Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1952 Nr. 4

Spalte:

229-231

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Schempp, Johannes

Titel/Untertitel:

Seelsorge und Seelenführung bei John Wesley 1952

Rezensent:

Schmidt, Martin

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

229

Theologische Literaturzeitung 1952 Nr. 4

230

Stiefel, die sich auf dem Parkett der Minister und Reichsstatthalter in Stuttgart
, München und Berlin eindrückten. Und nicht die theoretischen Rechtsverwahrungen
, sondern die in Stuttgart und Celle, in Nürnberg und Berlin von
den Vertretern der „intakten" Kirchen tatsächlich gewonnenen Prozesse haben
den Reichsbischof und seinen „Rechtswalter" derart ins Unrecht gesetzt, daß
selbst ein Adolf Hitler darüber die Sprache verlor."

Er fährt fort: ,,In einer für die Anreger dieses „Weißbuchs" fast peinlichen
Selbstverständlichkeit ist durch den aktenmäßig festgestellten Tatbestand
das Handeln der beiden süddeutschen Bischöfe in den Vordergrund gerückt
worden. Das ist nicht nur durch die Vollständigkeit des Quellenmaterials
in Stuttgart und München bedingt, sondern hat seine geschichtliche Richtigkeit
. Sind von Bayern die grundsätzlichen, immer wieder neu in den Bekenntnisschriften
der Reformation begründeten Denkschriften und ausführlichen
Outachten zur vielseitigen Beleuchtnug der Verhältnisse der Kirche zum Staat
ausgearbeitet worden, so ist in Württemberg die Person des Landesbischofs
hervorgetreten, in seiner dreifach verflochtenen Eigenschaft als Sprecher der
Kirchenführerkonferenz, als Anreger und Leiter des „Einigungswerks" und als
Vorkämpfer auf einer durch die personalen und lokalen Verhältnisse besonders
bedrohten Position."

Er schließt: „Es bleibt mir noch übrig, den Dank auszusprechen sowohl
dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutsehland, als auch denLandeskirchen
von Bayern und Württemberg für die Gewährung von finanziellen Beihi'fen,
so daß der Druck der schon 1947 abgeschlossenen Dokumentensammlung zu
einem erschwinglichen Preis möglich wurde."

Aus alledem wird die Bedeutung, aber auch die Begrenzung
des Buches deutlich, das den geübten und erfahrenen
Historiker erkennen läßt, der den Kampf der Kirche sorgfältig
beobachtet hat, ohne daran beteiligt zu sein. In acht Kapiteln
wird der vorliegende Stoff folgendermaßen gegliedert: 1. Um die
Reichskirche und den Reichsbischof. 2. Die Eingliederungspolitik
des ,,Rechtswalters" August Jäger. 3.Wiederherstellung verfassungsmäßiger
Zustände in Bayern, Württemberg und Hannover
. 4.DieBekennendeKirche unter eigenem Kirch enregim ent:
Die Vorläufige Leitung der Deutschen Ev. Kirche. 5. Die Ära
der Kirchenausschüsse und die Spaltung der Bek. Kirche. 6.
Das staatskirchliche Experiment einer Sammlung aller ,,Kirchenführer
" auf der mittleren Linie: Von Hitlers Ankündigung
einer allgemeinen Kirchenwahl bis zum Kriegsausbruch. 7. Die
Kirche im Krieg. 8. Letzte Entscheidung: Für oder gegen
Hitler ?

Diese Ubersicht zeigt, daß eine Fülle wichtiger Dokumente
in dem Buch gesammelt und verarbeitet worden ist und daß
es wertvolles Material zum Studium und Verständnis des Kirchenkampfes
darbietet. Uber die Urteile und Wertungen läßt
sich nicht streiten; jeder wird und muß sie so fällen und aussprechen
, wie er das vermag. Es fällt auf, daß in den „Erläuterungen
" folgende wichtigen Werke nicht neben den dort aufgeführten
genannt worden sind: ,,Kampf und Zeugnis der
Bekennenden Kirche" von Willi. Niemöller, 1948...
„und folget ihrem Glauben nach", Gedenkbuch für die
Blutzeugen der Bekennenden Kirche, hrsg. von B. H. Forck
i949.,,Lebensbilder aus der Bekennenden Kirche" hrsg.
von Willi. Niemöller 1949. „Die Bekenntnissynoden der
Evangelischen Kirche der altpreußischen Union"
hrsg. von Wilhelm Niesei 1949. Daraus wäre noch manch
wichtiger Beitrag zu erheben gewesen. Jedenfalls aber sind wir
dankbar für diese Arbeit und empfehlen sie der Aufmerksamkeit
aller, die für die neueste Kirchengeschichte interessiert
sind.

