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Ausgabe:

1951 Nr. 12

Spalte:

740-742

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Motel, Heinz

Titel/Untertitel:

Zinzendorf als ökumenischer Theologe 1951

Rezensent:

Schmidt, Martin

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Theologische Literaturzeitung 1951 Nr. 12

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sich heute alle theologischen Richtungen ihrer bedienen. Die
wenigen Außenseiter, die sie ablehnen, stellen sich damit
außerhalb jeder Diskussion. Man denke etwa an die horriblen
Beispiele, die Gerhard Ebeling unlängst vorgeführt hat (Zeitschrift
f. Theol. u. Kirche 47, 1950, S. 2ff.). Sie können allenfalls
als Dokumente einer durch die Zeitereignisse um jede
klare Sicht der Wirklichkeit gebrachte Weltflucht gewertet
werden. Aber auch für die besonnenere Absage an die historische
Kritik durch Wilhelm Mundle (Der Glaube an Christus
und der historische Zweifel, Metzingen/Württ. 1950) hat Alt-
haus in dieser Ztschr. (Bd. 76, 1951, Sp. 165 ff.) ihre innere
Brüchigkeit nachgewiesen. Die historisch-kritische Methode
ist heute Teil der Theologie und sie ist es nicht nur in dem
Sinne, daß sie ihr als Werkzeug von außerhalb aufgenötigt
worden wäre und wegen des Zusammenhangs mit der Wissenschaft
behauptet werden müßte. Ihre Verbindung mit der
Theologie und damit auch das Recht des Harnackschen Anliegens
ist doch viel tiefer begründet und ruht auf der Sache
selbst, um die es in der Theologie geht. Der christliche Glaube
richtet sich auf eine geschichtliche Offenbarung, d. h. er enthält
in sich selbst ein Element der Spannving aus dem Zusammenwirken
von Geschichte und Ubergeschichte seit jenem
Ursprung. Es ist daher nicht zufällig, daß die theologische
Arbeit bei ihrem Versuch, sich über den christlichen Glauben
Rechenschaft zu geben, je und je in Gefahr gerät, die eine
oder die andere seiner Komponenten zu verabsolutieren. Seit
dem ersten Weltkrieg steht sie im Zeichen einer so gut wie ausschließlich
um die Offenbarung kreisenden Fragestellung. Die
geschichtliche Forschung selbst ist zurückgedrängt durch ge-
schichtsphilosophische und Methodenfragen, sie droht den Zusammenhang
mit ihrem Gegenstand teils aus Ubersättigung
mit Detailforschung, teils ans skeptischer Ermüdung zu verlieren
. Daß dies kein normaler Zustand ist, daß die historischen
und systematischen Arbeiten in ein gesundes Gleichgewicht
zurückgeführt werden müssen, darf man feststellen.
Die Luft der Abstraktion, die über den theologischen Büchern
von heute liegt, ist immer dünner geworden, die Lektüre für
das Verständnis immer mühseliger. Es ist doch bezeichnend,
wenn man heute die angesehensten Fachtheologen sich gegenseitig
Lektionen über ihre Terminologie erteilen sieht. Freilieh
soll aus solcher Zuspitzung nun nicht gefolgert werden, hier
sei die Entwicklung an einem Ende angelangt und müsse der
Umschlag in eine wieder das Historische mehr ins Zentrum
stellende Theologie unmittelbar bevorstehen. Eine solche Prophezeiung
wäre allzu billig und dürfte kurze Beine haben.
Aber vielleicht darf man bescheidener der heute schreibenden
Generation oder wenigstens den Jüngeren darunter ein wenig
von der Harnackschen „Lucidität" und seiner Fähigkeit zur
Vereinfachung wünschen. Und wenn man einmal beim Wünschen
ist, so mag nun doch hinzugefügt werden, daß wieder
das Verständnis für die historische Aufgabe der Theologie im
Harnackschen Sinne neu ergriffen werden möchte. Zwar
urteilte einst bei Erscheinen der ersten Auflage dieses Buches
Bischof Dibelius (in der ,,Hilfe" 42, 1936, S. 163): „Die Wahrheitsfrage
ist heute anders gestellt. Man fragt nicht danach,
wie es eigentlich gewesen ist. Sondern man fragt danach, wo
die Wahrheit ist, die gilt." Aber ich glaube nicht, daß man
Harnack mit der Zuordnung zum Historismus wirklich gerecht
wird. Auch er fragte ja danach, wo die gültige Wahrheit
sei, und er fand sie bei dem geschichtlichen Jesus. Um sie zu
beweisen, setzte er den ganzen großen Apparat seiner Wissenschaft
in Bewegung. Die ,,Dogmengeschichte" galt wesentlich
dem Zweck zu zeigen, daß das Dogma Entstellung des Evangeliums
durch den griechischen Geist sei. Plan und Begrenzung
der Aufgaben der „Kirchenväterkommission" erfolgten
unter dem Gesichtspunkt, daß die ersten drei Jahrhunderte
die paläontologische Schicht des Christentums darstellten
und daher als der wichtige Mutterboden der Bewegung
eine besonders sorgfältige Durchforschung erforderten.
So spitzt sich ihm alles auf den einen Punkt zu, an dem er
ein eminent theologisches Interesse hatte, das Evangelium
Jesu. Es ist nun ohne Zweifel richtig, daß er an diesem Evangelium
nicht die fremdartigen Züge gesehen hat, die doch
schon zu seiner Zeit von Albert Schweitzer für den eschato-
logischen Charakter der Verkündigung Jesu und von der religionsgeschichtlichen
Schule für die gnostischen Hintergründe
des Weltgefühls im frühen Christentum herausgearbeitet
worden waren. Aber der Grund für diesen historischen Fehler
Harnacks liegt paradoxerweise an seiner Grundeinstellung
als Theologe, die an die geschichtliche Kritik preisgegeben
zu haben ihm so gerne vorgeworfen wurde. Es war ein
folgenreicher Fehler, denn er ermöglichte ihm jene Zusammenschau
von Evangelium und Kultur, von der oben
die Rede war. Doch hat hier, wie mir scheint, jede Kritik

