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Ausgabe:

1952

Spalte:

241-244

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Hauser, Richard

Titel/Untertitel:

Autorität und Macht 1952

Rezensent:

Wünsch, Georg

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Theologische Literaturzeitung 195t Nr. 4

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Büchlein, daß in ihm diese Verschiedenheiten nicht hervortreten
. Man kann sagen, seine Anliegen sind unsere Anliegen.
Wenigstens darf das von der Sicht der Laienarbeit her gesagt
werden, in deren Dienst Rez. steht. Vielleicht hängt das
mit der jahrzehntelangen Tätigkeit des Verf.s in der ökumenischen
Arbeit zusammen, vielleicht auch mit seiner schottischen
Nationalität. Es ist die Weise praktischen Christentums,
die hier zu Wort kommt und uns in unserem täglichen Dasein
anspricht. „Vor Ort" — wie der Bergmann sagt, versteht man
sich leichter.

Erstaunlich, was auf den 87 Seiten zusammengefaßt wird,
ein Reichtum des Inhalts, der nur aus langjährigen Erfahrungen
und Erlebnissen geerntet werden kann. Es ist der Ertrag
einer Studienarbeit des Ökumenischen Rates, an der der Verf.
nach Inhalt und Form maßgeblich beteiligt war.

Der Ausgangspunkt ist die große Gefahr der Evangelischen
Kirche überhaupt: Die Problemscheu, wenn es sich um
Fragen der Welt handelt. Hier fehlt dem Evangelischen die
Führung durch eine kasuistische Morallehre. Auf sich selber
steht er da ganz allein vor Gottes Richterstuhl. Kein Wunder,
daß wir nach verschiedenen Seiten der großen Frage auszuweichen
suchen, ob das Christentum eine entscheidende Kraft,
ein konstruktives Prinzip zu imserem zeitlichen Leben sein
kann, sein soll, sein muß. Mit Recht sagt Oldham:

„Die heutige Gesellschaft ist ein Leviathan geworden, der
das uns noch verbliebene Menschentum bedroht. Wert und
Würde des Menschen und der Sinn des Lebens stehen auf dem
Spiel." Die Thematik des Büchleins berührt sich damit mit
der Themenstellung der Evangelischen Akademien und des
Berliner Laientages.

In zwei großen Teilen wird die Arbeit in der modernen
Welt und die — christlich gesehene — Frage nach dem Sinn
der Arbeit behandelt.

Es ist nicht möglich, hier auf knappstem Raum eine Inhaltsübersicht
zu geben. Mir persönlich scheint die Betrachtung
über die Gruppenarbeit in der modernen Wirtschaft und
ihrem seelischen Gehalt von besonderer Bedeutsamkeit.
(Erster Teil, Ziffer 3.) Hier wird gezeigt, daß keineswegs nur
die Individualleistung sittliche Werte darstellt. Ähnlich wertvoll
der Abschnitt über die Muße (re-,,creation"), das lutherische
Denken (Arbeit als Gottesdienst), den Menschen als
Umformer der Welt — kurz, alles ist prall gefüllt mit lebendigen
, packenden Fragen. Es gibt eine nicht mehr zu übersehende
Fülle des ökumenischen Schrifttums über all das, was
hier zusammengefaßt überschaut wird, aber wenig, was dem
in drängender Arbeit Stehenden eine wegweisende Hilfe ist.
Hier wird solche geboten, und zwar in einfacher und deutlicher
Sprache. Möchte sie weithin bekannt werden.

Berlin Reinhold O. Quaatz

Hauser, Richard: Autorität und Macht. Die staatliche Autorität in der
neueren protestantischen Ethik und in der katholischen Gesellschaftslehre.
Heidelberg: L. Schneider 1949. 431 S. gr. 8°. Lw. DM 13.60.