Frankfurt a. M. Wilhelm Fresenius

Schempp, Johannes, Dr. theoi.: Seelsorge und Seelenführung bei John

Wesley. Stuttgart: Christliches Verlagshaus [1949]. 248 S. 8°. HIw.
DM 9.50.

Der Verf., Direktor des Predigerseminars der Evangelischen
Gemeinschaft in Reutlingen, legt eine in langjähriger
Beschäftigung mit dem Gegenstand gereifte Studie über die
Seelsorge und Seelenführung John Wesleys vor, die aber weit
mehr als die Behandlung eines Einzelthemas sein will. Sie
steht vielmehr von Anfang an unter einer doppelten Voraussetzung
. Sie behauptet grundsätzlich, daß die Seelsorge im
weitesten, Verkündigung und Erziehung einschließenden Sinne
die Gestalt des kirchlichen Handelns in der Neuzeit sei. Sie
behauptet biographisch und kirchengeschichtlich, daß der
Schlüssel zu John Wesleys Werk und Weg allein in der Seelsorge
liege. Unter diesen beiden Leitgedanken prüft der Verf.
zunächst Wesleys Entwicklung durch. Hier nennt er die Bedingungen
im Elternhause, die eigenen Erfahrungen der Oxforder
Universitätszeit und des amerikanischen Aufenthaltes,
zu dem die Begegnung mit den Herrnhutern und Salzburgern
gehören, die literarischen Einflüsse von Thomas a Kempis,
Jeremy Taylor, Wilhelm Law, schließlich die Einwirkungen
des deutschen pietistischen Kirchenliedes. Er kommt zum
Gegenstand der Seelsorge, wobei er den ursprünglichen Mangel

an Kirchenzugewandtheit bei W. betont — „saving of souls"
laute vielmehr die entscheidende Formel. Nach diesen Voruntersuchungen
gelangt er in einem umfangreichen Kapitel
zur „religiösen Begründung der Seelsorge" und bietet unter
dieser Uberschrift eine statistische Ubersicht über die von W.
benutzten biblischen Predigttexte. Sie bestätigt die festgestellte
Ferne zum Kirchenbegriff. Vielmehr gehen alle Predigten
auf das „individuelle Streben nach Heil und Vollendung
", auch Jesus Christus bleibt am Rande, er dient nur
als Bürge bzw. Bürgschaft für das Heil. Schempp behauptet,
die Seelsorge werde überwiegend durch die Verkündigung geübt
, Seelenführung und Organisation treten ganz zurück. Dies
ändert sich beim späteren Wesley. Die theologische Lehrgrundlage
darf nicht in einer durchgedachten und abgerundeten
Systematik gesucht werden. Vielmehr ist W.s eigener Anordnung
zu folgen, die der Verf. unter Voranstellung des dritten
Artikels — W.s theologischer, heute von Dilschneider vertretener
Eigentümlichkeit — als Lehre vom Heil (Heilsweg,
Heilsgewißheit, Mystik und Erfahrung, Heiligung und christliche
Vollkommenheit, christliches Leben), Christologie, Lehre
von Gott wiedergibt. Den Abschluß dieses theoretischen Teils
bildet der Wahrheitsbegriff, den der Verf. als realistisch (im
Gegensatz zum Idealismus) anspricht. Es folgt unter der Uberschrift
„Die sachliche Gestaltung der Seelsorge" die Erörterung
der Formen, die Wesley wählte, das Gespräch einschließlich
des Briefwechsels und die Gemeinschaften (Warum fehlt
hier die im Sinne des Verf.s entscheidend wichtige Predigt?).
Ein letzter Teil behandelt das Seelsorgeamt als Beruf Wesleys.
Hier legt der Verf. in einem ersten Abschnitt ,,J. W. als ursprünglicher
Seelsorger" seinen Anspruch und die dagegen gerichteten
Angriffe, sowie — an dieser Stelle völlig unmotiviert
— den Gehalt seiner Bekehrung dar. Dabei bestreitet er ihre
Bestimmtheit durch Luther entschieden und betont die subjektiven
Wirkungen als ihren eigentlichen Ertrag (222ff). Ein
zweiter Abschnitt macht die methodistische Organisation als
Fortführung vonW.s Amt verständlich, wobei die „Konferenz"
als „Generalstab" (234) das Ganze krönt. So glaubte W. —
nach Schempp — den zeitlebens von ihm selbst geübten Führungsanspruch
zu verewigen und die „Verkirchlichung" seines
Werkes hindern zu können.

