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Ausgabe:

1952 Nr. 4

Spalte:

215-217

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Feine, Paul

Titel/Untertitel:

Einleitung in das Neue Testament 1952

Rezensent:

Braun, Herbert

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Theologische Literaturzeitung 1952 Nr. 4

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es sich doch offenbar wiederum um eine petitio principii: Die
Hiob-Dichtung — so meint St. — denkt sicii Hiob als einen von
der herrschenden Klasse Verfolgten, Ausgestoßenen und mit
dem Tode Bedrohten, nicht, wie die Hiob-Erzählung, als einen
von entsetzlicher Krankheit Geplagten. So muß, wenn ehi paar
Stellen auf Hiobs Krankheit anzuspielen scheinen, dieser
Schein trügen und es sich da in Wahrheit um bildhafte Aussagen
von Hiobs andersartiger Notlage handeln.

Damit wird St.'s These berührt, der Verfasser der Hiob-
Dichtung könne unmöglich die Hiob-Erzählung weder verfaßt
noch aucli nur, wenn sie älteren Datums sein sollte, mit sehier
Dichtung vereint haben, vielmehr sei anzunehmen, daß, weil
„die Dichtung ohne eine Ergänzung von der Art der Prosa-
Stücke als unvollständig und auch wohl unverständlich empfunden
wurde" (S.86), später die Hiob-Erzählung oder doch
ein Ausschnitt aus ihr mit der Dichtung verbunden worden
wäre. Daß die Erzählung nicht nur in der stilistischen Form,
sondern auch dem ideologischen und theologischen Gehalt
nach von der Dichtung sehr verschieden ist, liegt auf der Hand,
und es ist nur dankbar zu begrüßen, daß St. diesen Unterschied
nachdrücklich in neue Beleuchtung gerückt hat. Aber mit der
Möglichkeit, daß ein und derselbe Dichter das Problem, um
das es geht, auf zwei Ebenen behandelt, seinen Helden oder
Dulder auf zwei verschieden ausgestatteten und je eine besondere
Haltung von ihm verlangenden Bühnen spielen läßt, ist
nach wie vor zu rechnen, und diese Möglichkeit behält auch
weiterhin einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit.

So werden die von St. in den beiden hier anzuzeigenden
Büchern vertretenen Hauptthesen — der Hiob der Dichtung
das Opfer einer schurkischen Herren-Schicht, Leugnung jeglichen
Zusammenhanges zwischen den erzählenden und den
dichterischen Teilen des Hiob-Buches — schwerlich ohne weiteres
Zustimmung finden, während, wie hier nicht mehr genauer
begründet werden kann, die von ihm vorgenommene
Korrektur an dem Bilde der Freunde Hiobs eher auf Anerkennung
rechnen kann. Aber starke Anregungen zur Erörterung
dieser und anderer in ihnen aufgeworfenen Fragen und damit
zur Wiederaufrollung der mit dem Hiob-Buch gegebenen Probleme
überhaupt gehen von den beiden Büchern jedenfalls aus,
und keiner, der sich hinfort mit dem Hiob-Buch zu beschäftigen
hat, wird an ihnen vorübergellen dürfen. Das in dem
Buche von 1951 und einzelnen Bemerkungen des Buches von
1947 gesammelte reiche Material an text- und literarkritischen,
metrischen und exegetischen Beobachtungen zum hebräischen
Text der Hiob-Dichtung und die auf ihnen beruhende neue
Ubersetzung dieser Dichtung in dem Buche von 1947 haben
ihren Wert in sich selbst und lassen diesen auch denen zugute
kommen, die sich der von St. hier vertretenen Gesamtauffassung
des Hiob-Buches nicht anzuschließen vermögen oder
jedenfalls zunächst glauben ihr mit Zurückhaltung gegenüberstehen
zu müssen.

