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Ausgabe:

1951

Spalte:

116-117

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Schröder, Rudolf Alexander

Titel/Untertitel:

Stunden mit dem Wort 1951

Rezensent:

Dehn, Fritz

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Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. z

11G

speares schließt und den Eindruck erweckt, als sei Shakespeare
von Hamlet her zu deuten und als sei „Hamlet" nicht
nur das „Diadem in Shakespeares Krone" (S. 128), sondern
der Schlüssel zum Verständnis des Shakespeareschen Werkes
und sehier Intentionen. „Auch in allen anderen Stücken hat
Shakespeare den göttlichen Weltlauf anvisiert. Hier, in diesem
Spiel ohne Helden, erkor er den Plan selbst zur bewegenden
Mitte" (S.128). Dies müßte durch eine Deutung sämtlicher
anderen Werke Shakespeares nachgewiesen werden. Mir
scheint, daß Hamlet keineswegs typisch für das Gesamtwerk
Shakespeares ist und zwar in der Mitte, aber an einer Wende
seines Schaffens steht.

Kindt stützt sich weithin auf die Hamlet-Deutung des
dialektischen Philosophen Karl Werder: Vorlesungen über
Shakespeares Hamlet, 1875, die dem Vergessen entrissen und
ausgewertet zu haben, ein erhebliches Verdienst bedeutet,
und findet bereits in Goethes „Wilhelm Meister", der im
übrigen gerade das heute noch herrschende, von Kindt mit
Recht bekämpfte Hamletbild entwickelt (Hamlet der melancholische
Grübler, den sein Philosophieren am Handeln, an
der Ausführung der Rache hindert), den entscheidenden Hinweis
: „Der Held hat keinen Plan, aber das Stück ist planvoll."
Bei „Hamlet" komme es auf den Gesamtplan an, auf das
metaphysische Geschehen, dessen Plan auch Hamlet dient,
nicht auf den Charakter Hamlets und die psychologische Erklärung
seines Handelns oder Nichthandelns, bei der sicli fast
alle Deuter aufhalten. In „Hamlet" geschehe eine metaphysische
Aktion; überirdische Kräfte und Strömungen sind
entbunden und beschworen. Hamlets Schwanken und seine
Passivität, durch die er nicht zum Handeln kommt, ist, wie
Kindt ausführt, göttlicher Auftrag; es mußte so sein. Aber
soll das heißen, daß er sein blindes Werkzeug ist, sein „Spieler
", und gar nicht wisse, daß er Werkzeug ist? Kindt sagt
selbst, besser, daß Hamlet Gottes „Soldat" werde, daß er
seinen Auftrag erkenne, nicht nur Rächer, sondern „Detektiv
" Gottes und Seelsorger (an der Mutter) zu sein, daß er
z.B. sofort seinen Degen zurückzieht, als er seinen Oheim, den
Mörder, im Gebet vor sich sieht (II, 3), „denn er muß fürchten,
jetzt den Bösen, weil er doch eben bereitet vor Gott träte,
durch seinen Rachestoß in den — Himmel zu befördern,
während sein Vater, der Gute, weil er unbereitet hinüberging
, keinen Frieden im Jenseits findet" (Kindt, S.45). In
den „Zufällen", die keine Zufälle shid, sondern übersinnliche
Punkte, wird das Schicksal gebildet (Werder, S.228), verwirklicht
die metaphysische Macht ihre Absichten. Werder deutet
dies, am Beispiel des Fehlstoßes Hamlets, scharf (S.237/38):
„Der Fehlstoß Hamlete ist der Treffer; aber, weil die Tat
sein Fehler ist, nicht sein Treffer, sondern der des Geschickes
! Das ist der geheimste Punkt in seiner Führung
durch das Geschick, der ihm selbst verborgenste; das der
Glanzpunkt in der Erfindung Shakespeares und der Wendepunkt
des Stückes. . ." Kindt (S.130) sagt zu diesem Problem
: „Jeder ist bei Shakespeare ganz er selbst, handelt völlig
nach eigenem freien Willen; aber darin zugleich verwirklichen
alle den Willen des „ganz Anderen", das „fremde Werk"
dessen, der das ganze Spiel übersieht und nach seinem
Plane leitet". Daß diese beiden Geschehenskomplexe gleichsam
wie beziehungslos übereinander gelagerte Schichten zu
betrachten seien, das kann nur eine verstiegene Dialektik
behaupten, und Kindt rückt selbst von dieser ab, indem er
die kühne Behauptung aufstellt (S.130): „In souveräner
Majestät bestärkt der Gott Shakespeares (wie der Gott
Luthers) die Handelnden in ihrem Eigenwillen, aber mit
diesem Eigenwillen läßt er sie Dinge tun, die auf das Gegenteil
ihrer Absichten hinauslaufen." Für den ersten Teil des Satzes
ist bei Shakespeare nicht der geringste Anhaltspunkt; solch
ein Gott findet sich bei Kindt und bei Luther, wie ihn Kindt
versteht, beileibe aber nicht bei Shakespeare. Kindt kann bei
dem Problem an sich und im Blick auf Shakespeare auch deshalb
nicht zur Klarheit kommen, weil er mit den Entgegensetzungen
: hie Mensch, hie Gott — hier menschliches Wollen
und Handeln, da metaphysisches Geschehen gleich göttlicher
Lenkung — arbeitet und den Teufel, das Tun widergöttlicher
übersinnlicher Mächte nicht in Betracht zieht1. Dies ist der
eine Punkt, an dem, auch hinsichtlich des „Hamlet", weitergedacht
werden muß; und der andere, wie oben angedeutet:
wie wächst Hamlet bewußt in den ihm gewordenen Auftrag
hinein ? — also doch etwas von Charakterentwicklung und von

