Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1951

Spalte:

109-111

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Süss, Théobald

Titel/Untertitel:

Jésus-Christ 1951

Rezensent:

Joest, Wilfried

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

109

Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 2

HO

Lvangelium, die Art, wie Luther und die neuere Luther-
torschung zwischen dem Christen als homo vetus und somit
dem „Gesetz" Untertan und denselben Christen als homo
novus und somit vom „Gesetz" freigemacht scheidet, bejaht,
oder ob man diese ganze Auffassung als den ganz großen Irrtum
Luthers ablehnt. Eiert meint (S.393), daß ein Nein zu
dieser Lehre und ein Ja zur Lehre vom tertius usus legis bedeuten
müsse, daß man es versucht die Divergenz im göttlichen
Urteil, daß nämlich der Christ sowohl ein Verurteilter
§j* ein Begnadigter ist, einzuebnen. Das trifft aber nicht zu.
Wer den Gegner so beurteilt, hat ihn nicht verstanden, vor
^hein nicht, wie er über Sünde und Erkenntnis der Sünde im
«Area auf das Herrenwort in Joh. 16, 9 denkt.
AM Eigenartigerweise redet nun aber Eiert doch trotz seiner
Ablehnung des tertius usus legis an mehreren Stellen von „Er-
«euerungsiinperativen", die aber in die Kategorie der „Gnaden
»operative" gehören, und deshalb grundsätzlich verschieden
M? Vom Gesetz. Denn Gesetze seien immer Zwangsordnung,
fahrend diese Imperative Gnade seien und den neuen Meuchen
nicht vergewaltigen. Mit Kant als Gewährsmann wird
^•361) festgestellt, daß Liebe zu den Menschen nicht geboten
werden kann. S. Kierkegaard ist bekanntlich anderer Meinung.
fu«d soweit ich sehe, geht das Neue Testament mit ihm. Man
ragt sich aber doch, was nun eigentlich der sachliche Unter-
cuied zwischen den Elertschen Erneuerungsimperativen und

111 tertius usus legis seiner Gegner ist.
£ ,. £>fe Gegner Elerts reden aber tatsächlich an ihm vorbei,
üs sie nicht beachten, daß das Wort „Gesetz" in seinen
ren einen ganz bestimmten Klang hat, einen Klang, den er
fttVrl Vou I,aulus gelernt zu haben. „Lex Semper accusat",
uirt er aber und abermals an. Und doch ist der Streit wahr-
uaitig kein bloßer Wortstreit. Schließlich hängt Elerts rein-
cnes Trennen zwischen den beiden Herrschaftsbereichen
set . zw^8cnen dem Reich Christi und dem Reich des Ge-
^zes, mit seiner Gottesauffassung zusammen. Mit dürren
ch° 1 lcug,let er (S.260L), daß das Wesen Gottes, in wel-
ttKSP der Sohn dem Vater gleich ist, sich in seinem gebietenden
ist t ' a'so m semer Legislatur ausspricht. Wenn das aber so
Ex" *ann doch der Christ nicht umhin in seiner faktischen
xisteuz, sofern er diese überhaupt durchschauen kann, zwei
Hern?1 üit'nen zu müssen, dem Herrn des Gesetzes und dem
(c"rrn des kommenden Aions. Kann doch auch Eiert z.B.
de«'32' tlavou reden, was „das Ethos unter dem Gesetz" von
m au einem Ehebruch unschuldigen Teil fordert, und was
wirY 1 cllt gemäß der christlichen Agape tun kann. Zwar
ber • 1 hauPtet (z-B. S.382), daß die beiden Herrschaftsist
7° Gottes illre innere Einheit in Gott selber haben. Uns
doc'l r° Tatsaclle aber meistens verborgen. Trotzdem laufen
ChrTai • Allsfullr'"igen Elerts darauf hinaus, daß der einzelne
I utl j ^e88en Leben die beiden Reiche kollidieren, mit
zu 1 mnerc Einheit seines Verhaltens im Liebesmotiv
es ihU ".''at. ..Finden kann er sie darin allerdings nur, wenn
q ' 11 g0»ngt die gesetzlich vorgeschriebene Liebe in der jedes
lasse, ?l)rel'gcn(len christlichen Bruderliebe untergehen zu
Pf.,, , s bedeutet täglichen Kampf des neuen Menschen

v m" alten adaln" (s-539)-
Bru , ,.'s (la>nit aber Ernst gemacht wird, falls die christliche

müßt j ' das besetz Christi, den Sieg gewinnen muß,
Ethil 1 " wohl dcn 8.anzen ersten Teil der Elertschen
zweit t Etnos unter dem Gesetz, allen Ernstes in dem
Scj ' y'11 1 eü, dem Ethos unter der Gnade, untergehen, ver-
diesei v' 1)ann- aber aucl1 erst dann, bekennt man sich zu
und « . amI)f des neuen Menschen gegen den alten Adam,

sonnt zu dem alleinigen Herrn der Kirche und der Welt.
An vi T te Wort so11 Uocl1 ei« Wort der Dankbarkeit sein.
Un , ^''e" Einzelfragcn lernt der Leser Wertvolles vom Verf.
hitlu " 1 " ist es wertvoll, nun diese Ethik von konfessionell-

erischer Auffassung aus geschrieben zugänglich zu haben.

