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Ausgabe:

1952 Nr. 4

Spalte:

244-245

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Titel/Untertitel:

Christen und Nichtchristen in der Rechtsordnung 1952

Rezensent:

Schott, Erdmann

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243

Theologische Literaturzeitung 1952 Nr. 4

244

macht: mag man es nun Liebe wie Luther oder wie der
Katholizismus Gemeinwohl oder neuerdings, wie der vom Verf.
wie von mir in gleicher Weise verehrte Steinbüchel, humanuni
, das Menschliche nennen. Hier sehe ich keinen wesentlichen
Unterschied zwischen der katholischen und evangelischen
Staatsethik, zumal bei den Korrekturen, die der Verf.
selbst an der katholischen Auffassung anbringt. In der Zuspitzung
auf die nackte, einfach daseiende Macht als Begründung
der Autorität ist die evangelische Sozialethik vom Verf.
also verzeichnet. Denn auch in ihr ist der Staat zwar souverän,
aber nicht absolute Macht. (Souverän und absolut sind zwei
verschiedene Dinge, die immer miteinander verwechselt werden
, z. B. in den früheren Schriften von Carl Schmitt.) Macht
hat, so ganz deutlich bei Luther, ihre Autorität darin, daß sie
nur formales Mittel ist, um die Liebe Gottes am Menschen zu
verwirklichen.

Aber was ist Liebe im Sinne Gottes ? Was ist Gemeinwohl
? Wer ist der Mensch, ganz konkret gesprochen ? Das ist
nur aus dem Wesen von Mensch und Gemeinschaft und ihrer
Not, also aus der Realität, zu erkennen. Nun wollen beide
Konfessionen das „Gute" aus der Realität erheben, aber mit
Unterschied: der Katholizismus aus metaphysischer Realität,
der Protestantismus aus der unmittelbaren Realität, also aus
Ubersein einer- und aus Sein andererseits. Der Protestantismus
anerkennt nur zwei Quellen für die Erkenntnis des Willens
Gottes: das Wort Gottes in der Bibel und das reale Sein „ohne
idealistische Schrullen", also kein ideales Zwischenreich
„realer" Ideen, kein himmlisches Urbild der Welt, von dem die
wirkliche Welt Abbild wäre. Zwar bemüht auch er sich um
Wesenserfassung durch Mittel der menschlichen Vernunft, aber
ihr Ergebnis ist nicht allgemein gültiger ewiger Natur, nicht die
eigentliche wesenshafte Wirklichkeit, sondern Hilfsmittel, um
die Wirklichkeit vor der Vernunft objektivierbar und damit
verständlich und handlich zu machen, das immer neu an der
sich geschichtlich verändernden Wirklichkeit zu kontrollieren
ist. Man mag das „Naturrecht" nennen, aber es hat lediglich
heuristischen Charakter. Der metaphysische Realismus steht
für den Protestantismus unter dem Verdacht einer harmonisti-
schen, nicht selten willkürlichen Illusion; denn er ist in Wahrheit
nur von der Erfahrung abstrahiert und allen Irrtümern
menschlicher Vernunfttätigkeit ausgesetzt, die doch wieder
an der Erfahrung korrigiert werden müssen. Nach protestantischer
Auffassung steht das ideale Sein, das „Ubersein",
Gott nicht näher als das wirkliche Sein, eher ferner. Auch
weiß die Bibel nichts von einem Ubersein der irdischen Dinge;
es stammt vielmehr aus der antik-idealistischen Philosophie.
Die Bibel kündet ausschließlich von der unbegreiflichen Majestät
Gottes, der Schöpfer und Herr der Geschichte ist, und
zugleich von seiner Barmherzigkeit und Güte, die im Verlauf
der Geschichte sich realisiert. Das ergibt freilich schwerste
Probleme, die nur im Glauben zu bewältigen sind: in dem
Glauben, daß in der Geschichte die Unbegreiflichkeit Gottes
als Güte begreiflich wird und doch unbegreiflich bleibt. Diese
Paradoxie zeigt sich auch in der Tatsache, daß der wirkliche
Staat immer Macht mit zweideutiger Wirkung ist und dennoch
unter der Bedingung des Gemeinwohls als Autorität begriffen
werden muß. Darum ist Politische Ethik immer eine ethica
crucis (Ethik des Kreuzes).

