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Ausgabe:

1951 Nr. 12

Spalte:

744-747

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Martin, Alfred$cvon

Titel/Untertitel:

Die Religion Jacob Burckhardts 1951

Rezensent:

Schuster, Hermann

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Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 12

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ihren Leistungen eine Auffassung haben, die vielleicht nicht
der allgemeinen Schätzung derselben entspricht.

Zu den von mir in meiner früheren Besprechung anerkannten
Vorzügen des Lexikons gehört nun, wie ich in Ergänzung
sagen möchte, auch noch das, daß die Herausgeber
in ihrer Auswahl sich nicht auf die eigentlichen Fachphilosophen
beschränkt haben. Gewürdigt sind auch Vertreter der
Einzel Wissenschaften, deren Bedeutung über diese hinausragt
und Beachtung seitens der Philosophie verdient. So smd die
hervorragenden Naturwissenschaftler, Theologen, Juristen,
Nationalökonomen, Sprachforscher und Historiker (hier vermisse
ich Fr. Meinecke) gewürdigt worden. Da die Philosophie
, besonders seit dem 19. Jahrhundert, in lebendige
Wechselwirkung mit den Fachwissenschaften gekommen ist,
so erhält der, der diesen Zusammenhängen nachgehen will,
durch das Lexikon ein lebendiges Bild der Entwicklung in
jener Epoche.

Halle/Saale p. Menzer

Martin, Alfred von: Die Religion Jacob Burckhardts. Eine Studie zum

Thema Humanismus und Christentum. 2., vermehrte Aufl. München: Eras-
mus-Vlg. 1947. 352 S. gr. 8° = Ernst Reinhardt Bücherreihe. DM11.— ;
geb. DM 12.—.

lisch - theologischen Fakultät der Universität Bonn vorgelegten
Dissertation, die nur maschinenschriftlich hergestellt
ist. Die Tatsache, daß es sich bei der gedruckten Schrift nur
um eine Art Auszug aus dem größeren Buch handelt, erschwert
natürlich die Beurteilung etwas.

Es gelingt dem Verf. auch in der Zusammenfassung, ein
eindrucksvolles Bild von Ulenberg zu geben. Verf. macht nicht
mehr aus U., als was er war. Originaler Denker war er keinesfalls
. Aber ein Seelsorger war er von großem Ernst und Eifer
und von starker Wirksamkeit, ein geistlicher Mittelpunkt eines
sich erneuernden Katholizismus. Genau wie Ulenberg mit einer
für seine Zeit ungewöhnlichen Sachlichkeit mit seinen Gegnern
umgeht (auch mit Luther — trotz aller Schärfe, mit der er
urteilt — in seiner Sammlung von Biographien der Reformatoren
), bemüht sich sein jetziger Biograph um gerechte Beurteilung
etwa des kalvinistischen Prädikanten Badius, mit
dem U. in direkter und literarischer Kontroverse gestanden
hat. Freilich: Mit voller Befriedigung legt man als evangelischer
Leser das Solzbachersche Büchlein nicht aus der Hand.
Eine ganze Menge Stellen drängen einem geradezu die Frage
auf, ob und in welchem Ausmaß U. noch von seinem ehemaligen
Luthertum beeinflußt ist. Im alleinigen Vertrauen auf
die unendliche Gnade Gottes ist U. konvertiert (n). Von
Melissus und Lobwasser hat U. bei seiner Psalterverdeutschung
gelernt (16). U.s Katechismus wird regelrecht als Rechtfertigungskatechismus
bezeichnet (21). Das Gebet aus der
„Einfältigen Erklärung der 7 Bußpsalmen", das auf S. 28
wiedergegeben ist, verrät offensichtlich etwas davon, daß sein
Verf. einst Lutheraner war. In dem Zorn über die Berufung
des Kalvinisten Badius auf die Augsburger Konfession ist noch
etwas von dem alten Flacianer spürbar (39). Bei seiner Bibelübersetzung
hat U. von Luthers Arbeitsmethoden gelernt (64).
Unter den Quellen von U.s Schriften nimmt die Heilige Schrift
einen breiten Raum ein; dann erst kommen die Kirchenväter
(75). Die von dem Kölner Geistlichen Cornelius Ingenhoven
vorgeschlagene Behandlung des Herzogs Johann Wilhelm von
Jülich mit dem Exorzismus lehnte U. als abergläubisch ab (77).
Als es einmal schon zu Ende zu gehen schien mit U., suchte
er in schlafloser Nacht Trost in der Heiligen Schrift (80). Uber
spezifisch katholische Züge in U.s Frömmigkeit ist kaum etwas
zu lesen. Hingegen ist oft ausgesprochen, daß U. angewidert
war von der wüsten Schimpfpolemik vieler Lutheraner (z. B.
Georg Nigrinus, f als Sup. in Alsfeld), ferner, daß er entdeckte
, daß die alte Kirche ihm gegenüber in seiner Jugend
zu Unrecht diffamiert worden war, weiter, daß Luther dem
deutschen Volke Leichtfertigkeit und Gelegenheit zur Sünde
verschafft habe usw. Was man sucht in dem Buche Solzbachers
, nämlich eine positive Beschreibung der katholischen
Theologie und Frömmigkeit U.s unter der Fragestellung des
Einflusses der lutherischen Vergangenheit U.s auf den Katholiken
U., findet man nicht. Zu letzterer Fragestellung mag
sich der Katholik wenig berufen fühlen. Die einfache Beschreibung
des Katholizismus von U. dürfte man jedoch erwarten.
Es bewendet tatsächlich bei dein einen Satz: „Seine Frömmigkeit
und sein theologisches Denken hat zum Mittelpunkt
Christus, den einen und unteilbaren, mit der einen und unteilbaren
Wahrheit in der einen und unteilbaren Kirche" (76).
Man ahnt eben nur, daß recht Interessantes noch an den Tag
kommen könnte. — Wichtig ist, daß U.s Bibelübersetzung
nicht, wie es durch Nachschlagewerke und Handbücher hindurchgeht
, eine Überarbeitung von Dietenberger ist (vgl. 63
und 66). 2RGG, LThK usw. sind entsprechend zu berichtigen.

