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Ausgabe:

1951

Spalte:

165-168

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Mundle, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Der Glaube an Christus und der historische Zweifel 1951

Rezensent:

Althaus, Paul

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165 Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 3_. _*~

große Rolle gespielt hat, dem wir aber sonst nur noch in der
Damaskusschrift begegnen, wo es zwei- oder wahrscheinlich
sogar dreimal vorkommt. Wir werden die Fragmente der Damaskusschrift
, die sich in der Cairoer Geniza gefunden haben,
als Abschriften anzusehen haben von einer der Rollen, die
man gegen 800 aus der Höhle bei Jericho herausgeholt hat.
Man hat darauf hingewiesen, daß enge Beziehungen bestehen
zwischen der Damaskusschrift und der Lehre der Karäer und
man hat daraus schließen wollen, daß die Damaskusschrift
unter karäischem Einfluß verfaßt worden ist und sehr
spät anzusetzen ist. Nun sehen wir, daß es die alte Damaskusschrift
gewesen ist, die die karäische Lehre beeinflußt
hat. Das große Problem, wie es möglich war, daß sich eine
solche Schrift durch die Jahrhunderte der ausschließlichen
Herrschaft von Talmud und Midrash erhalten hat, ist damit
gelöst, daß die Schrift jahrhundertelang in der Höhle verborgen
gewesen ist. Nachdem man die alte Rolle gegen 800
aus der Höhle herausgeholt hat, hat man sie sorgfältig abgeschrieben
. Die Haupthandschrift, von der sich Fragmente in
der Cairoer Geniza erhalten haben, ist auf Pergament in ausgezeichneter
karäischer Handschrift im Laufe des 9. oder
10. Jahrhunderts abgeschrieben worden.

Wahrscheinlich haben wir auch in den Fragmenten des
hebräischen Ben Sira, die sich in der Geniza gefunden haben,
Reste von Abschriften zu sehen, die man im 9. bis IS. Jahrhundert
von Rollen genommen hat, die gegen 800 aus der
Höhle bei Jericho herausgebracht waren. Die Handschriften
aus der Geniza weisen abweichende Lesarten auf, die schon im
Altertum existiert haben. Wir wissen, daß ein Text die Grundlage
der griechischen Ubersetzung gewesen ist, eüi anderer ins
Syrische übersetzt worden ist. Beide Textformen sind in der
Geniza vertreten, und der Mann, der Handschrift B geschrieben
hat, die erste, von der sich Stücke gefunden haben,
hat als richtiger Gelehrter die abweichenden Lesarten der verschiedenen
Handschriften auf dem Rande seiner Abschrift
vermerkt. Einige Bemerkungen in Persisch, die sich auf einigen
der Blätter finden, weisen darauf hin, daß die textkritische
Arbeit durch einen persischen Juden gemacht worden ist. Der
persische Karäer Benjamin von Nihäwend wird nicht der einzige
persische Jude gewesen sein, der für die Funde aus der
Höhle interessiert gewesen ist.

Ich glaube, daß diese Betrachtungen uns in den Stand
setzen, einen Einblick zu gewinnen in die grundlegende Arbeit,
die die Karäer im Laufe des 9. Jahrhunderts unter Einfluß
der Handschriften aus der Höhle geleistet haben. Wir
dürfen in diesem Zusammenhang nicht vergessen, daß es die
Karäer gewesen sind, die im Laufe des 9. Jahrhunderts die
Aussprache des Hebräischen festgelegt haben, die wir heute
in unserer hebräischen Bibel vorfinden. Die Karäer sind die
Schöpfer sowohl des komplizierten babylonischen als auch des
tiberischen Punktationssystems gewesen. Es ist durchaus
denkbar, daß die vielen alten Bibelliandschriften, die mau aus
der Höhle bei Jericho herausgeholt hat, die Arbeit der Maso-
reten in mancher Hinsicht beeinflußt haben.

Nach der Berechnung der Ausgräber, Lankester Harding
und de Vaux, muß in der Höhle bei Jericho ein sehr großes
Depot von Handschriften geborgen gewesen sein. Die Mehrzahl
der Handschriften sind, wie wir gesehen haben, gegen 800
aus der Höhle herausgebracht worden. So ist es zu erklären,
daß man 1947 nur noch die letzten Reste dieses Depots,
7 Rollen und eine Fülle von Fragmeuten, aufgefunden hat.
Aber auch diese letzten Reste des einst umfangreichen Depots
lassen sich in ihrer Bedeutung schwer überschätzen, zumal
wenn wir, so weit als möglich, die Handschriften mit in Rechnung
ziehen, die vor 1100 Jahren aus der Höhle herausgeholt
worden sind, und wenn wir daran denken, daß es sich hier
um eine Bibliothek der Essener handelt, von deren Originalschriften
uns bisher fast nichts bekannt gewesen ist.

NEUES TESTAMENT

M u nd le, Wilhelm, Prof. Lic.: Der Glaube an Christus und der historische

Zweite!. Eine biblisch-theologische Untersuchung. Mctzingen/Württ.:
Brunnquell-Verlag 11950]. 127 S. 8« = Bibl.-theol. Aufbau. Kart. DM4.—;
Hlw. DM 5.—.

