Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1951 Nr. 3

Spalte:

182

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Trillhaas, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Studien zur Religionssoziologie 1951

Rezensent:

Thimme, W.

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

181

Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 3

182

tung der Situation ergeben könnte. Anderseits wäre zu fragen, ob man beide
so einfach nebeneinanderstellen und von einer „christlichen Demokratie"
sprechen kann; m. E. kann es nur eine Demokratie geben, die offen für den
Herrschaftsanspruch Gottes, den das Evangelium verkündigt, ist und die bereit
ist, sich von ihm her immer wieder In die konkrete Entscheidung stellen zu
lassen. Die Artikel sind 1943 geschrieben. Maritains Erwartungen sind damals
sehr groß. Das kann man aus der Lage des Krieges heraus gut verstehen. Aber
man muß an den Herausgeber die Frage stellen, ob es richtig ist, heute noch
Prognosen zu veröffentlichen, die sich nicht verwirklicht haben und die teilweise
nachgerade peinlich wirken. Dies dient nicht einer wissenschaftlichen
Fragestellung, sondern lenkt eher von ihr ab. Ludwig Lenhart behandelt das
Verhältnis von Christentum und Germanentum im Werturteil der letzten Jahrhunderte
. Er zeigt dabei zwei Linien auf. Die eine ordnet das Universale des
Christentums dem Nationalen unter und drückt das Christentum damit auf
das „Niveau der antiken Nationalregionen" herab. Sie beginnt im 16. Jahrhundert
mit der selbständigen Entfaltung des deutschen Nationalgefühls, führt
weiter über Voltaire und Friedrich IL, verbindet sich bei Schleiermacher und
David Friedrich Strauß mit rationalen Elementen In der Bestreitung der Gottheit
Christi und endet bei Drews in der Bestreitung der Geschichtlichkeit Jesu.
Die andere Linie geilt von der „Romantischen Schwärmerei für die germanische
Sagen- und .Mythcnwelt' (S. 15) aus, führt von Klopstock über die Gebrüder
Grimm, Dahn, Schopenhauer, Wagner und Nietzsche dahin, daß das biologische
Moment das christliche Immer mehr eliminiert, bis diese Entwicklung
durch Lagardc, Lehmann, Traub, Maurenbrecher, Erbt, die beiden Wolzogen,
Schäfer, Schellenberg und Zicgler in den Kassenmythos Feders und Rosenbergs
einmündet. „Die Verabsolutierung der ratio, natio und des bios finden hier ihren
Höhepunkt, indem man die These aufstellt und zu begründen sucht, das dem
Christentum unterliegende Germanentum habe das ursprüngliche nordische
Wesen auch in der artfremden christlichen Form durchgesetzt, die Bedeutung
des Christentums von heute aber sei nicht in sich selbst begründet, sondern in
seiner Determinierung durch germanisches Wesen" (21).

Lenhart weist auf äußerst bedeutsame Entwicklungslinien Hin. Dadurcli
wirkt sein Aufsatz sehr anregend. Es ist richtig gesehen, daß die Nation nicht
dadurch etwas gewinnt, daß sie sich die christlichen Werte unterordnet, sondern
dadurch, daß sie sicli von ihnen prägen läßt. Ich glaube allerdings, daß man
dieses Verhältnis nicht mit den Begriffen von Übernatur und Natur beschreiben
kann, sondern besser durch die Ausdrücke Natur und Gnade. Es ist auch nicht
richtig, daß allein der Katholizismus dieses Verhältnis richtig sieht, sondern
dies tut Jede christliche Konfession, die sich an die Bibel gebunden weiß. Im
übrigen verfährt Lenhart oft reichlich einseitig und oberflächlich. Man kann
nicht die deutsche Reformation einfach für jene Entwicklung des Nationalismus
verantwortlich machen; es Ist genau so falsch, zu behaupten, der theologische
Liberalismus habe die Paganisierung des Christentums gefördert; er
hat gewiß seine Schwächen gehabt, aber daneben das große Verdienst, den
Protestantismus weltoffcn gehalten zu haben. Es ist billig und unwissenschaft-
Hch, Ihn heute zum Prügelknaben der Geschichte zu degradieren.

