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Ausgabe:

1952 Nr. 4

Spalte:

205-210

Autor/Hrsg.:

Bammel, Ernst

Titel/Untertitel:

Philos tou Kaisaros 1952

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Theologische Literaturzeitung 1952 Nr. 4

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für den Bereich der Rechtsgeschichte, zumindest für jenen
Rechtsakt aus der gewissermaßen vorpneumatischen Urzeit
der Kirche, schon immer vermuten. Jetzt aber können wir
es fast schon beweisen, nicht zuletzt mit Hilfe der drei Texte zum
jüdischen Kirchenrecht, die in den letzten 50 Jahren entdeckt und
inzwischen mit einiger Wahrscheinlichkeit datiert sind: Pseudo-
philon25f., Damaskustext und Ordensregel von Jericho. Daß
die Auswertung dieser Texte für das Verständnis der ganzen
urchristlichen Rechtsgeschichte von höchster Bedeutung ist,
liegt auf der Hand. Hier stellen wir nur zusammen, was in
Ag. 1,13 ff. zur jüdischen Erbmasse gehört und in der urkirch-

lichen Rechtstradition weitergewirkt1 hat: Die Respektierung
des kirchlichen Dienstalters. Die Bezeichnung und Anrede der
Glaubensgenossen als äöslyol. Die Auswahl, Präsentation
(und Auslosung) eines Amtsträgers in der Plenarversammlung.
Das zugehörige Gebetsritual. Die Termini rörcog, xlfjgog (xara-
Qi&fisiv, avyxaxay)rj(pi^Etr), Siaxovia, äTtoarokq, inu3xonr und ItcC-
axonoq samt all den Rechtsanschauungen, die sich mit diesen
Begriffen verbinden.

') Traditionselemente, die später transformiert wurden, stehen in
Klammern.

Als Pilatus Jesus freilassen will, erklären ihm die Juden:
Wenn du diesen freiläßt, bist du des Kaisers Freund nicht
(mehr)1.

Dies Wort, meist als paraphrasierender Ausdruck einer
allgemeineren Beschuldigung verstanden2, ist an sich eine
überraschende Wendung; die erwartete Feststellung eines
Sachverhalts wird übersprungen und auch die Zuspitzung auf
die Person des Prokurators in die ungewöhnliche Form ovx el
(piXog rov Kalaaoog gekleidet. Sie ist es um so mehr, als auch
das materiale Problem, wieso nämlich Pilatus die Drohung
nicht nur nicht geahndet, sondern sogleich vor ihr zusammengeknickt
ist, viele Schwierigkeiten macht.

Adolf Deißmann hat nun erstmalig auf die Vorgeschichte
dieses Begriffes aufmerksam gemacht und die Möglichkeit
der Einwirkung eines titularen Gebrauchs im Jesusprozesse erwogen3
, freilich ohne die Frage zu entscheiden und daraus
Konsequenzen für die Exegese zu ziehen. Er selbst hat zwei
Hinweise für eine uralte Verwendung des Titels gegeben. In
diesem Zusammenhang ist es nur nötig, auf zwei Stränge dieser
Tradition hinzuweisen, weil beide mit dem Judentum in enger
Berührung stehen.

Aus dem ptolemäischen Ägypten gibt es eine reiche Fülle
von Nachrichten, die die Existenz des Titels, und zwar die
planmäßige Einführung desselben4, die Zusammenfassung der
Titelträger in einer Rangklasse5 und den Einfluß dieser <pü.oi
auf die Entscheidungen des Königs klar aufzeigen*. Auch das
in Alexandria verfaßte 3.Makkabäerbuch ist in der Reihe der
Zeugnisse nicht unwichtig7. Näher freilich liegt das seleuki-
dische Vorbild, um so mehr als eine Reihe der so Ausgezeichneten
Juden waren und wir hauptsächlich durch eine jüdische
Schrift von der Sache wissen8. Die Institution ist genau dieselbe
wie in Agvpten9. Es gibt die <p[Xoi, von denen sich noch
die gehobene Klasse der ngänoi <ptkoi10 abhebt. Mindestens die
letzteren werden in einer besonderen Liste geführt11. Die Ernennung
zum <pC).OQ bewirkt nicht nur ein Verhältnis zum
König, sondern auch zu den Mitfreunden, die man sich als zu
einem Gremium versammelt und also ihren Einfluß ausübend
vorstellt. Die Bezeichnung ist etwas Außerordentliches, von
direkter praktischer Bedeutung und erscheint darum als ganz
oben stehend in der Titulatur12. Deshalb können sich die Mak-
kabäerbücher nicht genug daran tun, die Bedeutung einer solchen
Auszeichnung zu betonen.

0ilog rov KaiactQOs
Von Ernst Bammel, Erlangen

Ernst Kohlmeyer zum siebzigsten Geburtstag

Die Makkabäerzeit war die letzte als genuin jüdisch empfundene
Geschichtsperiode, ihre Zeugnisse wurden als Helden-
bücher fleißig gelesen. Da in ihnen der titulare Gebrauch
unserer Wendung fast ganz vorherrscht1 und auch in der
neutestamentlichen Zeit sich daran nichts Entscheidendes ändert2
, vielmehr gerade im Jahre 43/44 n.Chr. die Abwandlung
<pi).oxaioag in einem geradezu staatsrechtlich strengen Sinne
verwandt wird3, ist es schon wahrscheinlich, daß auch Joh 19,12
in diesen Zusammenhang gehört.