Die christlichen Konfessionen unterscheiden sich nicht
nur in Lehren, Kulten und Gebräuchen, sondern auch — und
das ganz wesentlich — in ihrer Haltung zu den Dingen der
Welt. Sie vertreten eine Sozialethik, d. h. eine bestimmte Auffassung
von dem, was im sozialen Leben als Gut oder Böse
zu gelten hat. Und hier gehen die Konfessionen auch diejenigen
an, denen ihre Glaubenslehren gleichgültig sind. Denn
konfessionelles Denken hat die abendländische Politik, Wirtschaft
und Sexualität auf das Stärkste bestimmt und bestimmt
sie heute noch, ob es nun beachtet oder mißachtet
wird. So ist das Buch von Richard Hauser von allgemeiner
nicht nur christlicher und konfessioneller Bedeutung, zumal
es kenntnisreich der Sache wirklich auf den Grund geht. Der
Verf. schreibt als Katholik, seine Basis bildet Thomas von
Aquino; ich urteile als protestantischer auf Luther sich
gründender Sozialethiker — das von vornherein zur Klärung der
gegenseitigen Ausgangsstellungen.

Die den Verf. bewegende Frage betrifft die christlichsittliche
Begründung der Autorität des Staates. Worauf
beruht diese Autorität ? M. a. W.: Mit welchem Recht fordert
der Staat Gehorsam bis zum Opfer des Eigentums und Lebens ?
Zweifellos eine ganz entscheidende und höchst aktuelle Frage.
Wie wird sie auf evangelischer und wie auf katholischer Seite
gelöst ? Nach des Verf.s Absicht soll seine Beantwortung die
Grundlage für das Gespräch bilden, welches die Standpunkte
der beiden Konfessionen für die Sache selbst fruchtbar macht.

Er eröffnet mit einer gründlichen Darstellung der neuesten protestantischen
Staatsethik, worin vornehmlich Karl Barth, Gogarten, Emil Brunner,
Paul Althaus, Wiesner und Wünsch behandelt werden. Er kennt ihre Verschiedenheit
im einzelnen, ist aber der Meinung, daß sie alle in einem Punkte

einig sind: in der Anerkennung des reformatorischen Gottesgedankens. Er ist
ihrer aller Grundvoraussetzung und so müssen sie alle zum selben Ziele gelangen
. So ergibt sich die Hauptthese des Buches: Weil der Protestantismus
ein gleichbleibendes, allgemeines Naturrecht nicht anerkennt, sondern allein
den souveränen, unberechenbaren, absoluten Willen Gottes, dessen Freiheit
als Willkür erscheint, darum bleibe ihm für die Begründung der Autorität des
Staates die Tatsächlichkeit seiner Macht allein. Sein sittliches Recht beruhe
einzig darauf, daß er ist, d.h. auf der Zufälligkeit (Kontingenz) seines Bestehens
. Der Verf. schreibt: „Von diesem theologischen Fundament her, so
meinen wir, besitzt die protestantische Sozialethik auch ihre oft berufene Nähe
zum modernen souveränen Machtstaat. Ihr theologisches Fundament führt
die protestantische Sozialethik stets wieder dahin, im Wesen des Staates und
seiner Autorität den Machtcharakter vor allem zu sehen und zu betonen"
(S. 13). Die Folge davon sei, daß im Protestantismus die Welt entweder durch
den Hinweis auf die Folge des Sündenfalls entwürdigt oder durch den Glauben,
daß Gott hinter allen Weltmächten als seinen „Larven" oder „Masken"
„rumore" (in der Tat die Auffassung Luthers von der Bewegtheit der Geschichte
), vergleichgültigt würde. Das Sein sei entleert, „gleichsam substanzlos
und kulissenhaft"; es habe keine eigene Würde und damit verliere es seinen
Ernst. Diese Sinnentleerung gelte auch für den Staat, und so bleibe zur Begründung
seiner Autorität nur seine eben bestehende Macht. Daraus ergebe
sich die doppelte Konsequenz: entweder spiritualistisch-innerliche Vergleich-
gültigung oder unbekümmerte äußerliche Machtpolitik.

