Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1951 Nr. 3

Spalte:

161-166

Autor/Hrsg.:

Kahle, Paul

Titel/Untertitel:

Der gegenwärtige Stand der Erforschung der in Palästina neu gefundenen hebräischen Handschriften 1951

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

161

Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 3

162

Der gegenwärtige Stand der Erforschung der in Palästina neu gefundenen hebräischen Handschriften

15. Randnote zu P. Kahles Artikel über die Zeit der Bergung der neu gefundenen hebräischen Handschriften (ThLZ 1950, Sp.537)

Von G. Zuntz, Manchester

P. Kahle überrascht mit der Angabe1: „Pergament ist
etwa im 2. nachchristlichen Jahrhundert erfunden worden
und wurde im 4. Jahrhundert allgemein gebräuchlich". Nach
Varro2 wurde das Pergament („vellura") in Pergamon unter
Eumenes II. „erfunden"; also zwischen 197 und 159 v.Chr.
Die moderne Forschung3 sieht als ausgemacht an, daß diese
Nachricht (wie auch der Name „Pergament") Massenproduktion
im hellenistischen Pergamon wiederspiegelt; daß die „Erfindung
" Jahrhunderte früher gemacht und Pergament im
Orient, nach Abkommen der Tontafel, seit langem und weithin
gebraucht wurde. Diese Anschauung wurde bestätigt
durch die Ausgrabungen in Dura. Die dort gefundenen hellenistischen
Schriftstücke sind sämtlich auf Pergament; das
älteste stammt von 198 v. Chr.

„Kerne der Rollen und Fragmente", sagt Kahle4, „ist auf
Pergament geschrieben" (sie); „nur Leder und Papyrus
sind für diese Texte verwendet worden". Der terminus ante
quem, den K. hieraus zu gewinnen trachtet, hat sich soeben
als Illusion erwiesen, übrigens: was heißt „Pergament" ? Wo
hört „Leder" auf und fängt „Pergament" an? Fürs Mittelalter
läßt sich diese Frage präzis beantworten, denn wir haben
die Rezepte, nach denen Pergament hergestellt wurde. Nicht
so fürs Altertum. Auch die Sprache gibt keinen klaren Anhalt.
Pergament ist eine besonders sorgfältig fürs Schreiben zugerichtete
Sorte Leder; aberöi<p&i()aiund degfiarivd (seil. ßißUa)
heißen alle Sorten von Schreibleder6. Die ßaOtXtxal Si<p&et>ai,
auf denen nach Ktesias6 die „alten Taten" der Perser aufgezeichnet
waren, dürften nach unserem Sprachgebrauch „Pergament
" gewesen sein7; das gleiche gilt von den deg/^axivd tevxV-
die im 1. Jahrhundert v. Chr. in Priene für amtliche Zwecke
gebraucht wurden8 — lag doch Priene nicht weit von dem
Exportzentrum Pergamon. Auch die „wunderbarlich bearbeiteten
Lederrollen", auf denen die Thora, laut ps.-Aristeas, von

') L. c. 539, oben.

') Bei Plinius, Nat. Hist. XIII. 70. , 8) ulld letztlich

») Etwa Birt, Dziatzko, R. C. Oregory (TextkrltiK 1, j »tlUB„t|a

besonders Rostovtzeff (s. den Index derSocial . . . nisi.

period).

«) lb. 538 unten. . rrFnvauevd(bisars

') Man darf annehmen, daß der Ausdruck ÖeofiaXiva ' EW^ltr ab.
unbezeugt) in hellenistischer Zelt gebräuchlich war und al auseehenden
gekürzten Bezeichnung neQyafn,vd führte, die bisher nur aus dem a
Altertum bezeugt Ist.

•) Bei Diodor II. 32. 4; cp. Herodot V. 58.

') So Birt, Buchwesen . .., 256

Jerusalem nach Alexandria gesandt wurde, dürften als „Pergament
" zu verstehen sein. In unserem Zusammenhang ist
pikant, daß das Material der ersten Jesaja-Rolle und auch des
„Sectarian Docuineut" von Jericho als Pergament bezeichnet
worden ist1.

Was „etwa im zweiten (lies .ersten') Jahrhundert er-
funden und im vierten allgemein gebräuchlich wurde", ist
nicht „das Pergament", sondern der Pergament-Codex2. Diese
Erfindung hat die Juden nicht gehindert, wie vor alters so bis
zum heutigen Tage ihre heilige Literatur auf lederne (oder
„pergamentene") Rollen zu schreiben. Wenn denn der Jericho-
Fund keine Reste solcher Codices enthält, so ergibt auch dies
keinen Anhalt für seine Datierung. Wer oder was konnte jene
Juden zwingen, in Codices zu schreiben, wenn sie nicht wollten
?3

Kahle freilich gibt an, es fänden sich Reste von Papyruscodices
unter den Jericho-Fragmenten. Er schließt dies daraus,
daß „unter den Papyrusfragmenten sich solche finden, die
doppelseitig beschrieben sind"4. Es ist ihm offenbar unbekannt
, wie oft Papyrusrollen und Einzelblätter auf beiden
Seiten beschriftet sind. Zu welcher Kategorie die betreffenden
Jericho-Reste gehörten, werden wir wohl eines Tages erfahren;
der Schluß, denK. apodiktisch vorträgt („Codices, nicht Rollen
") ist jedenfalls nicht bündig, übrigens sind Papyruscodices
ein ägyptischer „Ersatz" für Pergamentcodices. Es ist,
logisch und sachlich, recht bedenklich, wenn man zuerst
aus dem Fehlen von Pergament die« P.-Codices) einen terminus
ante quem zu deduzieren versucht und demnächst
aus dem (vermuteten) Vorkommen von Papyruscodices — die
jünger sind — einen terminus post quem.