Deißmanns Autorität hat seiner Meinung Eingang in
manche Kommentare verschafft4, aber sie ist nicht eigentlich
fruchtbar gemacht worden für die Erhellung der Situation5.
Das mag daran liegen, daß es auch bei Annahme eines titularen
Hintergrundes der Wendung unsicher bleibt, ob es sich
nur um eine Phrase im Munde der Juden, ein Stilmittel des
Evangelisten oder doch um eine verliehene Würde handelt und
wieso der Einwurf solche Wirkung haben konnte. Es muß darum
der Versuch einer noch6 konkreteren Interpretation gemacht
werden.

') Joh. 19, 12.

*) s. schon Hugo Orotius, Annotationes S. 1015.

3) Licht vom Osten S. 324! Anm. 3.

*) s. M. L. Strack in: Rheinisches Museum 1900 S. 168f.

6) Feste Bezeichnung ist b (eis, Tic;) tcöv opi'Atuv (vgl. W. Dittenberger,
Orientis Graeci Inscriptiones 1 Nr.99,103 u.v.a.). — Eine Klassifizierung der
Hoftitel in Form einer Rangliste findet sich bei J.G.Droysen, De Lagidorum
regno .. (Kl. Schriften II, 369).

•) 3. Makk.5, 3.

') s. Kap. 2, 23ff.; 5, 19ff.; 6, 23; 7, 3.

8) Vgl. C. L. W. Grimm, Das erste Buch der Makkabäer S. 38.

*) Ob freilich die ptolemäische Einrichtung von der seleukidischen abhängig
ist, wie dies Dittenberger a.a.O. 1,175 annimmt, scheint mir nach der
von Leipoldt (Theol. Lit. Bl. 1908 Sp. 561) gemachter. Mitteilung zweifelhaft.
- S. jetzt auch E. Bikerman, Institutions des Seleucides (Paris 1938)
S. 40^12.

10) Vgl. Jos. Ant 12 § 298: Swaxol tö>v (pO.cov.
") 1. Makk. 10, 65; vgl. aber Kap. 8, 20.

'*) l.Makk. 13,36; Simon wird hier gar als qptkog tcöv ßaoOJmv bezeichnet
, womit zweifellos ein Verhältnis zum lagidischen wie seleukidischen Hof

gemeint ist (Grimms Vorschläge für das Verständnis sind nicht überzeugend
a. a. O. S. 200f.), woraus auch die politische Rolle des Titels im Kampf um
die Selbständigkeit des jüdischen Staates erhellt (es ist dabei eine sekundäre
Frage, ob Demetrius Simon wirklich so angeredet hat oder ob es sich um eine
nachträgliche Umstilisierung der Adresse handelt, was der auch sonst erkennbaren
Tendenz, die Unabhängigkeit Israels möglichst frühzeitig anzusetzen
, entsprechen würde).

') Nicht ganz sicher ist, ob es sich, wenn von den Freunden der jüdischen
Führer gesprochen wird (1. Makk. 7, 6; 8, 12 usw.), um eine Institution handelt.

2) Nichttitularer Gebrauch bei Jos. Ant. 14 § 131; vgl. jedoch 13
§§ 85 und 145.

s) Auf einer Münze Agrippas I (BMCG Palestine Tfl 26, 5); sie geht
auf den Abschluß einer q>i}la und avfi/iayiä mit Claudius zurück, die gleichfalls
durch eine Münze belegt ist (BMCG Palestine Tfl 42, 10). Herodes Philippus
und Agrippa selbst in seinen ersten Regierungsjahren setzen zwar den
Namen des Kaisers auf ihre Münzen, hüten sich aber, diesen Titel in Anspruch
zu nehmen! —Auch der Ausdruck <pi?.oga)ßaiog bezeichnet nicht eine
loyale Geste, sondern ist verliehener Titel (s. l.Makk. 14,40; vgl. Pauly-
Wissowa[= PW] I, 1832f.).

Th. v. Zahn, Joh.-Evgl. S. 634, wendet sich gegen das passivische Verständnis
der Bezeichnung und führt dafür den Titel des Nabatäerkönigs
Aretas IV !TC2 Dm an. Aber dieser entspricht dem in den persischen Nachfolgestaaten
häufigen <piÄeAlr]v und ist kein direktes Gegenstück zu (pO.o-
xaiaag oder (ptAogcofiatog.

*) Fr. Büchsei S. 171; W. Bauer (1925) S. 213; zurückhaltend äußert
sich R. Bultmann S. 513.

*) Die Folge ist, daß die neueste Exegese, die H. v. Campenhausens (ThLZ
1948 Sp. 388) darauf verzichtet, eine historische Bezüglichkeit der Stelle anzunehmen
.

•) Wir haben gerade betr. Pilatus einen sehr genauen Bericht darüber,
wie man eine Denunziation vornahm und zum Erfolg führte, den in Philos
Legatio §299ff. Dort lag ein bestimmter Grund vor: die Nichtachtung des
Sonderstatus von Jerusalem durch Aufstellung einer Votivtafel für Tiberius;
da war ein Anknüpfungspunkt gegeben in dem Widerwillen, den Tiberius
gegen die Verehrung seiner Person hatte; dort marschierten drei Gruppen
von Prominenz gegen Pilatus auf, von denen die eine, die Herodäerfürsten,
dazu seit einigen Jahren über besonders gute Beziehungen in Rom verfügten
(s. Vogelstein-Rieger, Geschichte der Juden in der Stadt Rom I, 16). Und
in diesem konkreten Rahmen, der für Pilatus so ungünstig wie möglich war,
taucht erst die Andeutung einer Fernaktion auf (§ 301 Schluß).