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Ausgabe:

1951 Nr. 3

Spalte:

168

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Jeremias, Joachim

Titel/Untertitel:

Die Wiederentdeckung von Bethesda 1951

Rezensent:

Noth, Martin

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 3

168

der Bibel, insonderheit der evangelischen Uberlieferung uns
aufgegeben wird ? M. selber beteiligt sich durchaus au der
„Kritik" in diesem Sinne. Er erklärt nicht nur grundsätzlich:
„Wir können den kritischen Fragen nicht einfach ausweichen
. . ."■ (83), sondern vollzieht auch konkrete historischkritische
Urteile. Oder wäre es nicht ein wissenschaftliches,
historisch-kritisches Urteil, wenn er z. B. die Thesen von
Hirsch ablehnt, weil sie nicht in den Texten begründet sind,
sondern der Phantasie des Forschers entstammen („dem kritischen
Urteil aber ist nicht möglich, die Schöpfungen dieser
Phantasie als erwiesene Tatsachen anzuerkennen"; 88; vgl.
118). Noch mehr: M. kennzeichnet und behandelt selbstverständlich
die johanneischen Christusreden durchaus anders
als die synoptisch-überlieferten Worte Jesu (52f.). Ist das
nicht historische Kritik ? Er hält offenbar das natus ex virgiue
nicht für geschichtlich, denn er kann sagen: „Matthäus und
Lukas haben ihr Verständnis der Gottessohnschaft durch die
Idee (!) der Jungfrauengeburt erläutert" (47; vgl. 60). Er erklärt
, daß in den Auferstehungsgeschichteu bei Lukas und
Johannes apologetische Züge möglich seien (83). Was ist das
alles anderes als „historisch-kritisches" Urteilen ? Wie steht
es angesichts dessen mit der Entgegensetzung von historisch-
kritischer und gläubiger Haltung? Wohin werden die „Gläubigen
" des gesetzlichen Biblizismus M. stellen? Sie werden
mindestens urteilen, daß bei ihm die „gläubige" Haltung nicht
ungebrochen ist.

