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Ausgabe:

1951 Nr. 12

Spalte:

742-743

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Solzbacher, Joseph

Titel/Untertitel:

Kaspar Ulenberg 1951

Rezensent:

Lau, Franz

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Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 12

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göttlichen Geduld und drückt damit Recht und Grenze zugleich
aus. Die Einigkeit der Christen fordert zugleich ihre
Treue gegen ihre Konfession. In diesem Zusammenhang bildet
Z. den Diasporagedanken aus, der auf der Tatsache ruht, daß
Kinder Gottes in der Welt bereits vorhanden sind. Dies begründet
nicht nur einen technischen, sondern einen sachlichen
Unterschied zur Mission.

Die praktische Anwendung dieser Grundsätze zeigt Motel
einerseits in Zinzendorfs Bemühungen um kirchliche Ordnungen
, wobei er die Unabgeschlossenheit besonders betont.
Leitend ist der Wille zum Luthertum als der „ökumenischsten"
Konfession, der sich gegen die Selbständigkeitsbestrebungen
der mährischen Brüder richtet. Die Einführung des Bischofsamtes
hat einerseits ökumenische, andererseits praktische
Gründe, die aus der Situation auf dem Missionsfelde stammen.
Ebenso interpretiert Motel in diesem Zusammenhange die
Tropenidee als eine vorwiegend praktische Maßnahme. Sie
konnte darum auch nach 1789 (der Ernennung der letzten
Tropenbischöfe) fallen gelassen werden, als sie sich als undurchführbar
erwies. Die Stellung des Grafen selbst in der
Brüdergemeinde sucht Motel mit dem landesherrlichen Kirchenregiment
zu begründen und damit dem lutherischen Bewußtsein
Z.s zuzuschreiben. Dagegen lassen sich die beiden
Fragen erheben, ob das landesherrliche Kirchenregiment wirklich
lutherisch ist (vgl. Drews und Holl gegen Rieker, außerdem
die vielfachen Nachweise der mittelalterlichen Vorstufen)
und ob Z.s Vereinigung von theologischer und kirchenrechtlicher
Leitung seiner Stiftung sich in dem durch die reformatorischen
Kirchenordnungen gezogenen Rahmen hält oder ob
sie nicht von Anfang an und bewußt darüber hinausging. Das
zweite praktische Beispiel bietet das umstrittene Auftreten
und die versuchte, durch Mühlenberg zu Fall gebrachte
Kirchengestaltung Z.s in Pennsylvanien. Hier findet Motel die
gleiche „Dialektik" von ökumenischer Absicht, die jeder Konfession
in ihrer Eigenart gerecht zu werden trachtet, und von
sachlich begründeter Vorliebe für das Luthertum. Ein abschließendes
Urteil über diese Frage ist jedoch nicht möglich,
ohne auf die handschriftlich vorliegenden Berichte Mühlenbergs
Rücksicht zu nehmen, was ich in anderem Zusammenhange
zu tun hoffe.

Im ganzen ist diese Basler Dissertation eine wertvolle Bereicherung
der Zinzendorf gewidmeten Literatur, die sich
durch tiefdringenden Blick, klares Urteil und erfreulich knappe
Sprache auszeichnet. Sie ordnet sich ganz der herrschenden
Richtung der herrnhutischen Zinzendorfforschung ein, indem
sie nur die Verbindung zu Luther ernsthaft beachtet. Zweifellos
dominiert diese, Z. ist von der Sache her Luthers Schüler
und Erneuerer. Jedoch scheint mir das Verhältnis zum Pietismus
viel zu verwickelt zu liegen, als daß es mit einem bloßen
Nein oder einer bloßen formalen Berührung entschieden werden
könnte. Von Z.s eigenen Urteilen sei nur auf IJegi 'Eavrov
Naturelle Reflexionen o. J. (1746), 49 A. 1, 267, besonders aber
ebd. Reale Beylagen 33, außerdem auf seinen in Herrnhuter
Handschriften liegenden Versuch hingewiesen, die Geschichte
des Pietismus durch Sammlung persönlicher Erinnerungen aus
den Kreisen Speners und Franckes vorzubereiten.

