

4) Neuere nordische Forschungen über den Apostolat siehe meine Artikel
In den „Studia Theologica" 1952. Vgl. A. Fridrichsen, „The Apostle and his
Message". Uppsala, 1947,

hat. Typisch ist auch, daß dasselbe Verhältnis bei Luther,
dem Wiederentdecker des Bibelwortes, herrscht. Kirche und
Mission, Christ und Missionar waren identische Größen. Die
Missionsarbeit war eins mit der lebendigen Kirche, eins mit
dem Christenleben in der Funktion. Der Auftrag, die Völker
zu Jüngern zu machen, wurde nicht den Aposteln als einzelnen
Individuen gegeben, sondern er wvirde der Gemeinde gegeben,
die sie konstituierten, der Kirche, deren Gründer und Leiter
sie waren. Der Missionsbefehl gilt der Kirche Christi in ihrer
Totalität. Es ist der Wille des Meisters, daß die Missionsarbeit
als Sache der Kirche getrieben werden soll. Charakteristisch ist
die zentrale Stellung, die die Taufe im Missionsbefehl erhält.
Die Apostelgeschichte hat dieselbe Auffassung vom Verhältnis
Kirche — Mission. Ein treffendes Beispiel ist die Aussendung
des Barnabas und des Paulus, das erste Missionsunternehmen
in der Geschichte der Kirche. Die Gemeinde in Antiochia, von
ihren Lehrern und Leitern vertreten, sendet auf Befehl des
Heiligen Geistes und mit Handauflegung Barnabas und Paulus
als Missionare aus. Die älteste christliche Mission wurde also
als eine Sache der Gemeinde betrieben. Barnabas und Paulus
zogen aber nicht als Frei- und Einmann-Missionare aus. Sie
folgten nicht nur einer inneren Berufung. Sie hatten eine Gemeinde
hinter sich. Und vor dieser Gemeinde fühlten sie sich
verpflichtet. Darum lesen wir auch, daß sie, nachdem sie ihre
erste Reise durchgeführt haben, nach Antiochien zurückkehren
und vor der Gemeinde Bericht über ihre Tätigkeit erstatten.
Aber die Mission war nicht nur eine Sache, die der einzelnen
Gemeinde galt. Sie war die Sache der Kirche. Unmittelbar
nach der ersten Reise wird das Apostelkonzil in Jerusalem abgehalten
. Dies war die erste Kircnensynode. Aber es war auch
die erste Kirchen- und Missionskonferenz. Die Veranlassung
dazu war ein Missionsproblem. Die erörterte Frage war, ob
man von Heidenchristen verlangen sollte, sich beschneiden zu
lassen und das Gesetz Mose zu halten, oder ob der Glaube als
einzige Heilsbedingung gelten sollte. Bekanntlich wurde die
letztere Alternative angenommen. Es waren die Apostel und
die Ältesten, die unter der Leitung des Geistes die Sache erwogen
und den Beschluß faßten. Sie setzten im Namen der
Kirche ein Schreiben auf. In diesem rechneten sie erst mit
einigen Männern ab, die ohne Auftrag der Leitung der Kirche verwirrende
Worte gesprochen und Aufregung erregt hatten. Dann
kommen die Vorschriften, die für die ganze Kirche gelten sollen.
Die Mission ist eine Sache der Kirche. Dies geht auch aus den
Briefen des Paulus hervor. Besonders der Brief an dieEpheser,
der Brief „von der Kirche", gibt hier Bescheid. Auch in nachapostolischer
Zeit war die Mission immer noch Sache der
Kirche. Sie hörte erst mit dem Puritanismus und Pietismus
auf, Sache der Kirche zu sein. Ich übergehe hier die freie Mission
der irischen Mönche. Sie gründeten christliche Zentren
um ihre Klöster herum. Da sie aber keine ordentliche Organisation
hatten, war ihre Bedeutung nur von kurzer Dauer —
die Zeit von etwa 550—700 —. Ihre Zentren gingen bald in der
Organisation der Kirche auf. In der Hauptsache war die Mission
bis zum Ende des 17. Jahrhunderts Kirchenmission,
aber die Kirche war zu der Zeit erstarrt und machte nicht
Ernst mit ihrer Missionspflicht. Darum mußte die Unterströmung
des Pietismus kommen. Diese brachte jedoch mit
sich, daß der Kirchenbegriff in subjektiver Richtung umgestaltet
wurde. Die Gemeinde wird eine Vereinigung von Erweckten
und Bekehrten, und die Mission wird ein christliches
Privatunternehmen. So entstand die Gesellschaftsmission, die
gewöhnliche Art, Mission zu treiben. Heute aber geschieht eine
Rückkehr zur kirchlichen Mission. Theologisch greift man auf
die Zeiten zurück, die vor dem Aufschwung der evangelischen
Mission liegen. Das Ideal, wenigstens das der systematischen
Theologie, findet der moderne Theologe gern in der Reformationszeit
und geht, von Luther geleitet, zurück zur Bibel.
Daher blüht heute die Bibeltheologie1. In dieser Theologie
wird das Verhältnis zwischen Kirche und Mission ganz deutlich
, und die Mission wird für die Kirche eine Hauptsache.
Das Subjekt der Mission ist die Kirche. Die Kirche ist die Gemeinschaft
der Heiligen, in der das Wort verkündigt und die
Sakramente verwaltet werden. Sie ist weder eine Gesellschaft
noch ein Verein. Die Sache der Mission ist ihrer Natur nach

') Über die Literatur zu der Neubegründung der Mission in der biblischen
Gesamtbotschaft siehe meine Artikel in den „Studia Theologica" 1952 und
meinen Beitrag „Missionswissenschaft in Schweden" in ThLZ 1949,