Qentoftc/Dänemark N. H. S6e

iiüU.Th4übald: Jfcsus-Christ le Maltre de notre IM. Paris-Straßburg:
frs 4'°nsLutll6riennes; Libr. Oberlino. J. 40 S. 8°= Etudes Lutheriennes 1.

Nature et Gräce. Ebda 1949. 40 S. 8°= Etudes Lutheriennes 6.

6 Heft° 11)eiUcn k'einen Schriften sind erschienen als 1. und
den a, •• Schriftenreihe „Etudes Lutheriennes", die unter
ea AI •S'.)1ZU" der Soci(5t<5 Evangelique Lutherienne de mis.?ion
Vom- a«~l, Ct en Lorraine herausgegeben wird und sich laut
Stiiiin,. 1 frsten Hefte* zum Ziel setzt, in Frankreich die
eine A f 1 '"therischen Kirche erneut hörbar zu machen —
des fr' •■' •'' clit> anKesichts der gegenwärtigen Zersplitterung
besonn OS,lschen Luthertums in getrennte Kirchenverbände
"■Obdera dringlich erscheint.

Das erste Heft gibt unter dem Titel „Jesus-Christ le Maitre de notre foi"
eine kurze Christologie, die inhaltlich den Aussagen des zweiten Artikels entlang
geht und in Sprache und Oedankenführung darauf eingestellt ist, zum
Laien zu sprechen. Ein starkes Gewicht fällt auf die Abgrenzung gegen die
liberale Jesusauffassung, die in einer wohl etwas gewagten Konstruktion ihrer
Tendenz nach dem alten Doketismus gleichgestellt wird. Das Kreuz wird als
das eigentliche Werk Jesu herausgestellt im Einklang mit den neueren exegetischen
Erkenntnissen über den kerygmatischen Skopus der Evangelien, allerdings
mit unbefangener Wertung der Leidensweissagungen und anderer Worte
über das stellvertretende Leiden als historisch sicherer Jesusworte. Gegenüber
einem Karfreitagschristentum, das im Grunde ein Ausweichen vor der „übernatürlichen
" Seite der Heilstatsachen ist und bei der moralischen Betrachtung
des unschuldig sterbenden Menschen stehen bleiben will, wird der Zusammenhang
von Kreuz und Auferstehung hervorgehoben, ohne den das Kreuz seinen
realen Hcilssinn verliert. Ein starker Ton fällt dann auf den vollen, wenngleich
verhüllten Anbruch des eschatologischen Heiles mit Ostern — Himmelfahrt —
Pfingsten: die Auffahrt bedeutet nicht Minderung, sondern gerade Ent-
schränkung der Gegenwart Christi, der Geist und das Wort sind nicht Christi
vorläufige Platzhalter, sondern Er selbst in voller Nähe und Wirklichkeit. Hier
treten spezifisch lutherische christologische Anliegen besonders deutlich hervor
in ausdrücklicher Polemik gegen die reformierte Lehre — einer allerdings sehr
summarischen und einseitigen Polemik. Darf man gewisse Tendenzen der reformierten
Abendmahlslehre wirklich verallgemeinern zu einem Satze wie diesem:
„La theologie reformee souligne donc le caraetcre negatif du Saint-Esprit et
de la vie chretienne; pour eile, le Saint-Esprit est seulement le Saint-Esprit,
et le Christ lui-mime est absent, cache dans le clel" ? (S. 26). Es ließen sich
aus Calvin, jedenfalls was die hier gekennzeichnete negative Tendenz betrifft,
unschwer Gegeninstanzen anführen. Den Beschluß bildet eine Auseinandersetzung
mit dem modernen Naturbegriff über den „übernatürlichen und
wunderhaften Charakter des Lebens und der Person des Herrn" (33ff.). Zu
den zehn Thesen über Wunder und moderne Naturerkenntnis, die hier aufgestellt
werden, ließen sich manche Bedenken äußern, die den Rahmen einer
kurzen Besprechung überschreiten würden. Ist es wirklich an dem, „daß unser
Glaube Rechenschaft geben muß über die Möglichkeit der Existenz des Übernatürlichen
im Rahmen der natürlichen Welt"? (34). Dies ist die Problemstellung
, die S. mit seinen zehn Sätzen lösen möchte. Aber ist nicht gerade das
Lösen-wollen dieses Problcmes, das Suchen gleichsam eines gemeinsamen
Rahmens für natürliches Geschehen und Wunder, in Wahrheit die Auflösung
des Wunders — und auch die Aufhebung des Glaubens? Wie überhaupt das
Streben nach einer naiv Iiistoristischen Vergewisserung, das hie und da in dieser
Abhandlung sich andeutet, mir eine ihrer Schwächen zu sein scheint.