Blankes gehaltvolle Studie behandelt ihr Thema durch
sorgfältige Kennzeichnung der drei Versuche Z.s, mit anderen
Kirchen ein Gespräch anzuknüpfen. Es ist zunächst der Briefwechsel
, den er mit dem jansenistenfreundlichen Kardinal
de Noailles in Paris 1719—1738 führte (S. 5—27), dann das
pennsylvanische Unternehmen von 1742 (S.28—53), schließlich
das Londoner Brüdergesangbuch von 1753, das Hymnen
aus den beiden klassischen Liturgien der orthodox-anatoli-
schen Kirche, der des Chrysostomus und der des Basilius, aufnahm
und im Liturgiebüchlein von 1755 und dem Litaneienbüchlein
von 1757 seine Fortsetzung fand. Gegenüber dem
primär systematisch interessierten Motel geht Blanke mit
strengerer historischer Methode vor. Er zeichnet bewegter das
Auf und Ab in den Bemühungen des Grafen, die Hoffnungen
und die Enttäuschungen, die Früchte und die Mißerfolge, die
Gegensätze zu seinen Gesprächspartnern und Ratgebern, und
gewinnt auch Nebenzügen Bedeutung ab. Im ersten Abschnitt
tritt dadurch Z.s nüchterne Beurteilung der römisch-katholischen
Kirche scharf heraus (18ff.). In der pennsylvanischen
Unternehmung macht Blanke deutlicher als Motel, wieweit
sich der Graf an die örtlichen Gegebenheiten anschloß (bes.
42). vor allem aber, wie stark er den Gegensatz zwischen dem
kolonialen Amerika und dem kulturgesättigten Europa empfand
(S. 4off., 51 f.). Aus dieser Erkenntnis war er den Konfessionen
gegenüber konservativer als in der Heimat. Als
Hauptanliegen des fast völlig unbeachteten Londoner Gesangbuchs
macht Blanke das kirchengeschichtliche verständlich
. Zinzendorf wollte die „heilige Harmonie aller Zeiten und

Zonen" (S. 61) in ihren Liedern zeigen. Erst in zweiter Linie
dachte er daran, eine Brücke zur Ostkirche zu schlagen und
gab dabei der äthiopischen Kirche um ihres altkirchlichen
Charakters willen den Vorzug vor der byzantinischen Reichskirche
.

Die inhaltlichen Grundsätze sind die gleichen, die schon
Motel aufgewiesen hat: das Kreuz Jesu Christi als Urdatum,
die Anerkenntnis der historisch entstandenen Sonderkirchen,
das Wissen um die communio sanetorum als vorgegebene Tatsache
. Sie werden aber um den gewichtigen Hinweis auf die
Inkaruationslehre als inneres Verbindungsglied zwischen Z.
und der orthodox-anatolischen Kirche (S. 64) vermehrt.

