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Ausgabe:

1951 Nr. 3

Spalte:

133-138

Autor/Hrsg.:

Galling, Kurt

Titel/Untertitel:

Das Königsgesetz im Deuteronomium 1951

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Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 3

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Das Königsgesetz im Deuteronomium1

Von Kurt Galling, Mainz

Die in ihrer Formulierung bemerkliche Anweisung in
Deut. 17, 14—20, die wie das ganze Urdeuteronomium als
Rede des Mose an die Volksgemeinde im ,,Du-Stü" gestaltet
ist, und die mau gemeinhin als „Königsgesetz" bezeichnet,
hat ohne Zweifel ein bestimmtes Bild vom König, wie er ist,
und, wie er sein soll, vor Augen. Die geforderten Begrenzungen
der königlichen Macht sind schwerlich nur aus theoretischen
Erwägungen erwachsen, sondern dahinter stehen auch reale
Erfahrungen. Diese Erfahrungen konnten im Nordreich oder
in Juda gesammelt werden, falls man sie nicht mit Überlieferungen
der Frühzeit (Salomo) kombinierte, die noch ein beide
Gebiete umfassendes Reich kennen.

Ehe wir versuchen, Ort und Zeit des „Königsgesetzes" im
Deuteronomium zu bestimmen, ist es notwendig, in aller Kürze
von der staatsrechtlichen Struktur des Königstums in Israel zu
sprechen2. Als das davididische Reich auseinanderbrach, das
bis zum Tode Salomos in der Person des Herrschers zusammengehalten
war, und nun neben Rehabeam, dem Nachfolger
Salomos, noch im Gebiet der zehn Stämme Jerobeam regierte,
da hätte man, zumal des Königtum Sauls Ansätze zu einer
Erbfolge aufweist, mit einer parallelen Entwicklung in Nord
und Süd rechnen können. Aber das Gegenteil ist der Fall! Im
Norden knüpfte man an das charismatische Führertum der
Richterzeit an. Relml am, der erste der gewählten Könige,
war ein ehemaliger Ministeriale Salomos, ein Usurpator, und
diesen homonovus konnte allein ein neues prophetisches Votum
legitimieren (1. Reg. Ii, 39ff.). Das Königtum nimmt im
Nordreich die in den Zeiten der sog. Richter und bei Saul bezeugte
Form einer durch Designation Jahwes und den Zuruf
der Volksgemeinde jeweils neu installierten Führerschaft
ohne dynastische Bindung an. Die Frage, ob die zwei Jahre,
die das chronologische System der Königsbücher dem Sohn
Jerobeams und dem Sohn Baesas zubilligt (1. Reg. 15, 2sff),
als die normale Wartezeit zwischen dem Tode des alten
Führers und dem Hervortreten des neuen gedeutet werden
darf3, läßt sich mit Sicherheit beantworten. Verständlicherweise
muß dort, wo man auf eine neue charismatische Entscheidung
wartet, mit Interregnen gerechnet werden. Der erbdynastische
Grundsatz: „Le roi est mort, vive le roi!" läßt
sich nicht in einem Bereich anwenden, in dem man die charismatische
Entscheidung ernst nimmt. Auf der anderen Seite
wirkt naturgemäß (auch ohne Einfluß einer erbdynastisch
orientierten Umwelt) das Schwergewicht der Persönlichkeit
des regierenden Königs dynastiebildend. Und so kommt
es unter Omri zu einer Erbfolge, die Sohn und Enkel umfaßt.
Man darf daneben auch darauf hinweisen, daß man im Israel
des 9. Jahrhunderts die Beziehungen zu den Nachbarlichen
(Ahab-Isebel!) kaum hätte pflegen können, wenn die Stabilität
der Krone ganz unsicher schien (Ps. 45, 17!)- Immerhin
bleibt nach israelitischem Bewußtsein — zum mindesten in
bestimmten und bestimmenden Kreisen — die Frage des
Konigsregimentes grundsätzlich offen und man zögert nicht,
ein Nein zu sprechen, wenn der Regent durch innen- oder
außenpolitische Handlungen als untragbar angesehen wird.
Das geschieht in den Tagen Elias und Elisas. Die Salbung
Jehus durch einen Abgesandten Elisas ist Zeugnis der freien
Initiative Gottes, und die der designatio Dei im Heerlager
folgende Akklamation legitimiert den Revolutionär Jehu!
Andererseits ruft die klare „kirchenpolitische" Haltung Jehus
1111 Kampf gegen den Baalskult auch in den Kreisen des
kämpferischen Prophetentums, wenn ich recht sehe, ein Interesse
an einem stabilen Königtum hervor. Und tatsächlich hält
die Dynastie Jehu dann vier Generationen hindurch bis zu
Jerobeam II. (und seinem Sohn) an, unter dessen Regierung
§? Nordreich nach den vorangegangenen wechselvollen
Kämpfen mit den Aramäern noch einmal zu Macht und An-
vr kommt- Nach der Ermordung Asarjas, der nur sechs
Monate regierte, beginnt die sich überstürzende Reihe der
Usurpatoren, bei denen man vielleicht theoretisch noch an

') Der vorliegende Aufsatz wurde als Teil einer handgeschriebenen Festschrift
am 7. Dez. 1950 Prof. D. Joh. Herrmann-Münster zu seinem 70. Oe-
burtstag überreicht. Der Herausgeber Prof. Rudolph hat, da der Druck der
estschrift zur Zeit völlig ungewiß Ist, der Veröffentlichung des Beitrages an
anderer Stelle zugestimmt.