zu schweigen vor der geschlossenen Einheit von Erkenntnis
und Leben in seiner Persönlichkeit. Der Versuch Barthischer
Dialektik, an dieser Einheit des über 70jährigen zu rütteln,
bietet kein schönes Bild und hat seine Entschuldigung allein
darüi, daß er dazu herausgefordert worden war. Es berührt
wohltuend, wie taktvoll die Biographin die Schärfe dieses
Gegensatzes gleichzeitig anzudeuten und zu mildern weiß.
Indem nun der Name Karl Barths gefallen ist, muß gerechterweise
zugegeben werden, daß wir so wie Harnack heute
nicht mehr zur Geschichte stehen. Aber dafür, daß wir uns ihr
als Theologen hinzugeben haben, holen wir uns von ihm den
Mut.

Marburg/Lahn W. Eltester

Motel, Heinz: Zinzendorf als ökumenischer Theologe. Hemmut:

Winter 1942. 140 S. 8°.

Blanke, Fritz: Zinzendorf und die Einheit der Kinder Gottes. Basel:

Majer[1950]. 64 S. 8°. Kart. sfr. 2.80.
Meyer, Gerhard: Gnadenfrei. Eine Herrnhuter Siedlung des schlesischen
Pietismus im 18. Jahrhundert. Hamburg: Ludwig Appel Verl. [1950]. 143 S.,
10 Tat. 8°. Hlw. DM 6.—.

