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Ausgabe:

1952 Nr. 1

Spalte:

11-20

Autor/Hrsg.:

Fuchs, Ernst

Titel/Untertitel:

Frontwechsel um Bultmann? 1952

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II Theologische Literaturzeitung 1952 Nr. i 12

Mitte entfalten. Und die Frage, die damit vom jungen Luther
aus an unsere Kirche gestellt ist, geht dahin, ob sie die katholische
Bindung festhält und die Freiheit persönlicher Glaubensentscheidung
zugleich, ob sie die Spannung erträgt, die damit
gesetzt ist.

3. Was ergibt sich aus diesem Spannungsverhältnis für
die Gestaltung der lutherischen Kirche? Die Bindung an
ihre Katholizität gibt ihr die Fülle und Strenge der Form; die
Freiheit persönlicher Glaubensentscheidung verleiht die Mannigfaltigkeit
ihrer Formen, die Anpassungsfähigkeit an die
wechselnden sozialen und kulturellen Verhältnisse, den freien
Raum für die Entfaltung der Gaben und Fähigkeiten, die den
Gliedern der Gemeinde geschenkt sind. Amt und Liturgie sind
es, in denen jene Strenge der Form vernehmlich zum Ausdruck
kommt; wenn die Liturgie gebetetes Dogma ist, so soll
in ihr das anbetungswürdige Geheimnis der göttlichen Offenbarung
allezeit im Mittelpunkte stehen. Die verschiedenen
Formen gemeindlichen Lebens sind es, in denen die Mannigfaltigkeit
der geistlichen Gaben und die Freiheit persönlicher
Gewissensentscheidung in verschwenderischer Fülle zum Ausdruck
kommen darf.

4. Von allen wichtigen Fragen, die heute die lutherische
Kirche angehen, wird aber eine durch unser Thema besonders
betroffen: ich meine ihre Auseinandersetzung mit der römischen
Kirche. Luthers Rechtfertigungslehre als die reifste
Frucht der vorangegangenen dogmengeschichtlichen Entwicklung
ergibt sich aus der persönlichen Stellungnahme des
Gläubigen zu der in Trinitätslehre und Christologie aufgenommenen
und bekannten Gottesoffenbarung. Das ist
unsere Antwort auf die Behauptung von Joseph Lortz, Luther
habe in seiner reformatorischen Entdeckung zwar den zentralen
Inhalt des christlichen Glaubens, diesen aber häretisch
verzerrt, wieder zugänglich gemacht1. Sie setzt voraus, daß
lutherische und römische Kirche in der Anerkenunng des altkirchlichen
Dogmas übereinstimmen, daß aus ihm aber die

') Vgl. die Formel, in der Lortz sein Bild von Luther zusammenfaßt (Die
Reformation in Deutschland I, 1939, S. 434): „Er hatte den katholischen
Zentralbesitz häretisch entdeckt."

Frontwechsel

Von Ernst Fu

Von Günther Bornkamm (Heidelberg) und Pfarrer
Walter Klaas (Diedorf bei Herborn/Dillkreis) liegen zwei miteinander
gedruckte Aufsätze vor, die sich beide mit Rudolf
Bultmann bzw. der Diskussion um ihn auseinandersetzen1.
Die Bedeutung dieser Aufsätze fordert eine ausführliche kritische
und weiterführende Besprechung.

Bornkamms Aufsatz, ein an verschiedenen Orten gehaltener
Vortrag, trägt denselben Titel wie das ganze Heft:
„Mythos und Evangelium", mit dem Untertitel: „Zur Diskussion
des Problems der Entmythologisierung der neutesta-
mentlichen Verkündigung" (S. 3—29). Der Untertitel spielt
auf den bekannten, erstmals 1941 veröffentlichten Vortrag
R. Bultmanns an, in dem dieser die Entmythologisierung der
neutestamentlichen Verkündigung gefordert hatte („Neues
Testament und Mythologie", in: Offenbarung und Heils-
geschehen, Beitr. z. Ev. Theologie 7, 1941; neu abgedruckt
bei H.W.Bartsch, Kerygma und Mythos, 1948, S. 15ff.).
Bornkamm beginnt mit einem gedrängten, aber leicht lesbaren
Referat über Bultmanns Gedankengang in jenem Vortrag
(I. Bultmanns Entmythologisierungsentwurf, S. 4—10).
Er faßt Bultmanns Unterscheidung zwischen Christi Kreuz
und Auferstehung in den etwas zu pointierten Satz: ,,. . . Jesu
Auferstehung ist für ihn (sc. Bultmann) nicht wie das Kreuz
ein .historisches' Geschehen; die Rede von der Auferstehung
ist vielmehr .Ausdruck der Bedeutsamkeit des Kreuzes'
(Kerygma und Mythos, S. 47)". Bultmann dagegen sagt sehr
vorsichtig: „Das Osterereignis, sofern es als historisches Ereignis
neben dem Kreuz genannt werden kann, ist ja nichts
anderes als die Entstehung des Glaubens an den Auferstandenen
, in dem die Verkündigung ihren Ursprung hat. Das
Osterereignis als die Auferstehung Christi ist kein historisches

') Bornkamm, 0., u. w. Klaas: Mythos und Evangelium. (Zum

Programm R. Bultmanns.) München: Chr. Kaiser 1951. 56 S. gr. 8° = Theologische
Existenz heute, hrsg v K. G. Steck u. G. Eichholz. N. F. Nr. 26
DM 2.20.

lutherische Rechtfertigungslehre eine Konsequenz gezogen
hat, die Rom nicht anerkennt. Ob diese Konsequenz häretisch
ist oder ob sie das wahre Anliegen altchristlichen Glaubens
zum Ausdruck bringt, darum und um nichts anderes geht der
Streit zwischen den beiden Konfessionen. Alles, was sonst
zwischen ihnen verhandelt wird, ist ein legitimer Streitgegenstand
nur dann, wenn es sich auf jenen Grundgegensatz zurückführen
läßt.

