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Ausgabe:

1951 Nr. 3

Spalte:

139-144

Autor/Hrsg.:

Alt, Albrecht

Titel/Untertitel:

Die Weisheit Salomos 1951

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139

Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 3

140

Die Weisheit Salomos

Von Albrecht Alt, Leipzig

Johannes Herrmann zum 70. Geburtstag zugeeignet

In seiner Schilderung der Weisheit Salomos charakterisiert
der Verfasser des deuteronomistischen Geschichtswerkes
die Leistungen des Königs auf diesem Gebiet durch Kontrastierung
mit dem, was andere Völker und ihre berühmtesten
Weisen auf dem gleichen Gebiet hervorgebracht haben,
und durch Mitteilungen über die Zahl und den Inhalt der von
Salomo stammenden Sprüche und Lieder (1. Kön. 5, 9—14)1.
Wieweit der Autor an der Gestaltung dieser Sätze persönlich
beteiligt ist, wird ebenso schwer auszumachen sein wie die
Frage, aus was für einer Art von Uberlieferung er dabei
schöpfen mochte. Lag ihm etwa eine Erzählung vor2, vergleichbar
denen über Salomos Ausstattung mit Weisheit durch
Jahwe (1. Kön. 3, 4—15), über seine richterliche Urteilsfindung
im Streit zweier Frauen (1. Kön. 3, 16—28) und über den Besuch
der Königin von Saba (1. Kön. 10, 1—10. 13), und waren
diese Erzählungen vielleicht von früher her zu einem literarischen
Gefüge verbunden, aus dem er sie erst wieder löste,
um sie auf verschiedene Stellen seiner eigenen Berichterstattung
über die Regierung Salomos zu verteilen ? Oder geht jene
Schilderung, die in ihrer generellen Formulierung ja nicht gerade
dem in der Regel von konkreten Einzelereignissen ausgehenden
Aufbau israelitischer Erzählungen entspricht, vielmehr
direkt oder indirekt, etwa über das von unserem Autor
zitierte „Buch der Geschichte Salomos" (1. Kön. 11, 41), auf
Angaben der offiziellen Regierungstagebücher zurück, in denen
sich z. B. eine Eintragung über eine entweder von Salomo
selbst oder in seinem Auftrag bei Hofe verfaßte Sammlung von
Weisheitssprüchen und -Hedem finden konnte3 ? Es verlohnt
sich kaum, auf diese und andere Möglichkeiten der literarischen
Ableitung hier weiter einzugehen; eine sichere Entscheidung
zwischen ihnen ist, wie mir scheint, nach der Lage der Dinge
nicht zu erreichen.

Auf jeden Fall aber wird man es in Anbetracht dessen,
was der Verfasser des deuteronomistischen Geschichtswerkes
über den Inhalt der Weisheit Salomos sagt, als sehr unwahrscheinlich
bezeichnen dürfen, daß er diese Aussagen ohne
Rückhalt an einer vorgefundenen Uberlieferung frei von sich
aus gemacht haben sollte. Denn wenn er von dem König
schreibt: „Er redete über die Bäume von der Zeder, die auf
dem Libanon steht, bis zum Ysop, der an der Mauer wächst,
und redete über das Vieh, die Vögel, das Kriechgetier und die
Fische" (1. Kön. 5, 13), so ist damit eine zwar vielleicht nicht
ausschließliche, aber doch mindestens überwiegende Bezogen-
heit dieser Weisheit auf die Erscheinungen der Pflanzen- und
Tierwelt behauptet, die man im biblischen Buch der Sprüche
und bei Jesus Sirach als den typischen Vertretern der normalen
israelitischen Weisheit vergeblich suchen würde. Zwar
fehlt es bekanntlich auch in diesen Büchern an Hinweisen
auf Tatbestände der außermenschlichen Natur, besonders
solche aus dem Reich der Tiere, nicht ganz; aber sie treten verhältnismäßig
selten auf und werden niemals um ihrer selbst
willen gebracht, sondern dienen immer nur zur Veranschaulichung
von Wahrheiten, die für das Leben der Menschen gelten
und nach denen sich daher jeder Mensch in seinem Verhalten
richten sollte. Dieser ganz auf den Menschen abzielenden
Lebensweisheit der normalen israelitischen Spruchbücher
steht die Naturweisheit, von der das deuteronomistische Ge-
schichtswerk oder vielmehr seine Vorlage im Blick auf Salomo
redet, doch wohl als eine Größe für sich gegenüber, und man
tut der Eigenart der Aussagen von t. Kön. 5, 13 meines Erachtens
Gewalt an, wenn man sie, wie es schon oft versucht
worden ist4, im Interesse des Ausgleiches mit jenen Büchern
so verstehen will, als seien auch mit den Sprüchen und Liedern
Salomos über Pflanzen und Tiere nur gelegentliche Hinweise
auf Parallelen im Bereich der außermenschlichen Natur zu
Erscheinungen des Menschenlebens gemeint.

') Der Verfasser des chronistischen Werkes hat von diesem Abschnitt
fast nichts übernommen (vgl. 2. Chron. 9, 22—24).

2) So Noth, Überlieferungsgeschichtliche Studien I (1943), S. 110 [68].

3) Man vergleiche die Angabe von Prov. 25, 1 über eine Spruchsammlung
'der „Männer des Königs Hiskia von Juda".

4) So noch Kittel In seinem Kommentar z. St.; ähnlich Meinhold,
Die Weisheit Israels (1908), S. 9f.