Auf einem ungleich höheren Niveau bewegen sich die beiden Artikel
Wilhelm Trolls über den Bildungswert der Naturwissenschaft im ersten und
über Goethe und die Tradition des christlichen Abendlandes im zweiten Heft,
■n Ablehnung der mechanistischen Naturerklärung verweist er im ersten Aufsatz
auf die Schichtentheorie, die nicht den Primat des Oeistigen leugnet, nicht
das Fehlen der Übergänge zwischen den einzelnen Schichten leugnet oder wegerklärt
, sondern die Kohärenz der Schichten erkennt. Er verweist auf die Dominanz
und Überformung der niederen Schicht durcli die höhere, der in der niederen
die potentia oboedientalis entgegenkommt. Das Wissen um die geistige
Seinsschicht verleihe auch den Naturwissenschaften einen Bildungswert. Das
Geschehen in der Natur handelt er unter den Begriffen des Bauplans und des
7 ypus ab, gelangt zum Begriff des Urbildes, das sich wesensmäßig von Darwins
Urform unterscheidet. Den Begriff des Urbildes kennt schon die mittelalterliche
Lehre von der analogia entis. Troll wendet sich gegen die pantheistische Lehre
von der Seinseinheit von Gott und Weit ebenso aber auch gegen einen reinen
Transzendenzglaubcn und findet die Lösung in der Transzendentalität, die die
Spuren des transzendenten Gottes in der Immanenz findet. Jene Entdeckung
der vestigia Dei in der Natur aber sei das Bildungsanlicgen der Naturwissenschaft
. Im zweiten Artikel ruft er gewissermaßen Ooethe als Kronzeugen für
diese Haltung an und weist auf, daß auch Goethe sich von einem Pantheismus
seiner Jugendjahre Im west-östllchen Diwan, im Faust II und in der Farbenehre
zu jener gleichen Lehre von der Transzendentalität hindurchgerungen
nabe und damit in eine Linie mit Albertus Magnus, Grosseteste, Bonaventura und
Dante trete. Vom protestantischen Standpunkt aus müssen wir allerdings fragen:
•st Gott nur die höchste, transzendent gewordene Seinsschicht? Ist der Begriff
des Urbildes christlich ? Sollten wir nicht eher statt zur Transzendentalität
Zur 'nkarnatlon gelangen? Ist Ooethes „Christentum" nicht am Ende doch
mir ein christlich überkleideter Idealismus? Steht hier nicht die theologia
naturalis an erster Stelle, während wir von Bibel und Reformation her meinen,
e werde erst verständlich von der Christusoffenbarung her? Dies schließt
e nen Bildungswert der Naturwissenschaften keineswegs aus, aber es weist ihm
eine besondere Stelle zu, die nicht mit dem Theologischen identisch ist. August
"eatz bringt eine Festrede über die Kulturkrisis der Gegenwart und Thomas
v°n Aqulno. Er verweist auf die gemeinsame monistische Wurzel im idealistischen
Biologismus Nietzsches und Klages' und Im mechanistischen Denken
aeckels und stellt ihr den christlichen Personalismus gegenüber, aus dem die
mittelalterliche Kultur erwachsen sei und der auch heute wieder Kultur
«chaffen könne. Aber auch er begründet Ihn auf dem Schema von Natur und

Übernatur, demgegenüber wir wiederum auf den Begriff der Gnade verweisen
möchten. Ganz ausgezeichnet ist der Artikel Friedrich Gerkes über die altchristliche
Plastik als Zeugnis aufbrechender christlicher Philosophie. Er 6tellt
die altchristlichen Plastiken denen des untergehenden Heidentums gegenüber
in den Figuren des rettenden Hirten und der Orans. Der Artikel kann einen
nur veranlassen, sich mit dem größeren Werk Gerkes über das Heilige Antlitz
, dem er entnommen ist, zu befassen. Die Hefte schließen mit einem Artikel
Karl Holzamers, der sich im Vorfelde der Kausalität mit Joseph Geysers Schrift
über das Prinzip vom ausreichenden Grunde befaßt. Er ist ein wertvoller Beitrag
zur heutigen naturphilosophischen Diskussion. — Wir werden als Protestanten
beiden Heften manchmal kritisch gegenüberstehen, müssen aber anerkennen
, wie notwendig es ist, daß auch wir uns mit den Iiier aufgeworfenen
Fragen befassen.