Leipzig Franz Lau

PHILOSOPHIE und RELIGIONSPHILOSOPHIE

Philosophen-Lexikon. Handwörterbuch der Philosophie nach Personen.
Verfaßt u. hrsg. von Werner Ziegenfuß und Gertrud Jung. 2. Bd.'L-Z.
Berlin: de Oruyter 1950. II, 958 S. gr. 8°. Lw. DM 45.—.

In erfreulich kurzer Zeit ist der 2. Band des Philosophen-
Lexikons dem ersten gefolgt. Es ist damit ein Werk abgeschlossen
, das nicht nur für die Lebenden von größtem Wert
ist, sondern auch für spätere Geschlechter ein inhaltsreiches
Quellenwerk für philosophie-geschichtliche Forschungen sein
wird.

Zahlreiche Stichproben haben mein Urteil bestätigt, daß
die einzelnen Artikel „von einem den wissenschaftlichen Forderungen
gerecht werdenden Standpunkt geschrieben sind".
Besonderes Interesse erwecken wieder manche Selbstdar-
stellungeu und nur selten kommen Autoren zu Wort, die von

Es ist ein kluges Buch eüies gelehrten Mannes, und doch
hat mir das Lesen wenig Freude gemacht. Das ist auch der
Grund, weshalb diese Anzeige so sehr verspätet kommt. Ich
habe vor Jahren die Lektüre abgebrochen und erst nach langer
Pause mich aufgerafft, sie zu beendigen. Das hat einen äußeren
und einen inneren Grund. Es ist mühsam, ein Buch zu lesen,
wenn zu 255 Seiten großgedruckteu Textes 90 Seiten kiemgedruckter
Anmerkungen gehören mit Tausenden von Nummern
, die man immer nachschlagen muß, weil in den Anmerkungen
nicht nur die Belegstellen angegeben sind, sondern
auch manche Ergänzungen und Erweiterungen, die häufig
besser in den Text gehört hätten. Noch peinvollei war mir der
innere Grund. Der Verf. ist, wie er selbst gelegentlich angibt,
Konvertit, von der evangelischen zur römisch-katholischen
Kirche, und deshalb wohl kaum imstande, die Konfession, die
er verlassen hat, gerecht zu beurteilen. Das ist eine unvermeidliche
Zwangsläufigkeit. Wer eine Konfession verlassen hat,
fühlt sich unbewußt in der Zwangslage, diesen Schritt vor den
Menschen und vor sich selbst zu rechtfertigen. Daher die
immer wieder durchbrechenden bitterbösen, verständnislosen
Urteile über den Protestantismus, vor allem über Luther
selber. Man wird dem Verf. kaum darüber Vorwürfe machen
dürfen; mau wird nur fragen dürfen, ob er ein solches Buch
schreiben und herausgeben mußte, das ihn immer wieder in
die Versuchung führte zu solchen Urteilen, die, gelinde gesagt,
den Leser befremden.

Das Thema verführte in der Tat zu solchen Urteilen. Mir
ist durch das Buch Alfred v. Martins erst recht klar geworden,
daß Jacob Burckhardt, dessen „Religion" hier beschrieben
wird, selber in seinem Urteil über Luther und den Protestantismus
einseitig, oft ungerecht und verständnislos ist. Als ich
vor etwa zehn Jahren mich monatelang in Burckhardt vertiefte
, üi sehie Werke und Briefe, ist mir das wohl aufgefallen,
aber nicht klar bewußt geworden. Ich war damals so ergriffen,
beinah bezaubert, von dem schwermütigen Pessimismus
Burckhardts, insbesondere von seiner düsteren Losung: „Die
Macht ist böse", daß ich die Mängel seiner Betrachtung nur
wenig fühlte. Wir erlebten ja damals einen grauenhaften Anschauungsunterricht
für diesen Pessimismus und für das Böse
der Macht. Es ist mir nachträglich psychologisch lehrreich, an
diesem Beispiel deutlich erfahren zu haben, wie verhängnisvoll
ein# bestimmter Blickpunkt sein kann: man übersieht
dann vieles, was außerhalb dieses Kreises liegt. Das Buch
v. Martins hat mich veranlaßt, noch einmal in Jacob Burckhardt
Partien nachzulesen, auf die der Verf. sich besonders
beruft, nämlich die historischen Fragmente aus dem Nachlaß
(Band 7 der Gesamtausgabe). Darin fand ich dann solche
Stellen, die mit ihrem hellsichtigen Pessimismus mich heute
wie damals stark beeindrucken, z. B. S. 351: „Zur Macht der
Jesuiten: Es ist nicht so schwer für festverbundene, gescheite
und mutige Männer, in der Welt große Dinge zu verrichten.
Ihrer Zehn wirken auf 100000, da die große Masse nur Erwerb
, Vergnügen, Eitelkeit und ähnliches im Kopf hat, während
jene Zehn immer zusammenwirken." Ich fand aber auch
die vielen bitteren, verständnislosen Äußerungen über Luther
und den Protestantismus, die ich damals nur mit halbem Auge
gesehen hatte, und mußte mich jetzt fragen: Wie erklärt es
sich, daß dieser so kenntnisreiche, im Grunde gütige und beinah
prophetisch hellsichtige Mann über das Problem der beiden