W. Mundle will mit dieser Schrift den Ausweg zeigen aus
der Krise, in welche der Christusglaube durch die historisch-
kritische Erforschung des Neuen Testaments gekommen ist.
Er durchhaut den Knoten mit der radikalen Forderung: wir
haben „den Boden der historisch-kritischen Sclmftforschung
zu verlassen" (107). Denn sie ist dem Christus des Neuen Testamentes
völlig unangemessen. Dieser ist „mctahistorisch , ein
Gegenwärtiger im Worte und Sakramente. Demgemäß ist auch
das Christusbild der EvangelL-n metahistorisch und entzieht
sich daher den Methoden und Ansprüchen der Historie. Der
Glaube der Christenheit braucht nicht den „Umweg über die
Geschichte" zu machen, um den Weg zu Jesus Christus zu
fmden (99. n7). Durch die Entwicklung der modernen
Wissenschaft ist es zur „Historisierung" des Neuen Testamentes
und schier Auslegung gekommen (63). Daher die Krise.
Sie kann überwunden werden nur durch entschlossene ,,Ent-
historisierung" (107) — diese Forderung ist sachgemäßer als
a»e der „Eutmythologisierung". Das heißt: für die Auslegung
des NT „sind die Voraussetzungen des historisch-kritischen
Denkens entschlossen preiszugeben" (109). Das historisch-
kritische Denken wird durch die Weltanschauung der Inima-
uenz bestimmt, aus der sieh der historische Zweifel nährt. Wer
sich auf ihre Fragestellungen einläßt, tritt auf einen Weg,
dessen Ende die Auflösung des neutestanientlicheii Christus-
Klaubens ist (71). Der historisch-kritischen Forschung steht
gegenüber die „gläubige Haltung", die „theologische, d. h.
gläubige Schriftauslegung". Sie hat ihr Wesen darin, daß der
Ausleger das Glaubensverständnis der Apostel annimmt und
teilt. Diese „Glaubensposition", den „Weg des Glaubens, der
aas Zeugnis der Apostel von der Auferstehung Christi annimmt
und sich ihm im Gehorsam des Glaubens unterwirft ,
hat der kritische Historiker verlassen (97)- Für den Glaubenden
gibt es die „Unmittelbarkeit gläubigen Verstehens (69)-
Er muß nicht den Weg über die Historie gehen, die es nur zu
niehr oder minder wahrscheinlichen Ergebnissen bringt. Er
Kann, was keine historische Untersuchune vermag : den „breiten
garstigen Graben", von dem Lessing sprach, überspringen.

Wieweit die Absage Mundles an das geschichtliche Denzen
geht, wird klar an der Kritik, die er gegenüber A. Oepkcs

Schrift über „Geschichtliche und übergeschichtliche Schrift-
auslegung", 1946 übt (78. 98). Oe. mache „der historischen
Denkweise zu viele Concessionen". Es sei nicht möglich, „in
der Auseinandersetzung mit dem historischen Zweifel die Geschichtlichkeit
der Offenbarung zu betonen. Die Sache liegt
nicht so, . . . daß wer mit Gott Gemeinschaft sucht, an einen
bestimmten Punkt der Geschichte, an Jesus Christus gewiesen
ist. Damit ist das neutestamentliche Glaubenszeugnis von
Christus bereits preisgegeben, wonach Jesus Christus „nicht
eine geschichtliche Erscheinung, sondern .gestern, und heut
und in Ewigkeit derselbe', der Herr aller Zeiten und aller Geschichte
ist" (98). Herausfordernder kann die Absage an die
historische Denkweise nicht wohl ergehen. Es bezeichnet die
Fronten, daß sie diese schärfste Form nicht gegenüber Männern
wie Hirsch oder Bult mann, sondern gegenüber
A. Oepke gewinnt.

Mundle knüpft mehrfach an Kähler an. Soweit er dessen
Grundgedanken aus der berühmten Schrift über den „sog.
historischen Jesus ..." aufnimmt, wird man ihm gerne zustimmen
. Also z.B. darin, daß das Christusbild der Evangelien
ein solches des Glaubens ist, der durch Christi Auferweckung
geschaffen wurde; daß es in der Gemeinde nie eine andere
Deutung gegeben hat als die in der evangelischen Uberlieferung
vorliegende usw. Daher ist M. auch mit seiner Kritik an
dem theologischen Liberalismus, der alles immanent erklären
will, durchaus im Rechte. Insbesondere teile ich seine Kritik
an E. Hirschs Behandlung der Ostergeschichten und seiner
Theorie über die Entstehung des Ostcrglaubens (85ff.); nicht
müider, was er gegen Bultmanns Lösung der Kerygmas von
der Geschichte, in der es erwuchs, und die kritische Auflösung
dieser Geschichte geltend macht (99t.): „Es ist unmöglich und
ein logischer Widersinn, daß der kritische Historiker und der
gläubige Theologe, die bei Bultmann miteinander im Kampf
liegen, beide in gleicher Weise das Feld behaupten können".
Auch m den anderen Kapiteln wird man dem Verf. auf weite
Strecken mit Zustimmung und Freude zuhören und folgen.

Dennoch kann ich seinen Versuch, den Christusglauben
aus der Krise, in welche die historische Kritik ihn gebracht
hat, zu befreien, im ganzen nicht für geglückt halten. Er
scheint mir auch der völligen Klarheit zu ermangeln. Die Absage
gilt der „historisch-kritischen Forschung". Was ist unter
ihr zu verstehen ? Mundle hat die weltanschaulich-geladene
im Auge, die von der Voraussetzung der Immanenz bestimmt
ist. Aber gehört das zu ihrem Wesen ? Gibt es nicht auch ein
historisch-kritisches Fragen und Feststellen, das nichts mit
„Weltanschauung" zu tun hat, sondern durch den Tatbestand