Dem protestantischen Kenner der Probleme muß es be"
deutsam sein, daß der Verf. die katholische Auffassung vom
Naturrecht in bezug auf den Staat, beeindruckt durch die Einwände
von protestantischer Seite, an zwei wichtigen Punkten
korrigiert. Der eine betrifft die schließliche Anerkennung, daß
das besondere Wesen des Staates im souveränen Machtcharakter
und nicht in einer harmonisch gegliederten, arbeitsgeteilten
Gesellschaft zu suchen ist, daß also Gesellschaft und
Staat scharf zu unterscheiden sind. Die andere Korrektur
trägt der Bewegtheit der Geschichte und damit der beständigen
Veränderung dessen, was in der jeweiligen Gegenwart
„Staat" ist, Rechnung. Beides bedeutet eine wesentliche Annäherung
der metaphysischen Realität an die wirkliche Realität
, aber zugleich neue Probleme, die mit Hilfe eines Naturrechts
kaum mehr zu bewältigen sind.

Das Werk von Richard Hauser halte ich für außerordentlich
bedeutsam, weil es wie kaum ein anderes mir bekanntes
die tiefsten und entscheidenden Probleme einer Staatsethik
aufrollt, die sich am christlichen Glauben orientieren will. Es ist
außerdem lehrreich für den so wichtigen Unterschied und zugleich
für das Gemeinsame in der Haltung der beiden Konfessionen
zur Kultur überhaupt. Der beste Dank an den Verf. wäre
der, wenn sein Buch tatsächlich das würde, wozu er es geschrieben
hat: die Grundlage des Gesprächs zwischen den Konfessionen
, wodurch der Protestantismus stärker, als es die vergangenen
Jahrhunderte der Fall war, zum Ernst gegenüber
dem diesseitigen Sein, damit auch gegenüber Staat und Gesellschaft
, sich veranlaßt sähe.

Marburg/Lahn Georg Wünsch

Christen und NichtChristen in der Rechtsordnung. Vorträge der 5. Plenarsitzung
der Studiengemeinschaft der Evangelischen Akademie v. 19.
bis 22. 4. 50 in Bad Boll. Stuttgart: Studiengemeinschaft d. Evang. Akademie
[1950]. III, 118 S. 8°.

In den hier veröffentlichten Vorträgen geht es um zwei
Einzelfragen, nämlich um die Todesstrafe und um das Elternrecht
.