Mundle kann in der Tat seine absolutistischen Thesen gar
nicht durchhalten. Nicht nur wegen semer eigenen theologischen
Vergangenheit, sondern um des Gegenstandes willen.
Gewiß ist die „Christuswirklichkeit" eine metahistorische —
aber doch wohl auch eine historische? M. weiß das selber:
Christus „gehört auch der Welt menschlicher Geschichte an".
„Als Hilfsmittel zum Verständnis der Texte haben historische
Fragestellungen ihr Recht" (118). Wie kann man dann aber
im gleichen Atem die „Enthistorisierung" fordern? Gehört
Jesus Christus auch der Welt menschlicher Geschichte an,
dann werden die Berichte über ihn für uns Heutige unentrinnbar
auch Gegenstand historischen Untersuchens, Fragens,
der „Kritik" — und zwar nicht im Gegensatze zur „gläubigen
Haltung", sondern um des Glaubens selber willen. Es muß
ihm, schon im Blicke auf die große Rolle, die Legende und
Mythus in der Religionsgeschichte spielen, daran liegen, sich
auch durch historisches Erkennen dessen zu vergewissern, daß
das Christuszeugnis des NT in echter Geschichte gründet.
Und zwar mindestens auf die Weise, die Mundle selber anwendet
: nämlich daß theologische historisch-kritische Untersuchung
„antikritisch", in Kritik der „Kritik" zeigt, wie bestimmte
moderne „Erklärungen" z. B. des Osterglaubens den
Quellen Gewalt antun und demgemäß historisch unhaltbar
sind. Dieser Aufgabe kann mau sich nicht dadurch entziehen,
daß man sich auf die Erfahrung der Gegenwartsmacht des
lebendigen, überzeitlich-gegenwärtigen Christus beruft. Das
führt zum Schwärmertum. Gewiß „erreicht die historische
Forschung . . . mit ihren Methoden niemals die Wirklichkeit,
mit der der Glaube der Christenheit es zu tun hat" (117). Die
Gewißheit um die Auferstehung Jesu Christi ist in der Tat
Sache des Glaubens, der unter dem apostolischen Zeugnisse
von Jesus Christus erwächst. Aber für diesen Glauben ist,
jedenfalls in unserer geistigen Lage, hinter die wir nicht zurückkönnen
, die historische Nachfrage durchaus nicht gleichgültig
, sondern durchaus von großer Bedeutung. M. meint:
„Wird die Frage gestellt: Was ist die hinter dem neutesta-
mentlichen Christusglaubeu stehende geschichtliche Wirklichkeit
, so hört dieses Christuszeugnis schon durch diese Frage
auf, Wahrheit, d. h. Zeugnis von einer Wirklichkeit zu Bein"
(71). Aber er will doch nicht den Weg Bultmanns gehen und
die Geschichte, in der das Kerygma erwachsen ist, auf sich beruhen
lassen! Muß dann nicht auch er, angesichts der nun einmal
gestellten Frage, selber zurückf ragen, und wäre es nur
in der Gestalt der Antikritik? Er sagt mit Recht bei der
Osterfrage: das evangelische Zeugnis gibt uns keine Beweise,
sondern nur Zeichen, die hinweisen, Zeichen, die an dem
Entscheidungscharakter des Evangeliums teilhaben, an denen
also Glaube und Unglaube sich scheiden. Aber an der historischen
Wirklichkeit dieser Zeichen ist der Glaube nun doch
interessiert, wenngleich sie für sich den Glauben nicht begründen
. Und M. bezeugt selber dieses Interesse, indem er
mit Hirsch und Bultmann um die Osterberichte, das leere
Grab usw. kämpft. Dann ist es aber unverständlich, daß er
zugleich aufruft, „den Boden der historisch-kritischen Schrift-
forschung zu verlassen". Mit solchen Sätzen übernimmt er
sich. Hätte er nur das gesagt, was auch bei ihm zu lesen ist;
„dieAuslegungdesNTdarf sich nicht inHistorie erschöpfen",
„die historische Fragestellung ist den entscheidenden theologischen
Gesichtspunkten unterzuordnen, sie muß um die
Grenzen wissen, die der historischen Forschung als solcher
gezogen sind" (118) oder ähnlich, so wäre alles in Ordnung.
Aber seine Thesen gehen viel weiter — und werden von ihm
selber tatsächlich doch nicht durchgehalten. So bleibt das
Ganze am eutscheidenden Punkte unklar.

Es ist ein Verdienst dieses Buches, daß es eine b e s t i m m t e
Art von heutiger historischer Kritik zur Ordnung ruft. Damit
gewinnt es in der gegenwärtigen Debatte seine Bedeutung.
Aber es schießt über das Ziel hinaus mit dem Rufe zur „Knt-
historisierung". Ohne Frage bedeutet die historisch-kritische
Forschung mit dem Hin und Her und der Relativität ihrer
Ergebnisse auch eine Anfechtung für den Glauben an Christus.
Aber ist das nicht die Anfechtung durch Jesu wahre Menschlichkeit
, d. h. Geschichtlichkeit ? Dürfen wir ihr ausweichen
durch die Proklamation völliger Unabhängigkeit des Glaubens
von der historischen Forschung ? Müssen wir sie nicht vielmehr
tragen und sie in jeder neuen Lage der wissenschaftlichen
Arbeit jeweils neu im Glauben und Forschen zu überwinden
suchen ?

Erlangen Paul Alt haus

Jeremias, Joachim, Prof. D. Dr.: Die Wiederentdeckung von Bethesda.

Johannes 5, 2. Oöttingen: Vandcnhoeck & Ruprecht 1949. 27 S. m. 5 Abb.
gr.8° = Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments
, hrsg. v. Prof. D. Rudolf Bultmann. N. F. 41. H., der ganzen Reihe
59. H.. Kart. DM 3.50.