Leipzig Hans Köhler

PRAKTISCHE THEOLOGIE

Trillhaas, Wolfgang: Studien zur Religionssoziologie. Oüttingcn; van-

denhoeck & Ruprecht 1949. 44 S. gr. 8». Kart. DM2.40.

In diesen „Studien" bietet der Göttinger Professor der
praktischen Theologie Charakterskizzen des Bauerntums,
Bürgertums und Proletariats unter besonderer Berücksichtigung
der Stellungnahme dieser Bevölkerungsgruppen zu den
Problemen der Sittlichkeit und Religion. Es ist enie feinsinnige,
anregende, bei aller Kürze an Gesichtspunkten ungemein reichhaltige
Schrift. Wären die andeutenden Linien ausgezogen,
hätte der Verf. anschauliche Bilder malen wollen, was dem
Leser sicher erwünscht gewesen sein dürfte, wäre ihm wohl
unter der Hand ein umfangreiches Buch entstanden. Der
Bauer, den er schildert, ist der freie, aber noch vorkapitalistische
Bauer, der Bürger das Produkt des Kapitalismus, der
Stadtmensch und Mittelständler, wie er nach seüiem Siege in der
französischen Revolution allerlei spießige Züge angenommen
hat, der Proletarier nicht der moderne, organisierte Arbeiter,
der sich über das Proletariat erhebt, sondern der elende und
hilflose Massenmensch, der uns heute besonders im entwurzelten
Umsiedler begegnet. Es versteht sich, daß vom
Verf. kerne festen Konturen gezeichnet werden, sondern nur
einzelne charakteristische Züge zusammengestellt werden können
. Außerdem ist alles im Fluß, und es wäre zu fragen — eine
Fragestellung, die ich vermisse — inwieweit die Entwicklung
ökonomisch oder auch durch andere geschichtsmächtige Faktoren
bedingt ist, und welche es sein mögen. Bedeutsam ist
nun, daß der nüchtern-objektive Blick des Verf.s feststellen
muß, daß sich bei keiner der Bevölkerungsgruppen Affinität
zur Religion, geschweige zur christlichen, zeigt. Der Bauer
hängt an herkömmlichen Formen und huldigt einem äußeren
Vergeltungsglauben, der Bürger ist der geborene liberale Rationalist
— wold ist der Protestantismus nach Troeltsch die verbürgerlichte
Gestalt des Christentums, S. 25, doch hat der Protestantismus
das Bürgertum kaum vorübergehend zu ver-
christlichen vermocht — der Proletarier zukunftsgläubig.
Hier dürfte ein tiefer liegender Grund wirksam sein: „Gott
hat alle unter den Unglauben beschlossen". Doch der Apostel
fährt fort: Auf daß er sich aller erbarme". Dessen ist sich auch
der Verf. bewußt. Er ist davon überzeugt, daß die christliche
Botschaft zu jeder der verschiedenen Bevölkerungsgruppen,
deren Grenzen in der heutigen Zeit, wie das Schlußkapitel
„Umschichtungen" nachweist, sich mehr und mehr verwischen
, Zugang finden kann. Wie, das wird freilich nur kurz
angedeutet. Mir scheint im Hinblick auf das Urchristentum,
daß das Proletariat, das heute allerdings meist antichristlichen
Parolen folgt, am aufgeschlossensten sein dürfte.

Iburg W.Thimme

Bibra, o. s. Frh. v., Pfarrer: Die Bevollmächtigten des Christus. Eine
Untersuchung über die Kennzeichen der echten Diener am Wort nach dem
Neuen Testament. Mit Geleitwort von Prof. D. H. Strathmann. Nebst Anh.
mit Nachwort von Bischof D. Stählln. 2. Aufl. Stuttgart: Bauer 1946.
102 S. 8°. DM 2.80.

— dgl. 3. Aufl.: Das Wesen ihres Dienstes im Lichte des Neuen Testaments-
Stuttgart: Bauer 1948. 116 S. 8°.

Diese Schrift eines jungen bayerischen Pfarrers hat weite
Verbreitung erlebt, kommt also wohl den unruhigen Fragen
nach der rechten Verwaltung des Pfarramts entgegen. Besonders
geht es um das Verhältnis von Amt und Person. Die
Schrift liegt jetzt in 3. erweiterter Auflage vor. Es handelt
sich um eine Erstlingsschrift, die mit Hingabe und heißem
Atem geschrieben ist. Aber sie ist — trotz vieler Zitate, die