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Ausgabe:

1951 Nr. 3

Spalte:

179-180

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Schüler, Alfred

Titel/Untertitel:

Verantwortung 1951

Rezensent:

Köhler, Hans

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Seite 1

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179

Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 3

180

um eine außersubjektive Realität und eine Verbeugung vor
dem Todfeinde Logos nicht herum, vgl. besonders S.77L

Interessant ist, daß Weidenbach nicht nur dem individuellen
Subjekt, sondern auch „Subjekten" höheren Ranges,
so auch mit Kant dem transzendentalen Ich, dem „Bewußtsein
überhaupt" Anteil an der Weltgestaltung einräumt, besonders
S.98f. Dabei beachtet er allerdings, wie mir scheint,
nicht genügend, daß die von dieser Seite eingeführten Ord-
nungsprinzipien dem Einzelich und seiner Tat feste Schranken
setzen. Die Erscheinungswelt Kants ist ja gerade durch diese
subjektiven Ordnungsprinzipien streng determiniert, und es
gäbe für ihn keine Freiheit ohne den von Weidenbach schroff
abgelehnten intelligibleu Charakter.

Zum Beweise für seine These beruft sich Weidenbach mit
Vorliebe auf die moderne Atomphysik und die freilich nicht
unbestrittene Behauptung, daß in der Welt des Kleinsten keine
Kausalität mehr anzutreffen sei — vgl. etwa S. 149: „Die den
Korpuskeln zugeordneten Wellen sind deren Möglichkeit . . .
Die Wirklichkeit der Korpuskeln aber tritt als Tat — oder
sagen wir als Ereignis aus freier Entscheidung (!) hinzu" —
auf die Mutationen der modernen Biologie und sodann natürlich
auf die Dunkelheit, Uuberechenbarkeit und den Kampfcharakter
der Geschichte. Doch wird er, scheint uns, dem Tatbestand
der physikalischen, biologischen und psychologischen
Gesetze, trotz der nicht zu bestreitenden Ausnahmen und
Quersprünge, trotz der im höheren Seelenleben sich steigernden
Elastizität und Rätselhaftigkeit des Geschehens, nicht
gerecht.

Der Verf. will auf seine Weise Christ sein. Er betrachtet
die Logos-Welt mit ihrer Naturgesetzlichkeit als Produkt des
Heidentums. Der Geist des Christentums fordere demgegenüber
, „daß es kein Sein außerhalb der Entscheidung, außerhalb
des Ethos gebe". Mit ihm „stehen wir in einer Welt der
Freiheit, in der die Gefahren nicht durch ein Wissen um ein
Geheimnis des Seins aufgehoben, sondern nur durch tapferen
Glauben und verwegene Zuversicht bekämpft werden können",
S.50L, er beruft sich also auf Luthers Glaubensbegriff, auf
Kierkegaard, gelegentlich auch auf Bultmann, S.49. Doch wie
einseitig ist das! Im Christentum wird doch nicht nur gehandelt
, sondern auch und zuerst und gerade im Glauben
dankbar empfangen. Welche Rolle spielt doch im Neuen Testamente
auch der schöpferische, weltwaltende Logos! Weiden -
bach will sich einen hilfreichen Gott gefallen lassen, der aber
selbst im Kampfe steht und unserer Mithilfe bedarf, nicht
allwissend und nicht allmächtig ist. Von einer Ruhe, einem
Frieden in Gott dagegen weiß er nichts, erst recht nichts von
einem ewigen Leben als Ziel des Verlangens. So kommt zum
mindesten die religiöse Seite des Christentums zu kurz. Aber
muß man nicht auch von der ethischen Seite dasselbe sagen ?
Muß man nicht sogar sagen, daß das von Weidenbacli so
leidenschaftlich geforderte Ethos eine Ethik im ernsten und
strengen Sinn des Wortes ausschließt ? Alle echte Sittlichkeit
ist ja, was auch Kant wußte, Gehorsam, Gehorsam gegen ein
allgemeingültiges und ewiges Gottesgesetz, mag man es auch
mit Kant als autonomes Vernunftgesetz betrachten und es
keineswegs statutarisch — kasuistisch verstehen. Dem Atom,
der lebendigen Zelle und der Menschenscele spricht unser
Philosoph doch eine allzugroße Selbstherrlichkeit zu.