Gerhard Meyer gibt mit der in der brüdergeschichtlichen
Forschung eingebürgerten Sorgfalt eine aktenmäßige Darstellung
von der Gründung der Herrnhuter Siedlung Gnadenfrei
. Sie beruht auf einer vollständigen Auswertung der gedruckten
Quellen und der in den einschlägigen Archiven liegenden
handschriftlichen Urkunden sowie der hauptsächlich territorialgeschichtlichen
Literatur. Meyer zeichnet ein lebensvolles
Bild des Pietismus in den einzelnen schlesischen Herrschaften
auf dem Hintergrunde der militanten Gegenreformation.
Unter den Adligen, die ihn fördern, heben sich die Grafen
Henckel und Promnitz heraus, vor allem aber die Hauptgestalt
des Buches, Ernst Julius v. Seidlitz in Ober-Peilau
(1695—1766), der eigentliche Begründer von Gnadenfrei.
Unter den Theologen ragen hervor Johann Adam Steinmetz
in Tepliwoda und Tcschen, Daniel Schneider in Goldberg,
Benjamin Lindner in Schönbrunn und Johann Christoph
Schwedler in Niederwiesa. In aller Schlichtheit und Anspruchslosigkeit
hat Meyer eine äußere Geschichte des Pietismus in
Schlesien geliefert und die wertvolle letzte Studie in dieser
Richtung von Elisabeth Zimmermann, Pietisten und Schwenck-
felder in Greiffenberg 1939* ergänzt. Für die innere Durchdringung
fehlt einerseits die — z. B. aus hallischen Handschriften
klar ersichtliche (vgl. meinen Aufsatz ThZ (Basel)
1951, S. 47 f.) — Rolle der Orthodoxie (auf Erdmann Neumeisters
Kampf gegen den Pietismus in Sorau ist überhaupt
nicht Bezug genommen). Ebenso fehlt die grundsätzliche,
nicht nur gelegentliche Berücksichtigung des (schwenck-
feldischen) Spiritualismus. Uberhaupt hindert der erbauliche
Ton die Erfassung der inneren Problematik. Man bedauert,
daß der aus äußeren Gründen erzwungene Verzicht auf Anmerkungen
die wissenschaftliche Verwendbarkeit der gründlichen
Arbeit beeinträchtigt.

Berlin Martin Schmidt

Solzbacher, Joseph, Prof. Dr. theol.: Kaspar Ulenberg. Eine Priestergestalt
aus der Zelt der Gegenreformation In Köln. Münster: Aschendorff
1948. XIII, 82 S. gr. 8° = Katholisches Leben und Kämpfen im Zeitalter
der Olaubensspaltung. Vereinsschriften der Gesellschaft zur Herausgabc des
Corpus Cathollcorum. H. 8. Kart. DM3.50.

Kaspar Ulenberg ist als Kind lutherischer Eltern 1548 in
Lippstadt geboren, hat evangelische Theologie in Wittenberg
studiert, ist trotz Abneigung gegen die Auseinandersetzungen
innerhalb des Luthertums Anhänger des Flacius geworden, ist
nach Köln gegangen, um einem zum Katholizismus konvertierten
Freund ins Luthertum zurückzuholen, ist bald jedoch
selber in Köln zur katholischen Kirche zurückgekehrt. Dort
hat er nun (nachdem er eine Zeitlang Pfarrer in Kaiserswerth
gewesen war) als Pfarrer an St. Kunibert und an St. Kolumba,
als Regens der Laurentianischen Burse, als Professor und als
Rektor der Universität eine reiche Tätigkeit entfaltet, seelsorgerlich
und literarisch. Hochangesehen und von vielen betrauert
hat er 1617 in Köln sein Leben beschlossen. Am bekanntesten
geworden ist er dadurch, daß er die lange Zeit ver-
breitetste katholische Bibelübersetzung geschaffen hat (überarbeitet
weithin als „Mainzer katholische Bibel" bezeichnet).
Uber Ulenberg existiert eine alte Biographie von Meshov aus
dem Jahre 1638. Was später über U. geschrieben ist, geht
irgendwie auf Meshov zurück und bringt nicht wesentlich
mehr als er. Die jetzt vorliegende Arbeit ist offenbar veranlaßt
durch eine Bemerkung von Herte (Die katholische Luther-
Literatur unter dem Einfluß des Cochläus in der Zeit von
1600—1750, Anm. 369): „Eine sachkundige Biographie Ulen-
bergs gehört noch immer zu den ernsten Desideraten der
gegenreformatorischen Forschung". Sachkunde hat sich Solz-
Dacher offensichtlich erworben. Er hat die Akten der alten
Universität Köln, des erzbischöflichen Archivs in Köln usw.
gründlich durchsucht nach allem nur erreichbaren Material
über Ulenberg, um über Meshov hinauszukommen. Die vorliegende
Arbeit bietet nicht das ganze Ergebnis seiner Studien.
Ausführlich hat er über U. gehandelt in einer 1941 der Katho-