Halle/Saale Otto Eißfeldt

NEUES TESTAMENT

Feine, Paul, Prof. D.: Einleitung in das Neue Testament. 9. Aufl. Neu

bearb. v. Prof. D. Johannes Behm. Leipzig: Harrassowitz [1950]. (Lizenzausgabe
aus dem Verlag Quelle & Meyer, Heidelberg.) XX, 378 S. 8°.
DM 13.—.

i. Wer, von außen kommend, sich über die Vorgänge auf
dem Gebiet der neutestamentlicheu Einleitung innerhalb der
letzten Jahrzehnte unterrichten oder, mit der Entwicklung vertraut
, Bekanntes zusammengefaßt überschauen möchte, wird
in dieser Neubearbeitung der Feineschen Einleitung durch
J. Behm (es ist auch wieder schon die zweite Auflage der Beimischen
Bearbeitung) kaum einen für die Entwicklung wesentlichen
Namen vermissen. Denn die Literatur-Übersicht, durch
mehrere Register leicht zugänglich, ist ausgezeichnet; die Berücksichtigung
auch des Auslandes und der katholischen Theologie
erhöht ihren Wert. Aber auch die jeweiligen neuen Standpunkte
selber werden, vom Blickpunkt des Bearbeiters her,
beim Namen genannt: so erfährt der Leser, um nur einiges
Wesentliche herauszugreifen, in Referaten für die Synoptiker
den Stand der formgeschichtlichen Arbeit und der neuesten
literarkritischen Gegenbewegung (S.21—23), für das vierte
Evangelium die Thesen von der syrischen Herkunft und gno-
stischen Durchsetzung (S. 100. 109. 120), für die Textgeschichte
die wesentlichen neuen Papyrusfunde (S.315I), Jülichers Arbeiten
an der Itala (S.323) und die neuen Thesen um den
Caesarea-Text (S. 334). Es gibt ganz wenige Namen und Standpunkte
, deren Nennung unterbleibt.

Was man an Literaturangaben noch ergänzt wissen möchte, ist wenig:
für die Akta Kümmels Referat „Das Urchristentum" in Th.R. 1948 (17) 1,
23—33; für Rom. 13 und den xate^mv Il.Thess. 2 Kümmels „Urchristentum"
in Th.R. 1948 (17) 2, 138—142; für die Einheitlichkeit des I. Kor. Hans v.
Soden „Sakrament und Ethik bei Paulus" 1931 und R. Bultmanns Stellungnahme
zu K- Barths „Auferstehung der Toten" in „Glauben und Verstehen"
1933; für die religionsgeschichtlichen Hintergründe des Hebr. und seine Abzielung
E. Käsemann „Das wandernde Gottesvolk" 1938; für den Jak. H. Win-
dischs Besprechung von A. Meyers „Rätsel des Jakobusbriefes" im Gnomon
X 1934, 380ff.; für die Textgestalt des Rom. F. Müller „Zwei Marginalien im
Brief des Paulus an die Römer" in ZNW 40, 249—254 und R. Bultmann
„Glossen im Römerbrief" in ThLZ 1947, 197—202; für die Itala Hans von
Soden „Der lateinische Paulus-Text bei Marcion und Tertullian" in Festgabe
für A. Jülicher 1927, 229—281. Das Euseb-Zitat aus der Kirchen-Geschichte
(Feine-Behm9 S. 302, Absatz 2, Zeile 3) steht in V 1, 58 (nicht V 1, 56).

Auch die Referate über die Forschungen der letzten Jahrzehnte enthalten
nur wenige wirkliche Lücken, die man gern geschlossen sähe. Der Leser
sollte über Windischs Ergebnisse für das Verhältnis Joh./Synopt., über die
Gründe von J. Weiß für die Zerteilung des I. Kor., über Bultmanns Äußerungen
zu Barths „Auferstehung der Toten", über die Grundzüge seiner Aria-
lyse des Joh.-Evangeliums und des I. Joh., schließlich über die Tatian-Dis-
kussion detaillierter unterrichtet werden. Aber irgendwie genannt sind ai ch
diese Dinge gleichwohl fast sämtlich.