Dem gegenüber wisse der Katholizismus von einem Naturrecht, d. h.
einem selbständigen Recht der Dinge, das sich als sittlicher Anspruch geltend
mache. Aber gemeint seien nicht die Dinge, wie sie sich in der Erfahrung
geben, sondern ihr Wesen. Sie hätten ihre in Gottes Wesen gegründete Natur,
durch die Sünde zwar verschleiert, aber der Schleier ist durchsichtig. Die Vernunft
vermag sie zu erkennen als ein höheres geistiges Wesensbild (man spürt
die Wirkung des platonischen Idealismus). Auch das sei Realismus, ja der
eigentlich wahre Realismus, nämlich „metaphysischer Realismus". Daher entnehme
das unmittelbar realistisch erfaßte Sein seine Weihe und Würde. So
auch der Staat. Seine Autorität beruhe also auf der Fülle seines „Überseins",
d. h. seiner ideellen, in Gott gegründeten Wesenheit, die metaphysisch real
und der Realität göttlichen Seins voll ist. Autorität also nicht, weil eine Macht
einfach da ist, die sie ausübt, sondern weil sie das Übersein des Staates zur
Geltung bringe. Ihr Inhalt sei das bonum commune, das „Gemeinwohl",
welches wiederum nicht einfach Wohl des Einzelnen oder der Summe der
Einzelnen bedeute, sondern selber „höheres" metaphysisches Sein sei. So gelange
die katholische Staatseth k über das Naturrecht zu echter Autorität,
während dem Protestantismus dieser Zugang versagt sei.

In dieser Darstellung des Verf.s strömen einem die Probleme
nur so entgegen. Hier kann nur Weniges angedeutet
werden. Zunächst ist zuzugestehen, daß der Protestantismus
in der Tat die Neigung hatte, die Welt, d. h. das wirkliche
Sein, nicht so ernst zu nehmen, wie es der Schöpfungsglauben
und das Liebesgebot fordert. Das aber geschah gegen den
ganzen Luther. Seine Stellung zur Wirklichkeit wird nur
auf dem Hintergrund der radikalen Ethik der Bergpredigt
verständlich, von deren Rolle in der politischen Ethik des
Protestantismus der Verf. überhaupt nicht spricht — begreiflicherweise
, weil die protestantischen Sozialethiker seit Luther
selber kaum davon sprachen. Gegen das Nicht-Ernstnehmen
der irdischen Wirklichkeit ist jedoch in den letzten Jahrzehnten
innerhalb des Protestantismus selber der Protest
immer lauter geworden. Ich verweise nur auf Althaus, Brunner
, meine Arbeiten und vor allem auf die neueste Haltung
der evangelischen Kirchen. Hierzu kann uns die katholische
Sozialethik in der Tat anregen, wenn auch in der reformatorischen
Theologie selber dazu die Veranlassung liegt.

Aber der Verf. vollzieht eine Gewaltsamkeit, wenn er die
Autorität des Staates in der protestantischen Ethik einfach
auf die nackte Macht, die da ist, zuspitzt. Es gibt keinen protestantischen
Sozialethiker, der das täte. Gewiß ist die bestehende
Staatsmacht auf Grund der irrationalen Setzung
Gottes — damit ist sie schon nicht mehr nackte, auf sich
selbst beruhende Macht — anzuerkennen. Auch der Katholizismus
tut das; vgl. seine Gehorsamsforderung auch gegenüber
der bösen Obrigkeit. Die protestantische Ethik aber geht
weiter und fragt — was im Katholizismus, auch beim Verf.
nicht geschieht —, wie überhaupt das Entstehen und Vergehen
von Mächten von Gott her zu verstehen ist. Das ist
das große politische Problem für die christliche Ethik. Augenscheinlich
geschieht es durch Kämpfe; ihre Tatsache wie ihr
Ergebnis sind irrationaler Natur. Daher sind sie nur vom
reformatorischen, und das heißt biblischen Gottesgedanken
her und nicht von einer irgendwie rational-harmonistischen-
metaphysischen Realität eines Naturrechts her christlich zu
begreifen. Die Frage ist dann die: welche der in der jeweiligen
Gegenwart miteinander ringenden Mächte läßt echte Autorität
erwarten ? Nicht einfach die Macht, welche sich dann
durch den Sieg ins Dasein setzt, sondern jetzt tritt das andere
Kriterium für Autorität ein, die diese erst zu einer echten