Trotz dieser Kritik soll hervorgehoben werden, daß das
Buch gerade in seiner Einseitigkeit sehr anregend ist, daß es
reich ist an Ideen und interessanten Hinweisen, und daß es
auch klar geschrieben ist in einer Sprache, die sich durch
Prägnanz auszeichnet, ja gelegentlich wuchtig und plastisch
wird.

Iburg W. Thimme

Schüler, Alfred: Verantwortung. Vom Sein und Ethos der Person. Krai-
ling vor München: Wewel 1948. 262 S. gr. 8". DM 7.20.

Alfred Schüler behandelt in einer umfassenden Weise das
Problem der Verantwortung. Er geht davon aus, daß man die
Frage heute von verschiedenen Seiten her sehen kann; er betont
aber von Anfang an, daß er es in der katholisch-christlichen
Sicht darstellen will. Er meint, daß in ihr auch alle
anderen Sichten verstanden und aufgenommen sind. Die Frage
ist nur zu lösen von einer ausführlichen Anthropologie her,
die wiederum in den Rahmen einer umfassenden Ontologie
eingespannt ist. Ontologie aber kann nur verstanden werden
vom letzten theologischen Ursprung alles Seins her. Deshalb
beginnt Schüler seine Darstellung mit einem Aufweis der Bedeutung
, die die Aussage vom personalen Gott besitzt. Auf
Grund dieser Aussage entwickelt er dann eine Lehre vom
Menschen im Rahmen der Ontologie, er stellt den Menschen
dar in seinen verschiedenen Seinsbeziehungen als Kreatürlich-
keit, Individualität, Geistigkeit, Personalität und Solidarität

und schließt mit einer Deutung des Verhältnisses von Person
und Akt. In den Abschnitten über „Verantwortung als Verknüpfung
" und „Ordnung als Raum der Verantwortung" weist
er die Stellung des Menschen im Kosmos auf. Nachdem er dann
noch die Bedeutung der Sünden- und Erlösungslehre gestreift
hat, geht er dazu über, diese anthropologische Aussage als
Grundlegung einer Ethik darzustellen. Besonders ausfülirlich
wird dabei die Frage der Verantwortung gegenüber der Situation
behandelt. Verantwortung darf nicht nur nach dem
Wovor, sondern muß auch nach dem Wofür fragen. Auch hier
will er die Frage nicht nur individuell anfassen, sondern weist
die Bedeutung der natürlichen Ordnung für die Konkretisierung
des Problems der Verantwortung auf.