Die Beurteilung des Buches gestaltet sich ausgesprochen
schwierig. Mit einem vorbildlichen Fleiß hat Sch. das gesamte
literarische Werk Wesleys durchgearbeitet und sich in der Geschichte
der Theologie umgesehen. Fast alle, mindestens seit
der Reformation aufgetretenen Strömungen werden an Wesley
herangebracht, nicht nur die naheliegenden Puritanismus,
Calvinismus, Aufklärung, Pietismus, sondern auch Mystik,
Humanismus, Einflüsse Melanchthons, Luthertum, merkwürdigerweise
aber nicht der Anglikanismus, dem er doch entstammte
. Ein Reichtum an Einzelbeobachtungen und das
Streben nach selbständiger Urteilsbildung im Ganzen ist dem
Buche ohne weiteres zuzubilligen. Am besten gelungen ist wohl
die sorgfältige Untersuchung der Predigt und gewisse Teile der
Lehrgrundlage W.s. Gegen die methodische Anlage sind jedoch
erhebliche Bedenken geltend zu machen.

Sch. arbeitet zunächst überall mit einem unscharfen Begriffsmaterial.
Schon das einleitende Gesamtverständnis der „Seelsorge" ist verschwommen
, erst recht die Beziehung auf die Gesamtproblematik der neueren
Theologie unter den Stichworten „Autorität, Glaube und Geschichte" (9).
Überschrift und Inhalt der Kapitel decken sich nirgends. Der Verf. bringt mit
größerer oder geringerer Willkür unter, was ihm wichtig erscheint, ohne es zu
durchdringen. So steht vieles unverbunden nebeneinander. Er analysiert nicht
einen einzigen konkreten Seelsorgefall aus Wesleys Tätigkeit, obwohl dafür
sowohl das Tagebuch wie die Briefe reiches Material bieten, vor allem in
Oxford und in Georgia (Richard Morgan, Mrs. Hawkins, Miss Hopkey). Statt
dessen klagt er: „Es wäre recht erfreulich, wenn wir den Diarien und Tagebüchern
Wesleys ein einigermaßen inhaltlich gefülltes Bild seiner unübersehbaren
Kleinarbeit in Amerika entnehmen könnten. Wie würde man daran
seine Entwicklung an konkreten Tatsachen nachprüfen können!" (25). — ein
geradezu unfaßbares Urteil! Anstatt durch solide Einzelinterpretation die
Grundprinzipien zu erreichen, wählt der Verf. eine enzyklopädische Charakteristik
, die notwendig die klaren Konturen verliert bis auf den Grundgedanken,
Wesley sei pietistischer Individualist, bei dem sich mystisch-spiritualistische,
quäkerische, reformiert-puritanische, humanistische, aufklärerische, am
Rande auch lutherische und orthodoxe Motive treffen. Sch. liebt allgemeine
Erörterungen über die theologiegeschichtlich möglichen Einflüsse (z.B. 21 ff.
(Spiritualismus Schwenckfelds und der Quäker), 67f. (Freiheitsbewußtsein
der Aufklärung), 134ff. (Calvinismus), 149 (Orthodoxie, und zwar in der Lehre
von der Vorsehung), 177 (Autobiographie als Kennzeichen der Aufklärung!),
376 (Humanismus)). Belege fehlen und die Kennzeichnung der in Anspruch genommenen
Bewegungen trifft so und sooft nicht zu. Dabei weiß er nichts über
die Verbreitung von Luthers Galaterkommentar in England (S.223, A. 533),
worüber er, wenn er nicht Pollard-Redgrave, A Short title-catalogue of printed
books in England 1475—1600, 1926, selbst benutzte, bei Hans Leube, Refor-