2. Die konservative Grundhaltung des Buches ist von den
früheren Auflagen her ja bekannt; J.Behms Neubearbeitung
hat sie nicht wesentlich verändert. Dabei kann man nicht einmal
sagen, daß Feme und — noch mehr gilt das vom Neubearbeiter
— Behm sich grundsätzlich der historisch-kritischen
Fragestellung verschließen. Die Synoptiker sind, ohne Biographien
und Memoiren darzustellen, aus der Schau des Glaubens
geschrieben (S.13); die Ergänzung der Literar-Kritik durch
die Formgeschichte ist nötig und fruchtbar (S.22); die Q-
Sprüche und -Redestücke werden in der ersten Redaktion selten
gerahmt gewesen sein (S.37). Die Darstellung der Akta
enthält große Lücken und läßt viele Fragen offen; ihr Bericht
über die Urgemeinde ist sehr dürftig (S.8of.); die universalistische
Deutung des Pfingstwunders gehört einer sekundären
Schicht an (S.81). Die Verarbeitung fremder Materialien im
vierten Evangelium wird immerhin für nicht völlig ausgeschlossen
erklärt (S.120). Für die Pastoralbriefe werden der
zeitliche Rahmen des nachapostolischen Zeitalters, bestimmte
theologische Verschiebungen gegen Paulus und Einwirkungen
der Diatriben-Paräuese (hier zum Teil über Feine' hinaus) zugegeben
(S.213—215). Daß man vom Herrenbruder als dem
Verfasser des Jak. eine Stellungnahme zum jüdischen Ritualismus
gerade im Rahmen seiner Gesetzeslehre erwarten müßte,
wird nicht geleugnet (S.243L). Die Differenzen in der theologischen
Konzeption beim Apokalyptiker und beim Evangelisten
kommen so deutlich zur Sprache (S.282L), daß
von der „sinnlichen und bizarren Eschatologie" der Apokalypse
(S.304; doch offenbar nicht nur als Referat über die
Alexandriner!) die Rede sem kann. In den Evangelien-Texten
des 2. Jahrhunderts mag manches gestanden haben, was heute
nicht mehr in ihnen stellt (S.301).

3. Gerade nach solchen kritischen Ansätzen fallen die
durchweg konservativen Ergebnisse (nur der Il.Petr S.256L
stammt nicht von dem Verfasser, dessen Namen er trägt) besonders
auf; denn diese Ergebnisse sind ihrer Formulierung
nach der historischen Skepsis so unbedhigt entnommen, daß
man das Nebeneinander jener kritischen Ansätze und dieser
Endthesen nicht recht zusammenbringt, wenn man (um wieder
nur einiges herauszugreifen) liest: das geschichtliche Bild des
synoptischen Jesus ist in allen Schichten der Tradition dem
zentralen Inhalt nach echt und zuverlässig (S.27); das Sondergut
des Matth, und Luk., besonders die Kindheitsgeschichten,
entstammen mündlicher Tradition (S.43f.); am Idealbild der
Akta von der Urgemeinde zweifeln hieße die schöpferische
Geistkraft des Evangeliums bezweifeln (S.81); die Areopag-
rede stellt ein besonders gutes Beispiel für die geschichtliche
Treue der Reden-Überlieferung der Akta dar (S. 85); das vierte
Evangelium stammt vom Zebedaiden Johannes als einem
Augenzeugen und ist aus Einem Guß (S.116. 119—121); die
Sekretärshypothese erlaubt bei den Pastoralbriefen (S. n6f.),
die Ubersetzer-Hypothese beim Jak. (S.243) und I.Petr.
(S.249) gleichwohl die Annahme der entscheidenden geistigen
Autorisation durch Paulus, durch den Herrenbruder und durch
Petrus; der Verfasser der Apok. ist trotz allem der Zebedaide
(S.284).

4. Daß es bei der Gewinnung solcher Ergebnisse nach
jenen oben genannten kritischen Ansätzen nicht olme einen
spürbaren methodischen Bruch abgehen kann, liegt auf der
Hand. Ob nun auf eine Begründung verzichtet wird (der
Herrenbruder Jakobus z.B. brauchte in seinen Paränesen eben
nicht den jüdischen Ritualismus zu berücksichtigen! S.244),