Die wurzelhaft ökumenische Haltung des Grafen Zinzendorf
ist sowohl an seiner Theologie wie an seinem praktischen
Handeln abzulesen. Die Arbeit Motels sucht das zweite vom
ersten aus zu begründen, die Blankes vom zweiten auf das
erste zurückzuschließen. So vermögen sie sich in trefflicher
Weise zu ergänzen. Beide gehen — infolge der gegenwärtigen
Forschungserschwerungen genötigt — nur auf das gedruckte
Quellenmaterial zurück. Motel gibt zunächst im Anschluß an
die reiche Spezialforschuug der Herrnhuter, die die letzten drei
Jahrzehnte unter der Führung von Uttendörfer, Reichel,
Bettermann, Eberhard, Renkewitz brachten, em Profil der
Theologie Zinzendorfs. Es steht unter dem Leitgedanken des
Kreuzes. Ihm schließen sich die folgenden au: die Bindung
an die Schrift, die Ernstnahme der Tradition im Bekenntnis,
der Kirchenbegriff, dieBewertung der konkreten Konfessionen.
Er greift also die für die ökumenischen Fragen relevanten loci
heraus. Man darf fragen, ob nicht der Begriff der Inkarnation
(Kondeszendenz) als übergreifender und erläuternder Rahmen
für die theologia crucis am Platze gewesen wäre. M. hat sich
hier wohl etwas einseitig an Samuel Eberhard, Kreuzestheologie
1937, angelehnt. An der Mittelpunktsstellung des Kreuzes
arbeitet er die Gesichtspunkte des verbum efficax und der
imputativen Rechtfertigung heraus, die im Widerspruch zu
dem — durch Wesley repräsentierten — Pietismus auf jede,
zum Eigentum der Gerechtfertigten gewordene Vollkommenheit
verzichtet. Unter dem Leitgedanken des Kreuzes will
auch der Schriftbegriff Z.s gewürdigt sein. Das bedeutet in
methodischer Hinsicht die Absage au jeden dogmatischen
Systemwillen. Den „Bekenntnissen" steht er mit der Freiheit
des biblischen Theologen gegenüber. Er sieht in ihnen einen
„Grenzschutz" gegen bestimmte Irrlehren, befürchtet aber
von ihrer isolierten Bewertung die Pflege von christlichen Teilwahrheiten
und persönlichen Lieblingsmeinungen. Das Aposto-
licum lehnt er ab, da es sein Grunddogma „Der Schöpfer ist
der Heiland" nicht teilt, während er dem Nicäno-Constantino-
politanum bis auf das filioque zustimmt. Das ökumenische
Bekenntnis ist ihm die Confessio Augustana, weil sie auf der
Heilsbedeutung des Kreuzes ruhe. Im Kirchenbegriff geht es
Motel nicht um die Einzelelemente, sondern um die „Hintergründe
" (48), wobei er wirkungsvoll auf Gottes Urwillen zur
Kirche in der Dreieinigkeit hinweist. Die Objektivität der
Offenbarung ist die eigentliche Begründung der Kirche. Die
Kirche selbst trägt den Charakter des Kreuzes. Er gelangt in
ihrer kleinen Zahl, in der Sündhaftigkeit ihrer Glieder, in ihrer
Fremdlingschaft und Unrast auf der Erde zum Ausdruck.
Die Kirche ist ihrem Wesen nach verborgen. In die Sichtbarkeit
tritt sie nicht—wie für Luther und die Confessio Augustana
— durch Wort und Sakrament, sondern durch „verbundene
Glieder", wie es dem pietistischen Verständnis entspricht.
Den geschichtlich gewordenen Konfessionen beugt sich Zinzendorf
, ohne ihren Ursprung begründen zu können. Kriterium
für ihren Wert ist ihm sein Kerngedanke, das Kreuz Jesu
Christi. Von ihm aus wäre Union sofort möglich, rückt andrerseits
das Luthertum, wie später für Claus Harms, Guericke
und Löhe, in die Rolle der „einigenden Mitte der Konfessionen
". Die Linie zum Neuluthertum der Erweckungsbewegung
sieht M. nicht. Sie verdient es, in das künftige Gesamtbild der
Entwicklungsgeschichte vom Pietismus zur Erweckung und
in die Geschichte des Unionsgedankens aufgenommen zu werden
. In der bekannten Tropenlehre, die Motel neu interpretiert
, stellt Z. die Konfessionen unter den Leitgedanken der