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Ausgabe:

1951 Nr. 3

Spalte:

171

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Schweitzer, Albert

Titel/Untertitel:

Aus meinem Leben und Denken 1951

Rezensent:

Schlemmer, Hans

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171

Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 3

172

KIRCHENGESCHICHTE: NEUZEIT

Schweitzer, Albert: Aus meinem Leben und Denken. Hamburg:

R. Meiner [1949J. 224 S., 8 Abb. auf 6 Taf. gr. 8°. Hlw. DM 9.60.
OrabS, Rudolf: Albert Schweitzer. Berlin: Steuben-Verlag [1949]. 431 S.,

1 Titelb. 8°. Lw. DM 15.80.
Schweitzer, Albert: Denken Und Tat. Zusammengetragen und dargest.

v. Rudolf Grabs. Hamburg: R. Meiner [1950J. XXIV, 320 S., 1 Titelb.

gr. 8°. Lw. DM 12.—.

Im Mittelpunkt der drei genannten Bücher steht Albert
Schweitzer, über den Näheres zu sagen überflüssig ist. Seine
an erster Stelle genannte Selbstbiographie ist das 54 —57. Tausend
seines 1931 erstmalig erschienenen Buches; sie fußt auf
dem von ihm gegebenen Beitrag zu der ,,Philosophie der Gegenwart
in Selbstdarstellungen" (7. Band bei Felix Meiner in
Leipzig 1929) — während dieser rein wissenschaftlich war, ist
nunmehr eine Gesamtschilderung seines Lebens und Denkens
gegeben. Daß die Lektüre den stärksten Eindruck hinterläßt,
bedarf keiner Ausführung; ich begnüge mich mit der Nennung
einiger besonders „aktueller" Einzelheiten. Carlyles „Helden
und Heldenverehrung" ist „kein tiefes Buch", weil es den Be-

friff „Held" ins Egoistisch-Aktivistische umbiegt (84L); jeder
ann und soll neben seinem Berufsleben noch das „Nebenamt"
haben, „Mensch zu sein" (86f.); die „mit Virtuosität argumentierende
Ansieht" bringt stets die Gefahr mit sich, die Einsicht
in die Wirklichkeit zu verbauen (96); Kriege kommen
nicht dadurch zustande, daß die Völker sie wollen (107). Erschütternd
sind die Ausführungen über den „Kolonialimperialismus
" und seine grausigen Folgen; leider werden sie durch
Betrachtungen über das „Gute" im Imperialismus (172) etwas
abgeschwächt. Doch genug; eine Auseinandersetzung mit
Schweitzer würde ein Buch erfordern.

Man könnte die Frage aufwerfen, ob das Buch von Grabs
(Nr. 2) eine solche Auseinandersetzung enthalte. Ganz wäre
diese Frage nicht zu bejahen; dazu ist der Verf. zu sehr von
Liebe und Verehrung für Schweitzer erfüllt. Er macht zwar
zuweilen Ansätze zur Kritik, führt sie aber nicht eigentlich
durch und steigert sich bei der Bejahung der Position Schweitzers
zuweilen in eine ungerechte Beurteilung anderer Einstellungen
hinein, z. B. der von Ritsehl (404) und vor allem von
Karl Barth (322 und sonst). Und durch die allzu starke Paralle-
lisierung Schweitzers mit Nietzsche erweist er seinem Helden
sogar ungewollt einen schlechten Dienst. Doch soll der große
Wert des Buches damit nicht geschmälert werden. Die umfassenden
Betrachtungen über Schweitzers Position in der
Leben-Jesu- und der Paulus-Forschung und namentlich die
Würdigung der Schweitzerschen auf der „Ehrfurcht vor dem
Leben" basierenden Philosophie sind ebenso selbständig wie
eindrucksvoll. Die rein biographischen Partien bleiben dahinter
etwas zurück, da sie sich zu sehr — zuweilen fast wörtlich
— an Schweitzers eigene Berichte anlehnen. Sehr verdienstlich
sind die Ubersichten am Schluß über Schweitzers
Lebensdaten und über seine Werke. — Eine kleine tatsächliche
Berichtigung! Otto Baumgartens (1925 erschienene) Schrift
heißt nicht (108): „Die Gefährdung der Wahrhaftigkeit durch
den Oberkirchenrat", sondern: ,,. . . durch die Kirche". Dem
Vf. sind hier die genannte Schrift und die „Anklage gegen den
Oberkirchenrat" anläßlich des Falles Jatho (1911) durcheinander
geraten.