Esychologischer Erklärung, die von der metaphysischen Er-
lärung nicht aus-, sondern eingeschlossen wird; denn das
Stück hat doch seinen „Helden", Hamlet; die göttliche
„Omnipotenz", die nach Kindt der alleinige Held des Stückes

') Hier wäre noch von Otto Ludwigs „Shakespeare-Studien" zu lernen.

sein soll, läßt es — bei Shakespeare! — zu, daß ein Mensch
(dramatischer!) Held sei, prägt, formt, leitet und benützt ihn,
auch sein Widergöttliches, zu ihren Zwecken.

Kindt weist darauf hin, daß man in Shakespeares Werk
eine Reihe von Spuren der Gedankenwelt des Erasmus nachgewiesen
hat, z.B. die Anknüpfung an die Narrenphilosophie
des großen Zeitkritikers. Ich schätze diese Zusammenhänge
hoch ein. Kindt jedoch meint: ,,Shakespeare vertieft diese
Anregung, vertieft sie im Geiste Wittenbergs; denn seine
Narren sind mehr als bloße Figuren zur „Laus Stultitiae",
mehr als Verkörperungen menschlicher Torheiten: Larven in
dem schrecklichen Schauspiel der Prädestination, das Gott zu
seiner eigenen Ehre aufführt und in dem alle Teilnehmer schon
von Anbeginn für ihre „Rolle" gezeichnet sind" (S. i36f).
Wollte man dies als „wittenbergisch" ansehen (unter Bezugnahme
auf Luthers „Deservo arbitrio"), dann ist Shakespeares
Hamlet kein „wittenbergisch Stück", was Kindt nachzuweisen
sucht, denn diese schauerliche Auffassung findet sich
bei Shakespeare nicht. Aber ein christlicher Bereich ist in
„Hamlet" keineswegs gegeben, und die übersinnlichen Mächte
und Zusammenhänge, die in Hamlet und in dem späteren
Werk Shakespeares beschworen werden, haben mit dem Gott
des christlichen Glaubens wenig Ähnlichkeit, nicht einmal mit
dem des Alten Testaments, und eine „Vorwegnähme des
Jüngsten Tages" ist Shakespeares Werk bestimmt nicht, eher
der „tragische Kosmos" ohne Christus. Aber als religiös und
metaphysisch ausgerichteter Dichter steht Shakespeare vor
allem in seiner zweiten Periode gegen die Renaissance, und sein
Dichten ist in vielem geradezu als eine SelbstbefreiuiiK aus
ihr zu verstellen; darin geben wir Kindt recht und schliaßen
mit seinem gewaltigen Satz, den wir uns allerdings nicht ganz
wörtlich zu eigen machen können (wie aus unseren vorstehenden
Ausführungen hervorgeht): „Sie (die Renaissance) zu
entlarven, sie moralisch zu vernichten, führte Shakespeare
gegen den verführerischen Glanz der Sichtbarkeit die Wirklichkeit
der unsichtbaren Welt nis Treffen, gegen die falsche
Sicherheit die Ängste des Gewissens, gegen die Klugheit der
Weltkinder die Torheit des Narren Gottes, gegen die höfische
Maskerade das Grauen des Todes, gegen das rationale Planen
der Menschen die irrationale Gnadenwahl des Himmels, gegen
den Frevel das ewige Gericht, gegen die Verlogenheit die Wahrheit
, gegen den Schein das Sein" (S. i33f.)-