Die Anerkennung dieser Sonderstellung der Naturweisheit Salomos im
Verhältnis zu der menschlichen Lebensweisheit der Spruchbücher hat um so
weniger Bedenken gegen sich, als uns im Alten Testament zwar nicht viele,
aber immerhin einige Dichtungen kleineren oder größeren Umfangs erhalten
sind, die sich ohne weiteres als Erzeugnisse einer ausgebildeten Naturweisheit
zu erkennen geben. Die in der erzählenden Literatur vereinzelt auftretenden
Pflanzenfabeln wie etwa die Jothams (Rieht. 9, 8—15) möchte Ich allerdings
in diesem Zusammenhang nicht nennen, da es sich in ihnen ja nur um eine
Übertragung menschlicher Verhältnisse in einen außermenschlichen Bereich
handelt, bei der es letztlich wieder auf eine Lehre für Menschen abgesehen ist.
Dagegen gehören die Gottesreden des Buches Hiob mit Ihren poetischen Schilderungen
von Naturerscheinungen und besonders von Tieren (Hiob 38—41)
wohl sicher hierher, und erst recht gilt dies von ein paar Zahlensprüchen, die
an einer ziemlich versteckten Stelle des Buches der Sprüche beieinander stehen
und in denen merkwürdig übereinstimmende Tatbestände aus verschiedenen
Gebieten der Natur, vor allem wieder aus der Tierwelt, zusammengestellt sind
(Prov. 30, 15f. 18—20. 24—28. 29—31)1. Denn in diesen Stücken handelt es
sich durchweg um echte Naturbeobachtung unter dem Gesichtspunkt der
Andersartigkeit der Erscheinungen dem Menschlichen gegenüber und zugleich
Ihrer sinnvollen Ordnung untereinander2. Man wird daher nicht bestreiten
können, daß es In Israel eine besondere Gattung der Naturweisheit gab, aus
der sich eine Art Mirabilienliteratur entwickeln konnte und anscheinend auch
tatsächlich entwickelt hat, die nur freilich in der kanonisierten Überlieferung
des Alten Testaments durch die große Masse der Erzeugnisse der menschlichen
Lebensweisheit fast ganz zur Seite gedrängt ist. Von dem einstigen reichen
Leben dieser Oattung in Israel gibt uns vielleicht die Verschiedenheit ihrer
Inhalte und besonders auch Ihrer Ausdrucksformen in den erhaltenen Proben
noch eine gewisse Vorstellung, und ihr soeben erwähntes Schicksal in den Endstadien
der israelitischen Literaturgeschichte spricht meines Erachtens sehr
dafür, daß ihre Blütezeit mindestens nicht später, wahrscheinlich aber sogar
früher lag als die der dann nahezu zur Alleinherrschaft gelangten menschlichen
Lebensweisheit. Jeder Versuch genauerer Zeltbestimmungen verbietet
sich Jedoch in Anbetracht der Undatierbarkeit der uns vorliegenden Stücke
von selbst; zumal die Ursprünge scheinen von hieraus gesehen ganz im Dunkel
bleiben zu müssen.

So ist durch unsere bisherigen Erörterungen für die historische
Glaubwürdigkeit der Angaben des deuteronomistischen
Geschichtswerkes über die Weisheit Salomos nicht mehr als
eine gewisse Möglichkeit gewonnen, und ich wüßte nicht, wie
man diese Möglichkeit lediglich auf Grund des Alten Testaments
und ohne Zuhilfenahme gewagter Konstruktionen von
zweifelhaftem Wert zu dem Rang voller Sicherheit erheben
könnte. Nun wollen ja aber jene Angaben selbst die Weisheit
Salomos durchaus nicht als isoliertes Faktum der israelitischen
Geistesgeschichte betrachtet wissen, sondern stellen
sie offenbar mit vollem Bedacht und mit starker Betonung
in einen viel weiteren Rahmen: „Die Weisheit Salomos war
größer als die Weisheit aller Leute des Ostens und als die
ganze Weisheit Ägyptens; er war weiser als jeder Mensch,
als der Esrahiter Ethan, Heman, Kaikol und Darda, die
Söhne Mahols, und sein Name wurde bei allen Völkern
ringsum berühmt" (1. Kön. 5, iof.). Es hat nicht viel zu besagen
, daß die hier einzeln genannten Personen uns völlig unbekannt
sind und daß wir nicht einmal entscheiden können,
ob der Autor sie sich als Zeitgenossen Salomos denkt3. Sehr
wichtig hingegen ist für uns die Selbstverständlichkeit, mit
der er den Maßstab der Weisheit anderer Völker an die Weisheit
Salomos anlegt, obwohl er von dem Vorrang der letzteren
durchaus überzeugt ist. Denn ein solcher Vergleich wäre ihm
doch wohl kaum als angebracht erschienen, wenn er jene Naturweisheit
, deren anerkannter Meister nach ihm Salomo war,
für einen Sonderbesitz Israels und nicht vielmehr für ein Gemeingut
gehalten hätte, in dessen Pflege und Förderung die
Weisen eines größeren Völkerkreises miteinander wetteiferten.

') Diese Zahlensprüche hat schon Eißfeldt In seiner Einleitung in das
Alte Testament (1934), S. 93, mit Recht zu 1. Kön. 5, 13 herangezogen. Zu
ihrer Form vgl. Bea, Biblica 19 (1938), S. 444; 21 (1940), S. 196ff.

*) Die Naturbetrachtung des Buches Koheleth (besonders in K-ip. 1),
die an der Möglichkeit der Erkenntnis einer sinnvollen Ordnung In der Welt
fast verzweifelt, steht auch Insofern abseits, als sie auf die Beobachtung und
Darstellung von Einzelerscheinungen In der außermenschlichen Natur so gut
wie ganz verzichtet.

») Was spätere aus diesen Personen gemacht haben (1. Chron. 2, 8, 8;
6, 18. 29 u. ö.; Ps. 88, 1; 89, 1), hilft nicht welter.