Eine sehr schöne Gabe ist endlich Nr. 3. Grabs gibt hier —
jeweils eingeleitet und mit dem folgenden verknüpft durch
eigene Darlegungen — eine Auswahl aus Schweitzers literarischem
Gesamtwerk, chronologisch und sachlich geordnet, auf
genauester Kenntnis beruhend und durch sorgfältigste Quellenangaben
belegt. Wer nicht die Zeit hat, die z.T. sehr dickleibigen
Werke Schweitzers ganz zu lesen, besitzt nunmehr die
Möglichkeit, sich von diesem großen Geiste befruchten, belehren
, begeistern und im Herzen berühren zu lassen. Man darf
nur wünschen, daß von dieser Möglichkeit recht viele Theologen
Gebrauch machen möchten. Denn mag man im einzelnen
über Schweitzer denken, wie man will; eins ist doch nicht zu
leugnen: Wir sehen in ihm einen Menschen vor uns, der mit
einem Worte Jesu wirklich Ernst gemacht hat, nämlich mit
dem Worte „Folge mir nach!"

Potsdam Hans Schlemmer

Hamann, Johann Georg: Das Wort vom Kreuz. Auswahl aus Briefen und
Werken mit einer biographischen Einleitung von Isabella Rüttenauer. Frei-
burg/Br.: Caritasverlag [1949). 107 S. 8°= Antwort des christlichen Herzens
. Lw. DM3.90

Die Auswahl der Konvertitin Isabella Papmehl-Rütte-
nauer, der wir auch ein gutes Buch über Matthias Claudius
verdanken (Die Botschaft, München 1947). hat eine frühe

Vorläuferin in dem 1826 von A. W. Möller herausgegebenen
„Auszug": „Christliche Bekenntnisse und Zeugnisse von
J. G. Hamann" (Münster, bei Friedrich Regensberg). Hier
sind auf S.53 —219 „Biblisch-christliche Fragmente" gesammelt
(1. Abth. S. 1—53 : Hamann über sich selbst. 3. Abth.
S.221 — 358: Vermischte Fragmente: Sittenlehre, Philosophie,
Kritik, Sprache usf.). Worauf es A. W. Möller in dieser zweiten
Abteilung seines Auszuges ankommt, darauf ist Isabella Rütte-
nauers ganze Absicht gerichtet: die klaren Zeugnisse von
Hamanns christlichem Glauben in seinen Schriften und Briefen
zusammenzufassen. Die Auswahl ist auf rund 70 Seiten hl
großem Druck sehr knapp und legt keinen Wert auf größere
Zusammenhänge wie z. B. der Abschnitt „Religion" in
Hamanns „Hauptschriften", herausgegeben von Otto Mann,
Leipzig (1937), S. 160-300, sondern auf die Prägnanz der einzelnen
Sätze. „Wenn irgend ein Schriftsteller seinen andächtigen
Leser veranlaßt, ihn im Auszuge zu geben und die zer.streuten
Funken seines Geistes in Einen Focus zu sammeln, so ist es
der Magus in Norden . . ." beginnt schon A. W. Möller 1826
sehi Vorwort. Wie sollten wir es nicht herzlich begrüßen, wenn
dieser Focus gerade in seinem Glaubenszeugnis gefunden wird,
da die Gefahr seine „Autorschaft" einseitig von der Philosophie
aus zu betrachten immer groß war. Doch müssen wir
davor warneu, in einer Auswahl wie der vorliegenden etwas
mehr zu sehen als eine allererste Einführung. Denn daß
Hamann als Christ philosophiert und im Glauben die Welt
in ihrer Fülle anschaut, ist nicht nur für seine Zeit das Absonderliche
gewesen. „Innerlich wie der Pietismus, weltoffen
wie die Aufklärung", so ist etwas obenhin, aber nicht unzutreffend
seine „Stellung in der Kirchengcschichte" bestimmt
worden (Paul Konschel, Der junge Hamann . . ., Königsberg
i. Pr. 1915, S.66). Vom interessierten Laien in der Gemeinde
werden wir selten ein weiteres Vordringen in die reiche Welt
des Hamannschen Denkens erwarten dürfen, und wir werden
dankbar sein, wenn viele wenigstens einen solchen Blick iii
Hamanns Glauben als in das offenbare und heimliche Zentrum
seines Lebens tun, wie ihn Isabella Rüttenauer möglich gemacht
hat. Der Theologe aber wird schon, indem er dieses
Zentrum anschaut, den Blick für sein weiteres Vordringen
in die wilden Waldwege geschärft haben, die ihn aufnehmen,
wenn er sich mit Hamanns Schriften einläßt.