*) Vgl. A.Alt, Die Staatenbildung der Israeliten In Palästina, 1930.

eine Legitimierung im Sinne der Tradition gedacht haben
mag, bei deren Thronerhebungen aber faktisch außenpolitische
Motive, patriotische Ressentiments, Stämmerivalitäten
und politischer Ehrgeiz die eigentliche Rolle spielten.

Wendet man sich von diesem Bilde, das in seiner letzten
Ausprägung besonders verworren scheint, zu dem Königtum
in Juda und Jerusalem, so tritt der Unterschied klar zutage.
Dem ehemaligen Offizier am Hofe Sauls und Gondottieri der
Philister aus bethlehemitischen Bauerngeschlecht fällt nach
dem Tode Sauls die Krone von Juda (Jerusalem) und Israel
zu1. Es entspricht durchaus der altisraelitischen Tradition,
wenn die Überlieferung David bereits Jahre zuvor als den
Gesalbten Gottes kennzeichnet (1. Sani. 16, 1—13). Der entscheidende
Strukturunterschied von Nord und Süd wird erst
bei der Thronfolge Davids deutlich. David setzt seinen Sohn
Salomo noch zu Lebzeiten zum Mitregenten ein. Er legt die
Thronfolge in einer Weise fest, die das charismatische Moment
absorbiert. Die Formulierung der Proklamation in 1. Reg. 1,
35 b redet eine unmißverständliche Sprache. Wenn man in
dieser Situation grundsätzlichen Protest erwarten möchte (in
Reg. 1 handelt es sich nur um Parteibildungen am Hofe!), so
hat offensichtlich die schlechthin überragende Persönlichkeit
Davids jegliche Bedenken gegen den in Wahrheit revolutionären
Akt überdeckt. Von entscheidender Bedeutung werden
hier die ewigen Verheißungen für das Haus Davids
(2. Sam. 7)2. Trotz der nach dem Tode Salomos ausbrechenden
Krise und anderer Erschütterungen folgen auf dem Thron in
Jerusalem in ununterbrochener Reihe nur Davididen. Selbst
von den Fremdkönigen denkt niemand daran, einen Nicht-
Davididcn zum König zu machen (2. Reg. 23, 34; 24, 17). Die
beim jeweiligen Regierungswechsel — „Der König ist tot! Es
lebe der König!" — erforderliche designatio dei ereignet
sich nicht in freier Initiative eines charismatischen Wortes,
sondern wird nach dem Königsritual3 am Tage der Thronbesteigung
durch den Priester der Hofkirche vollzogen. Fragt
man bei diesem von „der Weise Malkisedeks" mitbestimmten
Königtum nach seiner Legitimation, so müßte über den jeweiligen
Amtsträger hinaus, der sich an einen konkreten Zuspruch
(vgl. Ps. 2. 20. 110; Jes. 9) und an den Gehorsam
gegenüber Gottes Weisung (vgl. Ps. 101) gebunden weiß, auf
die „garantierten Verheißungen au David" (Jes. 55, 3) verwiesen
werden, die, wie das Wort Deuterojesaias zeigt, als
Zeugnis des „ewigen Bundes" nicht einmal in der Fremde und
im Elend dahinfallen!

Wenn wir uns von den zwei differierenden Königs-
anschauungen in Israel und Juda zu Deut. 17, i4ff. wenden, so
wäre das Kölligsgesetz im Deuteronomium auf seine „Ideologie
" hin zu prüfen; daneben ist von grundlegender Bedeutung,
welche Erfahrungen mau in concreto bei der Machtausübung
des Königstums gemacht hatte. Davon soll zunächst gesprochen
werden. Das grundsätzliche „Nein" eines Charisma-
tikers würde darin bestehen, daß er die göttliche Legitimation
bestreitet und in der jeweiligen Königskür einen rein menschlichen
, und das heißt dann zugleich einen widergöttlichen Akt
sieht. So urteilt bekanntlich der im Nordreich wirkende Prophet
Hosea. Unmißverständlich heißt es im Gottesspruch
„Sie haben Könige eingesetzt, doch ohne meinen Willen,
haben sich Fürsten gewählt, doch ohne mein Wissen" (8, 4).
Es verdient Beachtung, daß dieses Verdikt von der Gegenwart
in die Vergangenheit zurückreicht (Jehus Blutschuld: 1, 31.)*,
und daß „König" und „Fürst" (vgl. 8, 10) einfach in Parallele
stehen6. Die Absage an das Königtum, die in Hos. 10, 3 als
Meinung bestimmter Kreise zitiert wird8, zeigt deutlich den
Aspekt eines charismatischen Königstums. Und wenn das vom
Gericht Gottes getroffene Nordreich sich an den gotterwählten
König klammert, so soll es nach der Botschaft Hoseas begreifen
, daß dies nicht eine Gnadenwahl, sondern eine Zorneswahl
Gottes war (13, iof.). In der Linie der Botschaft Hoseas
muß man auch die antikönigliche Tradition in 1. Sam. 8,

') Auf die Etappen, In denen sich die Königsherrschaft Davids bildet,
und seine Oroßreichsbildung braucht hier nicht eingegangen zu werden.

*) Auf 2. Sam. 7 wird in 1. Reg. 1 beaclitllcherweise kein Bezug genommen
.

*) O. v. Rad, Das judäische Königsritual, ThLZ 1947, Sp. 211 ff.
4) Zu Hos. 7, 3—7 vgl. A. Welser, ATD 24, 1949, S. 47ff
) Der Remalja-Sohn z. B. ist ein solcher „Fürst" (s. Sp. 135, Anm. 3).

) A.Alt, a. a. O., S. 79, Anm. 4. *) Vgl. Th. R. Robinson, HAT 14, 1938, S. 39