Zum Thema Todesstrafe sprachen der Jurist Karl Engisch
und der Theologe Hans Schomerus. Engisch gibt zunächst
eine lehrreiche historische Ubersicht und weist dann nach, daß
die Straftheorie zu keiner klaren Entscheidung für oder wider
die Todesstrafe kommt: „Im Mord selbst liegt nicht etwa die
Forderung begründet, daß die Todesstrafe ihn zu sühnen
hat" (30). Bleibt die Zweckmäßigkeitsfrage, die aber ebenfalls
nicht eindeutig entschieden werden kann. „Ein ,Beweis' ist
hier überhaupt grundsätzlich nicht möglich" (38). Engisch selber
ist heute Gegner der Todesstrafe. — Schomerus sieht die
Einzigartigkeit der Todesstrafe gegenüber allen andern Strafarten
darin, daß der Tod als der Sünde Sold „in den Umkreis
der unmittelbaren Schöpfung Gottes gehört" (47). Die Todesstrafe
ist „Übernahme des göttlichen Gerichts durch den richtenden
Menschen" (47). Von da her erhält die Todesstrafe einen
dreifachen Sinn: als Vergeltung, als erziehliches Abschrek-
kungsmittel, als Sühne. Diese drei werden im Säkularismus
verkehrt zur Repressalie, zum reinen Schrecken (Terror), zur
Liquidation (= Vernichtung von Schädlingen). Der Christ
kann die Todesstrafe nicht grundsätzlich verwerfen, aber auch
nicht die „letztlich verantwortungslose Handhabung der Todesstrafe
durch einen säkularistischen Staat befürworten"
(53). In der Aussprache wurde von vielen Rednern unterstrichen
, „daß die in dem zweiten Referat gemachte grundsätzliche
Unterscheidung zwischen einem christlichen Staat. . . von
früher und einer säkularisierten Gesellschaft heute so nicht
aufrecht erhalten werden kann" (ioif). „Im Säkularismus
selbst stecken unmittelbar christliche Anliegen" (102). Engisch
spricht von einem „Mittleren", das das Fundament unserer
heutigen Strafgesetzgebung sei, nämlich die Verknüpfung des
Sicherungs- mit dem Schuldgedanken(58). Der bloße Sicherungszweck
begründet nicht Strafe, der bloße Schuldmaßstab
begründet nicht eindeutig Strafmaß und -art. Darum bestreitet
er der Theologie die Zuständigkeit, „uns das gute Gewissen zu
geben für die Handhabung der Todesstrafe" (62).

Zum Thema Elternrecht sprachen Ernst Forsthoff und
Edo Osterloh. In eingehender Untersuchung kommt Forst-
hof f zu dem Ergebnis, daß dem Art. 6 Abs. 2 des Grundgesetzes
(übernommen aus Weim. Verf. Art. 120) „eine Bedeutung auf
dem Gebiet des Schulrechts" nicht zuerkannt werden kann
(75). „Das Elternrecht innerhalb des Schulrechts muß deshalb
von andern Voraussetzungen aus erwogen Werden" (75). Das
Weimarer Schulkompromiß hat die Weimarer Verfassung
nicht überlebt. Die Länderverfassungen kennen entweder kein
Elternrecht (Württemberg-Baden, Hessen, Südbaden) oder
nähern sich dem Weimarer Schulkompromiß allerdings mit
einer wesentlichen Verschiebung zugunsten der Bekenntnisschule
(Bayern) oder berücksichtigen das Elternrecht stärker
als die Weimarer Verfassung (Württemberg-Hohenzollern,
Rheinland-Pfalz). Forsthoff steht einem spezifischen Elternrecht
ablehnend gegenüber. Man kann unter Umständen mit
den gesetzlichen Mitteln eine Aufhebung des staatlichen Schulzwangs
anstreben. Aber die Aushöhlung der staatlichen Schulhoheit
durch den Rückgriff auf das Elternrecht erscheint ihm
als Angriff auf die repräsentative Stellung des Parlaments (83).
Von einer andern Seite her kommt auch Osterloh zu einer
Infragestellung des Elternrechts: Die christliche Botschaft
wird „nicht verschweigen dürfen, daß die Kinder nicht das
Eigentum ihrer Eltern sind, und daß in der Entscheidung für
oder gegen Christus auch gegen das Elternrecht die Forderung
erhoben werden kann: ,Man muß Gott mehr gehorchen als den
Menschen'" (94L). Die Aussprache führte die Fülle der Probleme
vor Augen, ohne einen überzeugenden Ausweg zeigen
zu können. Man war sich in der allgemeinen Forderung einig,
daß das Elternrecht einerseits nicht zum konfessionspolitischen
Schlagwort werden darf und daß andererseits der christliche
Einfluß durch die verantwortliche Mitarbeit von Christen im
Erziehungswesen verstärkt werden muß. Die in diesem Zusammenhang
wieder einmal auftauchende These, daß die
Kirche „durch ihre Spaltung eine Hauptschuld daran trägt,