Es bedarf der Erwähnung, daß auch das heutige
Frankreich sich des Magus annimmt. So ist seine „Aesthetica
hi nuce" von Henry Corbin in den Cahiers Trhnestriels „Me-
sures", deren Comite' de Redaction u. a. Bernhard Groethuy-
sen angehörte, in Nr. 1 des 5. Jahrgangs (1939) übersetzt und
erläutert (p.33 — 59)- Die „Biblischen Betrachtungen" sind in
einer Ubersetzung von Pierre Klossowski in Paris 1948 erschienen
, deren Vorrede ins Deutsche übersetzt in der Zeitschrift
„Lancelot", 25. Heft, Neuwied a. Rh. 1950, S.3—17
zu lesen ist. Die Ausgabe selbst war mir unzugänglich.
Sie wird sich vermutlich auf die bisher veröffentlichten Bruchstücke
beschränken. Isabella Rüttenauer hatte Hamanns
„Biblische Betrachtungen eines Christen", soweit sie in der
Ausgabe von Hamanns Schriften durch Friedrich Roth standen
(1. Band, Berlin 1821, S.49—124), neu herausgegeben
und eingeleitet als Band 13 der „Zeugen des Wortes" im Verlag
Herder, Freiburg i. B. 1939. Vollständig enthält sie nun Band 1
der historisch-kritischen Ausgabe der sämtlichen Werke Hamanns
durch Josef Nadler (Wien 1949).

Leider sind im Satz der griechischen Zitate H.s, denen übrigens die Übersetzung
beigefügt Ist, eine Fülle von Fehlern stehen geblieben. Ein völlig sinnentstellender
Druckfehler findet sich in einer solchen Übersetzung S. 70: „Es
ist das All", wo es heißen muß: „ER ist das All". Sonst sind Druck und Ausstattung
recht gut.

Berlin Hans Urner

Haebler, Rolf Gustav: Ein Staat Wird aufgebaut. Badische Oeschlchte
1789—1818. Baden-Baden: P. Keppler (1948). 295 S. 8°. Pp. DM9.—.

Der vorliegende Band, dessen Weiterführung geplant ist,
behandelt fast ausschließlich die politische Geschichte der
spannungsreichen Gründungsjahre Badens im Übergang vom
Ende der Markgrafschaft zum Großherzogtum, das, wie man
weiß, eine napoleonische Schöpfung war. Die Verschmelzung
des großen Gebietszuwachses aus LuneVillcr und Preßburger
Frieden, Säkularisation und Beitritt Badens zum Rheinbund
zu einem einheitlichen Staatswesen stellte den ersten Groß-
herzog Karl Friedrich und seinen Nachfolger Ludwig wie ihre
Staatsmänner, vor allem Reitzenstein, Brauer, Dalberg und
Nebenius, vor schwere und verantwortungsvolle Aufgaben.
Nur staatsmäunisches Geschick vermochte es, den wiederholt
in der Existenz bedrohten jungen Staat im politischen Kräftespiel
der Zeit am Leben zu erhalten. Es fehlt daher nicht an
recht aktuellen Parallelen angesichts des heutigen Ringens des