Das ist eine auf gründlicher Sachkunde beruhende und
zugleich reizvoll geschriebene Schrift, in der im Anschluß an
die Angaben von J0I1.5, 2 die Jerusalemer Lokaltraditionen
über ,,Schafteicli" und „Bethesda" vorgeführt und dann die
seit dem Jahre 1866 gemachten Entdeckungen und durchgeführten
Sondierungen an jener Stelle nördlich des Tempelplatzes
beschrieben werden, an der „Schafteich" und „Bethesda
" offenbar zu suchen sind. Uber die ausführliche Untersuchung
des gesamten Fragenkomplexes bei Vincent-Abel,
Jerusalem II (1926), S.669ff., hinaus kann der Verf. noch den
Ertrag eigener Ortsbesichtigung sowie die Ergebnisse der in
Deutschland wenig bekannten Untersuchung von N. van der
Vliet, „Sainte Marie oü eile est nee" et la Piscine Probatique,
Jerusalem (1938), mitteilen. Nach dem Befund an der genannten
Stelle (zwei große aus dem gewachsenen Felsen ausgehauene
und durch einen Mittcltrakt voneinander getrennte
Teichanlageii, zahlreiche herumliegende Säulenbasen, -trommeln
und -kapitale) im Zusammenhang mit den literarischen
Nachrichten kann es — darin wird man dem Verf. gern zustimmen
— als praktisch sicher gelten, daß hier die von Hero-
des prächtig ausgebaute, aber vermutlich schon ältere Anlage
des „Schafteiches" mit der „Stätte der göttlichen Barmherzigkeit
" („Bethesda") gelegen hat, von der wir in Job. 5, 2 hören,
die der Jerusalemer Lokaltradition bis einschließlich der
Kreuzfahrerzeit bekannt war, die dann aber an Ort und Stelle
vergessen war, bis die Funde der vergangenen Jahrzehnte sie
wieder identifiziert haben.

Es handelt sich um eine der wenigen Jerusalemer Stätten
aus neutestamentlicher Zeit, die lokal noch sicher zu fixieren
sind; und man darf dem Verf. dankbar sein dafür, daß er in
seiner Schrift in zusammengefaßter, aber doch, so viel ich
sehe, erschöpfender Weise den literarischen und archäologischen
Tatbestand zu „Schafteich" und „Bethesda" dargeboten
hat.

Bonn Martin Noth

Schlatter, Adolf, Prof. D. Dr.: Der Evangelist Matthäus. Seine Sprache,
sein Ziel, seine Selbständigkeit. Ein Kommentar zum ersten Evangelium.
3. Aufl. Stuttgart: Calwer Verlag 1948. XII, 816 S. 8°. Hlw. DM27.—.

— Der Evangelist Johannes. Wie er spricht, denkt und glaubt. Ein Kommentar
zum vierten Evangelium. 2. Aufl. Stuttgart: Calwer Verlag 1948.
XII, 397 S. 8°. Hlw. DM 16.—.

Diese beiden Werke, die zuerst 1929 und 1930 erschienen,
waren die reife Frucht eines langen, unglaublich fleißigen Gelehrtenlebens
(Schlatter war 1852 geboren) eines Mannes von
ganz ungewöhnlichen Gaben. Wir meinen, daß sie neben der
Monographie über den Glauben im Neuen Testament in der
Fülle der Werke Schlatters das Gediegenste und Wertvollste
darstellen, was die wissenschaftliche Theologie ihm verdankt.
Es ist deshalb sehr zu begrüßen, daß der Calwer Verlag beide
noch einmal hat erscheinen lassen, und zwar völlig unverändert
. Nur dem Matthäusband ist ein kleines Sachregister von
drei Seiten beigefügt, welches hauptsächlich den Zweck verfolgt
, die für Schlatters Deutung des Verhältnisses der synoptischen
Texte zueinander bezeichnenden Stellen leicht auffindbar
zu machen. Gerade dies ist nun freilich ein Punkt, an dem
Schlatter — von wenigen Ausnahmen abgesehen — die Mit-