Wie aber kann die lutherische Kirche ihre Auseniander-
setzung mit Rom führen, wenn sie das altkirchliche Dogma
als erratischen Block in ihrem Lehrsystem behandelt oder es
gar als Kuriosum im Raritätenkabinett der Dogmengeschichte
würdigt ? Durch die Theologie des jungen Luther wird sie vor
die Frage gestellt, ob sie ihre Rechtfertigungslehre aus di r
Offenbarung des dreieinigen Gottes in Christus erklären kann
oder nicht. Daß der junge Luther ihr dieselbe Frage vorlegt,
vor die sie durch Rom alle Tage gestellt ist, das ist ein Zeichen
nicht dafür, daß der junge Luther noch eine vorreformato-
rische Theologie vertreten habe, sondern dafür, daß seine
Theologie den Wahrheitsgehalt der gesamten katholischen
Kirche voraussetzt und nur von hier aus richtig verstanden
werden kann.

Wir sind am Ende. Wir haben die Fragen gehört, die von
der Theologie des jungen Luther aus an die lutherische Kirche
heute zu stellen sind. Sie laufen alle in der einen Frage zusammen
, ob diese Kirche die Offenbarung Gottes in Christus
so verstellt und so in den Mittelpunkt ihres Denkens und
Lebens hineinstellt wie die Alte Kirche das getan hat; und
ob sie den Mut hat, alles, was sie an besonderer Erfahrung von
der Rechtfertigung des Sünders vor Gott besitzt, im Lichte
jener Offenbarung zu schauen. Wird die lutherische Kirche
durch diese Forderungen in Frage gestellt? Wer das glaubt,
würde ihre Existenz bestreiten. Die Theologie des jungen
Luther ist aber eine Frage an die lutherische Kirche, bei der
ihre Existenz als Kirche vorausgesetzt wird. Und indem sie
auf diese Frage die rechte Antwort gibt, wird sie instand gesetzt
, Kirche zu bleiben, weil sie Kirche ist.

Dieser Aufsatz wurde als Vortrag gehalten bei der Haupttagung des
Luth. Einigungswerkes in Fulda am 1. 10. 1951.

um Buhmann?

chs, Tübingen

Ereignis; als historisches Ereignis ist nur der Osterglaube der
ersten Jünger faßbar. Der Historiker kann seine Entstehung
bis zu einem gewissen Grade begreiflich machen durch Reflexion
auf die ehemalige Verbundenheit der Jünger mit
Jesus; für ihn reduziert sich das Osterereignis auf ihre visionären
Erlebnisse. Der christliche Osterglaube ist an der historischen
Frage nicht interessiert; für ihn bedeutet das historische
Ereignis der Entstehung des Osterglaubens wie für die
ersten Jünger die Selbstbekundung des Auferstandenen, die
Tat Gottes, in der sich das Heilsgeschehen des Kreuzes vollendet
" (Kerygma und Mythos, S. 50t.). Damit ist doch wohl
gemeint: wie der Osterglaube der ersten Jünger, so gehört auch
unser Glaube an den Auferstandenen zum „eschatologischen
Geschehen". Das eschatologische Geschehen ist als das „Heilsgeschehen
" in der Tat kein historisches Ereignis, denn es ist
das Ende der Geschichte, das paradoxerwei.se mitten in der
Geschichte Ereignis geworden ist, wie der Glaube sagt (Joh.
1, 14). Kreuz und Auferstehung Jesu sind gleicherweise Heilsgeschehen
, und, sofern sie das sind, beides keine historischen
Ereignisse mehr, sondern Gottes Tat. Dagegen sichert die Rede
von der Auferstehung die Bedeutsamkeit (nicht das historische
Faktum!) des Kreuzes als Heilsgeschehen. Denn könnte
man auch die eschatologische Bedeutung des Kreuzes bestreiten
, so kann man doch nicht die eschatologische Bedeutung
der Auferstehung bestreiten (1. Kor. 15, 21 ff.). Sofern
nun aber Kreuzigung und Auferstehung Christi „unlöslich
" zusammengehören, wie auch Bornkamm mit Recht betont
, vgl. nur Rom. 4, 25, wird der Kreuzigung Christi durch
seine Auferstehung eschatologische Bedeutung verliehen, so
daß die Frage entsteht, welche besondere Bedeutung dann
dem Kreuz Christi eigen sei. Antwort: daß im Gegensatz zu
den Gesetzeswerken oder zur Philosophie der Glaube an
Gottes Gnade unser Heilsweg geworden ist. Das ist die spezielle
eschatologische Bedeutung, die das Kreuz Christi im
Lichte seiner Auferstehung annimmt (2. Kor. 4, 6 vgl. mit
V. 7ff.). Was besagt das für die Präzisierung der Bedeutung