Kahles Datierung mag richtig seht oder nicht; die hier betrachteten
Argumente jedenfalls können seine These nicht
stützen. In seinen zwei Beweisketten ist jedes Glied falsch.
Wären sie richtig, oder berichtigt, so endet doch jede in einem
non sequitur. Und schließlich stehen die beiden so gewonnenen
Folgerungen in striktem Widerspruch zueinander.

') J. C. Trever, In BASOR nr. 111, pp. 4 (mit Anm. 7) und 9f.
*) Dies jedenfalls Ist die heute und seit langem akzeptierte Anschauung,
wie sie sich aus den antiken Nachrichten und dem erhaltenen Material ergibt;
C. H. Roberts hat sie kürzlich mit den neuen, hauptsächlich christlichen
Funden In Interessante Beziehung gesetzt. Ich unterdrücke einigen Zweifel,
den Ursprung der „neuen" Buchform betreffend; die vorliegenden Fragen sind
davon unabhängig.

*) Mit Kahles Argument könnte man beweisen, daß eine im Jahre 1950

• ----,-----„,—...... hergestellte lederne Thorarolle „älter als das 4. Jahrhundert" sein müsse.

) Inschr. v. Priene, ed. Hiller v. Gaertrlngen, nr. 112—114. *) Ib. 539, Abschn. 3.

16. Zu den Handschriftenfunden aus der Höhle

Von Paul Kahle, Oxford

1. Rollen und Codices, Leder und Pergament
Die meisten Fragmente von Hand^hnften1 aus a
Cairoer Geniza sind Reste von Codices. Die Alteren *
Pergament geschrieben. Vom 9- Jahrhundert ab tritt.m»
Pergament das Papier. Es gibt aber noch eunge *r**f
mente von Rollen Ich habe in Masoreten des Wwtcns «
eine Ezechielrolle, eine Psalmrolle, eine Rolle mit dempalasu
nischen Pcntateuchtargum hingewiesen, weil sie buk ^
der darin vorkommenden altertümlichen F°rnl ^ Beispiele
nischen Punktation interessierten. Man wird weiwr^ , ,„c
solcher Rollen - ohne Punktation - unter den £*-*Swer
unter Glas aufbewahrten Stücken aus der G«"*»™ ' ie „e.
finden. Diese Rollen sind auf Pergament Se.sch"e°e"™
hören zu den ältesten Stücken aus der ^r' Auch
mögen aus dem 5 oder 6. e. Jahrhundert
griechische literarische Texte sind noch bis ins o. j von
gelegentlich auf Rollen geschrieben worden. Was wir .
jüdischen Rollen wissen, beschränkt sich auf 11
gischen Zwecken dienen (Thora-Rollen, I'^hcr-RoUcn u^ag^.
sie sind ohne jegliche Vokalisation und werden «niei
Pergament, gelegentlich aber in archaischer Weise aucli a

^IS'S bei Jericho sind, wie es scheint, alle.Texte
auf Rollen geschrieben, vielleicht mit Ausnahme von

doppelseitig beschriebenen Papyrusfragmenten, über deren
Wesen man erst klar sehen wird, wenn beide Seiten dieser
Fragmente veröffentlicht sein werden. Es handelt sich bei den
aus der Höhle stammenden Handschriften um Texte verschiedenster
Art. Texte wie derHabakuk-Komnieutar, das Sectarian
Document u. dgl. würden in der Geniza nur üi Codexform
vorkommen. Schon daraus kann man schließen, daß es
sich bei den Texten aus der Höhle um solche handelt, die
aus einer Zeit stammen, da Rollen noch allgemein üblich
waren. Man wird damit rechnen können, daß auch die Juden
etwa im 4. Jahrhundert n. Chr. angefangen haben, Codices zu
benutzen, und daß seitdem die alte Rollenform im wesentlichen
nur noch für liturgisch verwendete Texte beibehalten
worden ist.

Für die Frage nach der Entstehung des Pergaments
scheint es mir zweckmäßig zu sein, direkt auf Werke wie z. B.
Kenyons Books and Readers in Ancient Greece and
Rome (Oxford 1932) und Our Bible and the ancient
Manuscripts (4th ed. London 1939) u.dgl. hinzuweisen. Pergament
wurde im 2. Jahrhundert v. Chr. in Pergamon erfunden
und dort und in den umliegenden Gebieten verwendet. So erklärt
es sich, daß z. B. in Dura Europos Pergamentfragmente aus
früher Zeit gefunden sind. Der Rest der alten Welt brauchte
nach wie vor den Papyrus. Aber auch in Dura ist viel mehr