Halle (S.) Wilhelm Knevels

Schröder, Rudolf Alexander: Stunden mit dem Wort. Hamburg: Wittig
1948. 123 S. 8°. Kart. DM2.40.

In dem schönen einleitenden Vortrag über „Dichter und
Kirche" spricht Schröder, an Gedanken Hamanns aus der
„Aesthetica in nuce" anknüpfend, von der einstigen, jetzt
zwar nicht völlig, aber doch zum guten Teil verlorenen
„Reichsunmittelbarkeit" von Dichtung und Kirche, wie sie
sich einmal in dem alten Begriff des Dichters als des vates,
des Künders des weissagenden Wortes, des Wahrwortes abzeichne
, dann aber auch in dem durchaus dichterischen Charakter
des Stiles der Offenbarung Alten und Neuen Testaments
bezeugt werde. Dabei wird dem Dichter nicht die gleiche
Verheißung wie der Kirche zugestanden. Der Dichtung „sind
keine Gnadenmittel zum Leben gegeben. Ihre Reichsunmittelbarkeit
ist gewissermaßen eine gleichnishafte, wie die Gott-
bildlichkeit des Menschen ein Gleichnis ist, freilich ein ehrendes
, freilich ein verpflichtendes".

Ergreift nun der Dichter zu Fragen der Schriftdeutung
das Wort, so tut er es nicht als der Mann der Wissenschaft,
er konkurriert nicht mit dem Theologen. Aber wie der Steinmetz
dem Architekten mit seiner besonderen Erfahrung zur
Hand gehen kann, vermag der Dichter, aus seiner besonderen
Erfahrung heraus, etwas beizusteuern zu einer Ganzheit und
Einheit von Erleuchtung und Unterweisung (welches Ganze
uns allein auf dem schmalen Wege zwischen der Skylla des
Illuminatcntums und der Charybdis des Dogmatismus halten
kann). Der Dichter hat aber als sein eigentümliches Erbe ein
Wissen um das prophetische Wort; er weiß „um den besonderen
Stand des Schriftwortes", weiß, „daß Gott es gefallen
habe, uns dies Wort nicht als ein Wort wissenschaftlicher
Lehre, sondern als prophetisches Wort zu schenken, und
zwar, wie Luthers Übersetzung des Petrusbriefes mit Recht
sagt, als dn festes prophetisches Wort" (S. 27). Demnach
muß es dem Dichter, der seinen Beitrag zu den Fragen der
Kirche leisten will, schlechthin um Wahrheit gehen, nicht nur
um Schmuck, um buntes Gewand. „In den Tagen des Gerichts
ist kein Raum für den Zeitverderb unverbindlicher Gc-
fühlswallungen" (S. 18). Vielleicht lassen sich zu diesem hier
nur kurz referierten Gedanken R. A. Schröders verschiedene
kritische Fragen stellen, die um die spezifische Differenz