Das Buch enthält im Ganzen eine ungeheure Fülle wertvollster
Anregungen und Deutungen einzelner Sachverhalte.
Man könnte es ein katholisches Gegenstück zu Brunners großer
evangelischer Anthropologie nennen. Vom evangelischen
Standpunkt her müßte man allerdings kritisch anmerken, daß
das Sündenverständnis Schülers ihm nicht entspricht. Die
Sünde wird nur in einem Mangel der Natur gesehen. So richtig
an sich der Einwand Schülers gegen Barth und vielleicht auch
gegen Brunuer ist, daß die Alleinherrschaft des Gnadengedankens
jede natürliche Anthropologie ausschließe, so scheint
mir doch Schüler zu übersehen, daß es auch eine Deutung der
Sünde als Verkehrung der natürlichen Ordnung durch die
falsche Richtung des Menschen von Gott weg gibt. Diese ganze
Seite kommt bei ihm sichtlich zu kurz. Deshalb wird auch die
Bedeutung der Erlösung und speziell der Christologie für das
Verautwortungsproblem viel zu kurz abgehandelt. Alles, was
Schüler an Wertvollem über die schöpfungsmäßige Beschaffenheit
des Menschen sagt, gehört meines Erachtens erst in die
Lehre von dem wiedergeborenen Menschen. Setzt man es dorthin
, dann kann man die reformatorische Lehre des sola gratia
völlig aufrechterhalten, ohne dadurch die Aussagen vom Menschen
zu entleeren und sie — wie er Brunner vorwirft — als nur
formale hinzustellen. Ich lasse dabei die Präge offen, inwieweit
Schülers Kritik an Brunuer berechtigt ist, wenn sie auch für
Barth weiterhin zutrifft. Dieser Einwand soll aber nicht die
Tatsache schmälern, daß Schüler so viele wertvollste anthropologische
Aussagen bringt, daß man darüber nur immer
wieder sich freuen kann. Ebenso ist seine Grundlegung der
Ethik frei von aller moralistischen Kasuistik und stellt eine
höchst bedeutsame Auseinandersetzung mit der existentiali-
stischen Sicht der Situation dar, der man nur weitgehendst
zustimmen kann. Es sei schließlich noch darauf hingewiesen,
daß Schüler in einem solch angenehmen und flüssigen Stil
schreibt, daß das Buch geeignet ist, nicht nur auf Fachgelehrte,
sondern auf die breiteste Öffentlichkeit einen großen Eindruck
auszuüben. Auch der wissenschaftliche Apparat ist sehr gut
durchgearbeitet. Es werden alle anthropologischen und ethischen
Grundfragen der anderen Weltanschauungen ständig im
Blickfeld behalten. Das Buch kann jedem evangelischen Theologen
nur dringend zur Lektüre empfohlen werden.

Leipzig Hans Köhler

Beiträge zur christlichen Philosophie. Hrsg. v. August Rcatz u, Wilhelm

Troll. Geleitet v. Karl Holzamcr. 1. U. 2. Heft. Mainz: Kupferberg 1947.

53 S. u. 55 S. 8°. Je DM 2.50.

Das erste Heft beginnt mit einem Aufsatz Maritains über das Thema
„Christentum und Demokratie". Es handelt sich um zwei Abschnitte aus dem
größeren Werk mit demselben Titel von 1943. Maritain geht von der Erkenntnis
aus, daß die modernen Demokratien die Grundsätze der Demokratie zwar verkündigt
, aber nicht verwirklicht hätten. Die Ursache sucht er zunächst darin,
daß sie nicht zu einer Vervollkommnung der sozialen und politischen Ordnungen
gelangt seien. Die Ohnmacht der modernen Gesellschaften vor dem Massenelend
und vor der Entmenschlichung der Arbelt, die Unfähigkeit, die Ausbeutung
des Menschen durch den Menschen zu überwinden, führten einen
bitteren Bankerott herbei" (S. 9).

Die tiefere Ursache für das Versagen sei aber darin zu suchen, daß die
Demokratien kein Verhältnis zum Evangelium gewinnen konnten, aus dessen
Gedankenwelt sie In Wirklichkeit stammten. Eine Überwindung dieser Krise
der Demokratie erwartet Maritain von einer neuen fruchtbaren Berührung
beider Größen: „Das Problem für Amerika besteht darin, sein Christentum an
den göttlichen Forderungen zu bemessen und das religiöse und geistige Vermögen
seiner Demokratie bis zur Höhe des Kreuzes emporzuführen. Für Europa
ist es die Problemstellung, die belebende Kraft des Christentums Im Irdisch-
zeitlichen Daseinsbereich wiederzufinden . . . Hier wie da ist eine von der
Wurzel aus erfolgende Umwandlung gefordert, eine Auferstehung der geistigen
Energien, eine neue Ritterlichkeit, die aus den Völkern entspringt" (S. 11).

Es Ist anzuerkennen, daß Maritain auf wesentliche Fragen eingeht. Aber
die zwei Artikel sind zu kurz, um auch nur annähernd die Probleme zu erwägen
, die zwischen Christentum und Demokratie entstehen. Z. B. fehlen die
geschichtlichen Entwicklungslinien, die zu einer Entfremdung zwischen
Christentum und Demokratie führten und aus denen sich eine wirkliche Den-