Das zweite hier zur Besprechung stehende Heft desselben Verf.s, „Nature
et Gräce", greift stärker in aktuelle theologische Probleme ein. Es handelt
sich um eine Sammlung von vier Aufsätzen, die sich, teilweise in polemischer
Auseinandersetzung mit K- Barth, um die Frage des Verhältnisses der Offenbarung
zu den Phänomenen natürlicher Religiosität bewegen. Wir gehen hier
nur auf den letzten Aufsatz ein, der die eigentlich theologische Entfaltung der
Gedanken des Verf.s zu diesem Thema enthält. Ausgangspunkt ist die Frage
nach dem inneren Zusammenhang von Offenbarung und natürlichem religiösem
Erlebnis. Der mit scharfer Ablehnung aller natürlichen Gotteserkenntnis verbundene
Christozentrismus der gegenwärtigen Theologie ist nach S. in der Gefahr
, zu abstrakten Generalisierungen zu führen und den Zusammenhang mit
der Wirklichkeit zu verlieren (22). Auf der andern Seite arbeitet eine Orthodoxie
älteren Stils mit einer natürlichen Theologie in der apologetischen Absicht
, durch den Nachweis gewisser, jedermann zugänglicher religiöser Erkenntnisse
und Erfahrungen ein erstes Fundament für die Gottesgewißheit zu
gewinnen. Auch dies sei abzulehnen, da so die Gewißheit des Glaubens von
rationalen Erwägungen abhängig gemacht und den Schwankungen der Erfahrung
und ihren verschiedenen Deutungsmöglichkeiten ausgeliefert werde
(22—24). S. sucht auf dem Wege einer Exegese von Rom. 1, 18ff. eine Lösung
zu erreichen (28ff.). Paulus stelle hier zwei entgegengesetzte Thesen auf:
1. Oott offenbart sich dem Menschen und der Mensch nimmt diese Offenbarung
auch wahr (die Erklärung, es sei nur von einem objektiven Offenbarsein Oottes
die Rede, dem beim Menschen keinerlei Wirkung entspreche, scheitert an
v. 21). 2. Der Mensch verweigert dieser Offenbarung Gottes die Anerkennung
und erkennt Gott nun in der Tat nicht. Es ist ein Nichterkennen-können,
aber ein solches, in das der Mensch sich jederzeit durch eine aktive Abwendung
von Oott hineinstürzt — aus dem er sich aber auch nicht etwa durch eine
bessere Erkenntnisbemühung befreien könnte, sondern er kann nicht anders
als von der rechten Erkenntnis sich abwendend in die Verfinsterung stürzen.
Er erkennt also, und er erkennt doch nicht, weil er nicht anerkennen will. Es
Ist in ihm ein Beieinander von heimlichem Wissen und totaler Verblendung.
Seine Gottesblindheit ist nicht tabula rasa, sondern verfälschte Erkenntnis, die
gerade darin ihr eigentliches negativum hat, daß sie in einer wirklichen Berührung
sich abwendet, daß sie Verkehrung ist. Eine entsprechende Polarität
in der Frage der Gotteserkenntnis wird bei Luther nachgewiesen und im selben
Sinn interpretiert wie der paulinische Text (33ff.). — Bis dahin möchte Ich S.
im wesentlichen zustimmen. Die Ablehnung der natürlichen Gotteserkenntnis
ist In der Tat in der Gefahr, auf eine theologische Interpretation der natürlichen
religiösen Phänomene überhaupt zu verzichten. S. gewinnt mit seiner
an dem Paulustext erarbeiteten Sicht einer Gotteserkenntnis, die durch die
Sünde ständig in ihrer Wurzel verkehrt wird und doch gerade in dieser Verkehrung
heimlich präsent bleibt, die Möglichkeit einer Interpretation natürlicher
Religion, die nicht zum positiven Unterbau der Offenbarung wird und